Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.02.2017, Az.: 8 Ta 359/16
Umdeutung eines unbedingten Zahlungsantrags in einen unechten Hilfsantrag
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.02.2017
- Aktenzeichen
- 8 Ta 359/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 10594
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2017:0209.8TA359.16.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lingen - 11.11.2016 - AZ: 1 Ca 100/16
Rechtsgrundlagen
- GKG § 45
- GKG § 68
Amtlicher Leitsatz
Ein nach Wortlaut und Begründung unbedingter Antrag auf Zahlung kann nicht als unechter Hilfsantrag verstanden werden, wenn er nicht als solcher gestellt worden ist und auch nicht werden sollte. Der ausdrücklich erklärte Wille der Partei, es für sachdienlich zu halten, einen unbedingten Antrag zu stellen, steht einer anderen Auslegung entgegen.
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Lingen (Ems) vom 11. November 2016 - 1 Ca 100/16 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegenstand des Ausgangsverfahrens waren die Anfechtung des Arbeitsvertrages, die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung der Beklagten, der hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung und mehrere ausdrücklich unbedingt gestellte klagerweiternde Anträge auf Zahlung von Annahmeverzugslohn im Umfang von insgesamt 43.970,99 Euro, beginnend ab dem 23. Februar 2016.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. Oktober 2015 beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 8.100,00 Euro. Im Arbeitsvertrag war eine Kündigungsfrist von neun Monaten zum Quartalsende vereinbart.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2016 focht die Beklagte den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an und kündigte ihn vorsorglich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2016.
Durch Urteil vom 25. August 2016 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Das Arbeitsverhältnis habe durch die fristlose Kündigung der Beklagten zum 22. Februar 2016 geendet.
Den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit hat das Arbeitsgericht nach Anhörung der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten für das Verfahren bis zum 7. Juli 2016 auf 32.400,00 Euro, ab 8. Juli 2016 auf 43.970,99 Euro und ab 25. August 2016 auf 52.070,99 Euro festgesetzt. Auf den Streitwertbeschluss und seine Begründung wird Bezug genommen (Bl. 248, 249 d. A.).
Gegen diesen ihm am 16. November 2016 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner am 24. November 2016 beim Arbeitsgericht Lingen (Ems) eingegangenen Beschwerde. Er hält den Gebührenstreitwert für zu hoch festgesetzt. Das Gericht habe seiner Festsetzung den Umstand zugrunde gelegt, dass sämtliche Zahlungsanträge der Form nach kumulativ gestellt worden seien. Das Gericht hätte aber auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken, zumindest durch Auslegung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Anträge auf Zahlung von Annahmeverzugslohn lediglich als uneigentliche Hilfsanträge zu verstehen und folglich bei der Streitwertberechnung nicht zu berücksichtigen seien. Das Arbeitsgericht habe den Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbestanden habe, zurückgewiesen. Die Zahlungsanträge seien somit zur Entscheidung nicht angefallen.
Verfehlt sei der Hinweis des Gerichts, ein formal kumulativ gestellter Antrag könne nur dann als unechter Hilfsantrag verstanden werden, wenn er sich auf eine tatsächliche Beschäftigung beziehe, nicht aber, wenn es sich um Zahlungsansprüche handele. Für eine derartige Differenzierung bestehe keine Veranlassung. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung hänge gleichermaßen vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ab wie die Zahlungsansprüche.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Zahlungsanträge ausdrücklich als Haupt- und nicht als Hilfsantrag gestellt.
Die den Kläger in erster Instanz vertretenden Rechtsanwälte halten die Streitwertfestsetzung für richtig. Die Anträge seien unbedingt gestellt worden, somit als Hauptanträge. Der Kläger habe dies für sachdienlich gehalten.
Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf das Vorbringen der Parteien und die Prozessakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); auch ist sie frist- und formgerecht eingelegt worden; der Beschwerdewert ist erreicht; die Beschwerde erweist sich damit insgesamt als zulässig (§ 68 Abs. 1 Satz 3 iVm § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
1.
In Ergebnis und Begründung zutreffend hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren unter Berücksichtigung der Zahlungsanträge festgesetzt. Auf seine Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
2.
Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die Zahlungsanträge zu Ziffern 3. bis 11. sind bei der Streitwertberechnung zu berücksichtigen, auch wenn sie zur Entscheidung nicht angefallen sind.
a)
Ein nach Wortlaut und Begründung unbedingter Antrag auf Zahlung kann nicht als unechter Hilfsantrag verstanden werden, wenn er nicht als solcher gestellt worden ist und auch nicht werden sollte. Der ausdrücklich erklärte Wille der Partei, es für sachdienlich zu halten, einen unbedingten Antrag zu stellen, steht einer anderen Auslegung entgegen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 4. Dezember 2015 - 17 Ta [Kost] 6104/15 - juris Rn. 9 und 10).
b)
Der Berücksichtigung der Zahlungsanträge steht § 45 Abs. 1, 4 GKG nicht entgegen.
aa)
Zwar wird ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch, der nicht den gleichen Gegenstand wie der Hauptanspruch betrifft, mit dem Hauptanspruch (nur dann) zusammengerechnet, sofern eine Entscheidung über ihn ergeht; gleiches gilt, wenn der Hilfsanspruch durch Vergleich erledigt wird (§ 45 Abs. 1, 4 GKG). Danach ist ein Weiterbeschäftigungsantrag, der für den Fall des Erfolgs mit der Kündigungsschutzklage geltend gemacht wird, ebenso wenig wie ein von dem Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängiger Annahmeverzugslohnanspruch zu bewerten, wenn sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen oder die Klage abgewiesen wird und die Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (vgl. BAG vom 13. August 2014 - 2 AZR 871/12 - juris Rn. 3, 4; BAG 30.08.2011 - 2 AZR 668/10 [A] - juris Rn. 3, 4; vgl. auch GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 12 Rn. 118 mwN).
bb)
Der Kläger stellte den Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn jedoch nicht im Wege des uneigentlichen Hilfsantrages, sondern ausdrücklich als Hauptantrag; er hielt dies für sachdienlich. Auf diese Annahme deutete bereits der Wortlaut des Antrages hin. Die Begründung ließ nicht auf anderes schließen. Sie enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass Annahmeverzugslohn nur hilfsweise verlangt werde. Auch die übrigen Ausführungen des Klägers im Verfahren ließen einen anderen Willen nicht erkennen. Dieses Verständnis gilt umso mehr, als der Kläger sich von einem Rechtsanwalt vertreten ließ, der die entsprechenden Schriftsätze fertigte und dem der Unterschied zwischen Haupt- und Eventualantrag, insbesondere die Bedeutung eines sog. uneigentlichen Hilfsantrages erkennbar geläufig ist, wie die Formulierung des Antrages zu 5. (Weiterbeschäftigung) zeigt. Dieser Antrag wurde nämlich einwandfrei nur als unechter Hilfsantrag formuliert.
cc)
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30. August 2011 (2 AZR 668/10 [A] - juris Rn. 3) steht nicht entgegen. Das Bundesarbeitsgericht legt den Antrag auf vorläufige Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens zwar auch dann als uneigentlichen Hilfsantrag aus, wenn er nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet worden ist. Zur Begründung führt es allerdings aus, es sei von der Unbedingtheit des Antrages auszugehen, wenn der Wille, einen unbedingten Antrag zu stellen, nicht ausdrücklich erklärt werde. Es entspreche in keiner Weise den Interessen des klagenden Arbeitnehmers, würde der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohne die Bedingung gestellt.
Das indes ist vorliegend anders. Zum einen hat der Kläger den Annahmeverzugsvergütungsanspruch ausdrücklich unbedingt gestellt und erklärt, dies auch so gewollt zu haben. Zum anderen kann es dem Interesse des klagenden Arbeitnehmers durchaus entsprechen, gerade den Antrag auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung unbedingt zu stellen. Hierfür kann es durchaus Gründe geben.
dd)
Der Hinweis des Klägers, das Gericht müsse "in erster Linie auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken", dies gebiete § 139 ZPO, trägt nicht. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt die Dispositionsmaxime. Die Parteien sind Herren des Verfahrens. Es bleibt ihnen unbenommen, auch unzulässige Anträge zu stellen. Die Zulässigkeit eines Antrags hat grundsätzlich keine Auswirkung auf den Streitwert.
3.
Das Beschwerdeverfahren nach § 68 GKG ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG). Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).
4.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 68 Abs. 1 Satz 5 iVm § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Er ist unanfechtbar.