Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.09.2017, Az.: 2 NB 954/17
Anrechnungsbescheinigung; Studium; Humanmedizin; Modellstudiengang; Kapazitätsberechnung; Zuschlag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.09.2017
- Aktenzeichen
- 2 NB 954/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 53968
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 29.05.2017 - AZ: 8 C 3669/17
Rechtsgrundlagen
- § 17 Abs 2 KapVO ND
- § 4 Abs 3 Nr 1 HSchulZulG ND 1998
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Mit Verbindlichkeit für das vorliegende Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist (weiter) davon auszugehen, dass es den in § 17 Abs. 2 NdsKapVO für den Modellstudiengang enthaltenen Vorgaben an der zu fordernden Plausibilität fehlt. Dem ist durch einen Zuschlag auf die Studienplätze Rechnung zu tragen.
Bei der Ermittlung dieser Grenze ist nicht von einem stets starren Zuschlag auszugehen, vielmehr ist das Spannungsfeld aus verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Rechten der Studienbewerber, der schon Studierenden, der Hochschulen und Hochschullehrer zu berücksichtigen und in einen Ausgleich zu bringen. Die Berechtigung eines etwaigen Zuschlages ist mithin jeweils erneut zu prüfen.
Zwar ist für das Sommersemester 2017 die Aufstockung von 270 Studienplätzen (vgl. ZZ-VO 2016/2017 v. 23.6.2016, NdsGVBl. 2016, 117) auf 290 Studienplätze aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Dem Beschwerdevorbringen der Antragsteller sind jedoch keine zureichenden Hinweise für eine über 290
Studienplätzen liegende Ausbildungskapazität zu entnehmen.
Soweit für Zulassungen in höhere Semester die Vorlage von Anrechnungsbescheinigungen (hier: über im Ausland erbrachte Studienleistungen) erforderlich ist, trägt der Antragsteller das Risiko, dass diese Bescheinigung rechtzeitig vorliegt.
Tenor:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 8. Kammer - vom 29. Mai 2017 werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen jeweils die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller, die alle im Ausland Medizin studieren, haben neben anderen Bewerbern bei der Antragsgegnerin für das Sommersemester 2017 ihre Zulassung zum Studium in dem Modellstudiengang Humanmedizin außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl (270 Plätze, vgl. ZZ-VO 2016/2017 v. 23.6.2016, NdsGVBl. 2016, 117) für das zweite (Antragsteller zu 2.) bzw. vierte Fachsemester, hilfsweise in einem niedrigeren Fachsemester (restliche Antragsteller) begehrt. Dem hat die Antragsgegnerin nicht entsprochen.
Ein vorläufiges Rechtsschutzbegehren blieb im Ergebnis ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist in Fortführung seiner Rechtsprechung zum Wintersemester 2016/2017 (Beschl. v. 14.12.2016 - 8C 4707/16 u.a. -, bestätigt durch Sen., vgl. z.B. Beschl. v. 16.8.2017 - 2 NB 284/16 u.a. -, Veröffentlichung in juris geplant) wegen voraussichtlicher Nichtigkeit der Kapazitätsberechnungsvorgaben in § 17 Abs. 2 NdsKapVO iVm. einem in Anlehnung an § 4 Abs. 3 Satz 1 NHZG vorzunehmenden Zuschlag zwar von insgesamt 290 Studienplätzen ausgegangen (270, zuzüglich eines Aufschlages von 20 weiteren Plätzen, entspricht 7,5%). Die zusätzlichen Studienplätze entfielen indes nicht auf die Antragsteller.
Im vierten Fachsemester waren nach der vorgelegten Immatrikulationsliste 275 Plätze belegt. 12 Bewerber hatten sich um die Aufnahme in das 4. Fachsemester beworben. Da nach Auffassung des Verwaltungsgerichts von diesen nur sechs ihre Berechtigung für eine Aufnahme in das 4. Fachsemester durch Vorlage entsprechender Anrechnungsschreiben glaubhaft gemacht hatten, hat das Verwaltungsgericht lediglich diese sechs Bewerber zugelassen, wobei ein Bewerber den Platz nicht an-, sondern den Antrag zurückgenommen hat. Die Anträge der anderen sechs hat es mangels Vorlage ausreichender Anrechnungsunterlagen abgelehnt. Dagegen haben Antragsteller zu 1. und 3. - 6. die vorliegende Beschwerde erhoben.
Da nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Immatrikulationsliste im zweiten Fachsemester 285 Studierende eingeschrieben waren, ist das Verwaltungsgericht unter Abweisung der Anträge im Übrigen von noch fünf freien Studienplätzen ausgegangen, deren Besetzung von der Antragsgegnerin im Wege einer Losliste zu ermitteln war. Weder die Antragstellerin zu 2., die lediglich eine Zulassung im 2. Semester erstrebt, noch die Antragsteller zu 1. und 3. bis 6., die hilfsweise auch eine Zulassung für das zweite Semester begehrt hatten, haben über das Los einen Platz erhalten. Tatsächlich sind im 2. Fachsemester mittlerweile 291 Studierende eingeschrieben, weil sich ein Studierender entschuldigt verspätet zurückgemeldet hatte und daher in der vorgelegten Immatrikulationsliste noch nicht enthalten war.
Soweit das Verwaltungsgericht für das 4. Semester und - über das Losverfahren - für das zweite Semester Plätze zugesprochen hat, sind die dagegen von der Antragsgegnerin erhobenen Beschwerden ohne Erfolg geblieben (vgl. Sen., Beschl. v. 22.9.2017 - 2 NB 944/17 u.a.-, Veröffentlichung in juris geplant).
Die Antragsteller verfolgen im Beschwerdeverfahren ihre Zulassung weiter. Soweit sie eine Zulassung im 4. Fachsemester begehren, haben sie im Laufe des Beschwerdeverfahrens weitere Anrechnungsbescheide vorgelegt und die Auffassung vertreten, aufgrund der nunmehr vorgelegten Nachweise bestehe ein Anspruch auf Zulassung zum 4. Fachsemester. Maßgeblich für die Vorlage der Anrechnungsschreiben sei nämlich erst der Zeitpunkt der Einschreibung. Soweit nur (Antragsteller zu 2.) oder hilfsweise (restliche Antragsteller) eine Zuweisung zum 2. Fachsemester begehrt wird, tragen die Antragsteller u.a. vor, der vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Zuschlag habe in Höhe von 15% erfolgen müssen; denn es sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin mehr als 290 Studienplätze verkraften könne, zumal die teilstationären Plätze bislang in die Kapazitätsberechnung gar nicht einbezogen worden seien. Es sei zudem geboten, weitere Lehrkrankenhäuser einzubeziehen, wie es auch von anderen medizinischen Hochschulen, z.B. der Universität Bochum, praktiziert werde.
Die Antragsgegnerin hat - soweit ersichtlich - zwischenzeitlich jeweils förmlich mit Bescheid eine außerkapazitäre Zulassung abgelehnt. Dagegen ist jeweils Klage erhoben worden.
II.
Die Beschwerden der Antragsteller haben keinen Erfolg.
1. zum 2. Fachsemester:
Soweit die Antragsteller allein (Antragsteller zu 2.) oder zumindest hilfsweise (übrige Antragsteller) eine Zulassung zum 2. Fachsemester begehren, bleibt dies ohne Erfolg, weil die Studienplatzkapazität mit der vom Verwaltungsgericht auch für das Sommersemester 2017 vorgenommenen Erhöhung der in der ZZVO ausgewiesenen Studienplätze von 270 auf 290 nach derzeitiger Einschätzung als ausgeschöpft anzusehen ist.
