Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.03.2000, Az.: 1 K 5637/98

Bebauungsplan; Bebauungsplanfestsetzung; Bestimmtheit; Festsetzung; Normenkontrollantrag; Normenkontrolle; Normenkontrollverfahren; Unbestimmtheit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.03.2000
Aktenzeichen
1 K 5637/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 42092
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Festsetzung eines Pflanzstreifens "entlang der rückwärtigen Grenzen der Baugrundstücke" ist nicht bestimmt genug.

Tatbestand:

1

Die Antragsteller wenden sich mit der Begründung, diese lege die räumliche Lage des Pflanzgebots in nicht ausreichend bestimmter Weise fest, gegen die folgende textliche Festsetzung im angefochtenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 34:

2
"IV Grünordnung
...
2. Begrünung privater Flächen
2.1 ...
2.2 Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB sind in dem Allgemeinen Wohngebiet (WA)
entlang der rückwärtigen Grenzen der Baugrundstücke in einer Tiefe von
min. 2.50 m flächendeckend und im Raster von 1 m auf 1 m
standortgerechte Laubgehölze zu pflanzen und auf Dauer zu erhalten.
Abgänge sind gleichwertig zu ersetzen."
3

Der im wesentlichen als allgemeines Wohngebiet festgesetzte Planbereich wird von einer in etwa quadratisch verlaufenden "Ringstraße" erschlossen. Die neuen Bauflächen sind beidseits dieses Ringes festgesetzt. Zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses waren die Flächen noch nicht parzelliert. Das später gebildete, nunmehr im Eigentum der Antragsteller liegende Grundstück liegt an der Nordseite des südlichen Astes dieser "Ringstraße" und östlich des Privatweges, der die von der "Ringstraße" umschlossene Fläche mittlings von Nord nach Süd durchschneidet und im angegriffenen Bebauungsplan als Fläche festgesetzt ist, die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zugunsten der Anlieger zu belasten ist.

Entscheidungsgründe

4

Die angegriffene Festsetzung ist nicht mehr hinreichend bestimmt. Maßgeblich hierfür haben die folgenden Grundsätze zu sein (vgl. zum Folgenden BVerwG, Urt. v. 11. 3. 1988 - 4 C 56.84 -, NVwZ 1989, 659 = DVBl. 1988, 845 = BRS 48 Nr. 8; Beschl. v. 24. 1. 1995 - 4 NB 3.95 -, ZfBR 1995, 149 = BRS 57 Nr. 26; BGH, Urt. v. 10. 4. 1986 - III ZR 209/84 -, BRS 46 Nr. 41 = DVBl. 1986, 1266 = BauR 1987, 62): Bebauungspläne dürfen - da Normen - auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen operieren. Da ihre Festsetzungen den Inhalt des Grundeigentums festlegen und § 69 a NBauO gerade für Baugebiete der hier gegebenen Art ein Bauen ohne präventive Kontrolle der Bauaufsichtsbehörde ermöglicht, muss in ausreichendem Umfang erkenn- und vorhersehbar sein, welche Nutzungen auf den von den Festsetzungen erfassten Flächen zulässig sein sollen und mit welchen davon ausgehenden Einwirkungen auf ihr Eigentum die Grundeigentümer sowie Nachbarn zu rechnen haben. Allgemeingültigen Regeln, wie konkret bauplanerische Festsetzungen sein müssen, um dem Gebot der Bestimmtheit der Rechtsnorm zu genügen, existieren nicht. Der Grad der erforderlichen Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, von den Planungszielen und von den Umständen im Einzelfall, insbesondere den örtlichen Verhältnissen ab, auf die der Bebauungsplan trifft. Als Umstände, welche zur Ermittlung des Planungswillens der Gemeinde herangezogen werden dürfen, sind auch die ihm beigegebene Begründung sowie die Baunutzungsverordnung anzusehen. Unzulässig ist es dagegen, spätere Erklärungen der Gemeinde zur Bestimmung des Inhalts des Bebauungsplanes heranzuziehen (BGH, a. a. O.) oder aber hinsichtlich des Umfangs der planerischen Festsetzungen auf ergänz- oder abänderbare Katastergrenzen oder Straßenverzeichnisse Bezug zu nehmen (BVerwG, Beschl. v. 16. 1. 1981 - 4 B 251.80 -, BRS 38 Nr. 4).

5

In Anwendung dieser Grundsätze kann die textliche Festsetzung IV 2.2 nicht mehr als noch hinreichend bestimmt angesehen werden. Gerade die in der mündlichen Verhandlung zwischen den Verfahrensbevollmächtigten kontrovers geführte Diskussion hat gezeigt, dass der Planinhalt in den hier gegebenen Konfliktsituationen nicht hinreichend bestimmt ermittelt werden kann. Es mag zwar ein schützenswertes Interesse der Antragsgegnerin daran bestanden haben, trotz noch fehlender Parzellierung des Plangebietes bei Planbeschluss eine Regelung über die Bepflanzung der "rückwärtigen Grundstücksgrenzen" treffen zu können. Der Senat lässt offen, ob die damit einhergehende Unsicherheit, wo die "rückwärtigen Grundstücksgrenzen" nach ihrer Parzellierung im Einzelnen zu liegen kommen werden, noch mit dem Gebot des Planes zu vereinbaren sind, möglichst hinreichend bestimmte Festsetzungen zu treffen, oder ob es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. vom 16.1.1981, a.a.O.) widerspricht, die Lage der 2  1/2 m tiefen Pflanzstreifen von dem Zufall abhängig zu machen, wo die rückwärtigen Grundstücksgrenzen zu liegen kommen werden.

6

Selbst wenn man diese Bedenken beiseite schiebt, genügt der Plan nicht dem Erfordernis, für die bei Satzungsbeschluss absehbaren zahlreichen Eckgrundstücke mit der Verlässlichkeit ermitteln zu können, welche der beiden in Betracht kommenden Grenzen (oder gar alle beide) als rückwärtig anzusehen sind. Dass dies mit Verlässlichkeit ermittelt soll werden können, ist u.a. wegen der bei Zuwiderhandlung drohenden Folgen erforderlich, geschaffene Bausubstanz möglicherweise wieder abbrechen zu müssen.

7

Im Grundsatz besteht zwischen den Beteiligten zwar zu Recht Einigkeit und damit hinreichende Bestimmtheit dahin, dass die Rückwärtigkeit der jeweiligen Grundstücksgrenze von der Erschließungsanlage her zu bestimmten ist und als solche auch die mit einem Fahr- und Leitungsrecht versehene Fläche anzusehen ist, welche bei den Binnenbereich der "Ringstraße" von Nord nach Süd durchschneidet. Damit sind indes noch keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage gewonnen, wie die Rückwärtigkeit bei Eckgrundstücken bestimmt werden soll. Insofern haben die Beteiligten - ohne die erforderliche Eindeutigkeit erzielen zu können - bereits die vorrangige Frage diskutiert, ob bei Eckgrundstücken nur eine oder gar zwei Grenzen in der vorgeschriebenen Weise zu bepflanzen sind. Die Annahme, nur jeweils eine Grenze solle bei ihnen bepflanzt werden müssen, ist so selbstverständlich richtig und eindeutig nicht. Das ergibt sich nicht nur daraus, dass die streitige textliche Festsetzung den Plural ("Grundstücksgrenzen") verwendet, ohne dem das Wort "jeweilige" oder einen sonstigen Zusatz beizufügen, aus dem sich entnehmen ließe, dass nur eine Grenze je Eckgrundstück zu bepflanzen sei. Es kommt vielmehr und vor allem hinzu, dass in dem "Nutzungsvorschlag", der auch im Aufstellungsverfahren ausgelegt worden war und Teil der Planungsvorgänge geworden ist, die Grundstücke an den Außenseiten der Ringstraße mit Randbepflanzungen versehen eingezeichnet worden sind, welche jeweils "an den Ecken" zwei bepflanzte Grundstücksrückgrenzen zeigen. Auch wenn dieser "Nutzungsvorschlag" kein ganz zwingendes Instrument zur Auslegung des Planes darstellen mag, so gibt er doch in gewissem Umfang die Vorstellungen zeichnerisch und damit "unverrückbar" wieder, von denen sich die Ratsherren der Antragsgegnerin bei der Aufstellung des Planes hatten leiten lassen. Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass schon die Frage, ob auch/gerade bei Eckgrundstücken eine oder mehrere Grundstücksgrenzen mit 2  1/2 m starken Pflanzstreifen zu versehen seien, nicht einwandfrei zu beantworten ist.

