Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.2017, Az.: 10 TaBV 108/16

Unwirksamer Einigungsstellenspruch zur Anordnung von dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufenden Arbeitszeiten

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.12.2017
Aktenzeichen
10 TaBV 108/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 45060
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen - 29.08.2016 - AZ: 3 BV 11/16

Amtlicher Leitsatz

Ein Einigungsstellenspruch, der seinem Wortlaut nach die Anordnung von Arbeitszeiten zulässt, die dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufen, ist unwirksam.

Die Möglichkeit einer Ausübungskontrolle im Einzelfall steht dem nicht entgegen.

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 29. August 2016 - 3 BV 11/16 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Gesundheitswesens und betreibt zwei psychiatrische Fachkliniken. Der Klinikbetrieb teilt sich in den Pflege- und Erziehungsdienst sowie den Maßregelvollzug auf. Die Arbeitgeberin beschäftigt ca. 1.050 Arbeitnehmer, von denen etwa 600 im Schichtdienst arbeiten. Die Aufstellung der Dienst- und Schichtpläne ist in einer inzwischen gekündigten Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 2011 geregelt. Danach müssen die Dienstpläne dem Betriebsrat spätestens sechs Wochen vor Beginn des Planungszeitraumes zur Mitbestimmung vorgelegt werden. Im Betrieb finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes Anwendung. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 38,5 Stunden.

Die Arbeitgeberin möchte die in dem Krankenhaus in den Bereichen KHG, MRV, PED sowie in den Abteilungen Technik und EDV tätigen Arbeitnehmer neben den regulären Schichten ergänzend zur Rufbereitschaft einteilen. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde eine Betriebsvereinbarung (Bl. 33 bis 38 d. A.) auszugsweise folgenden Wortlauts in Kraft gesetzt:

"§ 1 Gegenstand, Geltungsbereich und Zielsetzungen

Diese Betriebsvereinbarung regelt die Durchführung betrieblicher Rufbereitschaften.

...

§ 2 Definition der Rufbereitschaft

Rufbereitschaft leisten Beschäftigte, die sich auf Anordnung der Arbeitgeberin außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer frei gewählten Stelle erreichbar bereithalten, um auf Abruf die Arbeit alsbald aufzunehmen.

§ 3 Rufbereitschaftszeiten

Die genauen Zeiten der erforderlichen Rufbereitschaften sind in der Anlage 1 dieser Beschäftigten definiert.

§ 4 Rufbereitschaftseinsätze

(1) Rufbereitschaftseinsätze können in den in der Anlage 1 definierten Zeiten stattfinden. Ein Einsatz im Rahmen der Rufbereitschaft außerhalb dieser Zeiten erfolgt nicht.

(2) Die Rufbereitschaft kann in Anspruch genommen werden, um unvorhersehbare, nicht planbare Arbeitsspitzen und kurzfristige Krankheitsausfälle abzufangen. Dies können seltene Ereignisse wie z. B. kurzfristig notwendige Klinikfahrten, Verlegungen von Patienten oder die Erkrankung während des laufenden Nachtdienstes sein. Kurzfristige Krankheitsausfälle sind nur solche Fälle, in denen der Vertretungsbedarf der Pflegedienstleitung weniger als 24 h vor Beginn des Vertretungsdienstes bekannt ist.

(3) Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rufbereitschaft ist, dass auf die Situation nicht anders als durch die Inanspruchnahme der Rufbereitschaft reagiert werden kann. Die Pflegedienstleitung hat vor Inanspruchnahme der Rufbereitschaft vorrangig insbesondere folgende Instrumente zu prüfen, um die Inanspruchnahme zu vermeiden:

- personelle Umorganisation

- Aufgabenumorganisation

- Einsatz von Medizinstudenten

...

§ 6 Betroffene Beschäftigte / Aufenthaltsort

(1) Nach Maßgabe der nachstehenden Regelungen nehmen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Arbeitgeberin, die unter den persönlichen Geltungsbereich nach § 1 dieser Betriebsvereinbarung fallen, am Rufbereitschaftsdienst teil.

(2) Gravide Beschäftigte sind von der Rufbereitschaft befreit.

(3) Beschäftigte, die von ihrem Wohnort aus den Betrieb regelmäßig nicht binnen 45 Minuten Anfahrtszeit bei normalen Verkehrs- und Witterungsverhältnissen erreichen können, werden nicht zur Leistung eines Rufbereitschaftsdienstes herangezogen.

(4) Beschäftigte, die einen Rufbereitschaftsdienst ableisten, sind frei in der Wahl ihres Aufenthaltsortes. Sie müssen grundsätzlich die Möglichkeit haben, am sozialen Leben teilzunehmen. Der Einsatzort muss bei normalen Verkehrs- und Witterungsverhältnissen von dem gerufenen Beschäftigten in angemessener Zeit sicher erreicht werden können. Als Richtwert dafür wird unter Berücksichtigung des genutzten Fortbewegungsmittels die Anfahrtszeit von 60 Minuten der Fahrtstrecke vom Aufenthaltsort des Beschäftigten herangezogen. Im Falle der Inanspruchnahme ist der betroffene Beschäftigte gehalten, sich so schnell wie möglich an den Einsatzort zu begeben.

§ 7 Arbeitszeitregelungen

(1) Durch die Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft soll sowohl die werktägliche als auch die wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäß § 3 ArbZG nach Möglichkeit nicht überschritten werden. Sofern die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit und/oder werktägliche Höchstarbeitszeit gemäß § 3 ArbZG ausnahmsweise überschritten werden, stellt die Arbeitgeberin aus Gründen des Gesundheitsschutzes sicher, dass der betroffene Beschäftigte bis zum Ablauf der darauffolgenden Woche wenigstens einen Tag nicht zur Arbeit herangezogen wird. Dies ist mit dem Beschäftigten gemeinsam zu planen. Ersatzruhetage für Sonn- und Feiertage bleiben außer Betracht.

(2) Die gesetzlich und tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindestruhezeiten werden eingehalten. Im Anschluss an eine Rufbereitschaft mit Inanspruchnahme wird eine Ruhezeit nach Maßgabe von § 5 ArbZG gewährt. Sofern abweichend von § 5 Abs. 1 ArbZG ausnahmsweise eine Kürzung der Ruhezeit infolge der Inanspruchnahme während dieses Dienstes erforderlich wird, weil eine anderweitige Arbeitsorganisation die erforderlichen Dienstzeiten nicht abdecken kann, wird bis zum Ablauf der darauffolgenden Woche die Ruhezeit in entsprechendem Umfang nachgewährt.

(3) Die Vergütung des Rufbereitschaftsdienstes erfolgt nach Maßgabe von § 8 TVöD-K.

§ 8 Rufbereitschaftsplan

(1) Die Arbeitgeberin erstellt für alle von Rufbereitschaft betroffenen Bereiche für die Dauer eines Kalenderjahres einen Jahresplan.

(2) Für das Jahr 2016 gilt der Jahresplan gemäß der Anlage 2 zu dieser Betriebsvereinbarung.

(3) Für die Aufstellung der Jahrespläne ab dem Jahr 2017 gelten die nachstehenden Grundsätze.

(4) Im Intranet der C. werden Jahrespläne für die abzuleistenden Rufbereitschaften spätestens drei Monate vor Ablauf eines Kalenderjahres veröffentlicht. Beschäftigte können aus den Plänen ersehen, welche Rufbereitschaftsdienste zu besetzen sind und sich dann für Rufbereitschaftsdienste unter Beachtung der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes eintragen lassen. Die Einsatzwünsche werden der Arbeitgeberin mitgeteilt. Diese überträgt die Wünsche sodann in den Jahresplan.

(5) Sofern sich Einsatzwünsche mehrerer Beschäftigter überschneiden, wird die Arbeitgeberin den Dienst dem Beschäftigten zuteilen, der zu weniger Rufbereitschaftsdiensten im aufzustellenden Jahresplan eingeteilt ist. Sind die Beschäftigten zu gleich vielen Diensten eingeteilt, erfolgt die Zuteilung nach der alphabetischen Reihenfolge des Nachnamens.

(6) Bleiben Rufbereitschaftsdienste vier Wochen vor Beginn des jeweiligen Dienstes unbesetzt oder müssen Rufbereitschaftsdienste aufgrund eines Ausfalles nachbesetzt werden (nachträgliche Änderungen des Jahresplans), werden die Beschäftigten, die im Verhältnis zu den anderen Beschäftigten nach dem laufenden Jahresplan weniger Rufbereitschaftsdienste geleistet haben bzw. zu weniger Diensten eingeteilt sind, zur Leistung des zu besetzenden Rufbereitschaftsdienstes gleichmäßig eingeteilt, sofern bis dahin keine Dienstverteilung auf freiwilliger Basis erfolgen kann. Hierbei sind feststehende Abwesenheitszeiten aufgrund von Mutterschutzzeiten, Elternzeit, Arbeitsunfähigkeit, Urlaub o. ä. zu berücksichtigen. Kommen hiernach mehrere Beschäftigte für die Besetzung eines offenen Rufbereitschaftsdienstes in Betracht, die nach dem laufenden Jahresplan jeweils gleich viele Rufbereitschaftsdienste geleistet haben bzw. zu gleich vielen Diensten eingeteilt sind, erfolgt die Zuteilung nach der alphabetischen Reihenfolge des Nachnamens. Bei Namensgleichheit entscheidet die alphabetische Reihenfolge des Vornamens.

(7) Unter Wahrung der übrigen Vorschriften dieser Betriebsvereinbarung sowie der tariflichen und gesetzlichen Vorschriften können Mitarbeiter die Rufbereitschaftsdienste untereinander tauschen. Hierbei sind die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu beachten.

§ 9 Dokumentation

Die Dokumentation des Rufbereitschaftsdienstes sowie die Zeiten der Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft erfolgt im Dienstplanprogramm. Der Grund der Inanspruchnahme ist dort in allgemein verständlicher Form zu dokumentieren.

§ 10 Schlussbestimmungen

Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und kann von beiden Seiten mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden.

Sollten Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, bleibt die Vereinbarung im Übrigen dennoch gültig."

Aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung ergeben sich folgende Rufbereitschaftszeiten:

