Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.03.2017, Az.: 5 Sa 693/16 E

Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz als Anspruchsgrundlage; Auslegung des Antragsrechts einer Tarifvorschrift

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
16.03.2017
Aktenzeichen
5 Sa 693/16 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 51701
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 18.10.2018 - AZ: 6 AZR 300/17

Fundstelle

  • öAT 2017, 171

Redaktioneller Leitsatz

1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung, gleichzubehandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung.

2. Räumt eine Tarifvorschrift - hier § 29a Abs. 3 TVÜ-L - dem Beschäftigten ein Antragsrecht bezüglich seiner Eingruppierung ein, ist durch Tarifauslegung zu ermitteln, welche Anforderungen dieser Antrag erfüllen muss. Im Falle des § 29a Abs. 3 TVÜ-L wird das Antragsrecht für die Fälle eingeräumt, in denen die neue Entgeltordnung im Gegensatz zur vorläufgen Eingruppierung zu einer höheren Eingruppierung führen würde. Macht der Beschäftigte indessen geltend, schon in der Vergangenheit hätte ihm nach dem früheren System des BAT eine höhere Entgeltgruppe zuerkannt werden müssen, ist dies kein Antrag i.S. der neuen Übergangsregelung des § 29a Abs. 3 TVÜ-L.

In dem Rechtsstreit
- Kläger, Berufungskläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- beklagtes, berufungsbeklagtes und berufungsklagendes Land -
Prozessbevollmächtigte:
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki sowie die ehrenamtliche Richterin Frau Bode und die ehrenamtliche Richterin Frau Bruns als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 01.06.2016 - 13 Ca 380/15 E - wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das beklagte Land dem Kläger, beginnend mit dem 01.12.2013, die Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 Stufe 5 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den jeweiligen Bruttodifferenzbetrag zur abgerechneten Monatsbruttovergütung zu zahlen hat.

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 7.313,13 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 3.767,00 € brutto seit dem 01.01.2013 sowie auf 3.545,37 € brutto seit dem 01.01.2014 zu zahlen hat.

Die Berufung des beklagten Landes wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es in Ziffer 1 des Urteilstenors "Arbeitnehmerbrutto" anstatt "netto" lauten muss.

Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers sowie um Rückforderungsansprüche des beklagten Landes.

Der Kläger ist beim beklagten Land seit dem 01.04.2002 Arbeitnehmer und wird ab dem 01.11.2003 als Bausachverständiger beschäftigt. Seine Hauptaufgabe besteht zu 75 % seiner Arbeitszeit darin, den Verkehrswert von bebauten und unbebauten Grundstücken nach dem Baugesetzbuch für steuerliche Zwecke in allen Steuerarten zu ermitteln. Dies entspricht der als Anlage K 13 vom Kläger zum Schriftsatz vom 27.11.2015 vorgelegten Tätigkeitsbeschreibung des beklagten Landes, auf die zur weiteren Darstellung verwiesen wird (Bl. 103 bis 105 d. A.). Es besteht zwischen den Parteien eine Meinungsverschiedenheit, ob diese Hauptaufgabe der Verkehrswertermittlung ein Arbeitsvorgang im Rechtssinne darstellt und wie er zu bewerten ist.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung Anwendung.

Ursprünglich erhielt der Kläger Vergütung nach der Vergütungsgruppe BAT IV b, Fallgruppe 21. Ab dem 01.11.2003 erhielt er Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT, wobei das beklagte Land ihm mitteilte, seine Tätigkeit entspreche den Merkmalen dieser Vergütungsgruppe, Fallgruppe 10 Teil 1 der Anlage 1 a zum BAT. Zum 01.11.2006 erhielt er aufgrund der Überleitung in den TV-L Vergütung nach der Vergütungsgruppe E 11.

Zum 02.01.2012 trat die neue Entgeltordnung zum TV-L in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger Vergütung nach der Vergütungsgruppe E 11 Stufe 4. Ohne Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung hätte der Kläger aufgrund der vorherigen Regelungen des TV-L die Stufe 5 zum 01.01.2013 erhalten müssen.

Die Tätigkeit des Klägers hat sich erkennbar im Verlauf der gesamten Zeit nicht geändert.

Mit Schreiben vom 13.06.2012 beantragte der Kläger, ihm Bewährungsaufstieg zum 01.01. 2012 zuteilwerden zu lassen. Es wird auf sein Schreiben vom 13.06.2012, Anlage K 12 zu seinem Schriftsatz vom 29.10.2015, Bl. 81 d. A., verwiesen.

