Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.03.2000, Az.: 4 L 42/00
Aufwendungsersatz; Darlehnsrückforderung; Erbenhaftung; Geschäftsfähigkeit; Mehrfamilienhaus; mithaftende Personen; Schonvermögen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.03.2000
- Aktenzeichen
- 4 L 42/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41521
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 4 A 31/98
Rechtsgrundlagen
- § 29 BSHG
- § 89 BSHG
- § 15 SGB 10
- § 43 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, wenn das Verwaltungsgericht das gefundene Ergebnis im Wege der Umdeutung des angefochtenen Bescheides im Ergebnis zutreffend hätte finden können. Ein gegen den Erben eines Hilfeempfängers gerichteter Darlehnsrückforderungsanspruch kann in einen gegen eine Person nach § 28 BSHG gerichteten Aufwendungsersatzanspruch umgedeutet werden.
2. Ein selbst bewohntes Haus ist zumindest regelmäßig nicht nach § 88 Abs. 2 Nr. 5 BSHG geschütztes Vermögen.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet.
Nach § 124 Abs. 2 VwGO (i.d.F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Berufung nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. ...
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht,
5. ....
Ein solcher Zulassungsgrund ist im vorliegenden Verfahren nicht gegeben.
Der Senat hat insbesondere .... "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils" nicht. Bei der Beurteilung, ob ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die von dem Gericht für seine Entscheidung angeführten Gründe zutreffen (so aber VGH Mannheim, Beschl. v. 9. Juni 1997 - NC 9 S 20/97 -, NVwZ 1998, 196); notwendig sind vielmehr ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des von ihm gefundenen Ergebnisses (Senat, Beschl. v. 9. Juni 1998 - 4 L 2618/98 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 23. Okt. 1998 - 12 M 4769/98 -, V. n. b.; Hamb.OVG, Beschl. v. 20. Febr. 1997, DVBl 1997, 1333; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21. April 1997, DVBl 1997, 1327; Hess. VGH, Beschl. v. 15. Juli 1997, HessJMBl 1997, 818; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 124 Rdnr 7 a; Seibert, DVBl 1997, 932 -934-). Der Senat hat nicht ernstliche Zweifel daran, dass das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis richtig ist. Es hat die Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30. September 1997 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1998 rechtmäßig ist.
Die angefochtenen Bescheide sind zwar fehlerhaft, soweit der Kläger durch sie als Alleinerbe seiner Ehefrau auf Rückzahlung eines ihr nach § 89 BSHG gewährten Darlehens in Anspruch genommen wird. Denn die Annahme der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden (wie auch schon in dem Bescheid vom 5. Oktober 1989 über die Gewährung des Höchstpflegegeldes nach § 69 Abs. 4 Satz 2 BSHG a. F. als Darlehen), die pflegebedürftige Ehefrau des Klägers sei zur Hälfte Miteigentümerin des nicht nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG geschützten, von beiden zum Teil bewohnten Mehrfamilienhauses gewesen und ihr sei nur die sofortige Verwertung ihres Miteigentumsanteils nicht möglich und nicht zuzumuten gewesen, hat sich im Nachhinein als unzutreffend erwiesen, da der Kläger Alleineigentümer des Mehrfamilienhauses (gewesen) ist. Die Abweisung der Anfechtungsklage erweist sich aber deshalb im Ergebnis als richtig, weil das Verwaltungsgericht den fehlerhaften Verwaltungsakt vom 30. September 1997 nach § 43 Abs. 1 SGB X in einen anderen, rechtmäßigen Verwaltungsakt hätte umdeuten können, nämlich in einen an den Kläger als Gesamtschuldner gerichteten Bescheid über die Forderung von Aufwendungsersatz nach § 29 Satz 2 BSHG. Ein solcher Bescheid ist - wie es § 43 Abs. 1 SGB X für die Umdeutung fordert - auf das gleiche Ziel (Zahlung von 15.429,25 DM durch den Kläger) gerichtet, hätte von der Beklagten in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig erlassen werden können und die Voraussetzungen für dessen Erlass sind - wie noch ausgeführt wird - erfüllt. Der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte umzudeuten wäre, widerspräche auch nicht der erkennbaren Absicht der Beklagten und seine Rechtsfolgen wären für den Kläger auch nicht ungünstiger als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Hier sind die Rechtsfolgen für den Kläger nach einer Umdeutung jedenfalls deshalb nicht ungünstiger, weil das Verwaltungsgericht - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig - dem Kläger vorbehalten hat, die beschränkte Erbenhaftung geltend zu machen, und die Beklagte dagegen Rechtsmittel nicht eingelegt hat. Ferner steht § 43 Abs. 3 SGB X der Umdeutung nicht entgegen, da weder die Forderung, ein Darlehen zurückzuzahlen, noch die Forderung von Aufwendungsersatz im Ermessen des Sozialhilfeträgers steht, vielmehr beide Entscheidungen nur als gesetzlich gebundene Entscheidungen ergehen können.
