Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.03.2017, Az.: 4 Sa 86/16 E

Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L)

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.03.2017
Aktenzeichen
4 Sa 86/16 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 13577
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2017:0309.4SA86.16E.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 18.10.2018 - AZ: 6 AZR 232/17 (A)
BAG - 29.04.2021 - AZ: 6 AZR 232/17

Fundstellen

  • AE 2017, 120-123
  • AuUR 2017, 361
  • EzA-SD 11/2017, 4
  • NZA-RR 2017, 439-443
  • ZTR 2017, 408-411

Amtlicher Leitsatz

Art. 45 AEUV erfasst grundsätzlich nur die Fälle, die tatsächlich und nicht nur hypothetisch einen relevanten Auslandsbezug aufweisen. Es verstößt nicht gegen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften in Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) 492/2011, dass § 16 Abs. 2 TV L die beim selben Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung gegenüber entsprechenden Zeiten bei anderen Arbeitgebern auch in anderen Mitgliedstaaten privilegiert.

Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 3. Dezember 2015 - 4 Ca 150/15 E - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin legte im Jahr 1988 in Deutschland die Reifeprüfung ab und begann im selben Jahr an der Universität A. ein Studium auf Lehramt Gymnasium mit den Fächern Germanistik, Französisch und Philosophie. Sie schloss ihre Ausbildung im Jahr 2000 in Frankreich mit den CAER/CAPES d´Allemand sowie der Professeur Stagiaire ab. Diese Abschlüsse entsprechen dem deutschen ersten und zweiten Staatsexamen. Seit 1997 bis Juni 2014 war die Klägerin in Frankreich an verschiedenen Collèges-Lycée tätig und dort bis in den Klassen 6 bis 12 eingesetzt.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2012 teilte die Klägerin dem Niedersächsischen Kultusministerium mit, dass sie eine Rückkehr nach Niedersachsen plane und um Anerkennung ihres in Frankreich erworbenen Abschlusses bitte. Das Niedersächsische Kultusministerium erkannte durch Bescheid vom 8. April 2013 die in Frankreich abgeschlossene Ausbildung an und stellte fest, dass die Ausbildung einer Lehrbefähigung für das Lehramt an Realschulen in den Unterrichtsfächern Deutsch und Französisch entspreche.

Auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages trat die Klägerin mit Wirkung vom 8. September 2014 als vollbeschäftigte Lehrkraft auf unbestimmte Zeit in den niedersächsischen Schuldienst. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem beklagten Land findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Die Klägerin ist in Entgeltgruppe 11 eingruppiert und der Entgeltstufe 3 zugeordnet.

§ 16 TV-L regelt die Stufenzuordnung wie folgt:

Stufen der Entgelttabelle

(1) Die Entgeltgruppen 9 bis 15 umfassen fünf Stufen und die Entgeltgruppen 2 bis 8 sechs Stufen.

(2) Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3. Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.

Protokollerklärungen zu § 16 Absatz 2:

1. Einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

...

3. Ein vorheriges Arbeitsverhältnis im Sinne des Satzes 2 besteht, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens sechs Monaten liegt; ...

Unter dem 20. Oktober 2014 bat die Klägerin um Überprüfung ihrer Einstufung und machte eine solche in Stufe 5 der Entgelttabelle geltend. Die niedersächsische Landesschulbehörde lehnte eine Einstufung der Klägerin in Stufe 5 mit Schreiben vom 20. November 2014 ab.

Die Klägerin hält die Privilegierung einschlägiger Berufserfahrung beim selben Arbeitgeber durch § 16 Abs. 2 TV-L unter anderem wegen der unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeitsbestimmungen für unzulässig. Deshalb will die Klägerin festgestellt wissen, dass ihr seit dem 8. September 2014 Entgelt aus Stufe 5 der Entgeltgruppe 11 TV-L zusteht.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 3. Dezember 2015 festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin seit dem 8. September 2014 Entgelt nach Stufe 5 der Entgeltgruppe 11 TV-L nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die monatlichen Entgeltdifferenzen zwischen dem bezogenen und dem hiernach zustehenden Entgelt ab der jeweiligen monatlichen Fälligkeit, allerdings frühestens ab dem 11. Mai 2015 zu zahlen. Es hat unter Bezugnahme auf die angezogene Entscheidung des EuGH vom 5. Dezember 2013 (C-514/12 - Zentralrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken) angenommen, auch die Regelung in § 16 Abs. 2 TV-L sei mit der in Art. 45 Abs. 2 AEUV garantierten Freizügigkeit nicht vereinbar.

Gegen das ihm am 13. Januar 2016 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 19. Januar 2016 Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 22. März 2016 begründet.

Das beklagte Land hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass § 16 TV-L nicht gegen europarechtliche Vorgaben verstoße. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der in § 16 Abs. 2 Satz und Satz 3 TV-L geregelten Differenzierung bei der Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrung unionsrechtlich legitime Ziele sowie zwingende Allgemeininteressen verfolgt und seien nicht über das hinausgegangen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sei.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 3. Dezember 2015 - 4 Ca 150/15 E - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B. Die Berufung des beklagten Landes ist begründet.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das gilt auch, soweit sie Zinsforderungen zum Gegenstand hat (BAG 21. November 2013- 6 AZR 23/12 - Rn. 16). Der Vorrang der Leistungsklage steht ihr nicht entgegen. Bereits das von der Klägerin erstrebte, der Vollstreckung nicht zugängliche Feststellungsurteil ist geeignet, den rechtlichen Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden. Zwischen den Parteien besteht lediglich Streit über die Stufenzuordnung, nicht aber über die Höhe der sich daraus ergebenden Zahlungsdifferenz. Diese Möglichkeit, den Streit der Parteien einer sachgerechten, einfachen Erledigung zuzuführen, spricht gegen einen Zwang zur Leistungsklage und führt zur Zulässigkeit der Klage (BAG 27. Februar 2014 - 6 AZR 988/11 - Rn. 44).

II. Die Feststellungsklage ist nicht begründet. Die Klägerin ist nach ihrer Einstellung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L zu Recht der Stufe 3 der Entgeltgruppe 11 zugeordnet worden.

1. Nach § 16 Abs. 2 TV-L sind Beschäftigte bei der Einstellung der Stufe 3 zuzuordnen, wenn die einschlägige Berufserfahrung von mindestens drei Jahren in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden ist.

Einschlägige Berufserfahrung ist nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogenen entsprechenden Tätigkeit. Um einschlägige Berufserfahrung handelt es sich demnach, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat (BAG 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 45).

Ausgehend von diesen Grundsätzen verfügte die Klägerin bei ihrer Einstellung über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens drei Jahren. Sie übte in den Jahren 1997 bis 2014 in Frankreich Lehrtätigkeiten aus, die den Aufgaben beim beklagten Land entsprechen. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

2. Die Klägerin hat die einschlägige Berufserfahrung in Arbeitsverhältnissen mit anderen Arbeitgebern erworben. Daher hat das beklagte Land die Klägerin zutreffend der Stufe 3 zugeordnet.

3. Die Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die wie die Klägerin von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gewechselt sind, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch dazu, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 GG verletzen. Dabei kommt den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern allerdings aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser reicht, hängt von den im Einzelfall vorliegenden Differenzierungsmerkmalen ab, wobei den Tarifvertragsparteien in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zusteht (BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZR 287/07; 23. September 2010 - 6 AZR 180/09).

b) An diesem Maßstab gemessen wird Art. 3 Abs. 1 GG durch die Unterscheidung bei der Stufenzuordnung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L danach, ob der Arbeitnehmer bereits zuvor in einem Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber stand oder ob er von einem anderen Arbeitgeber zum Land gewechselt ist, nicht verletzt.

aa) Verfassungsrechtlich relevant ist nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (vgl. für den Gesetzgeber BVerfG 13. März 2007 - 1 BvR 1/05 - Rn. 90; 29. November 1961 - 1 BvR 148/57). Nach dem Konzept der Tarifvertragsparteien liegen hinsichtlich der von § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L erfassten Personengruppen keine wesentlich gleichen Sachverhalte vor. Die Tarifvertragsparteien wollten mit § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L den Besitzstand der bereits zuvor im öffentlichen Dienst bei demselben Arbeitgeber Beschäftigten schützen. Beschäftigte wie die Klägerin, die von einem anderen Arbeitgeber zum beklagten Land wechseln, weisen einen solchen, von den Tarifvertragsparteien als schutzwürdig angesehenen Besitzstand nicht auf.

bb) Die Tarifvertragsparteien haben im TV-L ein höchst differenziertes Konzept zur Wahrung von Besitzständen vereinbart (BAG 23. September 2010 - 6 AZR 180/09 unter Darlegung dieses Konzeptes). In diesen differenzierenden Regelungen haben die Tarifvertragsparteien festgelegt, welchen Besitzstand sie unter welchen Voraussetzungen in welchem Umfang als schützenswert ansehen. Bezogen auf die Stufenzuordnung soll der Besitzstand bis zu einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses von längstens sechs Monaten fortbestehen, wenn die bisher erworbene Berufserfahrung auch für das neue Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber einschlägig und deshalb für die darin zu erbringende Tätigkeit nützlich ist. Nur mit einer solchen Regelung konnten die Tarifvertragsparteien sicherstellen, dass bei wiederholten Befristungen, wie sie im öffentlichen Dienst verbreitet und üblich sind, dieser Personenkreis überhaupt die Chance zum Stufenaufstieg erhält (BAG 23. September 2010 -aaO. - Rn 16). Der in einem vorangegangenen Vertragsverhältnis mit demselben Arbeitgeber erworbene Besitzstand soll nicht durch die kurzfristige rechtliche und tatsächliche Unterbrechung des Vertrags verloren gehen.

cc) Diese besitzstandswahrenden Regelungen durften die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihrer Einschätzungsprärogative im Rahmen des ihnen zustehenden Gestaltungsspielraums in der Annahme treffen, dass die im vorigen Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung den Beschäftigten befähigt, nach seiner Wiedereinstellung die erworbene Berufserfahrung schneller in vollem Umfang im neuen Arbeitsverhältnis einzusetzen, als dies einem Arbeitnehmer möglich ist, der seine Berufserfahrung in den oft gänzlich andersartigen Strukturen bei anderen Arbeitnehmern, insbesondere der Privatwirtschaft, erworben hat (BAG 23. September 2010 - aaO. - Rn 16, 18). Außerdem und vor allem durften die Tarifvertragsparteien damit einen Anreiz zur Rückkehr und Verbleib solcher Beschäftigter im öffentlichen Dienst schaffen, die bereits einschlägige Berufserfahrung bei demselben öffentlichen Arbeitgeber erworben haben (BVerfG 28. November 1997 - 1 BvR 8/96). Dabei ist zu beachten, dass die niedrigere Entwicklungsstufe und damit die zu zahlende Vergütung zunächst verhältnismäßig schnell ansteigt und sich eine etwaige Ungleichbehandlung ab Erreichen der Endentwicklungsstufe zwischen den beiden Beschäftigungsgruppen nicht mehr auswirkt, § 16 Abs. 3 TV-L (BVerfG 28. November 1997 - 1 BvR 8/96; 23. September 2010 - 6 AZR 180/09). Insgesamt wird damit in einer nicht sachfremden Weise die Betriebstreue von Arbeitnehmern honoriert und dem berechtigten Interesse des öffentlichen Arbeitgebers entsprochen, sich die von ihm bereits ausgebildeten und eingearbeiteten Arbeitnehmer zu erhalten bzw. zurückzugewinnen.

4. Es verstößt nicht gegen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften in Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) 492/2011, dass § 16 Abs. 2 TV-L die beim selben Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung gegenüber entsprechenden Zeiten bei anderen Arbeitgebern privilegiert.

a) Der sachliche Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften ist eröffnet, der erforderliche Auslandsbezug ist gegeben.

aa) Art. 45 Abs. 1 AEUV gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Abs. 2 der Vorschrift verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Die Vorschrift soll eine Abschottung der Arbeitsmärkte verhindern (EuGH 30. September 2003 - C-224/01). Eine entsprechende Regelung enthält Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/211. Diese Regelung stellt nur eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar (EuGH 5. Dezember 2013 - C-514/12).

bb) Die Klägerin ist Arbeitnehmerin im Sinne der Vorschrift. Sie ist auch nicht nach Art. 45 Abs. 4 AEUV von der Gewährleistung der Freizügigkeit ausgenommen. Danach findet Art. 45 AEUV keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Ebenso wie bei Art. 8 Abs. 2 VO 492/11 handelt es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Die Bestimmungen sind so auszulegen, dass sich ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Belange des Staates unbedingt erforderlich ist. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung betrifft diejenigen Stellen, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung von Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind (EuGH 10. September 2014 - C-270/13; ErfK/Wißmann, 16. Aufl., Art. 45 AEUV Rn. 52; Grabitz/Forsthoff, Art. 45 AEUV, Rn. 425). Für eine Zuordnung zu Art. 45 Abs. 3 AEUV reicht es nicht aus, wenn der Teil der Tätigkeit, der die Zugehörigkeit zur öffentlichen Verwaltung begründet, marginal ist und hinter andere, die Tätigkeit prägende Charakteristika zurücktritt. Die Klägerin fällt als Lehrerin nicht unter die Ausnahmeregelung (vgl. EuGH 27. November 1991- C-4/91).

cc) Art. 45 AEUV erfasst grundsätzlich nur die Fälle, die - tatsächlich und nicht nur hypothetisch - einen relevanten Auslandsbezug aufweisen (EuGH 15. November 2011 - C-256/11; 8. November 2012 - C-40/11). Dafür genügt es, wenn ein Arbeitnehmer seinen Wohnsitz und Arbeitsplatz in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Heimatstaat hat (EuGH 20. Juni 2013 - C-20/12 - Giersch). Ebenso reicht es, wenn für eine regulierte Tätigkeit im Heimatstaat eine im Ausland erworbene Qualifikation geltend gemacht wird (EuGH 6. Oktober 2015 - C-298/14 - Brouillard).

Die Klägerin begehrt die volle Berücksichtigung ihrer in Frankreich erworbenen Berufserfahrung.

b) Art. 45 Abs. 2 AEUV bestimmt als Spezialnorm, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer (aus Mitgliedstaaten) und ihrer Angehörigen in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verbietet. Näher ausgeführt wird dieser Grundsatz durch Art. 7 bis 9 VO 492/2011. Er untersagt nicht nur die Ungleichbehandlung gleicher, sondern auch die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte.

aa) Eine unmittelbare Diskriminierung (auch "offene" Diskriminierung) liegt vor, wenn die Staatsangehörigkeit das für eine Differenzierung maßgebliche Kriterium ist und die hiervon abhängigen Rechtsfolgen für Ausländer weniger günstig sind als für Inländer. Dagegen handelt es sich um eine mittelbare Diskriminierung, wenn auf andere Unterscheidungsmerkmale als die Staatsangehörigkeit abgestellt wird, dies aber tatsächlich zur Benachteiligung von Ausländern führt; der EuGH spricht insoweit auch von "verschleierter" oder "versteckter" Diskriminierung (EuGH 18. Dezember .2014 - C-523/13 -- Larcher; 5. Dezember 2013 - C-514/12 -- Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken). Diskriminierend sind außerdem unterschiedslos geltende Voraussetzungen für günstige Rechtsfolgen, wenn diese Voraussetzungen von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern, und schließlich Voraussetzungen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil der Wanderarbeitnehmer auswirken (EuGH 22. Juni 2011 - C-399/09 - Landtová). Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (EuGH 5. Dezember 2013 C - 514/12 - Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken). Voraussetzung ist ferner nicht die positive Feststellung, dass die in Rede stehende Vorschrift in der Praxis einen wesentlich größeren Anteil der Wanderarbeitnehmer betrifft. Es genügt die Feststellung, dass die betreffende Vorschrift geeignet ist, eine solche Wirkung hervorzurufen (EuGH 23. Mai 1996 - C-237/94 - Rn. 2).

bb) Die Staatsangehörigkeit ist nicht das maßgebliche Kriterium für die Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L. Die Vorschrift unterscheidet nur zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes begründen und den Arbeitnehmern, die - wie die Klägerin - von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gewechselt sind. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt deshalb nicht vor.

Die Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung sind gegeben. Vorliegend kann sich die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L, wonach die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene einschlägige Berufserfahrung nicht in vollem Umfang angerechnet wird, stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken und Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligen. Wanderarbeitnehmer werden vor Eintritt in den Dienst eines Arbeitgebers, der Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) oder eines Mitgliedverbandes der TdL ist, eher Berufserfahrung in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben. Die Regelung berührt zudem die Interessen der Arbeitnehmer, die zunächst ein Arbeitsverhältnis aufgenommen haben, das unter den Geltungsbereich des § 1 TV-L fällt, anschließend in einem anderen Mitgliedstaat eine ihren vorherigen Aufgaben entsprechende Tätigkeit ausüben, um anschließend zu ihrem ersten Arbeitgeber zurückzukehren. Die Regelung ist mithin geeignet, die bereits im öffentlichen Dienst eines Landes beschäftigten Arbeitnehmer davon abzuhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen aber Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewandt werden (EuGH 17. März 2005 - C 109/04 - Kranemann).

c) Eine mitgliedstaatliche Vorschrift, die eine relevante Beschränkung der Freiheiten bewirkt, verstößt gegen die Freiheiten, wenn sie nicht zu rechtfertigen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn mit ihr eines der in Art. 45 Abs. 3 AEUV genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (EuGH 5. Dezember 2013 - C-514/12; EuGH 18. Dezember 2014 - C-523/13; ausführlich hierzu Grabitz/Forsthoff, Art. 45 AEUV Rn. 371 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sozialpartner in gleicher Weise wie die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel sie im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über ein weites Ermessen verfügen (EuGH 16. Oktober 2007 - C-411/05 - Palacios de la Villa).

aa) § 16 Abs. 2 TV-L hat den Zweck, einen Arbeitgeberwechsel innerhalb des öffentlichen Dienstes, aber auch aus der Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst zu erleichtern, indem Vorbeschäftigungszeiten anerkannt werden (BAG 27. März 2014 - 6 AZR 571/12). Der öffentliche Dienst ist im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte darauf angewiesen, dass nachteilige Folgen beim Arbeitgeberwechsel vermieden werden, damit die Personalgewinnung erleichtert wird. Ein weiterer Zweck des § 16 Abs. 2 TV-L besteht darin, bereits erworbene Berufserfahrung bei der Einstellung finanziell zu honorieren, weil sie dem Arbeitgeber Einarbeitungszeit erspart und ein höheres Leistungsvermögen des Arbeitnehmers erwarten lässt. Typisierend gehen die Tarifvertragsparteien bei einer Vorbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber davon aus, dass dem einstellenden Arbeitgeber die bei einem anderen Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung angesichts der anderen Strukturen nicht in demselben Ausmaß zugutekommt wie die bei ihm - demselben Arbeitgeber - erworbene Berufserfahrung. Die Tarifvertragsparteien haben in Abs. 2 und Abs. 3 des § 16 TV-L ferner zum Ausdruck gebracht, dass mit der Anerkennung von Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung Arbeitnehmer gewonnen werden sollen, mit der - leistungsunabhängigen - Stufenlaufzeit in den Stufen 1 bis 3 hingegen die Betriebstreue honoriert werden soll.

bb) Es kann dahinstehen, ob allein das Ziel der Honorierung der Betriebstreue einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt. Der EuGH sah in einer Vorschrift, die bei der Stellenvergabe die im Ausland geleisteten Dienste nicht entsprechend der im Aufnahmemitgliedstaat geleisteten Dienste berücksichtigt, einen Verstoß gegen Art. 45 AEUV (EuGH 23. Februar 1994 - C-419/92); ebenso für die Gewährung einer Dienstalterszulage (EuGH 30. September 2003 - C-224/01 - Rn. 70 -88). Das Argument, dass hierdurch die Treue zum Arbeitgeber honoriert und gefördert werden solle, ließ der EuGH nicht gelten. Die konkrete Ausgestaltung der Regelung sei in den entschiedenen Fällen zu unspezifisch, da sie eine erhebliche Mobilität der Arbeitnehmer bei einer großen Gruppe rechtlich voneinander unabhängiger Arbeitgeber zulasse (EuGH 15. Januar 1998 - 15/96; 30. November 2000 - C 195/08), beziehungsweise, - bei Bindung an rechtlich nur einen Arbeitgeber - die Einrichtungen nicht nur mit Einrichtungen anderer Mitgliedstaaten, sondern auch untereinander im Wettbewerb stehen (EuGH 30. September 2003 - C-224/01 - Rn. 84). Im Übrigen beanstandete der Gerichtshof die marktabschottende Wirkung einer solchen Regelung.

cc) Die mit der tariflichen Regelung weiter verfolgten Ziele der Besitzstandswahrung, der Gewährung eines Anreizes zur Rückkehr zum Arbeitgeber sowie die Nutzbarmachung der in denselben Strukturen erworbenen Berufserfahrung stellen indes einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar (zur Besitzstandswahrung; EuGH 28. Januar 2015 - C-417/13 - Starjakob; zur Berufserfahrung EuGH 3. Oktober 2006 - C-17/05 - Cadmann).

(1) Es liegt im Allgemeininteresse, dass Verwaltungsaufgaben von Beschäftigten ausgeführt werden, die bereits länger in die speziellen Abläufe und die Organisation eingegliedert sind und aufgrund der dadurch gewonnenen Erfahrung typischerweise zuverlässige Dienstleistungen erbringen. Dem Arbeitgeber kommt die innerhalb seiner Strukturen erworbene Berufserfahrung schneller zugute als berufliche Erfahrung, die der Arbeitnehmer bei anderen Arbeitgebern unter abweichenden Organisationsstrukturen erlangt hat. Denn abzustellen ist nicht nur auf die fachliche Tätigkeit, sondern auch auf die Einbindung in organisatorische Strukturen und Handlungsweisen. Liegt das verfolgte Ziel in der Anerkennung der einschlägigen Berufserfahrung, kann im Rahmen eines solchen Systems ein Wanderarbeitnehmer nicht geltend machen, er habe - individuell betrachtet - während des einschlägigen Zeitraums in einem anderen Mitgliedsstaat eine Erfahrung erworben, die es ihm ermöglicht, seine Arbeit ebenso gut zu verrichten wie ein Arbeitnehmer, der seine Berufserfahrung bei demselben Arbeitgeber im Inland gewonnen hat.

(2) Die Tarifvertragsparteien durften zudem einen Anreiz zur Rückkehr von Arbeitnehmern in den öffentlichen Dienst schaffen, die bereits über einschlägige Berufserfahrung bei demselben öffentlichen Arbeitgeber verfügen. Die vollständige Berücksichtigung bisheriger Berufserfahrung bei der Einstufung ist angesichts der teilweise erheblichen Vergütungsspannen innerhalb der Entgeltgruppen ein geeignetes und erforderliches Mittel.

(3) § 16 Abs. 2 TV-L geht nicht über das zur Besitzstandswahrung und Anreizgewährung Erforderliche hinaus. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, wenn Leistungen - hier die volle Anrechnung der erworbenen einschlägigen Berufserfahrung - denjenigen vorenthalten werden, die keinen Besitzstand aufgebaut haben. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L begrenzt die Benachteiligung der Personen, die keinen zu wahrenden Besitzstand haben, auf einen überschaubaren Zeitraum. Spätestens mit Erreichen der letzten Stufe entfallen die Entlohnungsnachteile der nicht zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer.

c) In der Zielsetzung, die Arbeitnehmer an ihren Vertragsarbeitgeber zu binden, unterscheidet sich die streitige Tarifregelung von der österreichischen Regelung, die zur Beurteilung des EuGH vom 5. Dezember 2013 stand (C - 514/12 - Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken). Der EuGH hatte Bestimmungen zu beurteilen, die sich grundlegend von § 16 Abs. 2 TV-L unterscheiden. Die im Fall des EuGH maßgebliche österreichische Vorschrift differenzierte nicht danach, ob die Berufserfahrung einschlägig war oder nicht, sondern belohnte jegliche Zeit der Tätigkeit für den Arbeitgeber unabhängig von ihrem Inhalt. Darüber hinaus hat der Gerichtshof eine Differenzierung bei der Stufenzuordnung danach, ob die Arbeitnehmer durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren oder nicht, nicht schlechthin für unzulässig gehalten, sondern dafür lediglich eine Rechtfertigung verlangt, an der es in dem ihn vorgelegten österreichischen Fall fehlte. Aussagen darüber, ob die Differenzierung danach, ob die einschlägige Berufserfahrung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber erworben worden ist, auf einem legitimen Ziel beruht, enthält die Entscheidung des Gerichtshofs darum ebenso wenig wie dazu, ob § 16 Abs. 2 TV-L zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist (Spelge, ZTR 2015, 243 f.).

C. Die Klägerin hat gem. § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

D. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.