Ferner beantragte er mit Schreiben vom 15.06.2012 die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 12 TV-L. In diesem Schreiben wies er auf die neue Entgeltordnung hin und darauf, dass die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung unter Beibehaltung der Entwicklungsstufe gegeben seien.

Das beklagte Land beschäftigt ca. 30 Arbeitnehmer, die ebenfalls als Bausachverständige tätig sind. Von diesen haben etwa 21 einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt.

Die Anträge nahm das beklagte Land zum Anlass, bei allen Bausachverständigen die Eingruppierung zu überprüfen. Diese Überprüfung führte zu einem Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 13.06.2014 mit folgendem Ergebnis:

- Sachverständige, die bisher noch keinen Antrag auf Höhergruppierung gestellt haben, sind rückwirkend zum 01.12.2013 in die Entgeltgruppe 12 einzugruppieren.

- Sachverständige, die im Jahr 2012 einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt haben, sind rückwirkend zum 01.01.2012 in die Entgeltgruppe 12 einzugruppieren.

- Sachverständige, die im Jahr 2014 einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt haben, sind 6 Monate rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung in die Entgeltgruppe 12 einzugruppieren.

- Sachverständige, die zukünftig eingestellt werden, sind in Entgeltgruppe 11 einzugruppieren, sofern nicht eine andere Eingruppierung maßgeblich ist.

Die Umsetzung dieses Erlasses führte dazu, die Sachverständigen der ersten Fallgruppe (kein Antrag auf Höhergruppierung) unter Beibehaltung der bisherigen Entwicklungsstufe in die Entgeltgruppe 12 einzugruppieren, wohingegen die Sachverständigen der zweiten Fallgruppe (Antrag auf Höhergruppierung im Jahr 2012) bezüglich der Entwicklungsstufe nach § 29 a Abs. 3 TVÜ-L unter Berücksichtigung des § 17 Abs. 4 TV-L u. U. eine geringere Entwicklungsstufe zuerkannt erhielten. Das beklagte Land hat bei allen Bausachverständigen keine detaillierte Tätigkeitsanalyse vorgenommen und behält sich diese vor, möglicherweise mit dem Ergebnis, dass Rückgruppierungsklagen vorzunehmen sein werden.

Mit Schreiben vom 28.11.2014 beantwortete das beklagte Land die Anträge des Klägers vom 13.06.2012 und 15.06.2012. Es teilte ihm mit, ihn rückwirkend zum 01.01.2012 in die Entgeltgruppe 12 einzugruppieren, allerdings unter Herabsetzung der Stufenzuordnung, nunmehr nach Stufe 3. Ferner teilte es mit, das Gehalt neu festzusetzen. Aufgrund der Neubewertung habe sich der Antrag des Klägers nach § 29 a TVÜ-L erledigt.

Dennoch erhielt der Kläger in der Folgezeit zunächst seine höhere Vergütung weiter, was das beklagte Land weder schriftsätzlich noch im Termin zur Berufungsverhandlung erklärt hat bzw. erklären konnte.

Mit Schreiben vom 28.05.2015 bezifferte das beklagte Land den aus seiner Sicht überzahlten Betrag in Höhe von 15.528,25 € für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 31.03.2015. Es kündigte an, den überzahlten Betrag zukünftig, beginnend mit Juni 2015, im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen einzubehalten, erklärte insoweit die Aufrechnung und handelte seiner Ankündigung entsprechend.

Der Kläger hat mit seiner Klage die Feststellung der Entgeltgruppestufe 5 begehrt sowie die Feststellung, dass dem beklagten Land kein Rückforderungsanspruch zusteht, er hat die aufgrund der Rückforderung einbehaltenen Beträge beziffert eingeklagt und den bestandsgeschützten Bewährungsaufstieg als Zahlungsanspruch geltend gemacht.

Er hat die Auffassung vertreten, er sei bereits in der Vergangenheit falsch eingruppiert gewesen und es hätten die Tätigkeitsvoraussetzungen der Vergütungsgruppe III Fallgruppe 2 BAT vorgelegen. Seine Tätigkeit habe sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit aus der vom beklagten Land zuerkannten Vergütungsgruppe BAT IV a Fallgruppe 10 herausgehoben. Denn die Bewertung des unstreitigen 75 %-Anteils seiner Tätigkeit im Rahmen der Verkehrswertermittlung sei ein einziger großer, einheitlich zu bewertender Arbeitsvorgang. Es habe nicht zwischen der Bewertung von unbebauten und bebauten Grundstücken unterschieden werden dürfen, weil zum einen es nicht generell so sei, dass die Bewertung unbebauter Grundstücke einfacher sei als die Bewertung bebauter Grundstücke und zum anderen die Arbeitsaufträge ohne Rücksicht darauf vergeben würden, ob ein Grundstück bebaut oder unbebaut sei. Dies sei bei Vergabe der Arbeitsaufträge nicht bekannt.

Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Stufe 5 aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz geltend gemacht, und sich insoweit auf den Erlass des beklagten Landes vom 13.06.2014, welcher generell die Eingruppierung von Bausachverständigen im C. regelt, bezogen.

Er hat die Auffassung vertreten, es liege eine sachwidrige Differenzierung zwischen Bausachverständigen, die einen Antrag gestellt und solchen, die keinen Antrag gestellt hätten, vor. Hierbei müsse zum einen berücksichtigt werden, dass sein am 15.06.2012 gestellter Antrag kein besonderer Antrag im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L sei, sondern nur ein allgemeiner Antrag, den das beklagte Land auch gar nicht als besonderen Antrag behandelt habe. Zum anderen habe die gesamte Vorgehensweise des beklagten Landes im Rahmen der Überprüfung der Bausachverständigen gezeigt, dass vorliegend eine übertarifliche Vergütung gewährt werde. Denn die Zuerkennung der Entgeltgruppe 12 sei ohne besondere Veranlassung unter Verkennung des Überleitungstarifvertrages tarifvertragswidrig erfolgt.

Bezüglich des Rückforderungsanspruches hat sich der Kläger auch auf den Verfall nach der Ausschlussfrist des Tarifvertrages berufen. Soweit es um die einbehaltenen Vergütungsbestandteile geht, die das beklagte Land in Höhe von 2.902,85 € (in dem Zeitraum von Juni 2015 bis April 2016) einbehalten hat, begehrt er die Auszahlung. Für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 30.11.2013 hat er die Zahlung der Differenz der Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV a zur Vergütungsgruppe III BAT aufgrund des Gewinns begehrt, der ihm aufgrund des bestandschutzgeschützten Bewährungsaufstieges nach § 8 Abs. 3 TVÜ-L in der Fassung vom 28.03.2015 zugestanden habe.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land ihm, beginnend mit dem 01.12.2013, die Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 Stufe 5 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den jeweiligen Bruttodifferenzbetrag zur abgerechneten Monatsbruttovergütung zu zahlen hat.

2. Es wird festgestellt, dass dem beklagten Land ihm gegenüber kein Rückforderungsanspruch in Höhe von € 12.625,40 netto Stand 01. Mai 2016 zusteht.

3. Das beklagte Land wird verurteilt, ihm € 2.902,85 netto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich auf den jeweiligen Basiszinssatz

auf € 476,37 netto seit dem 01.10.2015,

auf € 230,84 netto seit dem 01.11.2015,

auf € 1.125,58 netto seit dem 01.12.2015,

auf € 239,58 netto seit dem 01.01.2016,

auf € 256,77 netto seit dem 01.02.2016,

auf € 256,77 netto seit dem 01.03.2016,

auf € 256,24 netto seit dem 01.04.2016,

auf € 60,70 netto seit dem 01.05.2016

zu zahlen.

4. Das beklagte Land zu verurteilen, ihm € 7.313,13 brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf € 3.767,77 brutto seit dem 01.01.2013 sowie auf € 3.545,37 brutto seit dem 01.01.2014 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat sein Verhalten als zutreffend dargestellt. Insbesondere habe es mit dem Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums die tarifliche Lage widergespiegelt. Es sei nicht zu beanstanden, Bausachverständige, die einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt hätten, anders zu behandeln, als solche, die diesen Antrag nicht gestellt hätten. Darüber hinaus hat es die Auffassung vertreten, zur Rückforderung von 12.625,40 € brutto, unter Berücksichtigung der einbehaltenen Beträge, berechtigt gewesen zu sein. Eine Geltendmachung habe bereits mit Schreiben von 28.11.2014 vorgelegen.

Ergänzend wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Seiten 2 bis 10 desselben, Bl. 269 R bis 273 R d. A.) verwiesen.

Mit Urteil vom 01.06.2016 hat das Arbeitsgericht dem Klagebegehren im Hinblick auf die negative Feststellungsklage entsprochen und das beklagte Land verurteilt, die einbehaltenen Beträge auszuzahlen, und im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der Tenorierung wird auf den Urteilstenor des angefochtenen Urteils (dort Seiten 1 und 2, Bl. 269 und 269 R d. A.) verwiesen. Zur Begründung hat das Urteil ausgeführt, dem beklagten Land stünden deswegen keine Rückzahlungsansprüche zu, weil es versäumt habe, die Ausschlussfrist des Tarifvertrages einzuhalten. Deswegen sei die negative Feststellungsklage begründet und das beklagte Land habe zu Unrecht die Aufrechnung mit angeblich überzahlten Vergütungsbestandteilen erklärt und diese einbehalten. Soweit es um die Klagabweisung im Übrigen geht, hat es die Auffassung vertreten, eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei nicht ersichtlich und im Übrigen seien die Ansprüche nicht substantiiert dargelegt worden.

Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (dort Seiten 10 bis 14, Bl. 273 R bis 275 R d. A.) verwiesen.

Dieses Urteil ist den Parteien am 27.06.2016 zugestellt worden. Der Kläger hat mit einem am 06.07.2016 und das beklagte Land mit einem am 19.07.2016 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungen der Parteien sind beim Landesarbeitsgericht am 26.09. (Kläger) und am 29.09.2016 (beklagtes Land) eingegangen, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 23.08.2016 die Rechtsmittelbegründungsfrist zugunsten des Klägers bis zum 29.09.2016 und mit einem Beschluss vom 29.08.2016 aufgrund eines am 26.08.2016 eingegangenen Antrages des beklagten Landes ebenfalls bis zum 29.09.2016 verlängert hatte.

Mit ihren Berufungen verfolgen beide Parteien in vollem Umfang jeweils das erstinstanzliche Ziel weiter.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Zuerkennung der Stufe 5 ab dem 01.11.2013 sowie die Auszahlung des Gewinns des bestandsgeschützten Bewährungsaufstieges. Er ist der Auffassung, das beklagte Land habe zu seinen Lasten den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Er hätte so behandelt werden müssen wie ein Bausachverständiger, der keinen Antrag gestellt habe. In diesem Zusammenhang habe das beklagte Land die tarifvertraglichen Vorschriften verletzt, die eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierung verboten hätten. Darüber hinaus sei sein Antrag nicht als besonderer Antrag im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L zu verstehen. Auch habe seine Tätigkeit bereits am 01.01.2004 die Merkmale der Vergütungsgruppe BAT III Fallgruppe 2 erfüllt. Wegen der Zuteilung der Fälle, bei denen sich die Qualität erst im Laufe der Bearbeitung herausstelle, sei die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke ein einheitlicher Arbeitsvorgang.

Der Zahlungsanspruch aus dem nachvollzogenen Bewährungsaufstieg folge unmittelbar aus den einschlägigen tarifvertraglichen Vorschriften.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

festzustellen, dass das beklagte Land ihm, beginnend mit dem 01.12.2013, die Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 Stufe 5 TV-L nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den jeweiligen Bruttodifferenzbetrag zur abgerechneten Bruttomonatsvergütung zu zahlen hat,

und das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 7.313,13 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 3.767,77 € brutto seit dem 01.01.2013 sowie auf 3.545,37 € brutto seit dem 01.01.2014 zu zahlen.

Das beklage Land beantragt,

das am 01.06.2016 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Hannover zu dem Geschäftszeichen 13 Ca 380/15 E abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.

Die Parteien beantragen wechselseitig,

die jeweils gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Mit seiner eigenen Berufung verfolgt das beklagte Land vollumfänglich das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung weiter. Es hätten sich Überzahlungen ergeben, weil die in dem Zeitraum von Januar 2012 bis April 2015 gezahlte Bruttosumme nach der Entgeltgruppe E 11 Stufe 4 bzw. 5 TV-L tatsächlich höher gewesen sei als die zutreffende Vergütung nach der Entgeltgruppe E 12 Stufe 3 TV-L.

Dieser Anspruch sei nicht verfallen. Denn die Eingruppierung im öffentlichen Dienst sei bekanntermaßen ein hoch komplexer und zeitintensiver Vorgang. Ein Rückforderungsanspruch sei keineswegs bereits mit Auszahlung fällig gewesen, vielmehr erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das beklagte Land die Eingruppierung insgesamt überprüft und geklärt habe. Auch sei bereits das Schreiben vom 28.11.2014 eine ausreichende Geltendmachung gewesen.

Soweit es die jeweils gegnerische Berufung anbelangt, verteidigen die Parteien das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlich vertretenen Rechtsstandpunkt. Darüber hinaus erhebt der Kläger hinsichtlich der streitgegenständlichen Rückzahlungsansprüche ausdrücklich die Einrede der Verjährung.

Wegen sämtlicher weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 26.09.2016 und 29.09.2016, 01.11.2016 und 29.11.2016, 07.02.2017 und 15.03.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat in vollem Umfang Erfolg, wohingegen die Berufung des beklagten Landes erfolglos bleiben musste.

