Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.03.2000, Az.: 1 M 416/00

grundsätzliche bauliche Anforderungen; Nachbarschutz; nachbarschützende Wirkung; RAT; Tankstelle; Verkehrsgefährdung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.03.2000
Aktenzeichen
1 M 416/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41552
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 4 B 4518/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Richtlinien für die Anlage von Tankstellen an Straßen - RAT - vermitteln keinen Nachbarschutz zugunsten eines benachbarten Tankstellengrundstückes.


2. § 1 Abs. 1 NBauO ist drittschützende Wirkung nicht beizumessen, wenn die Verkehrsgefährdung nicht von der Tankstellen-Anlage, sondern nur mittelbar von Verkehrsteilnehmern ausgeht, die Zu- und Abfahrten benachbarter Tankstellen benutzen.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen durch Bescheide der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 1999 erteilten Baugenehmigungen zur Errichtung einer Tankstelle mit Shopgebäude, Fahrbahnüberdachung, Zapfinsel und Waschhalle sowie zur Errichtung von Werbeanlagen und gegen die Erlaubnis zur Errichtung tanktechnischer Anlagen auf dem Grundstück A. Straße 229 in E. (Flurstück 405/56 der Flur 1 der Gemarkung H.weg) - Vorhaben -.

2

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des südlich angrenzenden Grundstückes A. Straße 227 (Flurstück 56/25 der Flur 1 der Gemarkung H.weg), auf dem sie eine Tankstelle betreibt. Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen und Erlaubnis wurde noch nicht entschieden.

3

Den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Januar 2000 ab. Zur Begründung führte es aus: Das Interesse der Antragstellerin, von den allgemeinen verkehrlichen Auswirkungen des genehmigten Vorhabens verschont zu bleiben, sei baurechtlich nicht schutzwürdig. Nachbarschutz vermittelten weder die Vorschrift des § 1 Abs. 1 NBauO noch die Richtlinien für die Anlage von Tankstellen an Straßen. Das Vorhaben füge sich auch nach § 34 Abs. 2 BauGB seiner Art nach in die nähere Umgebung ein und sei nicht rücksichtslos gegenüber den Interessen der Antragstellerin als benachbarte Grundstückseigentümerin.

4

Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag, der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO gestützt wird.

5

Der Zulassungsantrag ist unbegründet.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nach ständiger Senatsrechtsprechung erst dann, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis "die besseren Gründe sprechen", das heißt wenn sein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen (Beschl. d. Sen. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NdsVBl. 1999, 93). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

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Der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin könne nicht mit Erfolg Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften rügen, setzt die Antragstellerin nur unzureichende Darlegungen im Sinne des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO entgegen. Zu Unrecht beruft sich die Antragstellerin auf die Generalklausel in § 1 Abs. 1 NBauO. Nach Satz 1 müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Unzumutbare Verkehrsbehinderungen dürfen nach Satz 3 nicht entstehen. Die allgemeinen Anforderungen an bauliche Anlagen in § 1 NBauO dienen in erster Linie dem Allgemeinwohl. Nur in besonderen Fällen ist § 1 Abs. 1 NBauO als eine gesetzliche Ausprägung des Gebotes der Rücksichtnahme im Bauordnungsrecht nachbarschützend (Schmaltz, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 6. Aufl. 1996, § 72, Anm. 33). Der Rückgriff des Nachbarn auf diese Anspruchsgrundlage scheidet aus, wenn die bauliche Anlage selbst recht- und ordnungsmäßig ist und nur "mittelbar" eine Gefahr dadurch verursacht, dass sich Verkehrsteilnehmer bei Zu- und Abfahrt zu/von dem Grundstück verkehrsgefährdend verhalten (vgl. Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 1, Anm. 16 u. 29). In einem solchen Fall ist die Verkehrsgefährdung nicht der baulichen Anlage zuzurechnen. Die geplante Ausfahrt der Tankstelle der Beigeladenen nach Süden gefährdet in diesem Sinne nicht unmittelbar den Betrieb der benachbarten Tankstelle der Antragstellerin. Die Zu- und Abfahrten beider Tankstellen sind nebeneinander angeordnet und kreuzen sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht. Kreuzender Verkehr wird dadurch vermieden, dass die von beiden Tankstellen abfahrenden Verkehrsteilnehmer den vorfahrtsberechtigten Verkehr auf der Auricher Straße beachten müssen. Kraftfahrzeuge, die von der nördlich gelegenen Tankstelle der Beigeladenen in die Auricher Straße einbiegen, gehören bereits zum vorfahrtsberechtigten Verkehr und zwingen Fahrzeuglenker, die sich von der nördlichen Zufahrt zu der Tankstelle der Antragstellerin ebenfalls in den Verkehr Richtung Süden einordnen wollen, auf eine Lücke zu warten. Es ist der Antragstellerin durchaus einzuräumen, dass es bei den Ein- und Abbiegevorgängen zu Überlagerungen kommen kann, die geeignet sind, die Leichtigkeit des Verkehrs zu stören. Für solche Behinderungen und Gefährdungen ist aber nicht der Tankstellenbetrieb der Beigeladenen ursächlich, sondern das unachtsame oder möglicherweise sogar verkehrswidrige Verhalten einzelner Verkehrsteilnehmer, die die Grundstücke beider Tankstellen befahren oder verlassen wollen.

8

Die Richtlinien für die Anlage von Tankstellen an Straßen (RAT) - Richtlinien - vermitteln ebenfalls keinen Nachbarschutz zugunsten der Antragstellerin. Ob eine Norm des öffentlichen Rechts drittschützende Wirkung hat, hängt davon ab, ob sie ausschließlich objektiv-rechtlichen Charakter hat und nur dem öffentlichen Interesse dient oder ob sie - zumindest auch - dem Schutz von Individualinteressen derart zu dienen bestimmt ist, dass die Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes sollen verlangen können (BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2/98 -, NJW 1999, 592). Ob das eine oder das andere der Fall ist, lässt sich bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zur drittschützenden Wirkung nur durch Auslegung von Sinn und Zweck der jeweils einschlägigen Norm ermitteln. Ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht ist dann gegeben, wenn die Vorschrift zumindest auch private Belange des Nachbarn schützen will. Eine drittschützende Wirkung der Richtlinien ist danach zu verneinen.

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Es handelt sich nicht um eine Norm, der drittschützende Wirkung beizumessen ist. Die Richtlinien sind von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen herausgegeben. Sie sind nach der Vorbemerkung vom Arbeitsausschuss "Tankstellen und Nebenanlagen", dem Fachleute aus Bau- und Verkehrsverwaltungen sowie der Mineralölwirtschaft angehören, aufgestellt worden. Sie richten sich nach der Einleitung zu den einzelnen Ziffern an den "Planenden", dem sie zu "beachtende Planungsgrundsätze" an die Hand geben wollen. Die Richtlinien enthalten Hinweise für die verkehrliche, städtebauliche, bauliche und betriebliche Planung von Tankstellen und für die verkehrstechnische Gestaltung und Zuordnung zur Straße. Sie sollen es dem Planenden ermöglichen, bei den in der Praxis vorkommenden Gegebenheiten Tankstellenanlagen zu planen und zu entwerfen, die den Anforderungen an Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit gerecht werden. Angesichts dieses eindeutigen Wortlautes ist die Ansicht der Antragstellerin, die Richtlinien entfalteten als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften Bindungswirkung für die Bauaufsichtsbehörden, nicht tragfähig.

10

Aus der Tatsache, dass der Bundesminister für Verkehr die Richtlinien durch Rundschreiben für den Bereich der Bundesfernstraßen eingeführt hat, lässt sich eine Bindung der Bauaufsichtsbehörden nicht ableiten. Durch solche Rundschreiben können nur die Träger der Straßenbaulast für diese Straßen verpflichtet sein, die Hinweise zu beachten, nicht aber die Bauaufsichtsbehörden.

11

Darüber hinaus lassen sich auch den von der Antragstellerin zitierten Ziffern der Richtlinien nicht Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sie auch den Schutz der Nachbarn einer Tankstellenanlage bezwecken. Nach Ziffer 2.1.2. Abs. 3 muss der Abstand zwischen den Zu- und Abfahrten mehrerer aufeinander folgender Tankstellen innerhalb der geschlossenen Ortslage unter Berücksichtigung der vorhandenen und zukünftigen örtlichen Verkehrslage und städtebaulichen Zielsetzung festgelegt werden; er sollte 100 m, auf stärker befahrenen Straßen 250 m nicht unterschreiten. In dem vorgehenden Abs. 2 wird ausgeführt, dass "aus verkehrlichen Gründen" zu kurze Abstände zwischen den Zu- und Abfahrten mehrerer aufeinander folgender Tankstellen zu vermeiden sind. Ziffer 2.1.2. hat also nicht die Interessen der Nachbarn im Blick, sondern das öffentliche Interesse an einer Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Gleiches gilt für Ziffer 2.1.5., wonach an den Brennpunkten des Verkehrs Tankstellen nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zugelassen werden dürfen.

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Auch Ziffer 2.3.1.1. gibt für den Standpunkt der Antragstellerin nichts her. Soweit der Benutzer nach Abs. 1 Satz 2 der genannten Ziffer möglichst gleiche, übersichtliche Verhältnisse vorfinden soll, und nach Satz 3 an die Zu- und Abfahrten, Lage und Stellung der Baulichkeiten und die Abstellflächen besondere Anforderungen zu stellen sind, nehmen diese Hinweise Bezug auf Satz 1, wonach Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch eine verkehrstechnisch einwandfreie Ausbildung der Tankstellen gewährleistet sein müssen. Nicht der ungefährdete Betrieb benachbarter Tankstellen ist Anlass für die Hinweise, sondern Aspekte des gefahrlosen Verkehrs im Bereich der anzulegenden Tankstelle. Selbst wenn auch die Wirtschaftlichkeit einer bereits vorhandenen Tankstelle ein bei der Planung zu berücksichtigender Gesichtspunkt wäre, fehlte es an dem bodenrechtlichen Bezug, der allein eine nachbarschützende Rechtsposition begründen könnte.

13

Die weitere Zulassungsrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO ist nicht begründet. Besondere rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache nach den vorstehenden Ausführungen nicht auf.

14

Da weder § 1 Abs. 1 Satz 3 NBauO in dem konkreten Einzelfall Nachbarschutz vermittelt noch die Richtlinien für die Anlage von Tankstellen an Straßen allein oder in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 3 NBauO nachbarschützend wirken, hat die Antragstellerin auch nicht klärungsbedürftige Fragen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargelegt.