Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.12.2015, Az.: 1 LA 184/14

Gefahrenschwelle; Gefahrenverdacht; Gefahrerforschung; Gefahrverdacht; Standsicherheit; Standsicherheitsnachweis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.12.2015
Aktenzeichen
1 LA 184/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45188
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.11.2014 - AZ: 2 A 183/12

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Widerspruch baulicher Anlagen zum öffentlichen Baurecht ist nicht erst dann im Sinne des § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO zu besorgen, wenn die fehlende Standsicherheit eines Gebäudes erwiesen ist, sondern bereits dann, wenn hinreichende Indizien für ihren Wegfall sprechen.

Unbeschadet des § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann die Bauaufsichtsbehörde bei Vorliegen der o.g. Voraussetzung vor einer Ermittlung auf eigene Kosten absehen und als Gefahrenabwehrmaßnahme (im weiteren Sinne) gestützt auf § 79 NBauO verantwortlichen Personen aufgeben, zur Vorbereitung der eigentlichen Gefahrenabwehrmaßnahme (im engeren Sinne) den Umfang der bestehenden Gefahr zu ermitteln.

Zur Eignung eines rechnerischen Standsicherheitsnachweises für einen Altbau.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 5. November 2014 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 10.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung, mit der ihm die Beibringung eines rechnerischen Standsicherheitsnachweises aufgegeben wird.

Der Kläger ist Eigentümer des am Ende des 19. Jahrhundert errichteten Mehrfamilienhauses D. straße 6. Das an dieses Gebäude angebaute Nachbarhaus D. straße 5 war in den 2000er Jahren aufgrund von Senkungsbewegungen im Untergrund so baufällig geworden, dass die Beklagte seinen Abriss veranlasste; dieser erfolgte Ende 2012.

In einer Stellungnahme vom 18.5.2009 stellte das Ingenieurbüro E. Tragwerksplanung die Senkbewegungen im Untergrund des Grundstücks D. straße 6 in allgemeiner Form dar und führte aus, die Gründung des Gebäudes auf gemauerten Streifenfundamenten sei nicht in der Lage, Beanspruchungen aus Erdbewegungen schadensfrei aufzunehmen. Eine Bestandsaufnahme am 13.5.2009 habe im ganzen Gebäude Risse gezeigt, die teilweise verkleidet seien. Am 7.12.2010 führten die Beteiligten eine Begehung des Wohnhauses durch, bei der sich ebenfalls zahlreiche fotografisch dokumentierte Risse sowie ein korrodierter Stahlträger in der Kellerdecke zeigten. Man vereinbarte, an den Rissen Gipsmarken zu setzen. Nach längeren Verhandlungen erklärte der Kläger, im Mai 2011 Gipsmarken gesetzt zu haben und übergab hierzu einige Fotos; die Gipsmarken sind allerdings nicht an allen in der Fotodokumentation vom 7.12.2010 vorgesehenen Stellen angebracht. U.a. mit Verfügung vom 17.1.2012 gab der Beklagte dem Kläger auf, hierzu sowie zu weiteren Bedenken gegen die Standsicherheit Stellung zu nehmen. Am 8.4.2012 erklärte der vom Kläger beauftragte Sachverständige F. } nach Besichtigung des Objekts, die Stabilität sei durch die zur Zeit an der Gebäuderückfront sichtbaren Schäden nicht gefährdet; die Sanierung der Fassade habe innerhalb der nächsten 2 Jahre zu erfolgen. Die Gipsmarken seien besichtigt worden; sie seien entlang der Hauptlastabtragungslinie des Gebäudes installiert und ausreichend. Zur Zeit seien keine negativen Befunde erkennbar. Mit E-Mail vom 24.4.2012 bat der Beklagte um nähere Erläuterungen zu verschiedenen Punkten. In einem auf den 8.4.2012 datierten, tatsächlich - unstreitig - am 29.5.2012 per E-Mail übersandten Schreiben führte Herr G. unter anderem aus, die Rissmarken seien an den statisch relevanten Punkten gesetzt. Bei den von der Beklagten als bedenklich angesehenen Rissen sei anhand der Risskanten (Schmutz- und Staubablagerungen) erkennbar, dass es sich um ältere Risse handele. Bei den teilweise gerissenen Stürzen handele es sich um gemauerte Bögen, die ihre Last auch im gerissenen Zustand über eine gewisse Gewölbewirkung abtrügen (Klemmwirkung).

Mit E-Mail vom 20.6.2012 bat die Beklagte das Ingenieurbüro H. - Herrn I. - um Stellungnahme, ob es nach dem Rissbild des Gebäudes geboten erscheine, den Eigentümer zur Einholung eines Standsicherheitsgutachtens eines amtlich zugelassenen Prüfstatikers einzuholen. Dieser nahm im Anschluss an einen Ortstermin am 28.6.2012 mündlich Stellung und fasste seine Einschätzung am 5.7.2012 schriftlich wie folgt zusammen:

„Wir haben das Gebäude D. straße 6 ausschließlich von außen einsehen können. Über den Zustand im Inneren des Gebäudes können wir keine Aussage treffen. Ein Versagen des Gebäudes scheint, auch unter Berücksichtigung des nach außen sichtbaren Schadensbildes an den Fassaden nicht wahrscheinlich. Der Zustand des Gebäudes scheint von außen deutlich besser zu sein als D. straße 5. Trotzdem zeigt sich nach außen ein Schadensbild, das darauf schließen lässt, dass Bewegungen im Gebäude und insbesondere an der Fassade stattgefunden haben. Das Versagen einiger Sturzbereiche, insbesondere an der Nordfassade, ist nicht auszuschließen, da hier an einigen Stellen Steine fehlen. Somit sollte der Eigentümer eine gutachterliche Stellungnahme zur aktuellen Standsicherheit vorlegen, um zu belegen, dass die Standsicherheit des Gebäudes lokal und global auch unter Berücksichtigung der Schäden nach wie vor gegeben ist.“

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 3.7.2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, binnen 10 Tagen eine aktuelle Einschätzung der Standsicherheit des Gebäudes und innerhalb eines Monats einen rechnerischen Standsicherheitsnachweis vorzulegen, drohte die Ersatzvornahme und ordnete den Sofortvollzug an. Zur Begründung führte sie aus, die von § 18 NBauO geforderte Standsicherheit scheine nicht mehr gewährleistet zu sein. Dies müsse zur abschließenden Beurteilung der Gefahrensituation überprüft werden. Das Gebäude liege im Senkungsgebiet der Antragsgegnerin; aufgrund von Senkungen müsse wie bei den Nachbargebäuden von massiven Schädigungen ausgegangen werden; diese seien bereits äußerlich sichtbar. Ein schlagartiges Versagen einzelner Teile des Mauerwerks könne nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Mauerwerksverband sei nicht mehr gegeben, der Gebäuderiss sei durchgehend. Die Querkraftaufnahme im Bereich der Fensterstürze über eine „Klemmwirkung“ sei zweifelhaft. Ein rechnerischer Standsicherheitsnachweis sei die derzeit mildeste Gefahrenabwehrmaßnahme.

Mit Schreiben vom 13.7.2012 erhob der Kläger Widerspruch. Am 15.7.2012 nahm Herr G. Stellung zum streitgegenständlichen Bescheid. Unter anderem führte er aus, aufgrund der unterschiedlichen Schiefstellung des Gebäudes und der unterschiedlichen Durchbiegung verschiedener Bauteile sei es fraglich, ob der Nachweis der rechnerischen Standsicherheit des Gebäudes überhaupt realistisch sei. Es stelle sich die Frage, inwieweit überhaupt verlässliche Angaben über den Zustand der Bauteile getroffen werden könnten, die eine realitätsnahe Eingabe in entsprechende Rechenprogramme erfordere, wie z.B. die Auflager der Deckenbalken definiert werden sollten, ohne das Gebäude komplett zu entkernen, ob das Gebäude komplett vermessen werden solle, um die realistische Schiefstellung zu ermitteln, und wie genau der Baugrund berücksichtigt werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, wogegen der Kläger am 29.10.2012 Klage erhoben hat.

Am 21.12.2012 erstellte die Firma H. das von der Beklagten im Wege der Ersatzvornahme in Auftrag gegebene Standsicherheitsgutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass das Gebäude D. straße 6 unter der Voraussetzung der Abstützung eines Sturzes im Keller des Gebäudes sowie des korrodierten Stahlträgers derzeit standsicher sei.