A

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Sie sind statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO). Insbesondere hat das beklagte Land fristgerecht am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist diese begründet. Der Antrag auf Verlängerung ist fristgerecht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gestellt worden. Die Bescheidung dieses Antrages außerhalb der Frist ist nach allgemeiner Auffassung unschädlich.

B

Die Berufung des Klägers ist begründet, wohingegen die Berufung des beklagten Landes unbegründet ist.

I.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 Stufe 5 TV-L ab dem 01.12.2013.

1.

Seine Klage ist insoweit als Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Es handelt sich hierbei um eine allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, welche anerkanntermaßen in der Arbeitsgerichtsbarkeit auch bezüglich der Feststellung einer Pflicht zur Verzinsung von Differenzbeträgen zulässig ist (BAG 19. November 2014 - 4 AZR 996/12 - juris; BAG 19. Februar 2003 - 4 AZR 158/02 - juris).

2.

Der Antrag ist auch begründet. Die Zuerkennung folgt aus dem allgemeinen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Kläger hat aufgrund dieser Anspruchsgrundlage einen Anspruch darauf, genauso behandelt zu werden wie Bausachverständige, die keinen Antrag auf Höhergruppierung gestellt haben.

a)

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleichzubehandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (st. Rspr. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 387/11 - Rn. 47; BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 23). Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten oder benachteiligten Arbeitnehmern, muss diese Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen. Dabei kommt es darauf an, ob sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, der einen Arbeitnehmergruppe Leistungen vorzuenthalten, die der anderen Gruppe eingeräumt worden sind. Eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer ist dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung gerade nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist (BAG 13. Dezember 2016 - 9 AZR 606/15 - Rn. 27). Der allgemein anerkannte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gilt all umfassend auch für den Arbeitgeber eines öffentlichen Dienstes. Allerdings greift der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers nur dort ein, wo dieser durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk bzw. eigene Ordnung schafft, nicht hingegen bei bloßem - auch vermeintlichem - Normenvollzug (BAG 12. Dezember 2012 - 10 AZR 718/11 - Rn. 44).

b)

Gemessen an vorstehenden Grundsätzen hat das beklagte Land gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, indem es auf der Basis des Eingruppierungserlasses vom 13.06.2014, der die Eingruppierung sämtlicher 30 Bausachverständigen im Lande Niedersachsen regelte, allen Bausachverständigen, die keinen Antrag auf Höhergruppierung gestellt haben, rückwirkend zum 01.12.2013 die Entgeltgruppe 12 unter Beibehaltung der bisherigen Stufe zuerkannt und den Kläger hiervon ausgenommen hat.

aa)

Die Zuerkennung der Entgeltgruppe 12 unter Beibehaltung der bisherigen Stufe rückwirkend zum 01.12.2013 stellt eine übertarifliche Leistung dar. Denn aufgrund der Vorschriften des Überleitungstarifvertrages, insbesondere § 29 a TVÜ-L, hätten diese Bausachverständige keine Vergütung nach der höheren Entgeltgruppe 12 erhalten dürfen.

§ 29 a TVÜ-L lautet wie folgt:

Abs. 1

Für in den TV-L übergeleitete und für zwischen dem 1. November 2006 und 31. Dezember 2011 neu eingestellte Beschäftigte gelten für Eingruppierungen ab dem 1. Januar 2012 die §§ 12, 13 TV-L sowie die Entgeltordnung zum TV-L. Hängt die Eingruppierung nach den §§ 12, 13 TV-L von der Zeit einer Tätigkeit oder Berufsausübung ab, wird die vor dem 1. Januar 2012 zurückgelegte Zeit so berücksichtigt, wie sie zu berücksichtigen wäre, wenn die Entgeltordnung zum TV-L bereits seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses gegolten hätte.

Abs. 2

In den TV-L übergeleitete und ab dem 1. November 2006 neu eingestellte Beschäftigte - deren Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber, der Mitglied der TdL oder eines Mitgliedsverbandes der TdL ist, über den 31. Dezember 2011 hinaus fortbesteht, und - die am 1. Januar 2012 unter den Geltungsbereich des TV-L fallen, sind - jedoch unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit - zum 1. Januar 2012 in die Entgeltordnung zum TV-L übergeleitet; Abs. 3 bleibt unberührt. Soweit an die Tätigkeit in der bisherigen Entgeltgruppe in Abweichung von § 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 TV-L besondere Stufenregelungen nach den Anlagen 2, 4 oder 5 geknüpft waren, gelten diese für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit fort. Soweit an die Tätigkeit in der bisherigen Entgeltgruppe besondere Entgeltbestandteile geknüpft waren und diese in der Entgeltordnung zum TV-L in geringerer Höhe entsprechend vereinbart sind, wird die hieraus am 1. Januar 2012 bestehende Differenz unter den bisherigen Voraussetzungen als Besitzstandszulage solange gezahlt, wie die anspruchsbegründende Tätigkeit unverändert ausgeübt wird und die sonstigen Voraussetzungen für den besonderen Entgeltbestandteil nach bisherigem Recht weiterbestehen; § 9 Abs. 4 bleibt unberührt. Satz 3 gilt entsprechend, wenn besondere Entgeltbestandteile in der Entgeltordnung zum TV-L nicht mehr vereinbart sind.