8

Selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin annähme, auch die Eigentümer von Eckgrundstücken seien nur zur Bepflanzung einer einzigen Grundstücksgrenze verpflichtet, ließe sich deren Lage nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit festlegen. Dem oben genannten, in gewissen Grenzen zu verwertende "Nutzungsvorschlag" ist zu entnehmen, dass der Antragsgegnerin im "Binnenbereich" der Ringstraße zwei von Nord nach Süd durchlaufende Grünstreifen vorschwebten. Aber auch dieser Grünstreifen ist nicht mit der gebotenen Konsequenz in dem "Nutzungsvorschlag" verzeichnet worden. Er hätte nämlich angesichts des Umstandes, dass dann zwei Randbepflanzungen "Rücken an Rücken" herzustellen waren, in doppelter Breite gezeichnet sein müssen. Das ist weder der Nutzungsvorschlag noch der Planbegründung mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen. Die - ohnehin eingeschränkte - Aussagekraft des "Nutzungsvorschlages" wird durch die Interpretation, welche die Antragsgegnerin ihrem Plan im Laufe des Normenkontrollverfahrens gegeben hat, in einer Weise eingeschränkt, welche eine ausreichend verlässliche Ermittlung des Planinhalts nicht mehr gewährleistet. Denn für die Annahme eines Eckgrundstückseigentümer treffenden Rechts, sich die rückwärtige Grundstücksgrenze sich je nach Lage der Zufahrt wählen zu dürfen, finden sich weder im diesem Nutzungsvorschlag noch in der Planbegründung ausreichende Anhaltspunkte. Danach verfolgte die Antragsgegnerin mit diesem Pflanzstreifen einen doppelten Zweck (vgl. 4.3.2 der Planbegründung). Er sollte sowohl der städtebaulichen Gestaltung als auch der Kompensation (Minimierung) der Eingriffe in den Naturhaushalt dienen, welche durch die vorgesehene Bebauung geschehen sollte. Das gestattet eine eindeutige Zuordnung der Grundstücksgrenzen, welche bei Eckgrundstücken als rückwärtig anzusehen seien, gleichfalls nicht. Dem Umstand allein, dass die Pflanzstreifen auch der städtebaulichen Gestaltung dienen sollten, lässt sich nicht hinreichend verlässlich entnehmen, damit sei eine optische Abgrenzung der vier im Binnenbereich der Ringstraße erwarteten Baureihen - je zwei und zwei - beabsichtigt gewesen war. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Zweck des Streifens, der Kompensation von Eingriffen in den Naturhaushalt zu dienen. Denn nach der Begründung für die Ausgleichsmaßnahme kam es der Antragsgegnerin allein auf die Herstellung von 2.112,5 m2 rückwärtiger Grundstückseingrünung an (vgl. S. 9 der Eingriffsbilanzierung des Bebauungsplans Nr. 34 ..., Anlage zur Begründung dieses Bebauungsplanes). Ausführungen dazu, durch die Zusammenfassung von 2 x 2,5 tiefen Pflanzstreifen solle deren ökologische Wirkung erhöht und für die Eingriffsbilanzierung nutzbar gemacht werden, finden sich dort nicht.

9

Diese 2.112,5 m2 Ausgleichsfläche durch rückwärtige Grundstückseingrünung zeigt im übrigen, dass jedenfalls im Bereich außerhalb der "Ringstraße" für Eckgrundstücke jedenfalls zum Teil wohl doch eine doppelte Grundstückseingrünung an mehreren rückwärtigen Grenzen beabsichtigt gewesen war. Bei 2,5 m Breite entspricht dies 845 lfd.m rückwärtiger Eingrünung. Misst man sämtliche Außengrenzen sowie die "Nähte" im Binnenbereich zusammen, kommt man etwa auf 892 lfd.m. Die Differenz von 47 lfd. m lässt sich nicht allein dadurch erklären, dass man in den Bereichen außerhalb der "Ringstraße" nur jeweils eine Grenze je Grundstück als bepflanzt zugrunde legt.

10

Angesichts der vorstehenden Ausführungen bedarf es keiner weitergehenden Erörterung der Frage, ob die Anordnung, im Raster von 1 m auf 1 m standortgerechte Laubgehölze zu pflanzen, ebenfalls dem Bestimmtheitsgebot genügt. Dies dürfte - wohl - noch zu bejahen sein. Bebauungspläne sind zwar im Gegensatz zu abstrakt geltenden Regelungen des Gesetzes darauf angelegt, eine bestimmte Sachlage konkret-individuell zu regeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschl. vom 20.10.1989 - 4 B 155.89 -, unter Hinweis auf Urteil vom 30.1.1976 - IV C 26.74 -, BVerwGE 50, 114, 119 f.) besteht zwischen dem Gesetz und einem Bebauungsplan jedoch kein absoluter Unterschied. Vielmehr gehen in einem nicht unerheblichen Bereich die Gestaltungsmittel Vorschrift und Planung gleichsam ineinander über.

11

Unter diesen Umständen reicht es aus, dass die Antragsgegnerin die Standortgerechtigkeit bestimmter Laubgehölze in der Begründung des Bebauungsplanes angeführt hat. Im Übrigen verwendet auch das Gesetz (z.B. § 2 Nr. 9 des Nds. Naturschutzgesetzes als auch das Bundesnaturschutzgesetzes) den Begriff des standortgerechten Gehölzes, ohne dass dies als zu unbestimmt anzusehen ist. Es dürfte auch trotz einer Breite der Pflanzstreifen von 2,5 m möglich sein, diese Gehölze im Raster von 1 m auf 1 m zu bepflanzen.

12

Der vorstehend genannte Mangel führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplanes. Zur Nichtigkeit führt er nicht, weil die Lage der privaten Grünstreifen sowie deren zum Ausgleich des Eingriffs in Natur und Landschaft erforderliche Umfang jedenfalls nunmehr in ausreichend bestimmter Form und ausreichenden Umfang festgesetzt werden können (§ 215 a BauGB). Die auf Privatgrundstücken anzulegenden Pflanzstreifen stehen indes mit dem Umfang der erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen in so engem Zusammenhang, dass sich der Senat nicht auf die Unwirksamkeit der textlichen Festsetzung IV 2.2 beschränken kann. Ohne durch § 88 VwGO hieran gehindert zu sein (vgl. BVerwG, Beschl. vom 20.8.1991 - 4 NB 3.91 -, NVwZ 1992, 567 = DVBl 1992, 37 = BRS 52 Nr. 36) ist daher der Bebauungsplan insgesamt für unwirksam zu erklären.