Der Senat ist in seinem den Beteiligten bekannten Beschluss (v. 22.9.2017 - 2 NB 944/17 u.a. -, SoS 2017) mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass angesichts der voraussichtlichen Nichtigkeit der Regelung in § 17 Abs. 2 NdsKapVO Studienbewerber bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit (vgl. zu diesem Begriff: Sen, Beschl. v. 24.10.2016 - 2 NB 35/16 u.a. -, WS 2015/2016; OVG Hamburg, Beschl. v. 9.2.2015 - 3 Nc 55/14 -, jeweils juris) bzw.bis zur erschöpfenden Nutzung freigebliebener Kapazitäten (vgl. zu diesem Begriff: OVG NW, Beschl. v. 3.7.2015 - 13 B 113/15, v. 15.5.2017- 13 C 7/17 -, jeweils juris) von der Antragsgegnerin aufzunehmen seien. Im Ergebnis unterscheiden sich diese Begrifflichkeiten nicht; denn übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Aufnahmegrenze nicht von einem stets starren Zuschlag auszugehen, vielmehr das Spannungsfeld aus verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Rechten der Studienbewerber, der schon Studierenden, der Hochschulen und Hochschullehrer zu berücksichtigen und in einen Ausgleich zu bringen ist (vgl. Sen., Beschl. v. 16.8.2017 - 2 NB 284/16 u.a. -, WS 2016/2017, v. 28.07.2010 - 2 NB 9/10, WS 2009/2010 mwN.). Nach diesen Vorgaben hat der Senat die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aufstockung der Studienplätze auf 290 (auch) für das Sommersemester 2017 als geboten angesehen und die gegen diese Aufstockung gerichteten Beschwerden der Antragsgegnerin zurückgewiesen (vgl. zudem Sen., Beschl. v. 16.8.2017 - 2 NB 284/16 u.a. - zum WS 2016/2017, Veröffentlichung in juris geplant).
Zureichende Anhaltspunkte für eine über 290 Plätze anzunehmende Kapazität bestehen dagegen nicht.
Soweit die Antragteller unter Hinweis auf § 4 Abs. 3 Satz 1 NHZG einen Zuschlag von generell 15% fordern, ist zum einen darauf zu verweisen, dass diese Regelung der Hochschule einen Zuschlag „bis zu“ 15% ermöglicht („kann“). Ein Automatismus, bei unzureichenden Vorgaben für die Kapazitätsberechnung stets einen Zuschlag - zumal dauerhaft - von 15% zu erheben, ist der Vorschrift mithin nicht zwingend zu entnehmen. Zum andern ist zu bedenken, dass die Kapazität im Studiengang Humanmedizin bei der Antragsgegnerin patientenorientiert ermittelt wird, was unter Abwägung der oben genannten widerstreitenden, gegeneinander abzuwägenden Interessen eine zurückhaltende Anlehnung an den in § 4 Abs. 3 Satz 1 NHZG genannten Prozentsatz nahelegt. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass trotz fehlenden Kapazitätsberechnungsvorgaben der erforderlichen Schätzung der Grenze der Funktionsfähigkeit bzw. der erschöpfenden Nutzung freigebliebener Kapazitäten für mehrere nachfolgende Semester nicht formelmäßig stets derselbe Prozentsatz zugrunde zu legen, sondern die Berechtigung einer Aufstockung der Studienplätze jeweils unter Beachtung der gegebenen tatsächlichen Verhältnisse, die sich mithin im Laufe der Zeit auch ändern können, festzustellen ist.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die tatsächlichen Verhältnisse derzeit eine über 290 liegende Zulassungszahl rechtfertigen. Allerdings sind wegen einer verspäteten Rückmeldung 291 Plätze im 2. Fachsemester belegt. Dies kann der Antragsgegnerin aber nicht entgegengehalten werden, weil sie lediglich im Interesse des betreffenden Studierenden dessen verspätete Rückmeldung - noch - akzeptiert hat.
Die Antragsteller weisen zwar zutreffend darauf hin, dass teilstationäre Patienten bei den Kapazitätsberechnungen bislang nicht berücksichtigt worden sind. Dies entsprach zum einen einer Empfehlung aus dem Lohfert-Gutachten (von Oktober 2011, Langfassung S. 46, 47), zum anderen hat auch der Senat in seiner Rechtsprechung teilstationäre Plätze bislang nicht in die Kapazitätsberechnung einbezogen (vgl. z.B. Beschl. v. 24.10.2016 - 2 NB 35/16 u.a. -, juris mwN., MHH, v. 9.9.2015 - 2 NB 401/14 -, Uni Göttingen; aA. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.9.2015 - 3 Nc 7/15 -, juris). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung zunächst fest und wird sich dann ggfls. an den Vorgaben der Arbeitsgruppe „Modellstudiengang Medizin“ orientieren, die die Frage der Einbeziehung teilstationärer Betten ebenfalls mit erörtert.
Eine Schwundberechnung bezogen auf 290 Studienplätze (bezogen auf 270 Studienplätze war eine derartige Schwundberechnung nicht erforderlich, weil die Antragsgegnerin in allen Semestern jeweils auf 270 aufgefüllt hat) hält der Senat derzeit nicht für angebracht. Wie oben ausgeführt, ist der Zuschlag nicht unbesehen für jedes Semester/Studienjahr in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes festzuschreiben, vielmehr sind für den Aufschlag die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend. Dies steht einer Schwundberechnung ausgehend von jeweils 290 Plätzen entgegen. Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass das mittlerweile von der Arbeitsgruppe „Modellstudiengang Medizin“ in Auftrag gegebene Gutachten bis zum Wintersemester 2018/2019 weitere Erkenntnisse zur Kapazitätsberechnung in den Modellstudiengängen bringen wird (vgl. Sen., Beschl. v. 16.8.2017 - 2 NB 284/16 u.a. -, WS 2016/2017).
Soweit die Antragsteller u.a. unter Hinweis auf Ausführungen der Fa. Lohfert (St. v. 16.1.2017, vgl. Anl. zum SchrS der Antragsgegnerin v. 3.7.2017) geltend machen, ein höherer Zuschlag sei auch deswegen geboten, weil die Antragsgegnerin durch eigenes Organisationsverschulden ihre Ausbildungskapazität aus den Ambulanzen seit Jahren nicht zureichend nutze, führt dieses Argument nicht weiter, weil die Antragsgegnerin in ihrer Kapazitätsberechnung - unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen in der Ambulanz - stets den sog. 50%-Zuschlag für den ambulanten Patientenbereich angesetzt hat.
Hinsichtlich der Auffassung der Antragsteller, Patienten einer medizinischen Hochschule müssten dem Grunde nach immer für eine Ausbildung der dort Studierenden zur Verfügung stehen, bleibt das Ergebnis des von der Arbeitsgruppe „Modellstudiengang Medizin“ in Auftrag gegebenen Gutachtens abzuwarten, das auch die Patienteneignung ermittelt. Im Übrigen dürfte aber auch die Annahme verfehlt sein, die Behandlung gerade bei der Antragsgegnerin beruhe stets auf einer eigenen Auswahlmöglichkeit des Patienten zwischen verschiedenen gleichermaßen geeigneten Krankenhäusern.
Wegen der Patientengebundenheit im Modellstudiengang vermag schließlich auch der Hinweis der Antragsteller auf die große personelle Lehr-Kapazität der Antragsgegnerin keinen höheren Aufschlag zu begründen.
2. zum 4. Fachsemester:
Soweit die Antragsteller (mit Ausnahme des Antragstellers zu 2) als Hauptantrag eine Zulassung zum 4. Fachsemester begehren, wären zwar dem Grunde nach zureichende Plätze vorhanden, weil im 4. Semester 280 Plätze belegt sind (275 + 5, vgl. hierzu Sen., Beschl. v. 22.9.2017 - 2 NB 944/17 u.a. -). Es fehlt indes einem Anordnungsanspruch, weil die Antragsteller ihre Berechtigung für eine Zulassung zum 4. Fachsemester nicht glaubhaft gemacht haben. Die Antragsteller zu 1. und 3. bis 6. hatten gegenüber dem Verwaltungsgericht ihre Berechtigung für ein Studium im 4. Fachsemester nicht nachgewiesen, sondern lediglich Anrechnungsbescheide über zwei Fachsemester vorgelegt. Die im Beschwerdeverfahren nachgereichten Bescheinigungen über drei, später über vier Semester bzw. das Physikum rechtfertigen nicht die Zulassung zum Sommersemester 2017, weil diese Anrechnungsbescheide - was bereits im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen ist - weder bei Antragstellung bei der Antragsgegnerin, noch zu Beginn des Sommersemesters, noch bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorlagen. Die Bescheinigungen datieren alle vielmehr frühestens vom 16. Juni 2017, sind also zu einem Zeitpunkt erstellt worden, zu dem sich das Sommersemester (Sommertertial) bereits seinem Ende zuneigte (24.4. bis 30.6.2017). Das Risiko, dass Bescheinigungen von ausländischen Hochschulen nicht rechtzeitig ausgestellt werden, tragen dabei die Antragsteller.
Die Kostenentscheidung folgt jeweils aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht jeweils auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).