Protokollerklärung zu § 29 a Abs. 2: Die vorläufige Zuordnung zu der Entgeltgruppe TV-L nach der Anlage 2 oder 4 gilt als Eingruppierung. Eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierung findet aufgrund der Überleitung in die Entgeltordnung zum TV-L nicht statt.

Abs. 3

Ergibt sich in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 nach der Entgeltordnung zum TV-L eine höhere Entgeltgruppe, sind die Beschäftigten auf Antrag in die Entgeltgruppe eingruppiert, die sich nach § 12 TV-L ergibt. Die Stufenzuordnung in der höheren Entgeltgruppe richtet sich nach den Regelungen für Höhergruppierungen (§ 17 Abs. 4 TV-L). ...

Die Systematik der Überleitungsvorschrift unter besonderer Berücksichtigung der Protokollerklärung zu § 29 a Abs. 2 zeigt Folgendes ganz deutlich: Nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien hätten die Eingruppierungen der Arbeitnehmer, die in den TV-L übergeleitet worden waren, auch auf der Grundlage der neuen Entgeltordnung erhalten bleiben müssen. Eine Änderung der Eingruppierung hat aufgrund der Protokollnotiz nicht stattzufinden, eine Ausnahme stellt der Abs. 3 dieser Regelung dar.

Durch die Zuerkennung der Entgeltgruppe 12 der neuen Entgeltordnung für alle Bausachverständigen liegt eine übertarifliche Leistung seitens des beklagten Landes vor, jedenfalls soweit diese Bausachverständigen nicht den Antrag im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L gestellt haben.

bb)

Diese übertarifliche Leistungsgewährung ist nicht schlichter Normenvollzug. Dem gesamten Prozessvorbringen ist zu entnehmen, dass das beklagte Land in Kenntnis der tarifvertraglichen Vorschriften und nach besonders sorgfältiger Prüfung, die im konkreten Einzelfall sogar annähernd zwei Jahre gedauert hat, sich entschlossen hat, flächendeckend das Problem der Eingruppierung der Bausachverständigen zu lösen. Diese Praxis interpretiert das Landesarbeitsgericht als ein bewusstes Abweichen von den tarifvertraglichen Vorgaben, zumal im Folgenden das beklagte Land einräumen musste und dies unstreitig geworden ist, dass die Tätigkeiten der Bausachverständigen nicht im Einzelnen überprüft worden ist. Aus diesem Grunde hat sich das beklagte Land korrigierende Rückgruppierungen (Rückgruppierungsklagen, so der Schriftsatz des beklagten Landes vom 15.03.2017) vorbehalten.

Wenn auch im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass die Umsetzung tariflicher Vorgaben Normenvollzug ist und damit dem Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes entzogen ist, so ist hier von diesem Grundsatz einzelfallbezogen wegen der Besonderheiten eine Ausnahme zu machen: Die lange Zeitdauer der Prüfung, die Generalisierung der Handhabungsweise ohne genaue Prüfung des Einzelfalles sind zwingende Indizien für eine bewusste übertarifliche Leistungsgewährung.

Abgesehen davon: Die Berufungskammer ist unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles, die für sich genommen tragend sind, der Auffassung, dass das allgemein angenommene Regel-Ausnahmeverhältnis (im Allgemeinen ist davon auszugehen, eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes wolle nur den Tarifvertrag vollziehen und keine übertarifliche Leistung gewähren) nicht mehr zeitgemäß ist, vielmehr eine unberechtigte Sonderstellung und Privilegierung des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst darstellt. Ganz allgemein gilt: Die sehr weitgehende Sonderrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugunsten des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst ist nicht mehr zeitgemäß (LAG Niedersachsen, 09. Juli 2015 - 5 Sa 1434/14 E, Rn. 50).

cc)

Der Kläger ist gleichheitswidrig ohne Sachgrund von der Zuerkennung übertariflicher Leistungen ausgenommen worden. In diesem Zusammenhang ist dem beklagten Land sicherlich zuzuerkennen, dass der Antrag eines Arbeitnehmers im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L nach dem Wortlaut und der Tarifautomatik unter Hinweis auf § 17 Abs. 4 TV-L zur Stufenreduzierung und zur Zuerkennung der niedrigeren Stufe 3 im Falle des Klägers führt.

Allerdings hält die Berufungskammer diese Argumentation aus zwei Gründen nicht für sachgerecht: Zum einen ist es von vornherein nicht sachgerecht, gegenüber dem Kläger die Tarifautomatik anzuwenden, die einerseits sicherlich zu einer höheren Entgeltgruppe (Entgeltgruppe 12 der neuen Entgeltordnung) führt, allerdings durch Herabsetzung der Stufe konkret sein Entgelt verringert, wohingegen Bausachverständige, die keinen Antrag gestellt haben, entgegen Wortlaut und Systematik des § 29 a TVÜ-L in den Genuss einer tarifvertraglich nicht vorgesehenen Höhergruppierung gekommen sind.

Zum anderen teilt die Berufungskammer auch die Argumentation des Klägers, derzufolge ein Antrag seinerseits nach § 29 a Abs. 3 TVÜ-L im konkreten Einzelfall nicht vorliegt.

Denn die Auslegung dieser tarifvertraglichen Vorschrift ergibt, dass ein Antrag im Sinne dieser Norm nur vorliegt, wenn der Arbeitnehmer mit diesem Antrag geltend macht, gerade aufgrund der Änderung der tarifvertraglichen Vorschriften einen Anspruch auf höhere Eingruppierung zu haben.

(1)

Nach ständiger und allgemein anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften.

Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.

Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 21. August 2003 - 8 AZR 430/02 - AP Nr. 185 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG 22. Oktober 2003 - 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176 - 184; BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 878/06 - juris).

(2)

Sicherlich spricht der Wortlaut zugunsten des beklagten Landes. Dieser Wortlaut legt nahe, dass es auf den Inhalt des Antrages nicht ankommt.

Der Sinn und Zweck der Tarifnorm ist jedoch ein anderer: Abs. 3 dieser Tarifnorm will erkennbar von dem in den vorigen Absätzen festgelegten Prinzip der Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe abweichen. Eine Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe ist allerdings nur dann gegeben, wenn die zuvor zuerkannte Vergütung den tatsächlichen tariflichen Gegebenheiten entsprach. Deshalb ist ein Antrag im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L kein Antrag, mit dem ein Arbeitnehmer geltend macht, seine bisherige Vergütung sei bereits nach dem alten Überleitungssystem fehlerhaft. § 29 a Abs. 3 TVÜ-L räumt das Antragsrecht gerade für Fälle ein, in denen die neue EntgeltO im Gegensatz zur vorläufigen Eingruppierung im Jahr 2006 zu einer höheren Eingruppierung führen würde (LAG Nürnberg 05. August 2015 - 2 Sa 21/15 - Juris, Rn 103).

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Antrag im Sinne des § 29 a Abs. 3 TVÜ-L gestellt. Denn zum einen hat er geltend gemacht, die bisherige Entwicklungsstufe müsse beibehalten werden, und darüber hinaus - entscheidend - hat er im drittletzten Antrag begründet, aus welchen Gründen seine bisherige Vergütung tarifvertraglich falsch vom beklagten Land bewertet wurde. Er hat geltend gemacht, dass ihm in der Vergangenheit Eingruppierung nach der Vergütungsgruppe III/2 a BAT Fallgruppe 2 hätte zuerkannt werden müssen.

Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Grund, diesen Antrag des Klägers vom 15.12.2012 nicht als besonderen Antrag nach § 29 a Abs. 3 TVÜ-L zu behandeln: Das beklagte Land hat diesen Antrag nämlich nicht beschieden, vielmehr mit dem Schreiben vom 28.11.2014 erklärt, der Antrag habe sich erledigt.

dd)

Als Rechtsfolge des gleichheitswidrigen Verhaltens hat das beklagte Land dem Kläger die Vergütung zuzuerkennen, die die Bausachverständigen erhalten, die keinen Antrag gestellt haben. Dies ist die Zuerkennung der Entgeltgruppe 12 unter Beibehaltung der Stufe 5 TV-L.

ee)

Auf die Frage der zutreffenden originären Eingruppierung in dem Zeitraum ab dem 01.01.2004 kommt es nicht mehr an. Es kann ausdrücklich auf sich beruhen, ob die in der Arbeitsplatzbeschreibung ausgewiesenen 75 % seiner Arbeitstätigkeit "Verkehrswertermittlung bebauter und unbebauter Grundstücke" ein einheitlicher Arbeitsvorgang ist, der die Höhergruppierungsmerkmale "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" aufweist.

3.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz aus der ursprünglichen Vergütungsgruppe BAT IV a und Vergütungsgruppe III für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 30.11.2013. Dieser Anspruch folgt aus § 8 Abs. 3 TVÜ-L.

a)

Dem Anspruch des Klägers steht nicht bereits seine Höhergruppierung in die höhere Entgeltgruppe E 12 entgegen. Denn diese Höhergruppierung rückwirkend zum 01.01.2012 unter Absenkung der Stufe war tarifvertragswidrig.

Der Kläger hat diesen Anspruch mit Schreiben vom 13.06.2012 rechtzeitig im Sinne der Ausschlussfrist des § 37 TV-L innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht.

Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 TVÜ-L regelt zugunsten des Klägers einen bestandsgeschützten Bewährungsaufstieg und bestimmt die Dauer der Bewährungszeit auf acht Jahre. Diese Bewährungszeit hat der Kläger in dem Zeitraum vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2011 erfüllt. Zum einen hat er sich bewährt, Gegenteiliges ist vom beklagten Land nicht vorgetragen worden, zum anderen ist der 8-Jahres-Zeitraum genau am 31.12.2011 um 24.00 Uhr abgelaufen. Die gesamten Kalenderjahre 2004 bis 2011 zählen für die Ermittlung des 8-Jahres-Zeitraumes, so dass genau acht Jahre zugrunde zu legen sind.

b)

Der Kläger hat seine Ansprüche auch rechnerisch korrekt beziffert.

4.

Der Zinsanspruch folgt aus den Grundsätzen des Schuldnerverzuges.

II.

Die Berufung des beklagten Landes musste erfolglos bleiben.

1.

Die Zuerkennung der Klage in vollem Umfang auf die Berufung des Klägers führt spiegelbildlich zur Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes.

2.

Unabhängig davon hält die Berufungskammer auch die Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes deswegen für richtig, weil das beklagte Land jedenfalls die Ansprüche, soweit es um Rückforderungszeiträume bis einschließlich Oktober 2014 anbelangt, nicht rechtzeitig im Sinne der tarifvertraglichen Ausschlussfrist des § 37 TV-L geltend gemacht hat. Insoweit teilt das Berufungsgericht voll umfänglich die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts, wobei natürlich zu berücksichtigen ist, dass das Schreiben des beklagten Landes vom 28.05.2015 eine ordnungsgemäße Geltendmachung ist.

In diesem Zusammenhang gilt Folgendes: Selbst wenn die Rechtsauffassung des beklagten Landes zutreffend wäre, tarifliche Ansprüche seien so schwierig, dass nicht sofort mit Überzahlung Rückforderungsansprüche fällig würden, dann kann selbst bei Zuerkennung einer großzügigen Frist von einem halben Jahr festgestellt werden, dass spätestens die in 2012 ausgezahlten Beträge zum 01.01.2013 fällig geworden wären. Denn mit Schreiben des Klägers vom 15.06.2012 hatte das beklagte Land Veranlassung, die gesamte Eingruppierungsproblematik zu überprüfen. Der Halbjahreszeitraum war am 31.12.2012 abgelaufen. Die Folgebeträge wären dann jeweils monatlich mit Auszahlung fällig geworden. Zum selben Ergebnis gelangt man auch, wenn man den Prüfungszeitraum noch etwas großzügiger bemisst.

In diesem Zusammenhang teilt das Berufungsgericht voll umfänglich die Auffassung des Arbeitsgerichtes, dass sämtliche Schreiben vor dem 28.05.2014 keine ordnungsgemäßen Geltendmachungsschreiben gewesen sind.

Soweit es schließlich den Zeitraum von November 2014 bis Mai 2015 anbelangt, liegt ein klarer Fall des § 814 BGB vor. Das beklagte Land wusste mit Abfassung des Schreibens vom 28.11.2014, dass dem Kläger die Differenzzahlungen nicht mehr zustehen. Es hatte sich entschieden, wie es zukünftig die Vergütung des Klägers gestalten wollte. Die Gründe, aus denen trotzdem der Kläger - aus Sicht des beklagten Landes - die höhere Vergütung weiterhin erhalten hat, konnten nicht genau geklärt werden.

Die Berufungskammer ist von dem Tatbestand des § 814 BGB, insbesondere von einer bewussten Überzahlung, in vollem Umfang überzeugt.

3.

Das beklagte Land hat sich auf eine Bruttoüberzahlung berufen. Dies war in der Tenorierung des bestätigenden Urteils klarzustellen.

C

Gemäß § 91 Abs. 1 ZPO hat das beklagte Land als vollständig unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

D

Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

Kubicki
Bode
Bruns