Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2017, Az.: 5 Sa 912/16

Zulässigkeit der Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
26.01.2017
Aktenzeichen
5 Sa 912/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
[keine Angabe]
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2017:0126.5SA912.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 23.06.2016 - AZ: 2 Ca 17/16

Fundstelle

  • AuA 2017, 434-435

Amtlicher Leitsatz

Eine außerordentliche Kündigung kann dann nicht gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn hierzu die Mitarbeitervertretung weder angehört wurde noch der außerordentlichen Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat. Es gelten die gleichen Grundsätze wie zu § 102 BetrVG ergangen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 23.06.2016 - 2 Ca 17/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.12.2015 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2016 aufgelöst worden ist.

Die 1972 geborene Klägerin ist seit November 1999 im Altenpflegeheim M. tätig, welches mittlerweile von der Beklagten betrieben wird. Die in der Küche des Altenpflegeheims tätige Klägerin hat zuletzt 1.715,00 € brutto monatlich verdient. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden gemäß § 2 des Arbeitsvertrages die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutsches Caritasverbandes (nachfolgend: AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung.

Die Beklagte beschäftigte in ihrer Betriebsstätte, dem Altenpflegeheim M., insgesamt 88 Arbeitnehmer. Es besteht eine Mitarbeitervertretung.

Am 17.11.2015 traf der Geschäftsführer der Beklagten die Entscheidung, die Küche des Altenpflegeheims mit Wirkung zum 30.06.2016 zu schließen, und beauftragte den Personalleiter, alle notwendigen Maßnahmen zur Schließung der Küche und zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse im Bereich der Küche durchzuführen. Im Folgenden sprach die Beklagte gegenüber sämtlichen Mitarbeitern der Küche, insgesamt 18 Arbeitnehmern, eine Kündigung aus.

Mit Schreiben vom 07.12.2015 hörte die Beklagte die Mitarbeitervertretung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des zur Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2016 an. Mit Schreiben vom 14.12.2015 widersprach die Mitarbeitervertretung.

Mit Schreiben vom 15.12.2015 lud die Beklagte die Mitarbeitervertreter zu einer gemeinsamen Sitzung ein. Dieses Schreiben enthielt auf der ersten Seite u. a. folgenden Text:

"Anhörung und Mitberatung gem. §§ 30, 31 MAVO

Kündigung der in der Küche der Einrichtung Altenpflegeheim M. beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter N., R., P., M., B., Y., B., H.-H., Z., D., W., A., K., v. H., H., M., C. und D.

..."

Die Mitarbeitervertretung nahm von den Einwendungen gegenüber verschiedenen zu kündigenden Arbeitnehmern Abstand, nicht jedoch von der Einwendung, die Klägerin betreffend.

Sodann sprach die Beklagte mit Schreiben vom 22.12.2015, der Klägerin am Folgetag zugegangen, eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2016 aus.

Die Klägerin hat sich erstinstanzlich gegen diese Kündigung zur Wehr gesetzt und hilfsweise die Zahlung eines Nachteilsausgleichs begehrt.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Seiten 2 bis 7 desselben, Bl. 98 bis 103 d. A.) verwiesen.

Mit Urteil vom 23.06.2016 hat das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzbegehren stattgegeben. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (dort Seiten 7 bis 10 desselben, Bl. 103 bis 106 d. A.) verwiesen.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 18.07.2016 zugestellt worden. Mit einem am 17.08.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und diese mit einem am 17.10.2016 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14.09.2016 die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum 19.10.2016 verlängert hatte.

Die Klägerin wird aufgrund des erstinstanzlichen Urteils auf der Grundlage eines von der Beklagten am 13.07.2016 und von der Klägerin angenommenen Prozessbeschäftigungsvertrages vorläufig weiterbeschäftigt. Inzwischen bereiten Fremdfirmen das Essen zu, liefern es an, portionieren es und verteilen es auf die Tabletts. Die weitere Verteilung gegenüber den Bewohnern wird nach wie vor durch die Pflegekräfte erledigt. Die Klägerin ist in diesen Ablauf integriert, weil sie vorläufig weiterbeschäftigt wird. Sie arbeitet mit den Arbeitnehmern der Fremdfirma, der Firma O., zusammen. Die Klägerin und die ebenfalls vorläufig weiterbeschäftigte Kollegin, die Klägerin des Parallelverfahrens zum Aktenzeichen 5 Sa 913/16, sind die einzigen Küchenkräfte, die noch für die Beklagte tätig sind.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte in vollem Umfang das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie vertritt die Auffassung, das angefochtene Urteil habe fehlerhaft nicht die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in eine ordentliche Kündigung mit gleicher Kündigungsfrist umgedeutet. Insbesondere die Beteiligung der bei ihr bestehenden Mitarbeitervertretung stehe einer Umdeutung nicht entgegen. Denn zum einen seien die zu § 102 BetrVG ergangenen Rechtsgrundsätze deswegen nicht übertragbar, weil die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und der Mitarbeitervertretungsordnung wesentliche Unterschiede aufwiesen. Im Übrigen habe sie genau das gemacht, was auch bei einer ordentlichen Kündigung ihre Pflicht gewesen wäre, nämlich aufgrund des Widerspruches der Mitarbeitervertretung diese zu einer gemeinsamen Sitzung einzuladen. Erst nach Durchführung der Sitzung und bezogen auf die Einleitung der Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach Ablauf der für die ordentliche Kündigung vorgesehenen Wochenfrist habe sie die Kündigung ausgesprochen.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 23.06.2016 - 2 Ca 17/16 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 17.10.2016 und 16.12.2016 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 26.01.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

B

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das angefochtene Urteil die Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung festgestellt. Deswegen fiel der Hilfsantrag nicht mehr zur Entscheidung an.

I.

Das Landesarbeitsgericht macht sich zunächst einmal gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die überzeugenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe zu eigen, verweist auf diese und stellt dies fest.

II.

Der Sach- und Streitstand sowie die Berufungsbegründung veranlassen folgende ergänzende Anmerkungen:

1.

Die außerordentliche Kündigung vom 22.12.2015 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2016 ist rechtsunwirksam, weil gemäß § 16 Abs. 2 AVR ausgeschlossen. Insoweit ist bereits in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils verwiesen worden. Insbesondere ist die Grundvoraussetzung dieses Urteils, nämlich die Feststellung der ordentlichen Unkündbarkeit gemäß § 14 Abs. 5 AVR ebenso zutreffend wie die Feststellung, dass die Beklagte als Ausnahme von der grundsätzlichen Unkündbarkeit eine ordentliche Kündigung gemäß § 15 Abs. 1 AVR hätte aussprechend können. Denn die beabsichtigte Schließung der Küche zum 30.06.2016 mit der Kündigung aller dort tätigen Arbeitnehmer (18 an der Zahl) stellt eine wesentliche Einschränkung gemäß § 15 Abs. 1 lit. a AVR dar, es sind insoweit die Rechtsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts heranzuziehen, die im Rahmen des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ergangen sind. Wesentlich ist eine Einschränkung immer dann, wenn die Staffel des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht wird, was im vorliegenden Streitfall der Fall ist.

2.

Zu Recht hat das angefochtene Urteil eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist in eine ordentliche Kündigung mit gleicher Kündigungsfrist gemäß § 140 BGB an der fehlenden ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung hinsichtlich einer ordentlichen Kündigung gemäß § 30 MAVO scheitern lassen.

a)

Überträgt man die zu § 102 BetrVG ergangenen Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts auf die vorliegende Konstellation der Mitarbeitervertretung, dann erweist sich die Beteiligung der Mitarbeitervertretung als unzureichend und mithin die ordentliche Kündigung als rechtsunwirksam. Denn die Mitarbeitervertretung ist lediglich zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört worden und hat dieser nicht ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.

Das gesamte Beteiligungsverfahren gegenüber der Mitarbeitervertretung bezieht sich ausschließlich auf die Beteiligung vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Die Auslegung des mit der Mitarbeitervertretung geführten Schriftwechsels lässt kein anderes Ergebnis zu. Denn bereits im einleitenden Anhörungsschreiben hat die Beklagte unmissverständlich darauf hingewiesen, dass aufgrund des Lebensalters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit die ordentliche Kündigung gegenüber der Klägerin ausgeschlossen ist und deswegen die außerordentliche Kündigung erklärt werden müsse. Im Folgenden ist dies niemals korrigiert worden. Auch in dem Schreiben der Beklagten vom 15.12.2015 ist nicht von einer (auch) ordentlichen Kündigung die Rede. Zwar ist der § 30 MAVO in der Betreffzeile zitiert, was offensichtlich dem Umstand geschuldet ist, dass sich dieses Schreiben auf sämtliche zu kündigenden 18 Mitarbeiter bezieht, ohne Rücksicht darauf, ob sie ordentlich oder außerordentlich gekündigt werden sollen. Im Übrigen bezieht sich das Schreiben aber ausdrücklich auf das Schreiben vom 07.12.2015 und die dort angekündigte außerordentliche Kündigung.

Das Verfahren ist auch nicht deshalb als ein Verfahren zu einer ordentlichen Kündigung zu bewerten, weil die Beklagte wie beim Verfahren vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung die Mitarbeitervertretung zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen hat. Denn dieses Verhalten betraf, wie bereits hervorgehoben, sämtliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unterschiedslos, unabhängig davon, ob eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung ausgesprochen werden sollte. Mit anderen Worten: Die Mitarbeitervertretung konnte nicht erkennen, dass die Beklagte einen vermeintlichen Fehler korrigieren wollte.

b)

Die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht zu § 102 BetrVG aufgestellt hat, sind auch für den Bereich der Beteiligung der Mitarbeitervertretung gemäß §§ 30, 31 MAVO zu übertragen. Denn die Gründe, die das Bundesarbeitsgericht veranlasst haben, eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung dann scheitern zu lassen, wenn der Betriebsrat nicht auch zu einer ordentlichen Kündigung angehört worden ist oder der außerordentlichen Kündigung nicht vorbehaltlos zugestimmt hat, gelten auch hier. Das Bundesarbeitsgericht (16. März 1978 - 2 AZR 426/76 - Rn. 23) hat zur Begründung seiner Rechtsprechung auf das Widerspruchsrecht des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG und die Rechtsfolge des § 102 Abs. 5 BetrVG abgestellt sowie darauf, dass die Anhörungsfrist nicht beschnitten werden dürfe (BAG 16. März 1978 aaO. Rn. 26).

Diese Erwägungen gelten auch für die Beteiligung der Mitarbeitervertretung und finden in der konkreten Ausgestaltung des Beteiligungsrechts ihre Parallele. Auch bei der Beteiligung der Mitarbeitervertretung gibt es unterschiedliche Fristen je nachdem, ob eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll (dann drei Tage mit der Möglichkeit der Verkürzung auf 48 Stunden) oder aber ob eine ordentliche Kündigung beabsichtigt ist (dann sieben Tage). Wenn auch ein Widerspruchsrecht mit der Rechtsfolge einer vorläufigen Weiterbeschäftigung in § 30 MAVO nicht vorgesehen ist, so hat doch die Erhebung von Einwendungen immerhin zur Rechtsfolge, dass der Dienstgeber verpflichtet wird, die Mitarbeitervertretung zu einer gemeinsamen Sitzung einzuladen, um diese Einwendungen dort mit dem Ziel einer Verständigung zu beraten (§ 30 Abs. 2 MAVO). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung vor Ausspruch der Kündigung ähnlich ausgestaltet sind wie die Beteiligungsrechte des Betriebsrates im Rahmen des § 102 BetrVG. Jedenfalls überwiegen die Gemeinsamkeiten die Unterschiede.

3.

Scheitert die Kündigung bereits an der fehlenden Umdeutungsmöglichkeit aufgrund der fehlenden ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung zur ordentlichen Kündigung, dann kann die Problematik des betriebsbedingten Kündigungsgrundes an sich auf sich beruhen.

C

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

D

Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zuzulassen.