Mit Urteil vom 5.11.2014 hat das Verwaltungsgericht (Einzelrichter) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: In Situationen, in denen die Bauaufsichtsbehörde mit dem Eintritt einer Gefahr rechnen müsse und im Hinblick auf den zu befürchtenden Schaden nicht abwarten könne, seien Maßnahmen zur Erforschung der Gefahr zulässig; hierzu könne die Behörde den Grundstückseigentümer heranziehen. Ein solcher Gefahrenverdacht hätte hier vorgelegen. Dafür sprächen die Lage im Senkungsgebiet mit unterschiedlicher Senkungsgeschwindigkeit an den verschiedenen Gebäudeecken, die bereits eingetretenen schweren Schädigungen des Nachbargebäudes und das von außen bereits sichtbare Rißbild. Die Stellungnahmen des Herrn G. vom 8.4., 29.5. und 15.7.2012 räumten die Bedenken nicht aus. Da nicht alle vom Beklagten und von Herrn I. geforderten Gipsmarken gesetzt worden seien, lasse sich aus diesen eine Standsicherheit nicht herleiten. Die Ausführungen zur „Klemmwirkung“ überzeugten nicht, da in den Stürzen teils Steine fehlten. Bei der Gefahrprognose sei der hohe Wert der bedrohten Güter zu berücksichtigen. Der Kläger sei zu Recht als Verantwortlicher in Anspruch genommen worden. Die angeordnete Maßnahme sei verhältnismäßig. Die kurzfristige Einschätzung zur Standsicherheit eines bislang unbeteiligten Statikers helfe, jedenfalls die akute Einsturzgefahr mit größerer Wahrscheinlichkeit als bisher auszuschließen. Ein rechnerischer Standsicherheitsnachweis sei zur Beurteilung der Gefahrenlage geeignet. Der Nachweis der Standsicherheit anhand von Rechenmodellen bleibe trotz seiner Abhängigkeit von der Verlässlichkeit der Eingangsdaten Stand der Technik; er biete eine deutlich bessere Gewähr für die Standsicherheit als eine ohne weitere Erklärungen vorgenommene bloße Abschätzung. Auch die gesetzten Fristen seien angemessen.

Der hiergegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Das Urteil begegnet keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten dergestalt in Frage zu stellen, dass sich dadurch am Ergebnis der Entscheidung etwas ändert. Das ist dem Kläger nicht gelungen.

a) Sollte der Kläger mit seinen Ausführungen im ersten Absatz auf S. 3 der Zulassungsbegründung die Auffassung vertreten, das Verwaltungsgericht habe mit dem Abstellen auf einen „Gefahrenverdacht“ die Eingriffsschwelle zu niedrig angesetzt, ist ihm nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht hat sich durch die Bezugnahme auf den Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 2.9.2014 - 2 M 31/14 -, juris, zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten in Gestalt der Anordnung einer Gefahrerforschungsmaßnahme erst bei „Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne der Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts“ bzw. „wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte bereits erhebliche Zweifel an [der] Standsicherheit bestehen“ in Frage kommt. Auch wenn der Satz „Ein Gefahrenverdacht liegt vor, wenn aufgrund objektiver Umstände das Vorhandensein einer Gefahr zwar möglich, aber nicht sicher ist“ insoweit missverständlich sein mag, sehen das OVG Sachsen-Anhalt und das Verwaltungsgericht ersichtlich keinen Gegensatz zwischen Gefahr und Gefahrverdacht. Ein Gefahrverdacht im Sinne der o.g. Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, ist vielmehr eine Situation, in der die sich aus Schadenspotential und Eintrittswahrscheinlichkeit ergebende Gefahrenschwelle nach dem Kenntnisstand bei Maßnahmenerlass bereits überschritten ist, jedoch die Möglichkeit besteht, dass weitere Recherchen zu einer dem Pflichtigen günstigeren Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit führen; diese Möglichkeit ist ihm dann aus Verhältnismäßigkeitsgründen durch Anordnung einer Gefahrerforschungsmaßnahme einzuräumen.

b) Ernstliche Zweifel begründet auch nicht der Einwand des Klägers, ein Gefahrenverdacht habe hier nicht vorgelegen. Der Kläger führt aus, die Bestandsaufnahme vom 18.5.2009 treffe ausdrücklich keine Aussagen über die Standsicherheit des Gebäudes. Die Lage des Hauses im Senkungsgebiet begründe keinen Gefahrenverdacht. Entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts hätten die Setzungen im Bereich seines Grundstücks in den letzten Jahren nicht erheblich zugenommen und seien gleichmäßig gewesen. Der Kläger habe die Standsicherheit seines Hauses durch die Schreiben des Herrn Dip.-Ing. G. vom 8.4.2012, 29.5.2012 und 15.7.2012 nachgewiesen. Dieser hätte dargelegt, dass seit Mai 2011 im Haus keine nennenswerten Bewegungen erfolgt seien. Die Standsicherheit des Gebäudes sei bestätigt, die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen seien beantwortet worden. Die Einschätzung der Firma H. im Kontext des Bescheiderlasses sei unbrauchbar, da dieser die damals schon vorhandenen Stellungnahmen des Herrn G. nicht zur Kenntnis gegeben worden seien. Im Übrigen sei das Antwortschreiben vom 5.7.2012 vage; es bezeichne ein Versagen des Gebäudes als nicht sehr wahrscheinlich, fordere aber dann - gestützt auf lediglich lokale Problemzonen - einen „globalen“ Standsicherheitsnachweis.

Ernstliche Zweifel sind damit nicht dargelegt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht als eines unter mehreren für eine fehlende Standsicherheit des Gebäudes sprechenden Indizien dessen Lage im Senkungsgebiet mit unterschiedlichen Senkgeschwindigkeiten an den unterschiedlichen Gebäudeecken angesehen. Nach den Messungen der Beklagten an den Messpunkten 812-814 (Bl. 64, 356 des Verwaltungsvorgangs) gab es unterschiedliche Senkgeschwindigkeiten. Dass die Bodenbewegungen im Bereich des klägerischen Grundstücks - im Verhältnis zu den östlichen Nachbargrundstücken - bislang verhältnismäßig gering sind und an den einzelnen Gebäudeecken auch nur geringfügig divergieren, stellt diese Indizwirkung nicht in Zweifel. War ein Gebäude im Ursprungszustand „komfortabel“ standsicher, so mögen erst substantielle Bodenbewegungen einen Gefahrverdacht begründen; hat sich die Statik des Gebäudes aber gegenüber dem Errichtungszustand bereits zu dessen Nachteil verändert, so kann grundsätzlich auch eine verhältnismäßig geringe Untergrundveränderung gleichsam der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ob das konkret der Fall ist, bedarf dann der Aufklärung. Die fehlende Eignung der Ausführungen des Herrn G., die durch das unstreitige Schadensbild begründeten Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes auszuräumen, hat das Verwaltungsgericht näher begründet. Es hat sich insbesondere darauf gestützt, dass Herr G. nicht dargelegt habe, durch wen und auf welche Weise eine „komplette fachgerechte Risssanierung“ erfolgt sei, dass er keine Angaben zum Zustand des Dachgeschosses gemacht und nicht erklärt habe, wie die Stürze, in denen Steine fehlten, eine Klemmwirkung entfalten könnten, ferner darauf, dass den gesetzten Gipsmarken nur begrenzte Aussagekraft zukomme, da sie nicht an allen erforderlichen Punkten gesetzt worden seien. Der Widerspruchsbescheid, auf dessen Begründung das Verwaltungsgericht ebenfalls Bezug nimmt, stützt sich zusätzlich u.a. darauf, dass unbekannt sei, ob die Schiefstellung des Gebäudes zugenommen habe; hierdurch hätten sich Zwangsspannungen aufgebaut haben können, deren ruckartige Freisetzung zu einer schlagartigen Vergrößerung der Risse führen könnte. Diese Erwägungen sind mit der bloßen Aufzählung der Stellungnahmen des Herrn G. und der Behauptung, die Fragen des Beklagten seien beantwortet worden, nicht - wie es zur Darlegung ernstlicher Zweifel erforderlich wäre - mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Angesichts der somit verbleibenden Zweifel an der Aussagekraft der Einschätzungen des Herrn G. vom 8.4.2012 und 29.5.2012 - die Einschätzung vom 15.7.2012 lag zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch nicht vor - bestand für den Beklagten auch kein Anlass, diese der Firma H. vor Erlass des Ausgangsbescheides zur Kenntnis zu geben. Die Einschätzung der Firma H. war im Übrigen nach der Begründung von Bescheid und Widerspruchsbescheid nicht ausschlaggebend für das bauaufsichtliche Einschreiten des Beklagten. Sie trug indes auch nichts dazu bei, den aufgrund der im Bescheid und Widerspruchsbescheid aufgeführten objektiven Anhaltspunkte bestehenden Gefahrverdacht zu entkräften. Die darin enthaltene Aussage, ein Versagen des Gebäudes scheine, auch unter Berücksichtigung des nach außen sichtbaren Schadensbildes „nicht wahrscheinlich“, steht dem nicht entgegen. Die Empfehlung einer gutachterlichen Stellungnahme zur Standsicherheit zeigt, dass der Sachverständige ein Versagen zumindest für möglich hält.

