Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.09.2017, Az.: 2 LA 1594/17

Empfangsbekenntnis; Verfristung; Zulassungsantrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.09.2017
Aktenzeichen
2 LA 1594/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54171
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 26.06.2017 - AZ: 2 A 4312/17

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer (Einzelrichterin) - vom 26. Juni 2017 wird verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht fristgerecht eingereicht worden ist. In Asylrechtsstreitigkeiten ist nach § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (§78 Abs. 4 Satz 2 AsylG). In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Hierauf hat das Verwaltungsgericht in der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen. Das Urteil vom 26. Juni 2017 wurde der Beklagten ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Empfangsbekenntnisses (Blatt 36) am 30. Juni 2017 zugestellt. Mithin lief die Frist zur Beantragung der Zulassungsberufung am 31. Juli 2017 (Montag) ab. Innerhalb dieser Frist ist der Antrag beim Verwaltungsgericht nicht eingegangen, sondern erst am 12. September 2017.

Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. August 2017 mitgeteilt hatte, ihr liege zwar eine Rechtskraftmitteilung vor, jedoch sei das Urteil bisher nicht eingegangen, und daraufhin das Verwaltungsgericht das Urteil am 16. August 2017 erneute übermittelt hat, erklärt dies zwar, weshalb im Zulassungsantrag selbst als Zustellungsdatum der 16. August 2017 angegeben worden ist. Darauf kommt es jedoch nicht an. Ob die zweite Übersendung des Urteils überhaupt als Zustellung gewertet werden könnte, ist nicht feststellbar, weil das Ausgangsgericht seine Zustellungen nicht in der gebotenen Weise dokumentiert; auch hinsichtlich der ersten Zustellung kann lediglich aus der Rückgabe des Empfangsbekenntnisses gefolgert werden, dass eine ordnungsgemäße Zustellung stattgefunden hat. Auch wenn die zweite Übersendung des Urteils sich jedoch als Zustellung dargestellt hätte, bliebe für den Beginn und Ablauf der Rechtsmittefrist die erste wirksame Zustellung maßgeblich (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.1.2017 - 3 S 101.16 -, juris mit weiteren Nachweisen).

Es bedarf vor der Verwerfung des Antrags keiner weiteren Anhörung der Beklagten, weil diese nicht nur allgemein in einer Reihe von Kontakten mit Vertretern der Verwaltungsgerichtsbarkeit wiederholt auf schwerwiegende Mängel im Ablauf in ihrem Fristenmanagement hingewiesen worden ist, sondern auch vom Senat eine Reihe von Hinweisen erhalten, aber auf Nachfragen zum internen „Handling“ der Zustellungen nie geantwortet hat. Dem Senat ist indes aus Bitten um zusätzliche Entscheidungsübersendungen bekannt, dass die erstinstanzlichen Entscheidungen den prozessualen Sachbearbeitern häufig erst lange nach Eintreffen der gerichtlichen Rechtskraftnachricht zugeleitet worden sind.

Der Senat hat der Beklagten auch bereits in einer Reihe von Beschlüssen in anderen Verfahren dargelegt, welcher Zeitpunkt bei einer Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr durch Empfangsbekenntnis überhaupt maßgeblich ist, nämlich nicht derjenige des Eintreffens auf dem Empfangsserver oder der Vorlage bei demjenigen Bediensteten, der die Behörde gegenüber dem Gericht im Sinne des § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO vertritt, sondern derjenige der willentlichen Entgegennahme des Schriftstücks durch den von der Behörde hierzu bestimmten Bediensteten. So hat er z.B. in einem Beschluss vom 23. August 2017 (- 2 LA 369/17 -) ausgeführt:

„Die beantragte Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO war abzulehnen, da die Beklagte die Monatsfrist nach § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG nicht hat verstreichen lassen.

Für das Urteil vom 8. Juni 2017 ist am 16. Juni 2017 die Zustellung per EB veranlasst worden, offenbar auf elektronischem Wege.

Selbst wenn das Urteil am gleichen Tag auf einem Empfangsserver der Beklagten eingegangen sein sollte, ergibt sich daraus allenfalls das Zugangsdatum, nicht aber das maßgebliche Zustellungsdatum. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO in seiner gegenwärtig noch geltenden Fassung setzt die Zustellung nicht nur den Zugang der Sendung beim Empfänger oder dessen Kenntnisnahme voraus, sondern darüber hinaus auch dessen Annahmewillen oder Empfangsbereitschaft. Erforderlich ist die mindestens konkludente Äußerung, die Sendung als zugestellt annehmen zu wollen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.4.2011 - 8 B 86.10 -, juris); diese kann von einem Empfangsserver nicht ausgehen. Für die Zustellung an Behörden gelten keine Besonderheiten (BVerwG, Beschl. v. 21.12.79 - 4 ER 500.79 -, NJW 1980, 2427). Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist an dem Tage bewirkt, an welchem der hierfür zuständige Bedienstete der Behörde das Schriftstück empfängt und das Empfangsbekenntnis ausstellt und unterzeichnet. Auf den Tag, an welchem der zuständige Sachbearbeiter das Schriftstück entgegennimmt, kommt es ebensowenig an wie auf den Tag, an welchem das Schriftstück bei der Posteingangsstelle der Behörde eingeht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.11.1998 - 4 L 4505/98 -, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.9.1993 - A 16 S 1587/93 -, NVwZ 1994, 1226; OVG Münster, Beschl. v. 31.7.2006 - 12 A 4848/05 -, juris; BAG, Beschl. v. 2.12.1994 - 4 AZB 17/94 -, NJW 1995, 1916; vgl. allgemein zum Erfordernis der Bereitschaft des Zustellungsempfängers zur Entgegennahme des Schriftstücks jüngst auch OVG Saarlouis, Beschl. v. 31.7.2017 - 1 B 528/17 -, juris).

Hier ist das zurückgesandte Empfangsbekenntnis (Bl. 70 der Gerichtsakte) am 26. Juni 2017 elektronisch unterzeichnet worden. Der Zulassungsantrag ist am 21. Juli 2017 komplett gefaxt worden, also innerhalb der Monatsfrist.

Die Beweiswirkung eines Empfangsbekenntnisses entfällt nur, wenn sein Inhalt vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein können (vgl. BGH, Beschl. v. 19.4.2012 - IX ZB 303/11 -, NJW 2012, 2117). Dafür tritt hier nichts hervor.

Zur Vermeidung von Missverständnissen war im Tenor zugleich deutlich zu machen, dass die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags nicht gleichbedeutend mit der Unzulässigkeit des Zulassungsantrags ist.“

Auf das „voluntative Element der Entgegennahme einer Zustellung“ wird offenbar auch mit der zum 1. Januar 2017 eintretenden Rechtsänderung nicht verzichtet (vgl. Müller, NJW 2017, 2713, 2717).

Da die Beklagte hieraus für ihre interne Organisation offenbar keine Folgerungen zu ziehen bereit ist, bedarf es auch - anders als üblicherweise verfahren wird - keines zusätzlichen gerichtlichen Hinweises mehr bzw. der Anfrage, ob der Antrag zurückgenommen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.