Die Voraussetzungen für die Forderung von Aufwendungsersatz nach § 29 Satz 2 BSHG sind hier erfüllt: Der Kläger und seine hilfebedürftige Ehefrau lebten in der Zeit, für die die Beklagte Hilfe zur Pflege gewährt hat (vom 7.Juli 1989 bis zum 31.12.1990), nicht getrennt. Ihm war daher nach § 28 BSHG in der damals gültig gewesenen Fassung die Aufbringung der Mittel aus seinem Grundvermögen zuzumuten, da das Mehrfamilienhaus nicht nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a. F. geschützt war. Es gehörte entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zu dem nach § 88 Abs. 2 Nr. 5 BSHG geschützten Vermögen. Dabei kann der Senat offen lassen, ob Hausgrundstücke im Hinblick auf die spezielle Regelung in Nr. 7 überhaupt zu den nach Nr. 5 geschützten "Familien- und Erbstücken" gehören können (verneinend: Brühl, LPK - BSHG, 5. Aufl., 1998, § 88 Rdnr. 29). Jedenfalls ist der Umstand, dass der Kläger das Grundstück im Jahre 1964 geerbt hat, nicht geeignet, eine besondere Härte zu begründen, die der Verwertung des Vermögens zur Deckung der Kosten der häuslichen Pflege seiner Ehefrau hätte entgegenstehen können. Einer Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG, die es hätte bedeuten können, wenn die häusliche Pflege der Ehefrau des Klägers nicht in der von ihnen bewohnten Wohnung in dem Mehrfamilienhaus hätte fortgeführt werden können, ist die Beklagte dadurch begegnet, dass sie die sofortige Verwertung des Grundvermögens und sofortige Rückzahlung des Darlehens bzw. Ersatz der Aufwendungen gerade nicht verlangt hat. Aus demselben Grund hat es sich um einen "begründeten Fall" im Sinne des § 29 Satz 1 BSHG gehandelt, in dem Hilfe über § 28 hinaus auch insoweit gewährt werden kann, als den dort genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem (Einkommen oder) Vermögen zuzumuten ist. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte in der Sache Gebrauch gemacht, indem sie Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) verauslagt hat, um die Aufrechterhaltung der häuslichen Pflege in der gewohnten Umgebung sicherzustellen. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer solchen "unechten" oder "erweiterten" Sozialhilfe und damit für die Rechtmäßigkeit der Forderung von Aufwendungsersatz ist, dass die Entscheidung über die Hilfeleistung so ergeht, dass der Hilfeempfänger oder eine nach § 28 BSHG mithaftende Person den Vorbehalt erkennen kann und mit der Forderung von Aufwendungsersatz rechnen muss (Urteil des Senats vom 24.6.1996 - 4 L 1849/96 -). Diese Voraussetzung ist hier dadurch erfüllt, dass die Beklagte die Hilfe in dem Bescheid vom 5. Oktober 1989 und der beigefügten Anlage mit Rücksicht auf das Hausgrundstück ausdrücklich nur als "Darlehen nach § 89 BSHG" gewährt hat. Damit war für den Kläger als nach § 28 BSHG mithaftende Person hinreichend deutlich erkennbar, dass auch er im Hinblick auf sein Grundvermögen mit einer Rückzahlungs- bzw. Aufwendungsersatzforderung rechnen musste. Die Nennung der falschen Rechtsgrundlage (§ 89 statt § 29 BSHG) ist dabei unschädlich, da beide Verpflichtungen - wie ausgeführt - auf das gleiche Ziel gerichtet sind. Dass der Kläger von dem Bescheid vom 5. Oktober 1989 und dem darin enthaltenen Leistungsvorbehalt tatsächlich Kenntnis erlangt hat, ergibt sich daraus, dass er auf die - wiederum an seine Ehefrau gerichtete - Aufforderung der Beklagten vom 20. März 1990 am 3. April 1990 eine Grundschuld über 20.000,00 DM zugunsten der Beklagten zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs an seinem Grundbesitz bestellt hat.