Angesichts der vom Verwaltungsgericht zutreffend hervorgehobenen Wertigkeit der in einem solchen Fall bedrohten Rechtsgüter war die Gefahrenschwelle hier schon bei einer geringen Wahrscheinlichkeit des Einsturzes überschritten.

c) Ernstliche Zweifel bestehen nicht an der Eignung des zur Gefahrerforschung hier gewählten Mittels des rechnerischen Standsicherheitsnachweises. Dem Einwand des Klägers und des Herrn G., ein rechnerischer Standsicherheitsnachweis für einen Altbau beruhe - jedenfalls wenn er, wie hier im Rahmen der Ersatzvornahme, ohne minutiöse, unverhältnismäßige Untersuchung der Bauweise erstellt werde - auf zu vielen Spekulationen zu statisch relevanten Prämissen, als dass er mit hinreichender Verlässlichkeit Aufschluss über das Einsturzrisiko eines Gebäudes geben könne, folgt der Senat nicht. Gerade die auch vom Kläger herangezogenen Ausführungen auf S. 22 ff. des Gutachtens vom 21.12.2012 zeigen, dass sich fehlende Detailinformationen überzeugend durch Erfahrungswerte über die in der Errichtungszeit des Gebäudes üblichen und vorgeschriebenen Bautechniken und notfalls über „auf der sicheren Seite liegende“ Annahmen ergänzen lassen. Auch der Kläger hat nicht konkret dargelegt, welche der in dem Gutachten aufgeführten Prämissen er als unrealistisch bzw. zu vage ansieht und welche Folgen eine ebenso realistische oder realitätsnähere Annahme für die Statik des Gebäudes gehabt hätte. Die bloße Behauptung, ein Rechenmodell, das mit nicht nachgewiesenen Annahmen arbeite, habe keine Aussagekraft, vermag eine solche Substantiierung nicht zu ersetzen.

Soweit der Kläger ernstliche Zweifel mit der sinngemäß vorgetragenen Einlassung geltend zu machen versucht, eine ohne Berechnung vorgenommene Einschätzung der Standfestigkeit habe zumindest dieselbe Aussagekraft wie ein rechnerischer Standsicherheitsnachweis, stellt er die Annahmen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Dafür wäre es erforderlich gewesen, zumindest darzulegen, welches andere - über eine bloße Sichtprüfung hinausgehende - Verfahren hierfür hätte gewählt werden können und welche Vorzüge dieses gehabt hätte. Hinsichtlich der von Herrn Reineke vorgenommenen Einschätzung gilt das oben unter b) Ausgeführte.

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst. Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,

ob bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts Gefahrerforschungsmaßnahmen gegenüber einem etwaigen Störer gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO a.F. (§ 79 Abs. 1 Satz 1 NBAuO n.F.) angeordnet werden dürfen oder ob bei einem Gefahrenverdacht die Bauaufsichtsbehörde zunächst verpflichtet ist, den Sachverhalt selbst von Amts wegen gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG zu ermitteln, um sodann, sollte eine konkrete Gefahr im Zuge der Amtsermittlungen festgestellt worden sein, Gefahrabwehrmaßnahmen anzuordnen“,

ist in der Rechtsprechung des Senats in dem oben unter 1. a) dargestellten Sinn geklärt. Nach dem Senatsbeschl. v. 22.9.2000 - 1 L 868/00 - (n.v.; vgl. auch Senatbeschluss v. 26.1.2012 - 1 ME 243/11 -, n.v.) steht der Anordnung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO, einen Standsicherheitsnachweis vorzulegen, nicht entgegen, dass die Behörde gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt. Diese Pflicht bezieht sich nur auf die Frage, ob eine Gefahr im Sinne der Ermächtigungsgrundlage des § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO vorliegt. Hingegen kann die Behörde von einer Ermittlung auf eigene Kosten absehen und als Gefahrenabwehrmaßnahme (im weiteren Sinne) gestützt auf diese Ermächtigungsgrundlage verantwortlichen Personen aufgeben, zur Vorbereitung der eigentlichen Gefahrenabwehrmaßnahme (im engeren Sinne) den Umfang der bestehenden Gefahr zu ermitteln.

Ein Widerspruch baulicher Anlagen zum öffentlichen Baurecht ist mithin nicht erst dann im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO a.F./ 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO n.F. zu besorgen, wenn die fehlende Standsicherheit eines Gebäudes erwiesen ist, sondern bereits dann, wenn hinreichende Indizien für ihren Wegfall sprechen. Ob solche Indizien vorliegen, ist Frage des Einzelfalls und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

3. Ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, liegt nicht vor.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht seinen Vortrag, die Senkungen auf seinem Grundstück seien sehr gering und zudem äußerst gleichmäßig, nicht zur Kenntnis genommen hätte. Das Verwaltungsgericht hat als ein Indiz unter mehreren für die Annahme eines Gefahrverdachts „die Lage im Senkungsgebiet mit unterschiedlichen Senkgeschwindigkeiten an den verschiedenen Gebäudeecken“ herangezogen. Dass die Senkgeschwindigkeit - entgegen dem Vortrag des Klägers - hoch sei, hat das Verwaltungsgericht nicht angenommen und musste dies auch nicht. Dass die Senkgeschwindigkeiten an verschiedenen Gebäudeecken unterschiedlich sind, ergibt sich aus den vom Kläger selbst zitierten Darstellungen Bl. 356, aber auch Bl. 64 des Verwaltungsvorgangs (Vergleich der Messpunkte 812-814). Vom Verwaltungsgericht zu verlangen, sich gesondert mit der Frage zu beschäftigen, ob angesichts dessen die wertende Bezeichnung dieses Vorgangs als „äußerst gleichmäßige Setzungen“ durch den Kläger noch angemessen war, würde die Anforderungen an das rechtliche Gehör überspannen. Auch der angefochtene Bescheid, auf den sich das Verwaltungsgericht bezieht, stützt sich lediglich auf die Lage des Grundstücks im Senkungsgebiet, ohne geltend zu machen, es liege in dessen Zentrum.

b) Die Ablehnung der klägerischen Beweisanträge ist nicht zu beanstanden.

Das gilt zunächst für die Beweisanträge Nr. 1 und 3 mit der Begründung, die Beweisfragen seien Rechtsfragen. Die Beweisfrage Nr. 1, ob unter Berücksichtigung bestimmter Umstände, die Standsicherheit des Gebäudes nachgewiesen sei, erfordert - sofern sie, was anzunehmen ist, das Vorliegen eines Gefahrverdachts klären sollte - unter anderem eine Antwort auf die Frage, welches vor einem bauaufsichtlichen Einschreiten in Kauf zu nehmende Restrisiko der Begriff der Standsicherheit bzw. des Nachgewiesenseins der Standsicherheit einschließt. Diese Frage kann nur unter Bewertung der im Falle eines Einsturzes bedrohten Schutzgüter rechtlich wertend ermittelt werden. Gleiches gilt für die Beweisfrage Nr. 3, ob als Gefahrenabwehrmaßnahme die Beobachtung des Wohnhauses durch Gipsmarken und Rissmonitore ausgereicht hätte.

Ebenfalls keinen Bedenken begegnet die Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 zur Frage, ob zum Nachweis der Standsicherheit ein rechnerischer Nachweis geeignet sei und durch das streitgegenständliche Gutachten der H. erbracht wurde, mit der Begründung, der Einzelrichter sehe die Eignung des Nachweises durch die Ausführung des Sachverständigen I. vom 7.4.2014 (Bl. 170 der Gerichtsakte) als erwiesen an. Nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 Abs. 1, 412 ZPO braucht ein Gericht, dem bereits ein gerichtliches oder behördliches (vgl. z.B. Beschl. v. 25.3.2009 - 4 B 63/08 -, BRS 74 Nr. 196 = juris Rn. 24; Beschl. v. 23.8.2006 - 4 A 1067/06 -, juris Rn. 6) Sachverständigengutachten vorliegt, ein weiteres Gutachten nur nach pflichtgemäßem Ermessen einzuholen. Aus den unter 1 c) genannten Gründen war die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, darauf hier zu verzichten, frei von Ermessensfehlern.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).