1. Arbeitsbereich PED KHG Bereich AFG:

RB Nacht (Montag bis Sonntag): 20:15 Uhr - 6:45 Uhr

RB Wochenende/Feiertage früh: 6:00 Uhr - 14:00 Uhr

RB Wochenende/Feiertage spät: 13:00 Uhr - 21:00 Uhr

2. Arbeitsbereich PED MRV Bereich AFG:

RB Nacht (Montag bis Sonntag): 19:10 Uhr - 06:40 Uhr

RB Wochenende/Feiertage Tag: 06:00 Uhr - 19:50 Uhr

3. Arbeitsbereich PED KHG Bereich AFT:

RB Nacht (Montag bis Sonntag): 19:00 Uhr - 6:30 Uhr

4. Abteilung Technik

Montag-Freitag: 16:00 Uhr - 07:00 Uhr

Wochenende/Feiertage/Sylvester/Heiligabend: 07:00 Uhr - 07:00 Uhr

5. Abteilung EDV

Wochenende/Feiertage/Sylvester/Heiligabend: 08.00 Uhr - 18.00 Uhr

Der Spruch der Einigungsstelle wurde dem Betriebsrat mit Schreiben vom 20. März 2016 zugesandt. Mit am 29. März 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er die Anfechtung des Einigungsstellenspruchs erklärt und die Auffassung vertreten, in den Bereichen KHG und MVZ sowie dem Pflege- und Erziehungsdienst dürften keine Rufbereitschaftsdienste angeordnet werden; vielmehr müssten alle anfallenden Arbeiten durch reguläre Dienste abgedeckt sein. Das ergebe sich aus § 7 Abs. 4 TVöD-K, wonach Rufbereitschaften nur außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden dürften. Zudem verstießen die Rufbereitschaftsdienste gegen gesetzliche Vorgaben.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle zu Rufbereitschaftsdiensten in der C. vom 11. März 2016 unwirksam ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, Einführung und Ausgestaltung der Rufbereitschaft seien nicht zu beanstanden. Das Recht zu deren Anordnung ergebe sich aus § 7 Abs. 4 TVöD-K, wonach sie "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" zu leisten sei. Danach dürften die Arbeitnehmer ergänzend zu der in den Dienstplänen ausgewiesenen "regelmäßigen Arbeitszeit" zu Rufbereitschaftsdiensten eingeteilt werden.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats entsprochen und ausgeführt: Der Spruch der Einigungsstelle enthalte keine dem Gesundheitsschutz entsprechende Ausgleichsregelung im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 ArbZG. Er erlaube nicht nur eine Überschreitung der täglichen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden, sondern auch der höchstzulässigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden sowie eine Unterschreitung der von § 5 Abs. 1, 2 ArbZG geforderten Mindestruhezeiten. Dies könne insbesondere bei Rufbereitschaften, in denen nahezu vollständig Arbeit abgerufen werde, zu erheblichen Verkürzungen der Mindestruhezeiten führen. Die daraus resultierende Gefahr einer Kumulierung von Arbeitsperioden sei mit dem Gesundheitsschutz nicht in Einklang zu bringen. Wenn als Ausgleichsregelung lediglich sicherzustellen sei, dass der betroffene Arbeitnehmer bis zum Ablauf der darauffolgenden Woche wenigstens einen Tag nicht zur Arbeit herangezogen werde, könne ein Arbeitnehmer neben den regulären Diensten zu fünf Rufbereitschaften eingeteilt und dort jeweils im Umfang von acht Stunden in Anspruch genommen werden. Er käme dann auf eine Wochenarbeitszeit von 78,5 Stunden, wobei die Arbeitgeberin lediglich dafür sorgen müsse, dass er in der darauffolgenden Woche an einem Tag nicht zur Arbeit herangezogen werde. Folglich könnte er in der neuen Woche wiederum im Umfang von 78,5 Stunden eingesetzt werden. Der Spruch lasse es zu, dass die zur Rufbereitschaft eingeteilten Arbeitnehmer komplette Regelschichten übernähmen, ohne im Anschluss eine ausreichende Ersatzruhezeit zu erhalten. Des Weiteren verletze der Spruch die Mitbestimmungsrechte in ihrer Substanz. Es dürfe nicht der Arbeitgeberin überlassen bleiben, künftige Rufbereitschaftspläne ohne Mitwirkung des Betriebsrats aufzustellen. Auch regele der Spruch nicht alle denkbaren Konfliktfälle bei der Einteilung zur Rufbereitschaft.

Gegen den ihr am 19. September 2016 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin am 17. Oktober 2016 Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 16. Dezember 2016 begründet.

Die Beschwerde führt aus: Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG die Anpassung der Ruhezeiten an die Besonderheiten der Rufbereitschaft erlaube. In der Praxis würden in Rufbereitschaft befindliche Arbeitnehmer nur ausnahmsweise zu Vollarbeit und nach einer Rufbereitschaft niemals zum Frühdienst herangezogen. Auch lägen nach einem solchen Frühdienst stets mindestens fünfeinhalb Stunden bis zum Beginn einer Rufbereitschaft desselben Arbeitnehmers. Es sei zudem gängige Praxis, dass Arbeitnehmer, die während ihrer Rufbereitschaft in Anspruch genommen worden seien, auf ihre folgende Schicht verzichten könnten. Bisher sei die Einteilung zur Rufbereitschaft stets auf freiwilliger Basis möglich gewesen. Die vom Arbeitsgericht gebildeten Beispiele kämen in der Praxis nicht vor. Das Arbeitsgericht habe in unzulässiger Weise sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Einigungsstelle gesetzt; die Betriebsparteien dürften selbst entscheiden, von welcher und von wie vielen Abweichungsmöglichkeiten, die gesetzlich und tarifvertraglich vorgesehen seien, sie Gebrauch machen wollten. Der Spruch enthalte eine eigenständige Regelung zum Zeitausgleich; ein Eins-zu-eins-Ausgleich sei nicht zwingend. Der Gesundheitsschutz werde angemessen berücksichtigt, die Vorgabe des § 7 Abs. 9 ArbZG eingehalten. Indem das Arbeitsgericht mögliche Abweichungen zur Regel erhebe, verstoße es gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen. Deren Wortlaut und Systematik zeigten vorliegend ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, was der angegriffene Beschluss nicht beachte. Dringende betriebliche Erfordernisse, wie sie der Tarifvertrag bei der Abweichung von gesetzlichen Arbeitszeitregelungen fordere, lägen hier in Gestalt unabweisbarer organisatorischer Erfordernisse vor. Auch regele die Betriebsvereinbarung in hinreichendem Maße die Aufstellung von Rufbereitschaftsplänen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er macht geltend, das Arbeitsgericht habe den Spruch der Einigungsstelle zu Recht für unwirksam erachtet. Von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes abweichende Regelungen könnten grundsätzlich nur im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung im Sinne von § 88 BetrVG getroffen werden: Der TVöD-K enthalte eine Delegation auf die Betriebsparteien, nicht jedoch auf die Einigungsstelle. Er regele auch nicht die Möglichkeit, die wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden zu überschreiten. Zudem enthalte § 7.1 Abs. 8 TVöD-K keine wirksame Öffnungsklausel. Gemäß § 7 Abs. 2 ArbZG müsse der Tarifvertrag selbst die Ausgleichsregelung enthalten. Auch sei die Anordnung von Rufbereitschaft während des regulären Schichtdienstes nicht möglich. Da im Betrieb jedoch ein vollkontinuierliches Schichtmodell gelte, komme die Anordnung von Rufbereitschaft generell nicht in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der Anhörung vor dem Beschwerdegericht waren.