Die Hilfe ist unter dem genannten Vorbehalt selbst dann rechtmäßig gewährt worden, wenn die Ehefrau des Klägers - wie er geltend macht - im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 5. Oktober 1989 aufgrund der Schwere ihrer Krankheit bereits geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB gewesen sein sollte. Wird dem Träger der Sozialhilfe eine Notlage bekannt - hier aufgrund des schriftlichen Antrages vom 3. August 1989, den der Kläger als "nicht getrennt lebender Ehegatte" der Hilfesuchenden unterschrieben hat -, setzt Sozialhilfe ein, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen (§ 5 BSHG). Die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach den §§ 68, 69 BSHG a. F. ist nicht davon abhängig, dass der Pflegebedürftige noch geschäftsfähig ist. Die Beklagte musste auch nicht nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 SGB X von Amts wegen das Vormundschaftsgericht ersuchen, für die Ehefrau des Klägers in dem Verwaltungsverfahren einen Vertreter zu bestellen. Sie durfte vielmehr annehmen, dass der Kläger im Rahmen seiner "Schlüsselgewalt" nach § 1357 Abs. 1 Satz 1 BGB für seine Ehefrau in dem Verwaltungsverfahren tätig werden durfte. Danach ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Die notwendige Hilfe zur Pflege gehörte hier zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Ehefrau des Klägers. Er war also berechtigt, in dem Verwaltungsverfahren für seine Ehefrau tätig zu werden. Als nach § 28 BSHG mithaftende Person hatte er Kenntnis von dem Rückzahlungsvorbehalt in dem Bescheid vom 5. Oktober 1989. Seine Kenntnis und sein Einverständnis reichen - wie dargelegt - aus, um anzunehmen, die Vorbehaltsleistung sei rechtmäßig gewährt und nicht "aufgedrängt" worden. Weil das Verwaltungsgericht das von ihm gefundene Ergebnis mit einem originär gegen den Kläger gerichteten Aufwendungsersatzanspruch aus § 29 Satz 2 BSHG in rechtmäßiger Weise hätte begründen können, kommt es auf die behauptete Geschäftsunfähigkeit der Hilfeempfänger und darauf, ob auch sie wirksam zur Darlehensrückzahlung bzw. zum Aufwendungsersatz verpflichtet worden ist, gerade nicht an. Der Schutz des nicht voll geschäftsfähigen Hilfesuchenden vor einer Belastung mit dem Rückforderungsanspruch aus der darlehensweisen Gewährung der Hilfe kann aber dann nach seiner Zweckrichtung nicht zum Tragen kommen, wenn die mit der künftigen Rückzahlung belastete Person unbeschränkt geschäftsfähig ist und deshalb erkennen kann, dass die Hilfegewährung gleichsam als Kehrseite der Leistung eine Forderung gegen sie begründen wird.
Der Senat hält es zur Vermeidung einer "Überraschungsentscheidung" nicht für erforderlich, die Beteiligten vorher auf die Möglichkeit der Umdeutung des Bescheides vom 30. September 1997 in einen solchen nach § 29 Satz 2 BSHG hinzuweisen, da schon das Verwaltungsgericht (S. 5 Mitte des Urteilsabdrucks) unter Hinweis auf Rechtsprechung des Senats erwähnt hat, die Verpflichtung, eine als Darlehen gewährte Hilfe zurückzuzahlen, sei mit der Verpflichtung, nach § 29 Satz 2 BSHG Aufwendungsersatz zu leisten, vergleichbar.
Aus dem Gesagten folgt, dass die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der vom Kläger formulierten Rechtsfrage zuzulassen ist, "ob eine Behörde bei der Gewährung von Hilfeleistungen auf Darlehensbasis die Geschäftsfähigkeit des Darlehensempfängers immer dann zu überprüfen und ggfls. eine Betreuung anzuordnen hat, wenn, wie hier, zumindest die Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit des Empfängers nicht ausgeschlossen werden kann."
Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachte Abweichung vom Urteil des VGH Mannheim kann nicht zur Zulassung führen, weil die Entscheidung eines anderen Berufungsgerichts nach dem eindeutigen Wortlaut des § 124 Abs.2 Nr. 4 VwGO nicht divergenzfähig ist. Auf einer Abweichung von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Januar 1963 (NJW 1963, S. 1075 [BVerwG 09.01.1963 - BVerwG V C 74.62]) kann die angefochtene Entscheidung nicht beruhen, weil nach Auffassung des Senats - wie ausgeführt - der Kläger zutreffenderweise die Rückzahlung erbrachter Sozialhilfeleistungen nicht als Erbe seiner Ehefrau aufgrund einer auf ihn übergegangenen Darlehensrückzahlungsverpflichtung schuldet, sondern als eigene Verbindlichkeit wegen der Gewährung erweiterter Hilfe.