Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.06.2017, Az.: 8 Sa 1249/16 E

Eingruppierung eines Schiffsführers im Bereich Hunte und Weser

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
12.06.2017
Aktenzeichen
8 Sa 1249/16 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 38403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 20.10.2016 - AZ: 5 Ca 419/15 E

Amtlicher Leitsatz

Das Große Rheinpatent ist kein internationales Befähigungszeugnis iSd Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes.

Redaktioneller Leitsatz

1. Ein Schiffführer im Bereich Hunte und Weser hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b Nr. 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Nr. 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes, da für die ihm übertragene Tätigkeit ein internationales nautisches Befähigungszeugnis im Tarifsinne nicht erforderlich ist.

2. Die Tarifvertragsparteien haben eine von sonstigen Bestimmungen abweichende Regelung getroffen und eigenständig festgelegt, welche nautischen Befähigungszeugnisse im Sinne des Tarifvertrages für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 b Nr. 1 TVöD als international gelten sollen; dafür spricht schon der Umstand, dass das große Rheinpatent in der hier anzuwendenden Tabelle des Teils V (Besondere Tätigkeitsmerkmale im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur), als internationaler Befähigungsnachweis nicht aufgeführt ist, hingegen an anderer Stelle, nämlich dem der Tabelle des Teils V folgenden Abschnitt (Beschäftigte auf Schiffen und schwimmenden Geräten im Bereich der Binnenschifffahrtsstraßen) genannt wird.

3. Unter einem internationalen nautischen Befähigungszeugnis sind die Zeugnisse für den nautischen Dienst in der Seeschifffahrt nach der Seeleute-Befähigungsverordnung (See-BV) zu verstehen; die Befähigungszeugnisse des Kapitäns in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) und des nautischen Wachoffiziers in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) gelten als internationales Befähigungszeugnis, wenn das Schiff in küstennaher Fahrt mit Einsätzen in Gewässern des europäischen Teils der Niederlande, Polens und Dänemarks (mit Ausnahme der Färöer und Grönland) eingesetzt wird.

In dem Rechtsstreit

A., A-Straße, A-Stadt

- Kläger und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte B., B-Straße, B-Stadt

gegen

C., C-Straße, Kiel

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwältin D., D-Straße, D-Stadt

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2017 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn Remme und den ehrenamtlichen Richter Herrn Minits als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2016 - 5 Ca 419/15 E - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Eingruppierung des Klägers.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Schiffsführer auf der M. D. und der S. Reserve beschäftigt. Er führt ein Schiff im Bereich der Hunte und der Weser, beides Wasserstraßen, die unter die Seeschifffahrtsstraßenordnung (SeeSchStrO) fallen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (Bund) Anwendung. Die Beklagte vergütet den Kläger nach Entgeltgruppe 8 der Anlage 1 Teil V Unterabschnitt 2.1 der Entgeltordnung des Bundes. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug im Übrigen einschließlich der dortigen Sachanträge sowie der Würdigung, die dieses Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2016 Bezug genommen (Bl. 133 - 135 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger verfüge nicht über ein internationales nautisches Befähigungszeugnis im Sinne der Entgeltgruppe 9 b des Tarifvertrages; das ergebe die Auslegung. In Teil V - Vorbemerkungen zu den Abschnitten 1 bis 4 - sei abschließend benannt, welche Befähigungszeugnisse im Sinne des Tarifvertrages als international nautisch gelten sollen. Die dortige Ziffer 1. (1)a) Satz 1 verweise hinsichtlich der Unterscheidung zwischen den internationalen und nationalen Befähigungszeugnissen auf die Verordnung über die Befähigungen der Seeleute in der Seeschifffahrt (SeeBV), die gemäß §§ 29 Abs. 1 und 33 Abs. 1 SeeBV als internationale Befähigungszeugnisse nur die NK, NEO, NWO, BG, BGW, BK und BKW anerkenne; nach lit. d) gelten als gleichwertig zu den in b) und c) geforderten Befähigungszeugnissen die in der Tabelle aufgeführten Zeugnisse. Das große Rheinpatent werde dort nicht genannt. Allerdings sei es in der Tabelle des folgenden Abschnitts zu finden; dieser enthalte Regelungen für Beschäftigte auf Schiffen und schwimmenden Geräten sowie an Land im Bereich der Binnenschifffahrtsstraßen. Daraus folge, dass die Tarifvertragsparteien das große Rheinpatent kennen und keine unbewusste Lücke anzunehmen sei. Außerdem fehle es an einer entsprechenden Tätigkeit.

Gegen dieses ihm am 15. November 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Dezember 2016 Berufung eingelegt, die er am Montag, den 16. Januar 2017, begründet hat.

Er ist weiterhin der Auffassung, das Große Rheinpatent sei ein internationales nautisches Befähigungszeugnis, auch wenn es nicht in der Tabelle des Teils V - besondere Tätigkeitsmerkmale im Bereich des Bundesministeriums Verkehr und digitale Infrastruktur - aufgeführt sei. Es befähige ihn, sämtliche Seeschifffahrtsstraßen in Europa zu befahren. Es gelte von Basel bis ins offene Meer und schließe die Binnenschifffahrtsbefähigungszeugnisse A und B ein. Zur Beurteilung der Frage, ob ein internationales nautisches Befähigungszeugnis vorliege, müsse insbesondere die Richtlinie 91/672 EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 sowie die Richtlinie 96/50 EG des Rates vom 23. Juli 1996 herangezogen werden. Beide Richtlinien legten fest, dass insbesondere das Große Rheinpatent für alle Wasserstraßen der Gemeinschaft gelte, sodass es sich bei diesem Patent auch um ein internationales nautisches Befähigungszeugnis iSd. Tarifvertrages handeln müsse. Darauf ließen die Bordliste und die Ausschreibung der vom Kläger bekleideten Stelle als Schiffsführer der M. D. schließen. Ausgeschrieben sei der Dienstposten des Klägers mit dem Inhalt, das Große Rheinpatent oder ein Befähigungszeugnis A seien erforderlich, also internationale nautische Befähigungszeugnisse. Auch die Bordliste schreibe einen Schiffsführer mit nautischem Befähigungszeugnis vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20.10.2016 - 5 Ca 419/15 E - aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger beginnend ab dem 1. Januar 2015 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich und insbesondere Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Bereich 1.1 des Teils 5 der Entgeltordnung des Bundes zu zahlen und etwaige Bruttonachzahlungsbeträge beginnend mit dem 1. Januar 2015 ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 3. März 2017, auf den Bezug genommen wird (Bl. 187, 188 d. A.). Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist von ihm frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 und 2 ArbGG). Sie ist daher insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes, denn er verfügt nicht über ein internationales nautisches Befähigungszeugnis im Tarifsinne.

1.

Das hat das Arbeitsgericht zutreffend und mit zutreffender Begründung erkannt. Auf seine Ausführungen insbesondere zur Auslegung der Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD, denen sich das Landesarbeitsgericht nach eigener Prüfung anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 69 ArbGG).

2.

Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.

a)

Die Tarifvertragsparteien haben eine von sonstigen Bestimmungen, ggf. auch vom Sprachgebrauch abweichende Regelung getroffen; sie haben eigenständig festgelegt, welche nautischen Befähigungszeugnisse im Sinne des Tarifvertrages für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD als international gelten sollen. Dafür spricht schon der Umstand, dass das große Rheinpatent in der hier anzuwendenden Tabelle des Teils V (Besondere Tätigkeitsmerkmale im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bl. 90f. d. A.), als internationaler Befähigungsnachweis nicht aufgeführt ist, hingegen an anderer Stelle, nämlich dem der Tabelle des Teils V folgenden Abschnitt (Beschäftigte auf Schiffen und schwimmenden Geräten im Bereich der Binnenschifffahrtsstraßen) genannt wird. Das schließt zudem die Annahme aus, es läge eine unbewusste Regelungslücke vor; die Tarifvertragsparteien hätten "schlichtweg nicht bedacht, dass auch Binnenschiffer im Bereich der Seeschifffahrtsstraßen unterwegs" seien. Gerade diesen Umstand berücksichtigen sie hier.

b)

Unerheblich ist die Einstufung der nautischen Patente in der Richtlinie 91/672 EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 und der Richtlinie 96/50 des LEG des Rates vom 23. Juli 1996. Es ist den Tarifvertragsparteien nicht verwehrt, in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme Anforderungen der tariflichen Eingruppierung festzulegen.

c)

Für die vom Arbeitsgericht vorgenommene Auslegung spricht zudem die gesetzliche Definition der Wasserstraßen, die unter die SeeSchStrO fallen. Das Einsatzgebiet des Klägers ist der Zone 2 der Binnenschiffs-Untersuchungsordnung zugeordnet; es gilt die Binnenschifferpatentverordnung, sodass für das Befahren der Weser im Fahrgebiet des Klägers ein internationales Befähigungszeugnis im Tarifsinne nicht erforderlich ist.

aa)

Die Weser ist verfassungsrechtlich eine Bundeswasserstraße i.S.v. Art. 89 Abs. 2 GG. Die Bundeswasserstraßen sind in Binnen- und Seewasserstraßen unterteilt. Die Grenze zwischen beiden verläuft bei der Weser am Mündungstrichter. Die Binnenwasserstraßen wiederum sind unterteilt in "dem allgemeinen Verkehr dienend" oder "nicht dienend". Die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen sind in der Anlage 1 zum Bundeswasserstraßengesetz (§ 1 WaStrG) aufgeführt. In deren Ziffer 64 findet sich die Weser. Gemäß § 1 SeeSchStrO (Seeschifffahrtsstraßenordnung) ist die Weser bis zur Nordwestkante der Eisenbahnbrücke in Bremen mit dem Nebenarmen Schweiburg, Rechter Nebenarm, Rekumer Loch eine Seewasserstraße.

bb)

Für das Fahrgebiet des Klägers auf der Weser gilt damit zwar die SeeSchStrO. Dennoch bleibt die Weser bis zur Mündung eine Binnenwasserstraße, für die nach § 1 Ziffer 1 Anlagen 1 und 3 der Binnenschiffs-Untersuchungsordnung die Binnenschifferpatentverordnung gilt: Die Weser ist von der Untergrenze des Hafens Brake bis zur Verbindungslinie zwischen den Kirchtürmen Langwarden und Cappel mit den Nebenarmen der Zone 2 - See zugeordnet; von der Nordwestkante der Eisenbahnbrücke in Bremen bis zur unteren Grenze des Hafens Brake mit dem Nebenarm Rekumer Loch ist die Weser der Zone 2 - Binnen zugeordnet.

Grundsätzlich gilt die Unterscheidung zwischen See- und Binnenwasserstraßen. Eine Seeschifffahrtsstraße kann aber, wie im vorliegenden Fall, durchaus Teil einer Binnenwasserstraße sein. Alle Schiffe, mit denen der Kläger als Kapitän fährt, sind Binnenschiffe, die den Bereich der Binnenwasserstraße nicht überschreiten dürfen. Das berücksichtigt die Tarifordnung.

d)

Auch die Vorbemerkungen des Teils V zu den Abschnitten 1 bis 4 in der Anlage 1 der Entgeltordnung unterstützen das Ergebnis. Sie unterscheiden hinsichtlich der Befähigungszeugnisse im Küstenbereich zwischen internationalem und nationalem nautischen Befähigungszeugnis sowie den internationalen und den schiffsmaschinentechnischen Befähigungszeugnissen. Im Binnenbereich dagegen unterscheiden sie zwischen nautischen Befähigungszeugnissen ohne und solchen mit Einschränkungen.

Unter einem internationalen nautischen Befähigungszeugnis sind die Zeugnisse für den nautischen Dienst in der Seeschifffahrt nach der Seeleute-Befähigungsverordnung (See-BV) zu verstehen; die Befähigungszeugnisse des Kapitäns in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) und des nautischen Wachoffiziers in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) gelten als internationales Befähigungszeugnis, wenn das Schiff in küstennaher Fahrt mit Einsätzen in Gewässern des europäischen Teils der Niederlande, Polens und Dänemarks (mit Ausnahme der Färöer und Grönland) eingesetzt wird. Dazu befähigt das Große Rheinpatent nicht. Nationale nautische Befähigungszeugnisse hingegen sind die Befähigungszeugnisse des Kapitäns in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) und des nautischen Wachoffiziers in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) mit Einsätzen in deutschen Hoheitsgewässern und weitere nationale Befähigungszeugnisse. Dazu wohl befähigt auch das Große Rheinpatent.

3.

Da der Kläger damit nicht über ein internationales Befähigungszeugnis im Tarifsinne verfügt, für die ihm übertragene Tätigkeit ein solches auch nicht erforderlich ist, besteht ein Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes nicht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG.

IV.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist daher nicht gegeben.

Stöcke-Muhlack
Remme
Minits