II.

Die Beschwerde bleibt erfolglos.

1.

Die gemäß §§ 8 Abs. 4, 87 Abs. 1, 2 Satz 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Arbeitgeberin ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 89 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

2.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis und in Teilen der Begründung zutreffend hat das Arbeitsgericht den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam erachtet. Dieser berücksichtigt nicht hinreichend den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, soweit er in seinem § 7 Abs. 2 eine von § 5 Abs. 1 ArbZG abweichende Regelung zu Ruhezeiten im Zusammenhang mit Rufbereitschaft trifft.

a)

Sprüche der Einigungsstelle unterliegen einer umfassenden Rechtskontrolle. Entscheidet die Einigungsstelle im Rahmen einer Regelungsstreitigkeit über die Anwendung von Rechtsnormen, so unterliegt ihr Spruch insoweit einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte für Arbeitssachen haben die Rechtslage selbst zu prüfen und zu entscheiden, ob der Spruch der Einigungsstelle wirksam ist (BAG 11. Juli 2000 - 1 ABR 43/99 - BAGE 95, 228, Rn. 53). Dabei hat die Einigungsstelle vorrangiges zwingendes Recht zu beachten (stRspr.; zB LAG Hamburg 16. November 2017 - 7 TaBV 3/17 - Rn. 48). Dies schließt die im Betrieb geltenden Tarifverträge ein (ErfK/Kania, 18. Aufl., § 76 BetrVG Rz. 24).

b)

Gemessen daran hält der streitbefangene Einigungsstellenspruch der Rechtskontrolle nicht stand. Die durch den Spruch ermöglichte Anordnung von Arbeitszeiten überschreitet das nach Tarifvertrag und Arbeitszeitgesetz höchstens zulässige Maß.

aa)

Gemäß § 7 Abs. 2 Ziff. 3 ArbZG kann, sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird, in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung zugelassen werden, die Regelungen der §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 ArbZG bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen der Eigenart dieser Tätigkeit und dem Wohl dieser Personen entsprechend anzupassen.

bb)

Die einschlägigen Normen des TVöD-K, der im Betrieb Anwendung findet, lauten:

§ 6 Regelmäßige Arbeitszeit

...

(4) Aus dringenden betrieblichen/dienstlichen Gründen kann auf der Grundlage einer Betriebs-/Dienstvereinbarung im Rahmen des § 7 Abs. 1, 2 und des § 12 ArbZG von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes abgewichen werden.

...

§ 7 Sonderformen der Arbeit:

...

(4) Rufbereitschaft leisten Beschäftigte, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Beschäftigte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet sind.

...

§ 7.1 Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

...

(8) Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Durch tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft kann die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden (§ 3 ArbZG) überschritten werden (7 ArbZG).

cc)

Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass der angefochtene Spruch zu Vollarbeit in einem Umfang führen kann, der entgegen § 7 Abs. 2 Ziff. 3 ArbZG den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nicht durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet. Mithin kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die streitige Arbeitszeitregelung das weitere, in § 6 Abs. 4 TVöD-K aufgestellte Erfordernis der dringenden betrieblichen Gründe erfüllt.

(1)

Die Abweichungen sind nur zulässig, um die Arbeitszeitregelungen den in § 7 Abs. 2 ArbZG genannten Diensten (hier: der Rufbereitschaft nach Ziff. 1.) anzupassen. Dabei muss der Zeitausgleich in der Betriebsvereinbarung selbst festgelegt sein; ihn dem Arbeitgeber zu überlassen, ist nicht ausreichend (Schliemann, ArbZG, 3. Aufl., § 7 Rz. 65).

