Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2017, Az.: 12 ME 249/16

Brücke; Gefahr; Gefahrenverdacht; Gefahrerforschungseingriff; konkrete Gefahr; Nachrechnungsrichtlinie; Tragfähigkeit; Vollsperrung; vorbeugender Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.09.2017
Aktenzeichen
12 ME 249/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54153
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.12.2016 - AZ: 1 B 142/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein gegenüber Verkehrsteilnehmern wirksamer und daher für sie anfechtbarer Verwaltungsakt liegt nicht schon mit der Anordnung der Straßenverkehrsbehörde vor, sondern setzt die Bekanntgabe durch Aufstellung des entsprechenden Verkehrszeichens voraus.

2. Zu den - hier bejahten - Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise gegen die erst beabsichtigte Aufstellung eines Verkehrsschildes vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz zulässig ist.

3. Zu den Anforderungen für die Sperrung einer Brücke wegen mangelnder Tragfähigkeit nach § 45 Abs. 1 StVO und der diesbezüglichen Bedeutung der Nachrechnungsrichtlinie des Bundesministeriums für Verkehr.

Tenor:

Soweit die Antragstellerinnen ihren Antrag im Beschwerdeverfahren zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt und der Beschluss des Verwaltungsgerichts für unwirksam erklärt.

Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 1. Kammer - vom 21. Dezember 2016 im Übrigen wie folgt geändert:

1. Der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, die beabsichtigte Vollsperrung der Decatur-Brücke durch Aufstellung der entsprechenden Beschilderung umzusetzen, soweit davon auch der Anliegerverkehr in dem in Ziffern 1 bis 5 des „Verkehrssicherungskonzeptes Decatur-Brücke Seevetal“ (Anlage 27 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2017, Bl. 696 GA) umschriebenen Umfang umfasst ist und die Antragstellerinnen

(a) das zwischenzeitlich eingerichtete digitale Geomonitoring (Riss- und Verformungsmonitoring) auf eigene Kosten fortführen,

(b) die existierende Ampelanlage in der in Ziffer 2 des Verkehrssicherungskonzeptes beschriebenen Weise auf eigene Kosten betreiben,

(c) im Falle eines durch das Geomonitoring ausgelösten Alarms auf eigene Kosten die in Ziffer 6 des Verkehrssicherungskonzeptes vorgesehenen Schritte einleiten und

(d) die Besichtigung des Brückenbauwerks gemäß DIN 1076, Abs. 6.2, einmal jährlich auf eigene Kosten durchführen und die Antragsgegnerin über die Ergebnisse schriftlich informieren.

2. Die Wirkung der Anordnung zu Nr. 1 endet,

a) wenn das Geomonitoring eine Überschreitung eines Warnwertes meldet, es sei denn, es wird vor der erneuten Freigabe der Brücke sachverständig bestätigt, dass keine Risikoerhöhung eingetreten ist,

b) wenn das Geomonitoring eine Überschreitung eines Grenzwertes meldet,

c) wenn in der Hauptsache über das Begehren der Antragstellerinnen entschieden worden ist oder

d) sich dieses - etwa durch einvernehmliche Lösung -anderweitig erledigt hat.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die weiter gehende Beschwerde der Antragstellerinnen zurückgewiesen.

Mit dieser Entscheidung im Beschwerdeverfahren erledigt sich der „Schiebebeschluss“ des Senats vom 26. Juni 2017.

Die Antragsgegnerin trägt 3/4 der Kosten des gesamten Verfahrens, die Antragstellerinnen tragen jeweils 1/8.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin und Betreiberin des Rangierbahnhofs F.. Der Zug- und Rangierbetrieb wird durch die Antragstellerin zu 2. durchgeführt. Sie unterhält und betreibt dort ein Lager- und Logistikzentrum, ein Instandsetzungs-werk für Lokomotiven und Güterwaggons sowie ein Dienstgebäude in einem von Gleisen eingeschlossenen Bereich, der über die Decatur-Brücke und zwei rechtwinklig nach Südosten abgehende Rampen erreichbar ist. In diesem eingeschlossenen Teilbereich wird die Verladung Schiene/Straße vorgenommen. Über die Rampen erfolgt die Anfahrt der Mitarbeiter. Über die Decatur-Brücke werden auch Rettungsfahrten durchgeführt, Waren für das Instandsetzungswerk und die Post angeliefert sowie die Versorgung der dortigen Betriebe bis hin zur Kantine abgewickelt.

Die ca. 735 Meter lange Decatur-Brücke verbindet als Teil der H. Straße die Ortschaften F. und (das nordöstlich gelegene) H. und überspannt neben dem Rangierbahnhof F. auch die zweigleisige Eisenbahnstrecke L./H.. Das weitere Gelände des Rangierbahnhofs F. ist über mehrere andere Zufahrten vom öffentlichen Straßennetz aus erreichbar, so auf der südwestlichen Seite über die F.-Straße oder nordöstlich über die G. -Straße.

Die Errichtung des Rangierbahnhofes F. und der Decatur-Brücke beruht rechtlich auf einem Planfeststellungsbeschluss vom 14. Juli 1972. Im Bauwerksverzeichnis (Nr. 216) ist bestimmt, dass das Eigentum und die Unterhaltung der Straßenbrücke bei der „DB“ verbleiben und mit der Gemeinde H. eine Vereinbarung geschlossen wird.

Die G. (als Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 1.) und die Antragsgegnerin schlossen am 28. November 1973 eine Vereinbarung nach § 5 Eisenbahnkreuzungsgesetz (EKrG) in der Fassung vom 21. März 1971. Danach soll die neue Straße als öffentliche Gemeindestraße von F. nach H. den neuen Rangierbahnhof  F. und die zweigleisige Eisenbahnstrecke von L. nach H. als Überführung kreuzen. Von der Brücke abgehend sind auf der Ostseite zwei Rampen als Zufahrten zum Rangierbahnhof vorgesehen. Die Bundesbahn führt die Baumaßnahmen durch und trägt ihre Kosten. Die Unterhaltung der Straßenüberführung einschließlich Berührungsschutz, Straßen, Entwässerungs- und Beleuchtungsanlagen sowie die Verkehrssicherungspflicht für die Straßenüberführung obliegen dem Straßenbaulastträger.

Die Decatur-Brücke wurde in den Jahren 1972 bis 1974 als Spannbetonbrücke errichtet und im Oktober 1977 an die Antragsgegnerin übergeben. Sie weist in ihrem Hauptteil eine Gesamtlänge von rd. 735 m auf. Es handelt sich um eine Durchlaufträgerkonstruktion über 20 Felder mit Einzelstützweiten zwischen 24,88 m und 47,22 m. Im Querschnitt handelt es sich um einen einzelligen Hohlkasten mit einer Konstruktionshöhe von 2,12 m. An den Hohlkasten sind beidseitig - über die gesamte Breite der Brücke - Kragarme angeschlossen. Die beiden o. a. Rampen sind rd. 163 m bzw. 128 m lang.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gab mit Schreiben vom … die „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie)“ bekannt. Daraufhin führte die H. (nachfolgend: H.) im Auftrag der Antragsgegnerin Nachrechnungen bei beidseitiger Verkehrsführung der Decatur-Brücke auf den Stufen 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie durch. Im Ergebnis stellte die H. fest, die Decatur-Brücke weise für die uneingeschränkte Nutzung keine ausreichende rechnerische Standsicherheit auf, weil danach insbesondere die Nachweise für die Querkraft- und Torsionstragfähigkeit nicht erbracht werden konnten.

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gab mit Schreiben vom 29. April 2015 die „1. Ergänzung der Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie = NRR)“ bekannt.

Nachdem die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen die Unterlagen der Nachrechnung übergeben hatte, forderte die Antragstellerin zu 1. sie mit Schreiben vom … auf, kurzfristig Maßnahmen zur Sanierung der Brücke zu ergreifen.

Im August 2015 richtete die Antragsgegnerin - in Abstimmung mit der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr - eine einspurige Verkehrsführung und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf der Decatur-Brücke ein. Die Nutzung wurde zudem auf Fahrzeuge bis 3,5 t beschränkt.

Die Antragsgegnerin beauftragte als zweiten Gutachter I. (nachfolgend: I.) mit der Prüfung der Nachrechnung der Decatur-Brücke auf der Grundlage der 2. Stufe der Nachrechnungsrichtlinie bei einspuriger Verkehrsführung. I. kam in seinem Prüfbericht vom … zu dem Ergebnis, die Decatur-Brücke erfülle aufgrund von Konstruktionsmängeln selbst bei einspuriger Verkehrs-führung nicht die Nachweiskriterien nach den Stufen 1 und 2.

Bei einer weiteren statischen Berechnung („Zusammenfassung Stufe 1 + 2 + DIN 4227 + 1. Ergänzung NRR“) gelangte die H. am 21. April 2016 zu dem Ergebnis, dass die nach heutigem Stand erforderlichen Mindestbewehrungen meistens nicht eingehalten seien. Das Defizit in der Schub- und Torsionsbewehrung bestehe unabhängig von der Brückenklasse. Eine Ertüchtigung des Bauwerks für die Wiederherstellung einer ausreichenden Tragsicherheit sei mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln selbst für eine einspurige Verkehrsführung mit Sperrung der Gehwege nicht möglich.

Der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin fasste daraufhin in seiner Sitzung am 15. Juni 2016 folgenden Beschluss:

„Die Bürgermeisterin wird beauftragt, der Deutschen Bahn, dem Bund und dem Land mitzuteilen, dass die Gemeinde Seevetal beabsichtigt, die Decatur-Brücke zum 30. September 2016 für jeglichen Verkehr voll zu sperren und den Rückbau der Decatur-Brücke einzuleiten.“

Die von der Antragstellerin zu 1. beauftragte J. (nachfolgend: K.) stellte in der „1. Statisch-Konstruktiven Stellungnahme zur beabsichtigten Brückensperrung“ vom 17. August 2016 und in der Sonderbegutachtung vom 23. August 2016 fest, dass nach den Vorgaben der NRR-Stufen 1 und 2 die Nachweise für die Querkraft- und Torsionstragfähigkeit an den signifikanten Stellen nicht erbracht werden konnten und die konstruktiven Anforderungen bereichs-weise defizitär seien. Da die Vorgaben und die Möglichkeiten der Nachrechnungsrichtlinie, insbesondere ihrer Stufen 3 und 4, nicht ausgeschöpft worden seien, sei eine abschließende Bewertung zur Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit der Decatur-Brücke nicht möglich. Daraufhin wurde auf die Tagesordnung des Rats der Antragsgegnerin für dessen Sitzung am 29. September 2016 folgender Punkt gesetzt: „Decaturbrücke: Beschluss der Vollsperrung für jedweden Verkehr ab dem 1.10.2016“. Bereits zuvor, nämlich unter dem 14. September 2016, hatte die Antragsgegnerin ausweislich der Verwaltungsvorgänge die Gesamtsperrung des Verkehrs, des Fahrradverkehrs und der Gehwege, d. h. die Vollsperrung der Decatur-Brücke, auf Dauer für jeglichen Verkehr ab dem 1. Oktober 2016 gemäß § 45 Abs. 1 StVO angeordnet. Diese Anordnung sollte danach mit der Aufstellung der Verkehrszeichen wirksam werden. Als Grund der Sperrung gab die Antragsgegnerin die mangelnde Tragfähigkeit der Decatur-Brücke an.

Die bereits zuvor gestellten Anträge der Antragstellerinnen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die beabsichtigte Vollsperrung der Decatur-Brücke lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. September 2016 (3 B 27/16) als unzulässigen vorbeugenden Rechtsschutz ab. Dagegen legten die Antragstellerinnen beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Beschwerde ein.

Die Beteiligten schlossen in dem - vor dem seinerzeit zuständigen 7. Senat des erkennenden Gerichts geführten - Beschwerdeverfahren (7 ME 105/16) folgenden Vergleich:

„1. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin beschließt, die Decaturbrücke ab dem 30. September 2016 für den allgemeinen Straßenverkehr zu sperren, gelten für die Antragstellerinnen folgende Sonderregelungen:

Die Antragstellerinnen dürfen die Decaturbrücke im Bereich zwischen der L. -Straße und der ersten von der Brücke auf das Bahngelände führenden Rampe einstweilen zunächst bis 2 Wochen nach Vorlage der im Schreiben vom 30. August 2016 angekündigten Nachberechnung längstens jedoch bis zum 1. März 2017 für den Werksverkehr, den Ladeverkehr und den Rettungsverkehr in der Weise nutzen, dass sich nie mehr als ein Lkw auf der Brücke befindet und die Geschwindigkeit auf maximal 30 km/h begrenzt bleibt. Den Antragstellerinnen bleibt vorbehalten, Rechtsschutz im Hinblick auf die darüber hinausgehende weitere Nutzung und hinsichtlich entstandener und entstehender Kosten in Anspruch zu nehmen. Ziffer 3. des Vergleichs bleibt unberührt. Die Antragsgegnerin hält es für erforderlich, die Brücke für jeden Verkehr zu sperren und lehnt jede Haftung ab, die sich aus der weiteren Nutzung der Brücke ergibt. Sie wird für die Dauer dieser Vereinbarung auch keine Unterhaltungsmaßnahmen erbringen, die für die unter Satz 2 eingeräumte weitere Nutzung der Brücke erforderlich sein könnten. Die Antragsstellerinnen übernehmen die Haftung für alle sich aus der Nutzung der Brücke etwa ergebenden etwaigen Schäden, nicht jedoch die sich aus der Baulast für die Brücke ergebende Verpflichtung. Soweit Schäden im Nutzungszeitraum des Vergleichs auftreten, wird vermutet, dass sie sich aus der Nutzung ergeben. Die Antragsstellerinnen übernehmen zusätzlich für die Dauer dieser Vereinbarung für das gesamte Brückenbauwerk die Verkehrssicherungspflicht und den Winterdienst auf eigene Kosten, nicht aber die bauliche Unterhaltung. Bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht stellen die Antragstellerinnen die Antragsgegnerin im Außenverhältnis von der Haftung frei.

Die Antragstellerinnen werden das im Beschluss vom 27. September 2016 verfügte Rissmonitoring weiter durchführen und dokumentieren. Die Dokumentation wird der Antragsgegnerin auf Anfrage zur Verfügung gestellt.

2. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass, falls der Rat den oben genannten Beschluss nicht verabschiedet, die Regelung des Beschlusses des Senats vom 27. September 2016 bis zum 30. Oktober 2016 aufrechterhalten bleiben soll.

3. Die Antragstellerinnen werden binnen eines Monats nach Beginn der verfügten Sperrung der Decaturbrücke einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht stellen. Sofern dieser rechtskräftig abgelehnt wird, endet das sich ggf. aus Ziffer 1. ergebende Nutzungsrecht der Brücke.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben, die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Antragstellerinnen.“

Der Rat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 29. September 2016 entsprechend der Vorlage, die Decatur-Brücke ab dem 1. Oktober 2016 für jeglichen Verkehr (Lkw, Pkw, Radfahrer, Fußgänger) zu sperren.

Seit Oktober 2016 sind an der Decatur-Brücke das Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) mit dem Zusatz „Frei bis 1. Rampe für Werkverkehr, Ladeverkehr, Rettungsverkehr“ sowie Sperrzäune aufgestellt. Die Antragstelle-rinnen nutzen die Decatur-Brücke entsprechend des geschlossenen Vergleichs.

Die Antragstellerinnen haben am 28. Oktober 2016 Klage (1 A 328/16) erhoben und zugleich die Gewährung vorläufigen/einstweiligen Rechtsschutzes begehrt mit folgenden Anträgen:

1. die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die mit dem Verkehrszeichen 250 („Durchfahrt verboten“) sowie mit Sperrzäunen angeordnete Vollsperrung der Decatur-Brücke ohne Zulassung eines Anliegerverkehrs zu dem Rangierbahnhof Maschen nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen,

2. die Beseitigung des Verkehrszeichens 250 („Durchfahrt verboten“) sowie der Sperrzäune an der H. Straße im Bereich der Decatur-Brücke auf der Seite des Ortsteils F. entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO anzuordnen, soweit von dieser Sperrung auch der Anliegerverkehr von F. zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe umfasst ist, und

3. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, diejenigen Monitoring- und Untersuchungsmaßnahmen an der Decatur-Brücke durchzuführen, welche erforderlich sind, um den Anliegerverkehr von Maschen bis zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe der Decatur-Brücke durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

Die Anträge zu 1. und 2. seien zulässig.

Der Antrag zu 1., die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, sei als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auszulegen und gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft. Das Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art nach dem Verkehrszeichen Nr. 250 sei ein Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung i. S. v. § 35 Satz 2 VwVfG. Das Verbot entstehe bereits durch die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 45 Rn. 26, m. w. N.). Die Antragsgegnerin habe am 14. September 2016 die Gesamtsperrung des Verkehrs, des Fahrradverkehrs und der Gehwege, d. h. die Vollsperrung der Decatur-Brücke auf Dauer für jeglichen Verkehr ab dem 1. Oktober 2016, gemäß § 45 Abs. 1 StVO angeordnet. Die Klage auf Aufhebung der mit dem Verkehrszeichen Nr. 250 angeordneten Vollsperrung der Decatur-Brücke habe analog § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag zu 2., der auf die Beseitigung des Verkehrszeichens Nr. 250 und der Sperr-zäune im Bereich der Decatur-Brücke gerichtet sei, sei gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsaktes statthaft.

Die Antragstellerinnen seien hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. analog § 42 VwGO antragsbefugt. Es erscheine zumindest als möglich, dass das angeordnete und aufgestellte Verkehrszeichen Nr. 250 und die errichteten Sperrzäune im Bereich der Decatur-Brücke ihre Rechte als betroffene Anliegerinnen verletzten. Allerdings werde das Verbot vom 14. September 2016 erst durch die Aufstellung des entsprechenden gültigen Verkehrszeichens für die Verkehrsteilnehmer verbindlich. Gegenwärtig befindet sich unter dem Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) der Zusatz „Frei bis 1. Rampe für Werkverkehr, Ladeverkehr, Rettungsverkehr“ mit der Folge, dass die Antragstellerinnen gegenwärtig noch nicht von der Sperrung der Decatur-Brücke betroffen seien. Dieser Zusatz und die damit verbundene Sonderregelung für die Antragstellerinnen seien jedoch nur eine Umsetzung des vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleichs (7 ME 105/16). Zudem hätte die Antragsgegnerin erkennen lassen, dass im Falle der rechtskräftigen Ablehnung des Eilantrages die Decatur-Brücke aufgrund des Ratsbeschlusses vom 29. September 2016 vollständig gesperrt werde.

Die Anträge zu 1. und 2. seien jedoch nicht begründet. Die angeordnete Vollsperrung der Decatur-Brücke durch das Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) und das Aufstellen von Sperrzäunen sei - bei nur möglicher summarischer Prüfung - nicht offensichtlich rechtswidrig. Es lägen auch keine atypischen Gesichtspunkte vor, die es ausnahmsweise rechtfertigten, die Antragstellerinnen vorerst von der Vollziehung der Vollsperrung der Decatur-Brücke durch das Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) zu bewahren.

Die Rechtsgrundlage für die straßenverkehrsbehördliche Anordnung vom 14. September 2016, wonach die Decatur-Brücke ab dem 1. Oktober 2016 für den Verkehr voll-ständig gesperrt und das Verkehrszeichen 250 und Sperrzäune aufzustellen seien, finde sich in § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Danach könnten die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.

Die Antragsgegnerin habe als zuständige Straßenverkehrsbehörde mit der angeordneten Vollsperrung der Decatur-Brücke nicht ihre straßenverkehrsrechtlichen Zuständigkeiten überschritten. Sie sei wegen des sog. „Vorbehalts des Straßenrechts“ nur zu solchen Anordnungen befugt, die sich im Rahmen der straßenrechtlichen Widmung der Straße hielten. Die Antragsgegnerin habe die Decatur-Brücke weder förmlich noch faktisch als öffentliche Straße eingezogen bzw. entwidmet, sondern erkennen lassen, dass sie die Decatur-Brücke nur so lange für den Verkehr schließen werde, wie nicht sicher sei, dass sie die erforderliche Tragfähigkeit aufweise.

Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setze entsprechende Gründe der Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs voraus. Verkehrszeichen seien dabei nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Um-stände zwingend geboten sei (§ 45 Abs. 9 Satz 1 StVO). Verbote des fließenden Verkehrs dürften nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO). Es genüge dabei eine hinreichend konkretisierte Gefahr. Für das Vorliegen einer solchen hinreichend konkretisierten Gefahr für die Decatur-Brücke sprächen die von den Beteiligten vorgelegten Stellungnahmen/Gutachten der H., des I. und der K.. Auch mit der nur teilweisen Öffnung der Decatur-Brücke für den Werk-, Liefer- und Rettungsverkehr, d. h. den Anliegerverkehr der Antragstellerinnen zum Rangierbahnhof F., seien nicht zu verantwortende Risiken verbunden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müsse die Decatur-Brücke nach summarischer Prüfung als nicht tragfähig betrachtet werden.

Die Decatur-Brücke stamme aus den 70-er Jahren und sei über 40 Jahre alt. Bei der im Zeitraum von Dezember 2015 bis April 2016 durchgeführten Bauwerkssonderprüfung nach DIN 1076 habe die Decatur-Brücke die Zustandsnote 3,40 erreicht. Es seien u. a. Betonabplatzungen an zahlreichen Stellen des Unter- und Überbaus und Risse an den Koppelfugen festgestellt worden. Vor allem hätten die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung geltenden Normen bis zu einer bestimmten Größe der Hauptzugspannung keine Schub- und Torsionsnachweise vorgesehen. Die heutigen Grenzen, bei denen Überschreitung Schub- und Torsionsbewehrung erforderlich würden, lägen deutlich tiefer. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung habe deshalb mit Schreiben vom 26. Mai 2011 die o. a. Nachrechnungsrichtlinie und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Schreiben vom 29. April 2015 die ebenfalls bereits o. a. „1. Ergänzung der Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie)“ bekanntgegeben.

Die Nachrechnungsrichtlinie gelte im Rahmen der Bauwerkserhaltung für die Bewertung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken, die nicht nach aktuellem Normungsstand geplant und errichtet worden seien (§ 1 Abs. 1 NRR), und sei für die Anfang der 70-er Jahre errichtete Decatur-Brücke heranzuziehen. Die Nachrechnungsrichtlinie diene dem Ziel, die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken, insbesondere unter Berücksichtigung des gestiegenen Verkehrsaufkommens und der Fortentwicklung der Bautechnik, realistisch zu beurteilen (Nr. 4.1. Abs. 1 NRR). Bezweckt werde, ein für das Transportgewerbe durchgehend leistungsfähiges Straßennetz und ein einheitliches Sicherheitsniveau trotz überproportional gestiegenem Schwerverkehr zu gewährleisten. Bei der Nachrechnung von bestehenden Straßenbrücken nach der Nachrechnungsrichtlinie handele es sich um ein gestuftes Verfahren, bei dem die Nachweisführung und gegebenenfalls der Untersuchungsaufwand am Bauwerk unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen modifiziert werden. Die Modifikationen könnten sowohl die Einwirkungs- und Widerstandsseite als auch die rechnerischen Nachweise und Bauwerksuntersuchungen selbst betreffen. Es werde zwischen vier Stufen unterschieden.

Die Stufe 1 umfasse eine ausschließliche Nachweisführung nach den DIN-Fachberichten bzw. nach Eurocodes.

Die Stufe 2 berücksichtige spezielle, die Stufe 1 ergänzende Regelungen der Nachrechnungsrichtlinie.

Die Stufe 3 berücksichtige am Bauwerk ermittelte Messergebnisse.

Die Stufe 4 schließe wissenschaftliche Methoden zum Nachweis ausreichender Tragsicherheit ein, wie z. B. spezielle geometrisch und physikalisch nichtlineare Verfahren. Der Nachweis ausreichender Tragsicherheit dürfe ggf. durch direkte Ermittlung der rechnerischen Versagenswahrscheinlichkeit mit Hilfe probabilistischer Methoden geführt werden. Die Stufe 4 könne mit den Stufen 2 und 3 kombiniert werden, sei jedoch nur im Sonderfall und in Abstimmung mit den Obersten Straßenbaubehörden der Länder anzuwenden.

Aus den vorgelegten Unterlagen der H., des I. und der K. ergebe sich, dass bei einer Nachrechnung auf den Stufen 1 und 2 NRR die Tragfähigkeit der Decatur-Brücke nicht nachgewiesen worden sei. Die Erkenntnis der von der Antragsgegnerin beauftragten H., dass nach den Nachrechnungen auf den Stufen 1 und 2 NRR selbst bei einspuriger Verkehrsführung die Tragfähigkeit der Decatur-Brücke nicht nachgewiesen sei, werde durch den von der Antragsgegnerin hinzugezogenen zweiten Gutachter I. bestätigt und auch von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellt.

Die Antragstellerinnen seien lediglich der Ansicht, dass aus den rechnerischen Defiziten nach den Stufen 1 und 2 NRR nicht auf eine mangelnde Tragfähigkeit der Decatur-Brücke und damit auf eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO geschlossen werden könne. Auch wenn die Antragstellerinnen zutreffend darauf hingewiesen hätten, in den Stufen 1 und 2 NRR erfolge die Nachrechnung nur aufgrund von Rechenmodellen ohne tatsächliche Untersuchung des Bauwerks, sei auch eine „nur“ rechnerisch ermittelte fehlende Tragfähigkeit der Decatur-Brücke zu berücksichtigen und begründe zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Gefahr für die Nutzung des Brückenbauwerks. Selbst die von den Antragstellerinnen beauftragte K. habe diese Ergebnisse der Nachrechnung nicht ignoriert, sondern weitere Nachrechnungen auf der Stufe 2 und tatsächliche Untersuchungen auf den Stufen 3 und 4 angeraten. Auch I. habe in seinem Prüfbericht vom 23. März 2016 die rechnerisch festgestellte Überbeanspruchung infolge Torsion, die auch durch Risse im Überbaubereich zwischen den Rampenbauwerken belegt werde, sehr ernst genommen. Er habe in diesem Prüfbericht eine vollständige Nutzung der Decatur-Brücke auf Dauer ausgeschlossen und eine einspurige Verkehrsführung der seit über 40 Jahren genutzten Brücke nur für einen mittelfristigen Zeitraum unter weiteren Voraussetzungen und Einschränkungen vorgesehen.

In seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2016 habe er ausgeführt:

„Dabei stellen die Begrenzung auf einen mittelfristigen Zeitraum sowie die Einhaltung der im Abschnitt 7.5. genannten Maßnahmen die unverzichtbaren Voraussetzungen dar (vgl. Seite 22 sowie Seite 25).“

In Abschnitt 7.5. (Prüfbericht vom 23. März 2016, S. 22) heiße es:

„Aus diesem Grund empfiehlt der Unterzeichner folgende Maßnahmen durchzuführen:

- Kontinuierliche Kontrolle der Rissbreiten in allen kritischen Bauwerksbereichen

- Einbau zusätzlicher Unterstützungen in der Achse 9 sowie in dem gekrümmten Teil des Überbaus, z. B. in Achse 4 oder 5.“

Solche Ertüchtigungsmaßnahmen seien an der Decatur-Brücke nicht vorgenommen worden. Schließlich habe die H. in ihrem Schreiben vom 12. Dezember 2016 noch einmal deutlich gemacht, dass sich das Erfordernis einer Vollsperrung der Decatur-Brücke einzig und allein aus der deutlich nicht eingehaltenen, rechnerischen Tragfähigkeit der Decatur-Brücke ergebe. Es sei rechnerisch keine ausreichende Standsicherheit gewährleistet, wofür die festgestellten Schrägrisse mit Rissweiten bis 0,4 mm an den Hauptträgeraußenseiten ein Indiz seien. Die H. habe zutreffend festgestellt, bei den geführten Nachweisen handele es sich im weitesten Sinne um eine angewandte Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es werde mit einer ausreichenden Sicherheit - nach anerkannten Rechenmethoden - die Wahrscheinlichkeit des Versagens eines Bauwerkes abgeschätzt. Da die Nachrechnungen auf den Stufen 1 und 2 eine deutlich nicht eingehaltene Tragfähigkeit der Decatur-Brücke ergeben haben, sei die Wahrscheinlichkeit ihres Versagens im Falle des Befahrens dementsprechend hoch.

Die Ergebnisse der Nachrechnungen auf den Stufen 1 und 2 NRR seien zu beachten und rechtfertigten zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Vollsperrung der Decatur-Brücke, auch wenn die Stufen 3 und 4 NRR für die Decatur-Brücke bisher nicht geprüft worden seien. Zwar könne wohl nach Auffassung der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) die Frage, ob eine Vollsperrung der Decatur-Brücke zwingend erforderlich sei, erst (abschließend) beantwortet werden, wenn die in der Nachrechnungsrichtlinie formulierten Berechnungsverfahren in voller Bandbreite durchgeführt worden seien. Vor der Vollsperrung der Decatur-Brücke seien jedoch nicht alle Stufen der Nachrechnungsrichtlinie in all ihren Möglichkeiten zu durchlaufen. Dies sehe die Nachrechnungsrichtlinie nicht vor. In Nr. 4.2. Abs. 2 NRR werde ausdrücklich geregelt, dass die Stufen 3 und 4 wegen des besonderen Aufwands nur im Sonderfall und in Abstimmung mit den Obersten Straßenbaubehörden der Länder anzuwenden seien. Ob eine zukünftige weitere Nachrechnung auf den Stufen 3 und 4 im Hinblick auf den Zeit- und Kostenaufwand notwendig und sinnvoll sei und sich die Antragsgegnerin der ihr obliegenden Erhaltungslast entziehe, sei für die nach § 45 Abs. 1 StVO erforderliche Feststellung einer hinreichend konkreten Gefahr demnach unerheblich. Erkenntnisse, die sich aus weiteren Nachrechnungsstufen ergäben und eine Tragfähigkeit der Decatur-Brücke belegten, lägen jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitraum nicht vor.

Die rechnerischen Erkenntnisse der Stufen 1 und 2 NRR seien auch nicht allein deshalb widerlegt, weil für die Decatur-Brücke eine technische Lebensdauer von 70 bis 100 Jahren anzusetzen und diese noch nicht überschritten sei. Von einer durchschnittlichen Lebensdauer für Brücken könne nicht auf die tatsächliche Lebensdauer einer konkreten Brücke geschlossen werden, denn diese hänge von Faktoren wie beispielsweise der Häufigkeit und Art der Nutzung und der Regelmäßigkeit und Art der durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen ab. Aus denselben Gründen könne aus dem Aspekt, dass die Decatur-Brücke über 40 Jahre trotz Befahrens gehalten habe und dass das - nur an einigen ausgewählten Stellen - von den Antragstellerinnen beauftragte Rissmonitoring bislang unauffällig sei, nicht auf ihre Tragfähigkeit für die Zukunft geschlossen werden. Insbesondere sei die Decatur-Brücke zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in ihrer gesamten Länge vor Ort auf ihre Tragfähigkeit untersucht worden. Bei der erfolgten Untersuchung habe die K. aber Schäden festgestellt, die die Standsicherheit des Bauteils und Bauwerks beeinträchtigten. So habe diese Teilprüfung standsicherheitsrelevante Schäden in Form von Rissbildung an den Endquerträgern, Hohlstellen an den Oberseiten der Hohlkastenbodenplatte und eine lokale großflächige Betonabplatzung mit freiliegender rostender Bewehrung an der Überbauunterseite im Bereich des Pfeilers Achse 2 gezeigt. Darüber hinaus seien typische Rissbilder von Schubrissen, die teilweise auf Defizite in der Querkrafttragfähigkeit zurückgeführt werden könnten, festgestellt worden. Schließlich bestehe der Verdacht auf Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) bei den Pfeilern wegen ihrer netzartig aufgerissenen Oberfläche. Die K. habe bei ihrer Sonderbegutachtung vor allem eine weitere Nachrechnung nach der Nachrechnungsrichtlinie empfohlen, aus welcher sich dann erst die Tragfähigkeit der Decatur-Brücke ergeben solle. Selbst die Beauftragung der Stufen 3 und 4 NRR könne einen Weiterbetrieb der Decatur-Brücke zum gegenwärtigen Zeitpunkt indes nicht rechtfertigen.

§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO eröffne der Antragsgegnerin als Straßenverkehrsbehörden ein Ermessen. Die Ausübung dieses Ermessens lasse einen Ermessensfehlgebrauch nicht erkennen. Dieses wird vom Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet.

Sei die angeordnete Vollsperrung der Decatur-Brücke offensichtlich rechtmäßig und rechtfertige kein Interesse der Antragstellerinnen einen weiteren Anliegergebrauch der Brücke, sei die aufschiebende Wirkung der Klage nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen mit der Folge, dass auch das Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) und die Sperrzäune nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO im Wege der (vorläufigen) Folgenbeseitigung zu entfernen seien.

Der Antrag zu 3., mit dem die Antragstellerinnen beantragt haben, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, diejenigen Monitoring- und Untersuchungsmaßnahmen an der Decatur-Brücke durchzuführen, welche erforderlich seien, um den Anliegerverkehr von F. bis zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe der Decatur-Brücke durchzuführen, habe keinen Erfolg. Er sei zulässig, aber unbegründet, weil bereits keine Monitoring- und Untersuchungsmaßnahmen erkennbar seien, deren Durchführung dauerhaft den Anliegerverkehr von F. bis zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe der Decatur-Brücke ermöglichen würden. Wie oben dargestellt, beruhe die Ursache für die fehlende rechnerische Tragsicherheit in den Nachweisstufen 1 und 2 NRR weder auf einer gewöhnlichen Abnutzung noch auf einer vermehrten Abnutzung oder Zerstörung der Decatur-Brücke, sondern hauptsächlich aus einer Anhebung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Sicherheitsniveaus bei der Bemessung von Spannbetonbrücken. Die Empfehlungen der H. für die Vollsperrung der Decatur-Brücke aufgrund ihres „grandiosen“ Durchfallens auf den Stufen 1 und 2 NRR seien eindeutig formuliert und nicht interpretationsfähig. Wie oben dargestellt, habe auch  I. selbst bei Durchführung eines Rissmonitorings nicht dauerhaft einen Anliegerverkehr auf der Decatur-Brücke für möglich erachtet. Schließlich könne die Beauftragung der Stufen 3 und 4 NRR, wie es die K. befürworte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Anliegerverkehr rechtfertigen. Denn die Antragsgegnerin dürfe gemäß Nr. 4.2 NRR die Stufen 3 und 4 nur in Abstimmung mit der Obersten Straßenbaubehörde des Landes, d.h. der NLStBV, anwenden. Eine abschließende Abstimmung mit der NLStBV sei aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor allem lägen zu berücksichtigende Ergebnisse der Stufen 3 und 4 NRR auch nach ihrer Beauftragung noch lange nicht vor.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerinnen Beschwerde eingelegt. Sie machen im Wesentlichen geltend, es gebe keine hinreichend konkretisierte Gefahr, die die Brückensperrung rechtfertige. Dass die Berechnung nach den Stufen 1 und 2 NRR rechnerisch nicht die Tragfähigkeit der Brücke belege, reiche als Nachweis für eine Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO i. V. m. § 45 Abs. 9 StVO nicht aus. Vielmehr sei in diesen Fällen gerade die Durchführung der Stufen 3 und 4 gefordert. Darüber hinaus sei die angeordnete Vollsperrung der Brücke unverhältnismäßig und stelle einen Verstoß gegen den Vorbehalt des Straßenrechts dar. Jedenfalls könne der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufgrund nachträglich eingetretener offensichtlicher Umstände nicht aufrechterhalten werden, denn nunmehr liege das Gutachten der Arbeitsgruppe I.  zur Nachrechnung nach den Folgestufen der Nachrechnungsrichtlinie vom 26. Januar 2017 vor. Danach habe für die Decatur-Brücke unter Ansatz der reduzierten Lastmodelle in den hier relevanten Überbaufeldern 1-8 und 21 bis 25 eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden können, indem der bisher noch ausstehende Nachweis der rechnerischen Tragfähigkeit der Decatur-Brücke auch für die Torsions- und Schubbewehrung für den derzeitigen Lastfall der Anliegernutzung zum Rangierbahnhof F. nach der Nachrechnungsstufe 4 geführt worden sei. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Nutzung der Brücke gefahrlos sei, soweit ein Riss-Monitoring durchgeführt werde, denn ein Einsturz kündige sich durch Risse an.

Die Beteiligten haben im Verlauf des Beschwerdeverfahrens u. a. auch durch Gespräche mit dem Bundeministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden, nachdem die Antragstellerinnen das genannte, durch die SÜ Decatur-Brücke erstellte Gutachten für die Nachrechnung der Stufe 4 vom 26. Januar 2017 vorgelegt hatten.

Es wurde u. a. unter maßgeblicher Einbeziehung des zunächst von der Antragsgegnerin als zweiten Gutachter mit der Prüfung der Nachrechnung der Decatur-Brücke beauftragten Dr. I. (vgl. oben) ein umfassender Vergleichsvorschlag erarbeitet, welcher neben Verpflichtungen der Antragstellerinnen sowie der Antragsgegnerin auch Regelungen zur Haftung, Vertragstrafen u. ä. vorsah und dem Rat der Antragsgegnerin zur Entscheidung vorgelegt. Dem Vergleich, den das Bauamt der Antragsgegnerin zur Annahme empfahl, lag das nachstehende Verkehrssicherungskonzept zugrunde, auf das im Vergleichsentwurf an verschiedenen Stellen Bezug genommen wird:

Der Rat der Antragsgegnerin lehnte in seiner Sitzung vom 14. Juni 2017 die Annahme des Vergleichsvorschlags nebst Verkehrssicherungskonzept ab.

Der Senat hat sodann durch Verfügung vom 9. August 2017 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass wohl weder die straßenverkehrsbehördliche Anordnung der Antragsgegnerin vom 14. September 2016, die Decatur-Brücke voll zu sperren, noch der Beschluss des Rates der Antragsgegnerin vom 29. September 2016 durch Aufstellung eines entsprechenden (uneingeschränkten) Verkehrsschildes den Antragstellerinnen gegenüber umgesetzt worden seien. Vor diesem Hintergrund fehle es wohl (noch) an einem mittels Anfechtungsklage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO anfechtbaren Verwaltungsakt, so dass Zweifel bestünden, ob Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren sei oder stattdessen ein Antrag auf vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Betracht komme.

Daraufhin beantragen die Antragstellerinnen,

1.der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, die beabsichtigte Vollsperrung der Decatur-Brücke durch Aufstellung der entsprechenden Beschilderung umzusetzen, soweit davon auch der Anliegerverkehr in dem in Ziffern 1 bis 5 des Verkehrssicherungskonzepts Decatur-Brücke Seevetal (Bl. 696 GA) umschriebenen Umfang umfasst ist und sie (die Antragstellerinnen)

(a) das zwischenzeitlich eingerichtete digitale Geomonitoring (Riss- und Verformungsmonitoring) auf eigene Kosten fortführen,

(b) die existierende Ampelanlage in der in Ziffer 2 des Verkehrssicherungskonzeptes beschriebenen Weise auf eigene Kosten betreiben,

(c) im Falle eines durch das Geomonitoring ausgelösten Alarms auf eigene Kosten die in Ziffer 6 des Verkehrssicherungskonzeptes vorgesehenen Schritte einleiten und

(d) die Besichtigung des Brückenbauwerks gemäß DIN 1076, Abs. 6.2, einmal jährlich auf eigene Kosten durchführen und die Antragsgegnerin über die Ergebnisse schriftlich informieren.

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die in den Ziffern 1, 3, 4 und 5 des Verkehrssicherungskonzepts festgelegten Maßnahmen umzusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Sie macht geltend, die Beschwerdebegründungsfrist sei nicht eingehalten. Die Beschwerdebegründung genüge jedenfalls hinsichtlich des ursprünglich zu Nr. 3 gestellten Antrags. nicht den Darlegungserfordernissen, da nicht alle tragenden Erwägungen angegriffen würden. Die Antragstellerinnen hätten ihre Anträge geändert. Dies sei im Beschwerdeverfahren unzulässig.

Das aufgestellte Verkehrszeichen verletze die Antragstellerinnen nicht in ihren Rechten, denn dieses lasse - wegen des zwischen den Beteiligten seinerzeit geschlossenen Vergleichs - den Anliegerverkehr zu; eine Vollsperrung sei noch nicht bekannt gegeben. Da die Öffnung oder der Neubau der Decatur-Brücke immer auch eine Option gewesen sei, liege ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Straßenrechts nicht vor. Die Ergebnisse der Nachberechnung könnten als neue Umstände im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht werden. Die Antragstellerinnen hätten stattdessen insoweit einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen müssen. Zudem lägen der Berechnung nach Stufe 4 nicht tragfähige Annahmen und Einsatzgrößen zugrunde und der reale Zustand der Brücke sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Es sei nicht nachgewiesen, dass sich ein Einsturz der Brücke durch Risse o. ä. ankündige. Daher sei auch bei einer mit einem Riss-Monitoring verbundenen Nutzung eine Gefahr nicht ausgeschlossen.

II.

Die Antragstellerinnen haben ursprünglich in erster Instanz zu Ziffer 3 beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, diejenigen Monitoring- und Untersuchungsmaßnahmen an der Decatur-Brücke durchzuführen, welche erforderlich sind, um den Anliegerverkehr von F. bis zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe der Decatur-Brücke zu ermöglichen, und ihnen im Übrigen die uneingeschränkte Anliegernutzung der Brücke zu erlauben. Nunmehr haben sie, die Antragstellerinnen, sich bereit erklärt, das Monitoring sowie weitere grundsätzlich dem Straßenbaulastträger bzw. der Straßenverkehrsbehörde obliegende, die Brückennutzung begrenzende Pflichten in dem im Einzelnen in den Ziffern 1 bis 5 des „Verkehrssicherungskonzeptes Decatur-Brücke Seevetal“ umschriebenen Umfang selbst auf eigene Kosten durchzuführen bzw. zu übernehmen. Darin liegt in der Sache eine Rücknahme ihres o. a., vormals verfolgten Begehrens. Insoweit war daher das Beschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts deklaratorisch für unwirksam zu erklären, § 173 Satz 1 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO.

Die Beschwerde hat mit dem nunmehr eingeschränkten Antrag bezüglich Nummer 1 Erfolg, d. h. hinsichtlich des Begehrens, das im Kern auf die vorläufige Fortführung des nach Maßgabe der Ziffern 1 bis 5 des „Verkehrssicherungskonzeptes Decatur-Brücke Seevetal“ eingeschränkten Anliegerverkehrs von F. bis zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe der Decatur-Brücke gerichtet ist.

Im Übrigen, d. h. soweit die Antragstellerinnen unter Nummer 2 ihres Antrages auch eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Umsetzung der in den Ziffern 1, 3, 4 und 5 des Verkehrssicherungskonzeptes festgelegten Maßnahmen begehren, hat ihr Antrag keinen Erfolg. Der Senat stellt Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags zurück, denn es bedarf einer solchen Verpflichtung aus den unter B) 3. genannten Gründen jedenfalls nicht.

A) Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere, anders als die Antragsgegnerin annimmt, auch fristgerecht begründet worden. Denn der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde von den Bevollmächtigten der Antragstellerinnen ausweislich des von ihnen unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 28. Dezember 2016 als zugestellt angenommen; hierauf - und nicht auf einen etwaigen vorherigen oder späteren Zeitpunkt, in dem der Betroffene das Schriftstück, auf das sich das Empfangsbekenntnis bezieht, tatsächlich (erstmals) in den „Händen hält“ - kommt es für den Beginn des Laufs der Rechtsbehelfsfrist an (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.5.2002 - 3 B 114/01 -, juris Rn. 5). Begann die Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Begründung der Beschwerde daher (erst) am 28. Dezember 2016 zu laufen, so ist die 27. Januar 2017 eingegangene Beschwerdebegründung innerhalb der Monatsfrist erfolgt.

B) Das Prüfprogramm in einem - wie hier - § 146 Abs. 4 VwGO unterfallenden Beschwerdeverfahren ist ggf. zweistufig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 146, Rn. 43, m. w. N.; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. § 146 Rn. 107 f., 115): In einem ersten Schritt ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Gründe, die die erstinstanzliche Entscheidung tragen, hinreichend in Zweifel gezogen hat. Ist dies der Fall, so ist in einem zweiten Schritt von Amts wegen zu prüfen, ob die Entscheidung aus anderen Gründen zutreffend ist und insoweit eine vollumfängliche Prüfung des Antrags auf vorläufigen/einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmen.

Die Antragstellerinnen haben sich in ihrer Beschwerdebegründung hinreichend mit den - den Beschluss des Verwaltungsgerichts tragenden - Gründen zur Ablehnung ihres o. a., noch streitigen Kernbegehrens auseinandergesetzt, d. h. mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, nach summarischer Prüfung sei die verkehrsbehördliche Vollsperrung der Decatur-Brücke nicht offensichtlich rechtswidrig und gebe es keinen Grund, die Antragstellerinnen vorläufig vor der Vollziehung dieses Verwaltungsakts zu bewahren.

Der Senat teilt jedenfalls vor dem Hintergrund der aktuellen, zu berücksichtigenden Erkenntnisse diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts aus den von den Antragstellerinnen dargelegten Gründen in dem noch streitigen Umfang nicht. Die Ablehnung des Antrags der Antragstellerinnen ist insoweit auch nicht aus anderen Gründen zutreffend.

Dabei geht der Senat im Einzelnen von Folgendem aus:

1. Der beim Verwaltungsgericht von den Antragstellerinnen gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes ist hinsichtlich ihres o. a. Kernbegehrens zulässig.

Allerdings ist der Rechtsschutz - anders als es das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern nach § 123 VwGO zu gewähren. Denn die Vollsperrung der Decatur-Brücke, die die Antragstellerinnen als Verwaltungsakt hinsichtlich ihres Anliegerverkehres von F. zur ersten auf das Gelände des Rangierbahnhofs F. führenden Rampe verhindern wollen, ist ihnen gegenüber noch gar nicht wirksam bekannt gegeben worden. Zwar entsteht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - das hier verfügte (vollständige) Verbot, die Brücke zu befahren, materiell bereits durch die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde. Allein die Entstehung des Verbotes reicht jedoch noch nicht aus, um von einem - für die Antragstellerinnen als Verkehrsteilnehmerinnen wirksamen und daher anfechtbaren - Verwaltungsakt i. S. d. § 80 Abs. 5 VwGO auszugehen. Hierzu bedarf es vielmehr grundsätzlich noch der Bekanntgabe der inhaltlich gefassten Anordnung durch Aufstellung eines entsprechenden Verkehrszeichens (vgl. § 1 NVwVfG i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Soweit das Verwaltungsgericht für seine abweichende Auffassung den Kommentar „Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht (43. Auflage, § 45 StVO, Rn. 26)“ zitiert, beziehen sich die dort genannten zwei Entscheidungen auf Sonderkonstellationen. In dem dort zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 1976 (- VII C 71.72 -, NJW 1976, 2175) wandte sich eine Gemeinde gegen die in Gestalt eines Bescheides erlassene Anordnung des Landratsamts. Da gegenüber der Gemeinde als Gebietskörperschaft bereits die Anordnung des Landratsamtes eine verbindliche und abschließende und ggf. ihr Selbstverwaltungsrecht verletzende Regelung darstellte, hat sie sich zulässigerweise gegen diese gewandt und nicht gegen das diese Regelung lediglich für Dritte umsetzende Verkehrsschild. Seinerzeit ist vom Bundesverwaltungsgericht abweichend von diesem Ausnahmefall aber ausdrücklich betont worden, dass die Verbindlichkeit des Verbots gegenüber den Verkehrsteilnehmern - und damit in unserem Fall auch gegenüber den Antragstellerinnen - erst durch die Aufstellung des Verkehrszeichens eintritt. In dem vom Nordrhein- Westfälischen Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Februar 1979 (- XII A 276/76 -, VRS 57, 396) entschiedenen Fall hatte der Beklagte Einwendungen des Klägers gegen die „Festsetzung“ einer Bushaltestelle schon vor Aufstellung des Schildes durch an den Kläger adressierten Bescheid abgelehnt und diese Entscheidung durch einen Widerspruchsbescheid bestätigt. Die Klage richtete sich dann gegen diesen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides.

Im vorliegenden Fall entfaltet hingegen weder bereits die straßenverkehrsbehördliche Anordnung der Antragsgegnerin vom 14. September 2016, die Decatur-Brücke voll zu sperren, noch der Beschluss des Rates der Antragsgegnerin vom 29. September 2016 mit dem gleichen Inhalt unmittelbare Wirkung gegenüber den Antragstellerinnen. Ebenso wenig ist an sie ein (gesonderter) Bescheid mit diesem Inhalt gerichtet oder die beschlossene Vollsperrung durch Aufstellung der entsprechenden Schilder umgesetzt und damit zu einer Allgemeinverfügung geworden. Stattdessen ist das Verkehrszeichen 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) - wenn auch zunächst mit Blick auf den zwischen den Beteiligten im Verfahren 7 ME 185/16 geschlossenen Vergleich und zuletzt aufgrund der gerichtlichen Schiebebeschlüsse - mit dem Zusatz „Frei bis 1. Rampe für Werkverkehr, Ladeverkehr, Rettungsverkehr“ versehen und mithin der von den Antragstellerinnen begehrte Anliegerverkehr gerade (weiterhin) zugelassen worden. Unabhängig von der Ursache für diese begrenzte Sperrung ist von dieser tatsächlichen Lage und nicht fiktiv von einer bereits erfolgten Vollsperrung auszugehen.

Gegen die demnach - durch uneingeschränkte Aufstellung des Verkehrszeichens 250 - erst noch bevorstehende Bekanntgabe der Vollsperrung kann daher gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur einstweiliger, vorbeugender Rechtsschutz gewährt werden. Grundsätzlich ist nach der Systematik der VwGO allerdings ein solcher Rechtsschutz nicht vorgesehen, sondern der Betroffene darauf verwiesen, erst den Erlass eines (ihn belastenden) Verwaltungsaktes abzuwarten und danach einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen, der dann gemäß § 123 Abs. 5 VwGO gegenüber einem solchen nach § 80 VwGO Vorrang genießt. Einstweiliger vorbeugender Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO kommt daher nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, wenn es dem Rechtschutzsuchenden nicht zumutbar ist, den Erlass des Verwaltungsakts abzuwarten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., Vorb § 40, Rn. 33 f., m. w. N.; BayVGH, Beschl. v. 24.1.2017 - 4 CE 15/273 -, juris, Rn. 16, m. w. N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch vor dem Hintergrund vor, dass die Antragsgegnerin die Vollsperrung der Decatur-Brücke bereits beschlossen hat und nur mit Blick auf den gerichtlichen Vergleich sowie die „Schiebebeschlüsse“ vom 22. Februar 2017 und zuletzt vom 26. Juni 2017 an der vollständigen Umsetzung der Verfügung durch die entsprechende Beschilderung gehindert ist. Die Antragsgegnerin hat daher zwar das Schild 250 („Verbot des Befahrens für Fahrzeuge aller Art“) aufgestellt, dies aber zugleich mit dem Zusatz „Frei bis 1. Rampe für Werkverkehr, Ladeverkehr, Rettungsverkehr“ und damit in der Sache mit einer Ausnahme für die Antragstellerinnen verbunden. Die Antragsgegnerin hat auf entsprechende Frage des Senats mit Schriftsatz vom 18. August 2017 erklärt, an ihrem Vorhaben festhalten zu wollen, die Brücke zum schnellstmöglichen Zeitpunkt, d. h. wohl unmittelbar nach einem für sie erfolgreichen Abschluss des vorliegenden Eilverfahrens vollständig zu sperren. Vor diesem Hintergrund erschiene es (nicht nur) als bloße Förmelei, dieses abzuwarten, um dann unmittelbar darauf über das Verfahren (erneut) in der Sache zu entscheiden. Sondern es kommt hinzu, dass den Antragstellerinnen durch eine auch ihren Anliegerverkehr betreffende Sperrung der Brücke erhebliche und kaum zumutbare Nachteile ab dem ersten Tag der Sperrung drohen, so dass auch dieser Gesichtspunkt entscheidend dafür spricht, sie in dieser, nachfolgend im Einzelnen umschriebenen Sondersituation nicht auf den in der Regel ausreichenden nachträglichen Rechtsschutz zu verweisen.

Die Antragstellerinnen haben insoweit dargelegt, die Decatur-Brücke binde den Rangierbahnhof F. an das Straßenverkehrsnetz an. Der Rangierbahnhof übernehme als größter Rangierbahnhof Europas die Zugbildung regionaler, nationaler und internationaler Güterzüge. Bis zu 150 Güterverkehrszüge würden pro Tag abgewickelt. Auf dem über die Decatur-Brücke erreichbaren Inselbereich befinde sich das zentrale Dienstgebäude mit 60 Arbeitsplätzen und entsprechenden Parkplätzen, so dass dort ca. 100 Mitarbeiter im Schichtdienst tätig seien. Auch die Werkstatt für Lokomotiven und Güterwagen mit ihren etwa 220 Mitarbeitern befinde sich dort. Diese Werkstatt werde von etwa 8 bis 12 Lkw täglich angefahren. Innerhalb des Inselbereichs liege das Lager- und Logistikzentrum, in dem fünf Mitarbeiter tätig seien. Hier erfolgten ca. 50 An- und Abfahrten von Lkw wöchentlich. Auch die Betriebskantine liege dort und werde per Lkw versorgt. Die Decatur-Brücke stelle zudem die Zufahrtsmöglichkeit für die (Betriebs-)Feuerwehr und die Rettungsdienste dar (Schriftsatz der Antragstellerinnen vom 28.10.2016). Zwar ist mittlerweile eine Art „Notzufahrt“ zu dem Bahnhof F. für Lkw errichtet. Die Nutzung dieser provisorischen Erschließung setzt jedoch nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerinnen (Schriftsatz vom 5.12.2016) voraus, dass zwölf zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden, um die Strecke sichern, und sieben Gleise für mindestens 7 bis 9 ggf. sogar bis zu 15 Stunden am Tag gesperrt werden. Solle auch der Pkw-Verkehr der Mitarbeiter über diese Zufahrt abgewickelt werden, so wären danach weitere Sperrungen sowie kostenintensive Maßnahmen erforderlich.

Ist das o. a. Kernanliegen der Antragstellerinnen daher nach § 123 VwGO statt nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verfolgen, so steht einer sachlichen Entscheidung über das Begehren (in der von den Antragstellerinnen zuletzt geltend gemachten eingeschränkten Fassung ihres Antrages zu Nr. 1) in diesem Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO auch nicht entgegen, dass in einem solchen Beschwerdeverfahren eine Antragsänderung grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Dabei kann offen bleiben, ob es sich insoweit noch um eine gemäß § 88 VwGO dem Rechtsschutzziel entsprechende Auslegung des ursprünglichen Begehrens oder bereits um eine Antragsänderung handelt, wofür immerhin spricht, dass die Antragstellerinnen trotz entsprechenden Einwänden der Gegenseite anwaltlich vertreten erstinstanzlich bewusst an dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO festgehalten haben. Zwar ist in Verfahren über Beschwerden im Sinne des § 146 Abs. 4 VwGO eine Antragsänderung (analog § 91 VwGO) in der Regel nicht zulässig, weil dies dem Zweck der erstgenannten Vorschrift zuwiderläuft, das Oberverwaltungsgericht von quasi erstinstanzlichen Prüfungen zu entlasten (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 27.1.2017 - 5 B 287/16 -, juris, m. w. N.). Ausnahmsweise und in engen Grenzen kann aber im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes oder der Prozessökonomie etwas anderes gelten (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.12.2012 - 7 ME 131/12 -, ZfSchR 2013, 117 ff.; OVG NRW, Beschl. v. 17.1.2011 - 7 B 1506/10 -, juris, Rn. 9 f.), und ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Selbst wenn man daher von einer Antragsänderung ausginge, wäre diese wegen der vorliegenden Sonderkonstellation, d. h. unter Berücksichtigung der Dauer sowie der Bedeutung des Verfahrens, der bereits von der Antragsgegnerin vorbereiteten Allgemeinverfügung sowie der o. a. wiederholten gerichtlichen, auf einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bezogenen Zwischenregelungen, zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise zulässig.

2. Der Antrag ist - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu Nr. 1 - ganz überwiegend auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung), wobei ein Anordnungsanspruch (hierzu unter a)) und ein Anordnungsgrund (hierzu unter b)) in rechtlicher Hinsicht gegeben sein müssen und die dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund zugrunde liegenden Tatsachen von dem Antragsteller glaubhaft zu machen sind, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO.

a) Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Unterlassung der Vollsperrung, d. h. der Ermöglichung ihres Anliegerverkehrs unter den sich aus dem Tenor ergebenden Maßgaben, glaubhaft gemacht.

Denn ein Verkehrsteilnehmer kann als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1. 1993 - 11 C 35/92 -, BVerwGE 92, 32 ff.); ist eine solche Verletzung bereits erfolgt oder nur so besorgen, so steht ihm ein Unterlassungsanspruch gegenüber der Straßenverkehrsbehörde zu. Diese Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch der Antragstellerinnen sind hier gegeben, da die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten, die Antragstellerinnen als anliegende Verkehrsteilnehmerinnen treffende Brückenvollsperrung eine konkrete Gefahr voraussetzt, die nicht mit weniger einschränkenden Mitteln abgewendet werden kann. Hier steht jedoch nach dem in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten Prüfungsmaßstab jedenfalls ein milderes Mittel zur Verfügung.

Der Senat kann deshalb offen lassen, ob allein die Feststellungen zum „Durchfallen“ der Decatur-Brücke auf den Prüfungsstufen 1 und 2 der NRR bereits eine solche Gefahr begründen, was eher fraglich erscheint, und ob sie jedenfalls nach der nunmehr erfolgten eingehenderen Berechnung auf der Stufe 4 der NRR zu verneinen ist, wofür Einiges spricht (aa). Jedenfalls kann eine unterstellte Gefahr durch Einstürzen dieser Brücke mit den im Verkehrskonzept enthaltenen Maßnahmen, d. h. weitgehenden Verkehrsbeschränkungen und dem Geomonitoring, hinreichend sicher so rechtzeitig erkannt werden, dass zunächst die Umsetzung dieser Maßnahmen als milderes Mittel gegenüber einer sofortigen Vollsperrung ausreichend ist; denn die Decatur-Brücke verfügt über ein hinreichendes sog. Ankündigungsverhalten (bb).

aa) Es spricht bereits Einiges dafür, dass die für eine Vollsperrung erforderliche konkrete Gefahr eines Versagens der Decatur-Brücke voraussichtlich nicht gegeben ist.

Bezugspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vollsperrung ist dabei in der vorliegenden Fallgestaltung, in der - wie dargelegt - eine solche Sperrung der Decatur-Brücke bereits inhaltlich „verfügt“ wurde und es nur noch an der „Umsetzung“ dieses Gebotes durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrsschilder fehlt, die konkrete Begründung dieses Verbots und nicht die abstrakte Prüfung von möglichen sonstigen Verbotsgründen. Denn für die vorbeugende Untersagung eines nicht konkret anstehenden Verbotes aus anderen Gründen würde es bereits an einem Anordnungsgrund fehlen.

Dabei kann offen bleiben, ob - vor dem Hintergrund, dass es jedenfalls zwischenzeitlich Anhaltspunkte dafür gab, dass die Antragsgegnerin als Straßenbaulastträgerin nicht mehr von einer verkehrlichen Nutzbarkeit der Decatur-Brücke, sondern von deren (ersatzlosen) Abbruch ausging - die Vollsperrung überhaupt noch auf das Straßenverkehrsrecht gestützt werden kann oder es einer straßenrechtlichen Regelung bedarf.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, darf eine Sperrung einer (gemeindlichen) öffentlichen Straße, als deren Bestandteil hier die Decatur-Brücke gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG gilt, durch Aufstellung von Verkehrszeichen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO i. V. m. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO und § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nur angeordnet werden, wenn die Aufstellung der Verkehrszeichen aufgrund der besonderen Umstände zwingend (vgl. zum Übermaßverbot: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 45, Rn. 26a) geboten ist und wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter erheblich übersteigt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.1.2017 - 8 ZB 15/811 -, juris, Rn. 12, sowie VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 27.1.2014 - 14 L 12/14 -, juris). Soweit die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren geltend macht, es bedürfe keiner konkreten Gefahr, trifft dies daher nicht zu und ergibt sich auch nicht aus den von ihr zitierten Urteilen. Zu einer solchen Entscheidung, d. h der Absenkung der Eingriffsvoraussetzungen für eine Sperrung von Brücken vor dem Eintritt einer konkreten Gefahr, bedürfte es einer gesonderten Gesetzesgrundlage. Hieran mangelt es straßenverkehrsrechtlich - wobei ein straßenrechtliches Einschreiten des Straßenbaulastträgers unberührt bleibt - aber ebenso wie an einer spezifischen normativen Vorgabe dazu, wann bei einer Brücke von einer zu einer konkreten Gefahr führenden mangelnden Tragfähigkeit auszugehen ist. Es bedarf daher keiner näheren Erörterung der sinngemäß von der Antragsgegnerin aufgeworfenen Frage, ob im Hinblick auf das vom Einsturz von Brücken ausgehende Risiko - zumal, wie hier, über viel befahrene Eisenbahnstrecken - eine Absenkung der Eingriffsschwelle sinnvoll wäre. Nach den deshalb maßgebenden allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts reicht für eine (unbefristete) Vollsperrung ein sog. Gefahrenverdacht nicht aus, d. h. eine Sachlage, in der möglichweise eine Gefahr vorliegt, deren Feststellung (oder Ausschluss) aber weiterer Untersuchungen bedarf; insoweit kommt nur eine Gefahrerforschungsmaßnahme in Betracht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.12.2015 - 1 LA 184/14 -, juris, Rn. 13; Beschl. v. 26.10. 2015 - 4 ME 229/15 -, juris, Rn. 6, m. w. N.).

Hieran anknüpfend reicht zur Annahme einer konkreten Gefahr wohl allein die Feststellung nicht aus, dass die Tragfähigkeit einer Brücke nach den Stufen 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) in der Fassung der o. a. 1. Ergänzung nicht gewährleistet ist.

Dagegen spricht schon, dass die erforderliche konkrete Gefahr bezogen auf die hier in Rede stehende Tragfähigkeit von Brücken als Gefahrenquelle in der Regel nur unter Berücksichtigung des konkreten Bauzustandes der jeweiligen Brücke sowie ihrer Verkehrsbelastung und nicht lediglich abstrakt gestützt auf rechnerische Annahmen zur Tragfähigkeit von Brücken gleicher Bauart begründet werden kann. Aus dem fehlenden Nachweis der Tragfähigkeit auf den Stufen 1 und 2 der NRR dürfte sich aus den im Folgenden ausgeführten Gründen vielmehr allenfalls ein weiterer, mit den Untersuchungen nach den folgenden Stufen 3 und 4 unter Berücksichtigung des konkreten Bauzustandes der Brücke zu klärender Gefahrenverdacht ableiten lassen, es sei denn, die auf der vorherigen Stufe ermittelten Werte sind unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der - ohnehin nach Maßgabe der DIN 1076 periodisch erfolgenden - Prüfung des tatsächlichen Brückenzustandes so schlecht, dass die mangelnde Tragfähigkeit der Brücke - anders als vorliegend - offensichtlich ist.

Denn diese Nachrechnungsrichtlinie, auf die die Antragsgegnerin tragend zurückgegriffen hat, hat das Bundesministerium mit den genannten Schreiben an die obersten Straßenbaubehörden der Länder übermittelt. Die Richtlinie wurde danach im Auftrag der Bund/Länder-Dienstbesprechung Brücken- und Ingenieurbau von der UAG Nachrechnungsrichtlinie der Bund/Länder AG Schwerverkehr unter Mitwirkung von Fachleuten aus der Verwaltung, der Wissenschaft und der Praxis entwickelt. Die Richtlinie ist dem folgend ersichtlich für den Bereich der Bundesfernstraßen und damit der Auftragsverwaltung entworfen worden. Es heißt in dem Übersendungsschreiben vom 29. April 2015 an die Obersten Straßenbaubehörden der Ländern demzufolge auch: „Im Interesse eines durchgehend leistungsfähigen Straßennetzes und eines einheitlichen Sicherheitsniveaus empfehle ich, die Nachrechnungsrichtlinie einschließlich der 1. Ergänzung auch für die in Ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Straßen anzuwenden sowie anderen Baulastträgern, insbesondere auch im kommunalen Bereich, bekannt zu geben.“ Danach beansprucht die Richtlinie hier keine direkte normative Geltung, ihrem Sinn nach kann sie stattdessen allenfalls als eine Art geronnenes Sachverständigenwissen angesehen und insoweit auf die Decatur-Brücke angewandt werden, für die die Antragsgegnerin die Straßenbaulast trägt.

Die Nachrechnungsrichtlinie gilt ausdrücklich „im Rahmen der Bauwerkserhaltung für die Bewertung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken, die nicht nach aktuellem Normungsstand geplant und errichtet wurden (§ 1 Abs. 1 NRR)“. Sie ist mithin nicht bzw. jedenfalls nicht primär dazu geschaffen worden, um zu beurteilen, ob eine Brücke wegen des Vorliegens einer Gefahr mittels einer straßenverkehrsbehördlichen Anordnung unmittelbar zu sperren ist; dementsprechend sieht die Anlage 1 - „Verkehrliche Kompensationsmaßnahmen“ - neben „A 1.1 Verkehrlichen Nutzungsauflagen“ unter „A 1.2 Verkehrliche Nutzungseinschränkungen“ als mögliche „Verkehrlichen Nutzungseinschränkungen, um Defizite auf der Widerstandsseite auszugleichen“, auch keine Vollsperrung - wie sie hier in Rede steht - als mögliche „Rechtsfolge“ vor. Vielmehr sollen die Nachrechnungen es dem Straßenbaulastträger ermöglichen, die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken, insbesondere unter Berücksichtigung des gestiegenen Verkehrsaufkommens und der Fortentwicklung der Bautechnik, realistisch zu beurteilen. Ziel ist ein für das Transportgewerbe durchgehend leistungsfähiges Straßennetz und ein einheitliches Sicherheitsniveau trotz überproportional gestiegenem Schwerverkehr zu gewährleisten (vgl. Begleitschreiben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 26. Mai 2011 zur NRR), d. h. eher die langfristige Erhaltung von Brücken zu sichern.

Die Nachrechnungsrichtlinie sieht deshalb selbst die Möglichkeit vor, in den Fällen, in denen mittels der Stufen 1 und 2 die Tragfähigkeit nicht nachgewiesen werden konnte, diesen Nachweis auf Stufe 3 oder 4 zu führen. Mit einer positiven Feststellung auf den Stufen 1 und 2 steht somit die Tragfähigkeit der Brücke fest, wohl aber nicht umgekehrt bei einem „Durchfallen“ auf dieser Ebene ihre mangelnde Tragfähigkeit. Wie sich aus dem Vorbringen der Sachverständigen in diesem Verfahren ergibt, sprechen für dieses Verständnis weitere Gesichtspunkte: So wird in den ersten beiden Stufen gerechnet, ohne den konkreten Zustand der Brücke und ihre tatsächliche Verkehrsbelastung einzubeziehen, wie die H. mit Schreiben vom … (S. 3) noch einmal bestätigt hat. Danach resultierte „die Vollsperrung in der Tat nur aus der nicht eingehaltenen, rechnerischen Tragfähigkeit des Bestandsbauwerkes auf Basis des Soll-Zustandes der Bestandspläne“. Zudem sind in der Grundberechnung erhebliche Sicherheitszuschläge (von bis zu 75%) enthalten (vgl. Ziffer 1.4 des Schreibens der H. vom … sowie ergänzend II 4.2 des Schriftsatzes der Antragstellerin vom … zu dem nachfolgend abgesenkten sog. Teilsicherheitsbeiwert nach Nr. 12.3.2 NRR). Nach dem Vorbringen der Antragstellerinnen haben deshalb „letztlich alle bzw. jedenfalls die Mehrzahl der im Bestand vorhandenen“ älteren Spannbetonbrücken Probleme bei der Einhaltung dieser Vorgaben (vgl. Beschwerdebegründung vom 27.1.2017, S. 8 f.), ohne dass die Straßenbauverwaltungen wegen Einsturzgefahr diese - soweit ersichtlich - flächendeckend sperrt. Die H. bestätigt diese Angaben in ihrem Schreiben vom … wonach (S. 2) „die Ursache für die nicht vorhandene rechnerische Standsicherheit einzig und allein in dem vom Gesetzgeber für Spannbetonbrücken angehobenen Sicherheitsniveau im Vergleich zum Bau der Brücke liege“; zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass dabei irrtümlich von einer Entscheidung des Gesetzgebers ausgegangen wird.

Angesichts dessen erscheint sehr zweifelhaft, ob hier allein der Umstand, dass die Berechnungen der Stufe 1 und 2 den Nachweis der Tragfähigkeit der Decatur- Brücke nicht erbracht haben, ausreicht, eine „Gefahr“ i. S. d. § 45 StVO durch die weitere verkehrliche Nutzung der Brücke zu belegen, die ihre Vollsperrung rechtfertigt. Dies gilt auch unter zusätzlicher Berücksichtigung, dass nach den Angaben der H. in ihrem Schreiben vom … die Nachrechnungen auf den Stufen 1 und 2 eine deutlich nicht eingehaltene Tragfähigkeit der Decatur-Brücke ergeben haben und danach die Wahrscheinlichkeit ihres Versagens im Falle des Befahrens dementsprechend hoch sei. Denn nach den weiteren Angaben im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom … (S. 6) hat die Decatur-Brücke bei der letzten, von der H. durchgeführten Sonderprüfung gemäß DIN 1076 im Dezember 2015 und April 2016 immerhin noch die Note 3,4 erhalten, wonach ihre Tragfähigkeit beeinträchtigt, aber noch nicht gefährdet ist (vgl. S. 31 der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2013 herausgegebenen Dokumentation: Bauwerksprüfung nach DIN 1076, Bedeutung, Organisation, Kosten).

Außerdem haben die Antragstellerinnen innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist ein durch die SÜ Decatur-Brücke erstelltes und im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigendes Gutachten für die Nachrechnung der Stufe 4 vorgelegt, welches zu dem Ergebnis gelangt, dass für die Decatur-Brücke unter Ansatz der reduzierten Lastmodelle in den Überbaufeldern 1-8 und 21 bis 25 eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden konnte. Dieses bestätigt mithin die Annahme der Antragsgegnerin nicht, es liege eine konkrete Gefahr vor, sondern weist eher ins Gegenteil.

Anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat, steht einer Berücksichtigung dieser Nachberechnung auf der Stufe 4 nicht entgegen, dass dazu eine vorherige Zustimmung der Obersten Straßenbaubehörde erforderlich wäre, an der es hier mangelt. Denn die Richtlinie beansprucht für Brücken, deren Straßenbaulast kommunalen Trägern obliegt, - wie dargelegt - keine Geltung, so dass die Kommune für ihre Brücken eigenständig entscheidet; dies hat die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr mit Schreiben vom 5. Dezember 2016, vom 14. Februar 2017 sowie vom 22. März 2017 nochmals bestätigt.

Die Antragstellerinnen waren entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht etwa gehalten, mit Blick auf die „geänderten Umstände“ durch die Vorlage des Gutachtens einen Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. Dabei kann offenbleiben, ob vor dem Hintergrund, dass - wie dargelegt - vorliegend richtigerweise von Beginn an Rechtsschutz über § 123 Abs. 1 VwGO und nicht etwa über § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren war, ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO an das Verwaltungsgericht überhaupt in Betracht gekommen wäre. Selbst wenn man dies annähme, so sind nach der Rechtsprechung veränderte Umstände und neue Prozesslagen in erster Linie im Beschwerdeverfahren vorzutragen und müssen zumindest solange, wie die Begründungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO), grundsätzlich berücksichtigt werden. Ob daneben ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist, wenn gleichzeitig eine Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung erhoben wurde und die Möglichkeit besteht, den neuen Sachverhalt noch innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorzutragen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 10.2.2014 - 2 CS 14/74 -, juris, Rn. 3, m. w. N.), kann deshalb offen bleiben.

Es begegnet auch keinen Bedenken, dass die Antragstellerinnen ihren diesbezüglichen Vortrag im Verlauf des Beschwerdeverfahrens weiter substantiiert und konkretisiert haben. Beschwerdegründe, die bereits fristgerecht - und jeweils in einer den Mindestanforderungen des Auseinandersetzungsgebotes (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) genügenden Weise - geltend gemacht worden sind, können im Verfahren über Darlegungsbeschwerden im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO auch noch nach dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vertieft werden; erst die Einführung qualitativ neuer Gründe in das Beschwerdeverfahren ist nach Ablauf der Frist unzulässig (vgl. Senatsbeschl. v. 4.7.2017 - 12 ME 77/17 -, juris, Rn. 16; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 85). Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Beschwerdegrund erst durch seine Vertiefung auf der Ebene der Begründetheit nachträglich Erheblichkeit erlangt.

Das demnach zu berücksichtigende Gutachten der I. vom 26. Januar 2017 zur Nachrechnung der - auf den Stufen 1 und 2 nicht nachgewiesenen - Querkraft und Torsionsbeanspruchung mittels der Stufe 4 ist zu folgendem Ergebnis gelangt:

„Gesamtfazit

 Für alle untersuchten Verkehrslastmodelle (Alternativlastmodelle LM-A1 bis LM-A3 und normativ geregeltes Lastmodell 1) und Verkehrslaststellungen (Belastung nur in den Überbaufeldern 1-8 sowie 21 bis 25) weist der Überbau der Decaturbrücke unter Berücksichtigung des Ist-Zustandes des Brückenbauwerks eine ausreichende Tragfähigkeit für Biegung mit Normalkraft sowie Torsionslängsbeanspruchung auf!

Für alle untersuchten Alternativlastmodelle LM-A und Verkehrslaststellungen (Belastung nur in den Überbaufeldern 1-8 sowie 21 bis 25) weist der Überbau der Decaturbrücke unter Berücksichtigung des Ist-Zustandes des Brückenbauwerks eine ausreichende Tragfähigkeit für Querkraft- und Torsionsbewährung auf!

Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass für die Decaturbrücke unter Ansatz der reduzierten Lastmodelle in den Überbaufeldern 1-8 sowie 21 bis 25 eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden konnte. Die Standsicherheit des Bauwerkes ist gewährleistet und es sind hierzu - bis auf die verkehrslenkenden Einschränkungen - keine Ertüchtigungsmaßnahmen (z. B. Zusatzunterstützungen) am Brückenbauwerk erforderlich. Im Ergebnis kann der Anliegerverkehr zur Andienung des Betriebsgeländes der M. daher aufrechterhalten werden.“

Zwar hat die Antragsgegnerin Einwände gegen die Berechnung nach der Stufe 4 vorgebracht. Dieses dürfte jedoch kaum ausreichen, um die zur Rechtfertigung ihres Vorgehens erforderliche konkrete Gefahr darzulegen. Wenn nämlich, wofür - wie dargelegt - einiges spricht, insoweit allein der Hinweis auf den fehlenden rechnerischen Nachweis auf den Stufen 1 und 2 nicht ausreicht, so kann sich die Antragsgegnerin als Trägerin der Straßenbaulast bzw. Straßenverkehrsbehörde auch hinsichtlich der Richtigkeit der Nachberechnung auf der Stufe 4 nicht darauf beschränken, verschiedene Gesichtspunkte des die hinreichende Tragfähigkeit bejahenden Gutachtens der I. nur in Frage zu stellen oder zu behaupten, bestimmte Annahmen seien nicht belegt. Dies gilt umso mehr als der ursprünglich von ihr beauftragte und später dann als „neutral“ geltende Gutachter I. (vgl. Protokoll einer Sitzung vom …: „Wenn I. als zugelassener Prüfer des N. die Ergebnisses der Bahn bestätigt, wird das von der Gemeinde anerkannt.“) zu dem Gutachten der I. in seiner Stellungnahme vom … (S. 2) ausführt:

„Mit der Brückennachrechnung in der Stufe 4 gemäß Nachrechnungsrichtlinie wurde für den Überbau der Decatur-Brücke nachgewiesen, dass die Tragfähigkeit hinsichtlich Beanspruchungen aus Biegung mit Längskraft, Querkraft und Torsion sowie die Tragfähigkeit der Betondruckstreben ausreichend sind.“

Vielmehr wäre die Antragsgegnerin gehalten darzulegen, warum sie trotz des in die andere Richtung weisenden Ergebnisses des Gutachtens weiterhin von einer konkreten Gefahr durch die Nutzung des Brückenbauwerks in der im Gutachten beschriebenen Weise ausgeht. Es reicht insoweit auch nicht aus, dass sie im Beschwerdeverfahren nunmehr erstmals darauf verweist, dass die in dem Gutachten vorgenommene Nachrechnung der Stufe 4 daran leide, dass der Ist-Zustand der Decatur-Brücke nicht vollständig berücksichtigt worden und zudem ungeklärt sei, wie die offensichtlich zu hoch liegende, obere Anschlussbewehrung der Hohlkastensohle statisch zu bewerten sei. Denn auch insoweit wäre es an ihr als Trägerin der Straßenbaulast bzw. Straßenverkehrsbehörde, die statischen Auswirkungen der von ihr behaupteten Mängel der Decatur-Brücke konkret darzulegen sowie zu begründen, inwieweit sich daraus eine konkrete Gefahr für die Tragfähigkeit ergibt.

bb) Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob der Annahme der Antragsgegnerin, die Nutzung der Decatur- Brücke als Zufahrt zum Gelände der Antragstellerinnen in dem eingeschränkten Umfang führe zu einer konkreten Gefahr, schon die Ergebnisse der Nachrechnung nach Stufe 4 entgegenstehen. Die Antragstellerinnen haben ihren Antrag nämlich eingeschränkt und beantragen eine Nutzung nur noch unter bestimmten weiteren, sich aus Nr. 1 ihres Antrags ergebenden Voraussetzungen.

Der Senat ist auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen der Überzeugung, dass durch diese Maßnahmen, insbesondere die Nutzungsbeschränkungen, eine Überschreitung der Tragfähigkeit der Decatur-Brücke zwar nicht gänzlich, aber weitgehend ausgeschlossen wird, eine solche Überschreitung jedenfalls durch das von den Antragstellerinnen angebotene Geomonitoring mit ausreichender Sicherheit und ausreichendem Vorlauf rechtzeitig erkannt wird und dadurch das Risiko eines Versagens der Brücke ohne hinreichenden Vorlauf ausgeschlossen ist. Wenn nämlich das Geomonitoring eine Überschreitung der nach Verständnis des Senats (vgl. Anlage 61 zum Schriftsatz der Antragstellerinnen vom 12.7.2017) mit deutlichen Sicherheitszuschlägen versehenen Warn-/Alarmwerte meldet, wird die Brücke unverzüglich (wohl mittels Ampelanlage) für den LKW-Verkehr gesperrt und erfolgt eine Freigabe erst nach erneuter Prüfung. Werden darüber hinaus sogar die Grenzwerte überschritten, so werden binnen 15 Minuten und damit noch rechtzeitig vor dem möglichen „Zusammenbruch“ die Brücke sowie die darunter verlaufende Eisenbahnstrecke vollgesperrt (vgl. Anlage 1 Handlungsschema für Stör- und Havariefälle, zur Anlage 61 des Schriftsatzes der Antragstellerinnen vom 12.7.2017). Diese Maßnahmen stehen somit als milderes Mittel rechtlich einer Vollsperrung entgegen.

Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, die Warn-, Alarm- und Grenzwerte seien in der Vergangenheit offenbar bereits wiederholt überschritten worden, ohne dass die Antragstellerinnen daraus Konsequenzen gezogen hätten, so kann schon nicht festgestellt werden, dass die endgültig erst im Juni 2017 festgelegten Werte überschritten wurden und ob tatsächlich keine Sperrung erfolgte. Darüber hinaus kommt es darauf vor dem Hintergrund nicht an, dass in der Vergangenheit auch keine rechtliche Verpflichtung der Antragstellerinnen dazu bestand, eine solche ihnen vielmehr erst jetzt durch den Tenor auferlegt wird.

Im Verlauf der zwischen den Beteiligten geführten Vergleichsgespräche haben sich die beiden Gutachter O.  sowie I. ausweislich eines von den Antragstellerinnen vorgelegten E-Mailverkehrs am 21. Juni 2017 auf folgende Formulierung geeinigt:

„Die beiden Gutachter Herr O. und Herr I. stimmen darin überein, dass mit Hilfe der rechnerisch ermittelten Warn- und Grenzwerte für die Verformungsmessungen, die noch mittels einer Referenzmessung (Überfahrt von einem LKW) auf die tatsächlichen Bauwerkssteifigkeiten kalibriert werden sollten, mit ausreichender Sicherheit und ausreichendem Vorlauf eine Überschreitung der Tragfähigkeiten festgestellt werden kann.“

In einer Stellungnahme der Arbeitsgruppe I. vom 6. Juli 2017 an die Antragstellerinnen heißt es:

„1. Berechnete Warn- und Grenzwerte für Rissbreiten durch Monitoring-System bestätigt:

Im Rahmen der Betrachtung zur weiteren Bauwerksnutzung wurden Warn- und Grenzwerte für die Bauwerksverformung rechnerisch ermittelt. Diese Werte sind messbare Indikatoren bei der Verwendung und Benutzung des Bauwerkes und erlauben, Aussagen über den Zustand der Brücke zu treffen. Am Überbau wurden 16 digitale Rissaufnehmer und 5 Distanzmessgeräte für die Durchbiegung gemäß „Übersichtsplan Geomonitoring“ installiert (Anlage 1). Bei einer Befahrung mit einem LKW werden Messungen im Intervall von 0,5 Sekunden durchgeführt. Sofern die berechneten und nunmehr kalibrierten Warnwerte überschritten werden, erfolgt eine sofortige Meldung gemäß Havarie und Meldeschema (Anlage 1). Die Berufsfeuerwehr der DB AG würde innerhalb von 15 min. die Brücke für den Verkehr sperren.

2. Sehr gute Übereinstimmung von berechneter und gemessener Verformung in der Feldmitte (Feld 5)

Das seit dem 02.06.2017 installierte Geomonitoring-System setzt sich aus kalibrierten Einzelmesswertgebern zusammen (Anlage 2, Anlage 3). Diese wurden bei der Installation jeweils einzeln überprüft und justiert. Das Gesamtsystem wurde nach der Einrichtung am 29.06.2017 mittelt definierter Lasten überprüft.

Durch diesen Sachverhalt wird erwartungsgemäß die eindeutige Übereinstimmung zwischen dem Rechenmodell und dem Bestandsbauwerk bestätigt.

Das Bauwerk kann demnach mit den rechnerischen Sicherheiten und den Sicherheiten aus dem Monitoringsystem betrieben werden.“

Der Gutachter I. übersandte diese Stellungnahme dann am 29. Juni 2017 per E-Mail mit folgender Erläuterung an u. a. den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen:

„Sehr geehrte Herren,

mit der Bitte um Kenntnisnahme erhalten Sie im Anhang die um die Rechenergebnisse ergänzten Darstellungen zur Versuchsauswertung.

Die bei der Probebelastung aufgebrachten Fahrzeuglasten sind durch die rechnerischen Nachweise mit den alternativen Lastmodellen LM-A1 und LM-A2 abgedeckt. Ziel war es, das Verformungsverhalten am realen Bauwerk zu überprüfen. Dies ist eindeutig gelungen, denn die gemessenen Verformungen stimmen sehr gut mit den berechneten Werten überein (vgl. Bild 4). Erwartungsgemäß verhält sich das Bauwerk etwas steifer als das Rechenmodell.“

Auf dieser Grundlage geht der Senat davon aus, dass durch das installierte Geomonitoring-System hinreichend sichergestellt wird, dass im Falle der zu befürchtenden Überschreitung der Tragfähigkeit der Brücke die zuvor grob bezeichneten notwendigen Maßnahmen ergriffen werden und deshalb derzeit eine Vollsperrung nicht notwendig erscheint.

Soweit die Antragsgegnerin bezweifelt, dass es vor einem Versagen der Brücke ein Ankündigungsverhalten geben werde, so folgt der Senat dem nicht.

Der Gutachter I. hat auf den entsprechenden Einwand der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Juni 2017 ausgeführt:

„Für die Decatur-Brücke wurden die Spannverfahren BBRV SUSPA Typ V und Typ IA mit kaltgezogenen Spannstählen St 150/170 verwendet. Bei diesen Spannstählen besteht keine Gefahr eines Sprödbruches, wie er von vergüteten Spannstählen bis 1978, verursacht durch Spannrisskorrosion, bekannt ist.

Aus diesem Grund gab es und gibt es keine Veranlassung, den Ausfall von Spannsträngen zu unterstellen. Der von Ihnen angeführte Hinweis auf den Begriff „Riss vor Bruch“ wird bei der Nachrechnung alter Spannbetonbrücken verwendet und steht im Kontext mit dem sukzessiven Ausfall der Spannstahlbewehrungen. Diese Nachweise sind jedoch wegen des verwendeten kaltgezogenen Spannstahls hier nicht erforderlich. Vielmehr ergibt sich aus den oben dargelegten Ausführungen ein Versagen mit Vorankündigung durch Zunahme der Rissbildung und daraus folgend durch Anstieg der Deformation.

Durch das vorgelegte und mit mir abgestimmte Messkonzept werden sowohl die Risse als auch die Deformationen umfänglich erfasst. Bei Erreichen der angegebenen Warn- und Grenzwerte wird der Verkehr gesperrt und weitergehende, dem Ereignis angemessene, Maßnahmen werden veranlasst. Ggf. ist die Standsicherheit neu zu beurteilen.“

Diese Sichtweise wird durch die Nachrechnungsrichtlinie bestätigt. Dort heißt es unter

„12.8 Ankündigungsverhalten für Brücken

(1)Bei Brücken, bei denen keine ausreichende Robustheitsbewehrung nachgewiesen werden kann, ist sicher zu stellen, dass kein spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl eingebaut wurde. Diese Brücken dürfen höchstens der Nachweisklasse B zu geordnet werden.
(2)Für Brücken, die einen gegenüber Spannungsrisskorrosion empfindlichen Spannstahl eingebaut haben, ist der Nachweis eines ausreichenden Ankündigungsverhaltens gemäß der „Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden“ (Ausgabe 2011) zu führen.“

Danach ist einzelfallbezogen der Nachweis des hinreichenden Ankündigungsverhaltens nur für solche Brücken erforderlich, bei denen sowohl eine ausreichende Robustheitsbewehrung fehlt als auch spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl eingebaut wurde. Letzteres ist bei der Decatur-Brücke aber nicht der Fall. Im Übrigen geht der Gutachter I. bei der Decatur-Brücke im Ergebnis aufgrund des positiven Ergebnisses zur Nachrechnung auf der Stufe 4 von einer ausreichenden Robustheitsbewehrung aus (vgl. sein o. a. Schreiben v. …).

Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, dass die Antragsgegnerin ausführt, es fehle an dem im Falle einer solchen fehlenden Bewehrung notwendigen rechnerischen Nachweis des Ankündigungsverhaltens und wenn ein solches für die eigene Argumentation vorausgesetzt werde, so müsse dies auch belegt werden; andernfalls sei davon auszugehen, dass es nicht bestehe. Der Senat kann daher offenlassen, ob es nicht ohnehin Aufgabe der Antragsgegnerin und nicht der Antragstellerinnen ist, ein Ankündigungsverhalten der Brücke zu prüfen.

Im Übrigen hat der Gutachter der H. Herr O., auf den sich die Antragsgegnerin für ihre Ansicht bezieht, in seiner Stellungnahme vom … unter 2.6.2 zwar bezüglich des von der Antragstellerinnen eingerichteten Geomonitorings darauf hingewiesen, dass dieses zunächst nicht kontinuierlich durchgeführt worden sei, die Grenzwerte nicht rechnerisch ermittelt worden seien und es zwingend erforderlich sei, die rechnerisch ermittelten Grenzwerte für die Verformungen mit Hilfe von Probebelastungen zu kalibrieren. Abschließend hat aber auch er seinerzeit zunächst ausgeführt:

„Sofern die ermittelten Grenzwerte der zulässigen Verformungen ausreichend durch Probebelastungen kalibriert sind, ist es durchaus möglich, negative Auswirkungen durch eine Überbelastung mit ausreichendem Vorlauf zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen (Vollsperrung auf und unter dem Bauwerk) einzuleiten.“

Diese Voraussetzungen sind nunmehr aus den vorgenannten Gründen gegeben. Soweit Herr O. zusätzlich rügt, die Kalibrierung sei nur an einem Messpunkt nachgewiesen, folgt der Senat dem vor dem Hintergrund der Ausführungen der beiden anderen Sachverständigen nicht.

b) Ein Anordnungsgrund ergibt sich aus den erheblichen Beeinträchtigungen, die den Antragstellerinnen drohen, falls die Brücke auch für die von ihr als Anliegerin beabsichtigte Nutzung gesperrt wird. Insoweit wird auf die Ausführungen zur (ausnahmsweisen) Zulässigkeit des vorbeugenden Rechtsschutzes verwiesen.

3. Der Senat merkt an, dass die derzeitige Beschilderung der Decatur-Brücke eine Nutzung zulässt, die deutlich über das seinerzeit in dem Verfahren 7 ME 105/16 geschlossenen Vergleich Vereinbarte und auch über diejenige hinausgeht, die auf der Grundlage dieses Beschlusses zulässig ist. Er geht daher davon aus, dass die Antragsgegnerin als Straßenverkehrsbehörde im eigenen Interesse durch Umsetzung der weiteren im Verkehrskonzept genannten Maßnahmen (Geschwindigkeitsbeschränkung, Verengung der Fahrbahn etc.) Sorge dafür trägt, dass eine weitergehende Nutzung ausgeschlossen wird und es dazu keiner gerichtlichen Verpflichtung bedarf. Zur Vermeidung von Missverständnissen wird zudem darauf hingewiesen, dass auch die der Antragsgegnerin als Straßenbaulastträgerin der Decatur-Brücke obliegenden Pflichten bestehen bleiben, soweit sich die Antragstellerin nicht ausdrücklich bereit erklärt hat, diese zu übernehmen. Im Übrigen sind ggf. auch kurze Vollsperrungen wie etwa am 25. und 26. Oktober 2017 geplant zulässig, soweit diese etwa im Rahmen einer Brückensonderprüfung notwendig sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Der Senat bewertet dabei die verdeckte Rücknahme des erstinstanzlich gestellten Antrags und die Ablehnung des Antrags zu Nr. 2 der Antragstellerinnen zusammen mit 1/4 und hat daher die entsprechend angefallenen Kosten den beiden Antragstellerinnen zu gleichen Teilen auferlegt, § 159 Satz 1 VwGO. Da die Antragsgegnerin im Übrigen verloren hat, werden ihr 3/4 der Kosten auferlegt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich bei stärkerer Pauschalierung an der nicht angegriffenen Festsetzung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).