Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.06.2017, Az.: 7 Sa 1129/16

Unwirksame Tarifregelung zur Urlaubsvergütung für in Vollzeit erworbenen Urlaubsentgeltansprüchen von Teilzeitbeschäftigten des öffentlichen Dienstes

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
22.06.2017
Aktenzeichen
7 Sa 1129/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 48132
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 23.09.2016 - AZ: 3 Ca 327/16 Ö

Amtlicher Leitsatz

1. Die Regelung in §§ 21, 26 TV-L ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit hierdurch während einer Vollzeittätigkeit erworbene Urlaubsentgeltansprüche, die erst nach einer Reduzierung der Arbeitszeit anfallen, vermindert werden.

2. Die Rechtsprechung des EuGH (C-486/08, Nr. 35) bezieht sich nicht nur auf den Umfang des Urlaubsanspruchs, sondern auch auf die Vergütungshöhe. Der EuGH hat in der Entscheidung vom 22.04.2010 ausdrücklich nicht nur auf den Umfang des Urlaubsanspruchs Bezug genommen, sondern ausdrücklich erklärt, dass auch eine Regelung unwirksam ist, nach der der Arbeitnehmer einen erworbenen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (EuGH vom 22.04.2010, Nr. 35).

3. Das beklagte Land ist verpflichtet, der Klägerin die Urlaubsvergütung trotz der zwischenzeitlich erfolgten Reduzierung der Arbeitszeit in dem Umfange zu gewähren, der der Arbeitszeit der Klägerin während der Zeit, in der der Anspruch erworben wurde, entspricht. Der ab 01.02.2016 der Klägerin gewährte Urlaub aus den Jahren 2014 und 2015 ist deshalb nach der Urlaubsvergütung zu bemessen, die der Arbeitszeit der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 entspricht.

Tenor:

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23.09.2016, 3 Ca 327/16 Ö, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, wie der von der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 erworbene Urlaub zu vergüten ist, nachdem die Arbeitszeit ab 01.02.2016 auf 50% reduziert worden ist.

Die am 0.0.1976 geborene, verheiratete und 2 Kindern unterhaltsverpflichtete Klägerin ist seit dem 01.09.2002 als Verwaltungsangestellte in der C in A-Stadt des beklagten Landes beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Dieser enthält in der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 21 hinsichtlich der Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung bei Urlaub und Krankheit u.a. folgende Regelung:

Bei Änderungen der individuellen Arbeitszeit werden die nach der Arbeitszeitänderung liegenden vollen Kalendermonate zu Grunde gelegt.

Die Klägerin war vom 21.10.2013 bis zum 31.01.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Während dieser Zeit entsprach ihre Arbeitszeit der einer Vollzeitkraft.

Die Parteien vereinbarten am 14.12.2015 (Bl. 31 d.A.) auf Antrag der Klägerin (Bl. 30 d.A.) eine Reduzierung der Arbeitszeit um 50 % ab 01.02.2016 für die Dauer von 24 Monaten. Eine Wiedereingliederung der Klägerin erfolgte ab 18.01.2016 bis 29.01.2016.

Im Anschluss hieran gewährte das beklagte Land der Klägerin vom 01.02.2016 bis zum 01.04.2016 insgesamt 43 Tage Resturlaub aus den Jahren 2014 und 2015. Bei der Berechnung der Urlaubsvergütung legte das beklagte Land die reduzierte wöchentliche Arbeitszeit zu Grunde und rechnete im Februar 2016 (Bl. 6 d.A.) insgesamt 1.586,60 € brutto und im März 2016 (Bl. 7 d.A.) 1.626,76 € brutto ab.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Abrechnung des Urlaubs unter Zugrundelegung der Vergütung, die ihr als Vollzeitkraft bei dem beklagten Land zusteht. Daraus resultiert ein weiterer Urlaubsentgeltanspruch in Höhe von 3.267,59 € brutto.

Das Arbeitsgericht hat durch ein dem beklagten Land am 17.10.2016 zugestelltes Urteil vom 23.09.2016, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 44-48 d.A.), das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin 3.267,59 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.

Hiergegen richtet sich die am 03.11.2016 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.01.2017 am 17.01.2017 begründete Berufung des beklagten Landes.

Das beklagte Land ist der Auffassung, die Regelung der §§ 21, 26 TV-L sei nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften nach § 134 BGB unwirksam. Der EuGH habe mehrfach entschieden, dass beim Übergang von Vollzeit zu einer Teilzeitbeschäftigung der während der Vollzeittätigkeit erworbene Urlaubsanspruch, dessen Ausübung während dieser Zeit nicht möglich gewesen sei, nach Übergang in die Teilzeitbeschäftigung nicht pro rata temporis zu reduzieren sei. Vielmehr seien die Zeitabschnitte mit unterschiedlicher Arbeitszeit in Bezug auf die Entstehung der Urlaubsansprüche jeweils separat zu betrachten. Diese Entscheidungen befassten sich mit dem Umfang des Urlaubsanspruchs nach dem Wechsel des Tätigkeitsumfangs und nicht mit der Frage der Vergütungshöhe.

Unionsrechtlich müsse mithin der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es lediglich dem Arbeitnehmer ermöglichen, einen Zeitraum der tatsächlichen Entspannung und Freizeit zu genießen. Dies sei auch der Fall, wenn dem Arbeitnehmer ein reduziertes Arbeitsentgelt gezahlt werde. Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG sei darin nicht zu sehen.

Da die Klägerin selbst die Reduzierung ihrer Arbeitszeit beantragt habe, sei davon auszugehen, dass es ihr auch mit der anteilig reduzierten Vergütung möglich gewesen sei, sich dem Zwecke des Urlaubsanspruchs entsprechend zu erholen.

Die Klägerin hätte im Übrigen ihre Tätigkeit auch wieder in Vollzeit aufnehmen können. Sie sei nach ihrer Darstellung jedoch nur für eine Teilzeitbeschäftigung arbeitsfähig gewesen. Da ihr aus persönlichen Gründen an einer kurzfristigen Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit gelegen war, sei ihr eine Teilzeitbeschäftigung ab dem 01.02.2016 ermöglicht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages des beklagten Landes im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.01.2017 und 19.05.2017.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23.09.2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22.03.2017 und 13.06.2017.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des beklagten Landes ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch einen Anspruch auf Zahlung von 3.267,59 € brutto Urlaubsvergütung hat. Das Landesarbeitsgericht macht sich die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Berufungsbegründung gibt Anlass zu folgenden ergänzenden und zusammenfassenden Ausführungen:

Die Regelung in §§ 21, 26 TV-L, auf die sich das beklagte Land stützt, ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit hierdurch während einer Vollzeittätigkeit erworbene Urlaubsentgeltansprüche, die erst nach einer Reduzierung der Arbeitszeit anfallen, vermindert werden.

Das Arbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung zu Recht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zu Grunde gelegt. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Urteil vom 10.02.2015 (9 AZR 53/14, Rn. 21) im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 22.04.2010 (C-486/08, Nr. 35) für den Bereich des TVöD entschieden, dass eine nationale Bestimmung nicht vorsehen darf, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- in eine Teilzeitbeschäftigung wechselt, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur noch mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann. Das Bundesarbeitsgericht ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010 gemäß § 134 BGB insoweit unwirksam ist.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin die Urlaubsvergütung trotz der zwischenzeitlich erfolgten Reduzierung der Arbeitszeit in dem Umfange zu gewähren, der der Arbeitszeit der Klägerin während der Zeit, in der der Anspruch erworben wurde, entspricht. Der ab 01.02.2016 der Klägerin gewährte Urlaub aus den Jahren 2014 und 2015 ist deshalb nach der Urlaubsvergütung zu bemessen, die der Arbeitszeit der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 entspricht. Daraus folgt, dass der Klägerin noch ein Zahlungsanspruch in unstreitiger Höhe von 3.267,59 € brutto zusteht.

Entgegen der von dem beklagten Land vertretenen Auffassung bezieht sich die Rechtsprechung des EuGH nicht nur auf den Umfang des Urlaubsanspruchs, sondern auch auf die Vergütungshöhe. So hat der EuGH in der Entscheidung vom 22.04.2010 ausdrücklich nicht nur auf den Umfang des Urlaubsanspruchs Bezug genommen, sondern ausdrücklich erklärt, dass auch eine Regelung unwirksam ist, nach der der Arbeitnehmer einen erworbenen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (EuGH vom 22.04.2010, Nr. 35).

In der Entscheidung vom 13.06.2013 (C-415/12, Nr. 36) hat der EuGH ausgeführt, dass die Verringerung der Arbeitszeit der dortigen Klägerin, die auf dem Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung beruht, nicht mit einem nachträglichen Teilverlust des bereits erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub einhergehen kann. Unter Nr. 37 heißt es dann wie folgt:

Dem Vorbringen des C, der von Frau E. bereits erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde nicht gekürzt, weil er - in Urlaubswochen ausgedrückt - vor und nach ihrem Übergang zu einer Teilzeitbeschäftigung unverändert bleibe, kann, wie sowohl das vorlegende Gericht als auch die Kommission ausgeführt haben, nicht gefolgt werden.

Diese gilt in gleichem Maße in dem vorliegenden Fall.

Die Entscheidung des EuGH vom 11.11.2015 (C-219/14) steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Denn diese Entscheidung befasst sich nicht mit einem Urlaubsanspruch nach einer Verringerung der Arbeitszeit, sondern betraf die Berechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nach einer Erhöhung der Arbeitszeit. Im Übrigen hat der EuGH auch in dieser Entscheidung ausgeführt, dass hinsichtlich der Entstehung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer nach verschiedenen Arbeitsrhythmen arbeitete, voneinander zu entscheiden sind (Nr. 35).

Unerheblich ist schließlich, dass die Klägerin selbst die Reduzierung ihrer Arbeitszeit beantragt hat. Zum einen besteht nach der Rechtsprechung des BAG (vom 10.02.2015, 9 AZR 53/14, Rn. 30, 31) keine Obliegenheit oder Verpflichtung des Arbeitnehmers, einem Urlaubsanspruch bereits vor einem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung mit wöchentlich weniger Arbeitstagen in Anspruch zu nehmen. Zum anderen war es der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung objektiv nicht möglich, den Urlaub aus den Jahren 2014 und 2015 vor der Reduzierung der Arbeitszeit zu nehmen. Es hätte deshalb nahegelegen, wenn die Parteien die Verkürzung der Arbeitszeit erst ab 02.04.2016 vereinbart hätten.