Auch wenn der "entsprechende" Zeitausgleich nicht zwingend die Reduzierung einer anderen Arbeitszeit in demselben Maße erfordert, so steht es doch nicht etwa im Belieben der Betriebsparteien respektive der Einigungsstelle, in welchem Umfang der Zeitausgleich festgelegt wird. Vielmehr hat sich der Umfang am Zweck des Arbeitszeitgesetzes im Allgemeinen und der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer im Besonderen zu orientieren (Schliemann, ArbZG, 3. Aufl., § 7 Rz. 65). Gegebenenfalls kann dieser Gesundheitsschutz es gebieten, einen der Erschwerung gemäßen verlängerten Zeitausgleich zu gewähren (Neumann/Biebl, Arbeitszeitgesetz, 16. Aufl., § 7 Rz. 32). Trotz des großen Spielraums, der den Tarif- bzw. Betriebsparteien für die Anpassungsregelungen bleibt, muss die Anpassung doch allgemein geeignet sein, den Gesundheitsschutz aufrechtzuerhalten (Neumann/Biebl ibid. mwN).

(2)

Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, wird die Regelung in § 7 des Einigungsstellenspruchs diesen Erfordernissen nicht gerecht.

(a)

Das Beschwerdegericht folgt dem angegriffenen Beschluss, soweit dieser zu II. 4. b) bis d) aufzeigt, dass der Einigungsstellenspruch die Kumulation von Arbeitszeiten zuließe, die mit dem Gesundheitsschutz nicht in Einklang zu bringen sind. So könnte ein Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft zwei Wochen hintereinander jeweils im Umfang von 78,5 Stunden oder ohne nennenswerte Unterbrechung 16 Stunden in Folge herangezogen werden, ohne dass dies gegen den Wortlaut der Betriebsvereinbarung verstieße. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel und wird auch von der Arbeitgeberin nicht in Abrede genommen, dass derartige Arbeitszeiten mit dem Erfordernis des Gesundheitsschutzes nicht in Einklang zu bringen wären.

(b)

Das Argument der Arbeitgeberin, solche gedachten Konstellationen widersprächen einem an den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Auslegungsgrundsätzen orientierten Herangehen, trifft nicht zu. Der Wortlaut des Einigungsstellenspruchs ist eindeutig und lässt verschiedene Auslegungsmöglichkeiten hinsichtlich der erlaubten Arbeitszeit nicht zu. Die gegenteilige Auffassung unterliegt einer Verwechslung von Auslegung und Ausübungskontrolle. Zwar mag es sein, dass in der Vergangenheit stets einvernehmliche Lösungen möglich waren, in Rufbereitschaft befindliche Arbeitnehmer nur ausnahmsweise zu Vollarbeit und nach einer Rufbereitschaft niemals zum Frühdienst herangezogen wurden. Ebenso kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass nach einem Frühdienst bisher immer mindestens fünfeinhalb Stunden Freizeit bis zum Beginn einer Rufbereitschaft gewährt wurden und dass Arbeitnehmer, die während ihrer Rufbereitschaft in Anspruch genommen wurden, auf ihre folgende Schicht verzichten konnten. All diese dem Schutze der betroffenen Arbeitnehmer dienenden Maßnahmen sind jedoch in dem angefochtenen Spruch weder positiv geregelt noch sonst mit Hilfe einer anerkannten Auslegungsmethode aus der Betriebsvereinbarung zu gewinnen. Das wäre jedoch erforderlich, weil unter Geltung einer solchen Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat kaum noch Möglichkeiten verbleiben, gleichsam im Wege einer Ausübungskontrolle Einfluss auf die Arbeitgeberin zu nehmen, insbesondere sie zu bewegen, von einer übermäßigen Heranziehung einzelner Arbeitnehmer Abstand zu nehmen, so lange sie sich nur im Rahmen des nach dem Wortlaut des Spruchs Erlaubten hält. Die von der Arbeitgeberin ins Feld geführte betriebliche Praxis vermag daher einem Einigungsstellenspruch, der durch Gesetz und Tarifvertrag gesetzte Grenzen überschreitet, nicht zur Wirksamkeit zu verhelfen.

III.

Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

IV.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung.