Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.07.2017, Az.: 12 ME 77/17

Ablieferung; Ablieferungspflicht; Androhung; bestimmter Antrag; Beschwer; Beschwerdebegründung; Beschwerdebegründungsfrist; Beschwerdegründe; Betäubungsmittel; Besitz; Einnahme; Konsum; Darlegungsbeschwerde; Darlegungsfrist; Einspruch; Einwendung; Ergänzung; Fahrerlaubnisentziehungsverfahren; strafgerichtliche Feststellungen; tatsächliche Feststellungen; Führerschein; Grundverfügung; Rechtsbehelf; Rechtsmittel; Strafbefehl; Tenorbeschwer; Vertiefung; Zwangsgeld; Zwangsgeldandrohung; Zwangsmittel; Zwangsmittelandrohung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.07.2017
Aktenzeichen
12 ME 77/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.03.2017 - AZ: 6 B 3/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der "Versuch" der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis) wird von der Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht erfasst, und zwar unabhängig davon, ob der "Versuch" am Eingreifen Dritter scheiterte oder der Kraftfahrer freiwillig von ihm zurückgetreten ist.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 6. Kammer - vom 1. März 2017 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 5. Januar 2017 - 6 A 3/17 - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Dezember 2016 wird wiederhergestellt, soweit sich die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung, den Führerschein abzuliefern, richtet, und angeordnet, soweit die Klage die Androhung eines Zwangsgelds zum Gegenstand hat. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die (etwa) weiter gehende Beschwerde des Antragstellers wird verworfen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller jedenfalls dagegen, dass es das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 1. März 2017, auf den hinsichtlich der Einzelheiten seiner Gründe Bezug genommen wird, abgelehnt hat, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung der im Tenor der Beschwerdeentscheidung im Einzelnen genannten Regelungen des Bescheides des Antragsgegners vom 12. Dezember 2016 (Bl. 19 ff. der Beiakte - BA - 2) zu gewähren. Durch diesen Bescheid ist ihm die Fahrerlaubnis unter anderem der Klasse B entzogen worden, weil der Antragsgegner unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen in dem gegen den Antragsteller ergangenen rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts C-Stadt vom 10. Oktober 2016 D. - (S. 42 ff. BA 1) davon ausging, dass der Antragsteller am 9. Juli 2016 Kokain konsumiert habe und deshalb nach § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei.

Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Antragsteller in seiner bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 6. April 2017 (vgl. Bl. 29 der Gerichtsakte - GA -) eingereichten Beschwerdebegründungsschrift vom 4. April 2017 (Bl. 45 ff. GA) unter anderem geltend: Er begehre eine eigenständige verwaltungsgerichtliche Feststellung des Sachverhalts, die zu seinen Gunsten von derjenigen in dem gegen ihn ergangenen Strafbefehl abweiche. Selbst wenn sich das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung grundsätzlich auf den in einem Strafbefehl festgestellten Sachverhalt beziehen können sollte, sei es weder davon entbunden zu erwägen, vor welchem Hintergrund eine Tatsachenfeststellung Eingang in einen solchen Strafbefehl gefunden habe, noch davon, die Einwendungen zu berücksichtigen, die im Verwaltungsprozess gegen diese Tatsachenfeststellung erhoben würden. Die umgangssprachliche Formulierung, die sich in der Ermittlungsakte finde und sodann in den Strafbefehl eingegangen sei, wonach die um das Mobiltelefon versammelten Beschuldigten, darunter er selbst, der Antragsteller, „gerade dabei gewesen“ seien [vgl. die Strafanzeige vom 9.7.2016 - S. 36 ff. (37) BA 1], Drogen zu konsumieren, sei lediglich eine polizeiliche Zusammenfassung von Zeugenaussagen, aber keine hinreichend konkrete Angabe eines Sachverhalts. Sie enthalte nicht die ausdrückliche Aussage, dass alle drei Beschuldigten gleichzeitig Betäubungsmittel konsumiert hätten, sondern es sei ihr nur zu entnehmen, dass eine Gruppe von drei Personen bei einem Vorgang angetroffen worden sei, der den Konsum von Betäubungsmitteln darstelle. Aussagen der Zeugen E. und F. (Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes) lägen nicht vor, wären aber erforderlich gewesen, um ihm, dem Antragsteller, gegenüber den Vorwurf eines eigenen Konsums von Betäubungsmitteln zu erheben. Der tatsächliche Geschehensablauf unterscheide sich nur in der Person desjenigen, der sich zum Zeitpunkt der Entdeckung durch die Zeugen das Mobiltelefon „unter die Nase gehalten“ habe, von den strafgerichtlichen Feststellungen. Es sei nicht von ihm zu erwarten gewesen, trotz der nicht zu beanstandenden Feststellung eines Besitzes von Betäubungsmitteln und eines vertretbaren Strafmaßes Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen, um einen Satz in dessen Begründung zu beanstanden. Ein solcher Einspruch wäre auch ohne Erfolgsaussicht gewesen, weil der Einspruch einem derartigen Zweck nicht diene. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2017 (Bl. 90 ff. GA) trägt der Antragsteller des Weiteren Folgendes vor: Ausweislich der Ergebnisse einer Vernehmung der Zeugen E. und F. in zwei Parallelprozessen [vgl. Sitzungsniederschrift vom 3.5.2017 - 6 A 11/17 und 6 A 12/17 (VG Osnabrück) - Bl. 58 ff. (61 ff. GA)] habe sich inzwischen bestätigt, dass es nicht zum Konsum von Betäubungsmitteln gekommen sei. Er selbst und die anderen Beschuldigten hätten einen Konsum damals nur vorbereitet. Es habe nicht einmal festgestellt werden können, wer die Person gewesen sei, die das Mobiltelefon mit „weißen Linien“ in der Hand gehalten habe.

Der Antragssteller stellt keinen ausdrücklichen Beschwerdeantrag.

Der Antragsgegner beantragt (Bl. 54 GA),

die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 1.3.2017 - 6 B 3/17 - zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, auch angesichts der protokollierten Aussagen der Zeugen E. und F. müsse sich der Antragsteller an den tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls festhalten lassen. Denn die Aussagen bestätigten zwar nicht, dass das weißliche Pulver vor den Augen der Zeugen eingenommen worden sei, sie könnten aber die Feststellung in dem Strafbefehl, dass der Beschwerdeführer „zuvor“ einen Teil des Kokains mit G. und H. konsumiert habe, nicht erschüttern. Die Zeugen PK I. und PK’in J. hätten nämlich übereinstimmend angegeben, dass die genannten drei Personen, darunter der Beschwerdeführer, auffallend ruhig gewesen seien. Ein Zusammenhang mit einem zuvor erfolgten Betäubungsmittelkonsum erscheine möglich. Dagegen habe der Antragsteller erstmalig im Rahmen seiner Klagebegründung [Bl. 12 ff. (14) BA 2)] unsubstantiiert den Konsum von Kokain bestritten. Unabhängig von einem ggf. zuvor erfolgten Kokainkonsum sei der angegriffene Bescheid aber auch deshalb nicht zu beanstanden, weil der Antragsteller unmittelbar zur nasalen Aufnahme des weißen Pulvers angesetzt habe. Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen stehe nämlich auch dann fest, wenn eine geplante Drogeneinnahme nur aufgrund des Einwirkens Dritter im Versuchsstadium steckengeblieben sei.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 1. März 2017 hat teilweise Erfolg, weil die obergerichtliche Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) der fristgerecht dargelegten und in zulässiger Weise ergänzten Beschwerdegründe ergibt, dass die angefochtene Entscheidung wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern ist. Im Übrigen ist das Rechtsmittel allerdings unzulässig.

1. In Ermangelung eines bestimmten Antrags (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) ist die Beschwerde unzulässig und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu verwerfen, soweit der Antragsteller - möglicherweise - auch beanstandet, dass ihm das Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehbarkeit der in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Festsetzung von Verwaltungskosten versagt hat. Denn weder aus seinen Beschwerdegründen noch seiner erstinstanzlichen Antragstellung (Bl. 2, erster Absatz, GA) ergibt sich insoweit der Umfang seines Beschwerdeangriffs mit der erforderlichen (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 4. Aufl. 2014 § 146 Rn. 69) Eindeutigkeit. Für ein zweitinstanzliches Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz auch gegen die Kostenfestsetzung könnte zwar sprechen, dass der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag nicht auf die Hauptregelung des angefochtenen Bescheides beschränkt, sondern beispielsweise die Androhung des Zwangsgeldes einbezogen hat. Dagegen ließe sich aber anführen, dass eine Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gegen die Kostenregelung gemäß § 80 Abs. 6 VwGO voraussetzen würde, dass der Antragsteller bei dem Antragsgegner erfolglos einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hätte oder ihm wegen der Kosten eine Vollstreckung drohen würde (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 22.2.2017 - 12 ME 240/16 -, DV 2017, 112 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 17, m. w. N.) - was weder dargelegt noch ersichtlich ist. Die hiernach gegebene Unbestimmtheit des Rechtsmittels wegen eines Teils des Beschwerdeangriffs führt allerdings nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels insgesamt (vgl. BGH, Beschl. v. 10.6.2015 - XII ZB 611/14 -, NJW-RR 2015, 963 f., hier zitiert nach juris, Rn. 12, zu § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Denn der Begründungsschrift ist hinreichend eindeutig zu entnehmen, dass der Antragsteller im Übrigen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter Weiterverfolgung entsprechender erstinstanzlicher Begehren erstrebt.

2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners überwiegt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis, gegen die Anordnung, den Führerschein abzuliefern, und gegen die Androhung eines Zwangsgeldes das Vollzugsinteresse, weil die genannten Maßnahmen voraussichtlich im Hauptsacheverfahren dahin zu beurteilen sein werden, dass sie rechtswidrig sind und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Voraussetzungen dafür, den Antragsteller nach § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, nicht vorliegen dürften. Denn den Einwendungen des Antragstellers gegen die Richtigkeit der aus dem gegen ihn ergangenen Strafbefehl in die Entziehungsverfügung übernommenen tatsächlichen Feststellung eines Kokainkonsums dürfte hier nachzugehen sein, und dies wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich dazu führen, dass von nachweislichem Kokainkonsum nicht ausgegangen werden kann.

aa) Erhebt ein Kraftfahrer im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren oder dem sich daran anschließenden Verwaltungsprozess Einwendungen gegen die Richtigkeit tatsächlicher Feststellungen, die in gegen ihn ergangenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen getroffen worden waren und aus diesen von der Fahrerlaubnisbehörde übernommen und einer Entziehungsverfügung zugrunde gelegt werden sollen bzw. zugrunde gelegt wurden, so muss diesen Einwendungen allerdings nicht in allen Fällen behördlich bzw. gerichtlich nachgegangen werden.

α) Der Senat lässt offen, ob und ggf. für welche Fallgestaltungen an der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.6.1975 - BVerwG VII B 39.75 -, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 41; Nds. OVG, Beschl. v. 26.11.1998 - 12 O 5186/98 -, juris, und Beschl. v. 6.4.2017 - 12 PA 199/16 -, DAR 2017, 339 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 8) festgehalten werden kann, wonach schon dann kein Anlass besteht, solchen Einwendungen nachzugehen, wenn es der Kraftfahrer versäumt hat, von Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, die gegen eine strafgerichtliche Entscheidung gegeben waren und mit denen bereits im Strafverfahren die erst später erhobenen Einwendungen hätten geltend gemacht werden können. Denn im vorliegenden Fall lässt sich dem Antragsteller nicht zu Recht entgegengehalten, er habe versäumt, gegen den Strafbefehl vom 10. Oktober 2016 - Cs 1366 Js 43783/16 - (S. 42 ff. BA 1) Einspruch einzulegen. Mit einem Einspruch hätte er nämlich die nunmehr erhobene Einwendung, kein Kokain konsumiert zu haben, voraussichtlich nicht erfolgreich geltend machen können.

Wie sich aus § 410 Abs. 2 StPO folgern lässt, setzt der Einspruch gegen einen Strafbefehl eine Beschwer voraus. Diese muss sich - wie bei Rechtsmitteln (vgl. dazu Rautenberg, in: Gercke/Julius/Temming u. a., StPO, 5. Aufl. 2012, § 296 Rn. 12) - als unmittelbare Beeinträchtigung der Rechte und geschützten Interessen des Angeklagten aus dem Entscheidungsausspruch ergeben (Tenorbeschwer). Nicht beschwert ist, wer sich lediglich durch die Entscheidungsbegründung beschwert fühlt, und zwar auch dann nicht, wenn diese Begründung ihm in anderen rechtlichen Zusammenhängen - etwa im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren - mittelbar nachteilig ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2016 - III-3 RVs 80/16 -, juris, Rn. 7). So aber liegt es im vorliegenden Falle, da die beanstandete Feststellung des Kokainkonsums nicht tragend für eine Beschwer durch den Entscheidungsausspruch des wegen verbotenen Kokainbesitzes ergangenen Strafbefehls ist.

β) Die Fahrerlaubnisbehörden und die Verwaltungsgerichte dürfen zwar unter einem weiteren Blickwinkel davon absehen, solchen Einwendungen nachzugehen, die ein Kraftfahrer erst im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren oder dem nachfolgenden Verwaltungsprozess gegen tatsächliche Feststellungen erhebt, die aus rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen in eine Entziehungsverfügung übernommen werden sollen bzw. übernommen wurden. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Senats muss ein Kraftfahrer rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.9.1992 - BVerwG 11 B 22.92 -, NVwZ-RR 1993, 165 f., hier zitiert nach juris, Rn. 3; Nds. OVG, Beschl. v. 2.12.2016 - 12 ME 142/16 -, DAR 2017, 159 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 11, m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn eine strafgerichtliche Entscheidung lediglich ein Strafbefehl ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.6.1975 - BVerwG VII B 39.75 -, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 41; Nds. OVG, Beschl. v. 26.11.1998 - 12 O 5186/98 -, juris). Im vorliegenden Falle haben sich indessen gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen tatsächlichen Feststellung eines Kokainkonsums des Antragstellers ergeben.

Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit einer strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen ergeben sich insbesondere, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die nach § 359 Nr. 5 StPO ein Wiederaufnahmeverfahren zulässig machen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.9.1981 - BVerwG 7 B 188.81 -, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 60, hier zitiert nach juris, Rn. 7), oder sonst Umstände gegeben sind, die auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Würdigung mit Relevanz für das Ergebnis schließen lassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.2.2016 - BVerwG 3 B 68.14 -, ZInsO 2016, 795 f., hier zitiert nach juris, Rn. 20, zu einer vergleichbaren Problematik im ärztlichen Berufsrecht). Erforderlich ist jedenfalls, dass gerade die für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen maßgeblichen Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts von dem Kraftfahrer substantiiert in Zweifel gezogen werden; hierzu reicht ein bloßes Bestreiten grundsätzlich nicht aus. Insbesondere genügt es nicht, wenn der Kraftfahrer nur die Hypothese aufstellt, dass sich der Sachverhalt auch anders abgespielt haben könnte, als er in einer ihm gegenüber ergangenen, rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung festgestellt wurde, ohne dass er den abweichenden Geschehensablauf positiv behauptet und im Einzelnen stimmig schildert (Nds. OVG, Beschl. v. 2.12.2016 - 12 ME 142/16 -, DAR 2017, 159 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 12, m. w. N.).

Gemessen an diesen Maßstäben kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass bereits die in der Beschwerdebegründungsschrift vom 4. April 2017 vorgebrachten Gründe ausreichten, um gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen aufzuzeigen. Denn der Antragsteller hatte zwar bestritten, selbst Kokain konsumiert zu haben, sich dabei aber im Wesentlichen darauf beschränkt geltend zu machen, dass ihm das Gegenteil anhand der interpretationsbedürftigen polizeilichen Angaben in der Strafanzeige nicht ausreichend nachzuweisen sei. Er hatte damit einen von den strafgerichtlichen Feststellungen abweichenden Geschehensablauf nicht ausreichend und im Einzelnen stimmig geschildert. Insbesondere hatte er nicht angegeben, wer, wenn nicht er selbst, von den drei durch die Zeugen E. und F. am 9. Juli 2016 überraschten Personen sich das Mobiltelefon mit den drei „lines“ schon „unter die Nase gehalten“ und damit zumindest unmittelbar zum Drogenkonsum angesetzt hatte. Beschwerdegründe, die bereits fristgerecht - und jeweils in einer den Mindestanforderungen des Auseinandersetzungsgebotes (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) genügenden Weise - geltend gemacht worden sind, können aber im Verfahren über Darlegungsbeschwerden im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO auch noch nach dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vertieft werden; erst die Einführung qualitativ neuer Gründe in das Beschwerdeverfahren ist nach Ablauf der Frist unzulässig (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 85). Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Beschwerdegrund erst durch seine Vertiefung auf der Ebene der Begründetheit nachträglich Erheblichkeit erlangt. So liegt es hier. Denn indem sich der Antragsteller nunmehr auch auf die Aussage des Zeugen E. in dessen Vernehmung vom 3. Mai 2017 als zutreffende Darstellung bezieht, hat er zugleich seine eigene Schilderung des Geschehens substantiiert. Zwar fehlt noch immer die namentliche Bezeichnung der Person, die am 9. Juli 2016 das Mobiltelefon in Händen hielt. Darauf kommt es aber nicht mehr an, weil auf der Grundlage der Angaben des Zeugen E., der als einziger der beiden nicht beschuldigten unmittelbaren Beobachter des Geschehens sicher war, umfassend wahrgenommen zu haben, inwieweit ein Konsum stattfand, davon auszugehen ist, dass keine der beschuldigten drei Personen von den „lines“ auf dem Display des Mobiltelefons konsumierte. Denn das Pulver fiel bereits auf den Boden, noch ehe es zu seiner Einnahme kommen konnte. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners lässt diese Darstellung des Geschehens auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Würdigung mit Relevanz für das Ergebnis schließen. Denn dafür, dass der Antragsteller am 9. Juli 2016 bereits Kokain konsumiert haben könnte, bevor die drei „lines“ auf dem Display des Mobiltelefons ausgebracht wurden, bietet allein seine spätere auffällige Ruhe keinen ausreichenden Anhaltspunkt. Der Antragsgegner überinterpretiert auch den Strafbefehl, indem er in diesen hineinliest, dass dessen Feststellungen einen solchen Konsum „zuvor“ abdecken würden. Denn die in dem Strafbefehl mit dem Wort „zuvor“ zum Ausdruck gebrachte zeitliche Einordnung bezieht sich lediglich auf das Geschehen um das Mobiltelefon im Verhältnis zu der späteren Auffindung von Klemmtütchen mit Kokain bei dem Antragsteller. Die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls besagen daher nichts über einen zeitlich noch früheren Konsum. Das ergibt sich auch daraus, dass dem Strafgericht - soweit ersichtlich - weitere Informationen über das Geschehen als die polizeiliche Strafanzeige nicht zur Verfügung standen. Die dortige Angabe über einen Kokainkonsum der drei Beschuldigten stellt sich indessen nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmungen vom 3. Mai 2017 wahrscheinlich als ein Missverständnis oder eine Überinterpretation der Schilderungen der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes durch den Zeugen PK I. dar, die sodann von dem Amtsgericht in den Strafbefehl übernommen wurde.

bb) Ohne Erfolg macht der Antragsgegner geltend, bereits ein durch Dritte verhinderter „Versuch“ des Konsums sogenannter „harter“ Drogen sei als Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne von Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV anzusehen oder einer solchen Einnahme gleichzustellen. Zum einen steht nicht fest, dass es der Antragsteller war, der sich das Mobiltelefon „unter die Nase gehalten“ hat, als die des Drogenkonsums verdächtige Dreiergruppe gestört wurde, und ist fraglich, ob hinsichtlich derjenigen Personen der Gruppe, die das Mobiltelefon (noch) nicht „unter der Nase hielten“, von einem „Versuch“ des Konsums gesprochen werden könnte oder nicht lediglich von einer Vorbereitungshandlung auszugehen wäre. Zum anderen ist der Wortlaut der Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV eindeutig: Der „Versuch“ der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis) wird nicht erfasst, und zwar unabhängig davon, ob der „Versuch“ am Eingreifen Dritter scheiterte oder der Kraftfahrer freiwillig von ihm zurückgetreten ist. Denn die Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV enthält - ausweislich ihrer Vorbemerkung 1 - eine Aufstellung häufiger vorkommender Erkrankungen und Mängel, zu denen ein (etwaiger) Mangel, der nur in einer erfolglos betätigten Absicht des Betäubungsmittelkonsums besteht, nicht zählt, und zwar auch dann nicht, wenn diese Absicht eine spätere erfolgreiche Einnahme von Betäubungsmitteln befürchten lässt. Es handelt sich nämlich insoweit nicht um eine häufiger vorkommende typische Fallgestaltung. Zwar ist durchaus anzunehmen, dass eine Person, von der sicher feststünde, dass sie nichts unversucht lassen wird, um schon bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit „harte“ Drogen einzunehmen, deshalb ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen wäre. Aus dieser Einschätzung können dann aber nur unter Rückgriff auf den allgemeinen Tatbestand der Nichteignung (§§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV) rechtliche Konsequenzen gezogen werden. Dagegen obliegt es weder den Fahrerlaubnisbehörden noch den Gerichten, den Katalog typischer Nichteignungstatbeständen der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV durch Rechtsfortbildung auf atypische oder seltene Fallgestaltungen auszudehnen.

Im vorliegenden Falle lässt sich allein aus dem Umstand, dass sich der Antragsteller im Besitz von Kokain sowie innerhalb einer Gruppe befand, die man überraschte, als in ihr der Drogenkonsum vorbereitet wurde, nicht bereits hinreichend darauf schließen, dass der Antragsteller in Bezug auf einen Konsum harter Drogen Absichten verfolgt, derentwegen er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist.

cc) Dagegen sei angemerkt, dass der in dem Strafbefehl geahndete Kokainbesitz vor dem Hintergrund des am 3. Mai 2017 bezeugten übrigen Geschehens vom 9. Juli 2016 auf einen Eigenbesitz des Antragstellers von Kokain und einen Eigenkonsum hindeutet, der hinreichenden Anlass geboten hätte und bietet, durch die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 FeV) der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller selbst Kokain einnimmt.

c) Die im Hinblick auf die Voraussetzungen (vgl. §§ 3 Abs. 1 Satz 3, 64 Abs. 1 letzter Gliedsatz Nds. SOG) einer nötigenfalls beabsichtigte Vollstreckung wohl (insoweit ist der angefochtene Bescheid unklar) ebenfalls angeordnete sofortige Vollziehung der Anordnung, den Führerschein abzuliefern, kann nicht aufrecht erhalten bleiben, da die Wiederherstellung der aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der bis dahin nach § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV bestehenden Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins die Grundlage nimmt. Deshalb ist auch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung wiederherzustellen.

d) Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsgeldes ist anzuordnen. Zwar könnte aus den §§ 3 Abs. 1 Satz 3 und 70 Abs. 2 Nds. SOG möglicherweise gefolgert werden, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung eines Zwangsmittels (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 64 Abs. 4 Satz 2 Nds. SOG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) nicht bereits dann geboten ist, wenn gegen die (hier auf § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV gestützte) Grundverfügung, die mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden soll, ein Rechtsbehelf erhoben worden ist, der aufschiebende Wirkung entfaltet. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung ist aber jedenfalls dann geboten, wenn - wie hier - die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die angefochtene Grundverfügung eigens wiederherzustellen ist, weil Letztere im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Denn dann ist nicht mehr zu erwarten, dass in Gestalt einer Unanfechtbarkeit der Grundverfügung oder des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung des gegen sie erhobenen Rechtsbehelfs die Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 letzter Gliedsatz Nds. SOG (i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG) dafür eintreten könnten, dass rechtmäßig vollstreckt werden darf. Damit besteht auch kein anzuerkennendes Vollzugsinteresse mehr daran, das durch § 64 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 Nds. SOG (i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG) angeordnete Entfallen der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsmittels aufrecht zu erhalten.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 43 Abs. 1 GKG. Sie entspricht den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 Satz 1, 1.7.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

III.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).