Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.03.2000, Az.: 4 L 3100/99
ersparte Aufwendungen; Heimerziehung; Jugendhilfe; Kostenbeitrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.03.2000
- Aktenzeichen
- 4 L 3100/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 9 A 5151/97
Rechtsgrundlagen
- § 33 SGB VIII
- § 34 Abs 2 Nr 1 SGB VIII
- § 91 Abs 1 Nr 4c SGB VIII
- § 92 Abs 3 SGB VIII
- § 93 Abs 1 S 1 SGB VIII
- § 94 Abs 2 SGB VIII
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu den Kosten der für ihre Tochter seit dem 24. Januar 1997 gewährten Hilfe zur Erziehung in einem Heim gemäß § 34 SGB VIII. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts nimmt der Senat gemäß § 130 b Satz 1 VwGO auf die Gründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 9. Kammer - vom 5. November 1998 Bezug.
Durch das genannte Urteil hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage der Klägerin abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Unstreitig sei, dass die Klägerin einen Kostenbeitrag für die ihrer Tochter gewährte Hilfe zur Erziehung (als Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII ab dem 15. April 1994 und als Heimpflege gemäß § 34 SGB VIII ab dem 24. Januar 1997) zu leisten habe. Die allein noch streitige Frage, ob die Zinsen, die sie auf die zur Finanzierung ihrer Eigentumswohnung aufgenommenen Darlehen zu zahlen hatte, von ihrem Einkommen abzuziehen seien und damit der von ihr geschuldete Kostenbeitrag niedriger festzusetzen sei, sei zu verneinen. Denn nach der bei der Berechnung des Kostenbeitrags anzuwendenden "Düsseldorfer Tabelle" sei eine Abwägung der Belange des Unterhaltspflichtigen und seines Kindes anzustellen. Dabei falle entscheidend ins Gewicht, dass zu der Zeit, als die Klägerin die in Rede stehende Zinsbelastung übernahm (Kaufvertrag vom 10.5.1994, Darlehensverträge nur wenig später), schon absehbar und der Klägerin auch bekannt gewesen sei, dass ihre Tochter für längere Zeit der Hilfe zur Erziehung bedürfen und deshalb nicht zu ihr, der Mutter, zurück kehren würde, dass vielmehr in dieser Zeit Unterhalts- bzw. Kostenbeitragspflichten auf sie, die Mutter, zukommen würden. Um eine Mietwohnung habe sich die Klägerin nicht genügend bemüht. Der Erwerb einer Eigentumswohnung im Frühjahr 1994 und die Übernahme der damit verbundenen Belastungen seien jedenfalls nicht geeignet gewesen, die Rückkehr der Tochter zu fördern.
Auf den Antrag der Klägerin hat der erkennende Senat durch Beschluss vom 3. August 1999 (4 L 5612/98) die Berufung gegen dieses Urteil wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen und dazu ausgeführt: Gegen die Berücksichtigung der aus dem Erwerb der Eigentumswohnung resultierenden Schulden spreche es nicht, dass die Klägerin diese Wohnung gekauft und nicht nur gemietet habe, und auch nicht, dass zu dieser Zeit ihr Verhältnis zu ihrer Tochter schwer gestört gewesen sei und eine schnelle Rückkehr der Tochter in ihre Wohnung nicht habe erwarten lassen.
Mit ihrer am 9. September 1999 begründeten Berufung beantragt die Klägerin,
unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Gerichts- und Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 2. April 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1997 und des (den Kostenbeitrag auf 342,-- DM monatlich ermäßigenden) Schriftsatzes des Beklagten vom 6. November 1997 rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Hinsichtlich der Rechtsgrundlage der Heranziehung der Klägerin zu den Kosten der ihrer Tochter gewährten Hilfe zur Erziehung (§§ 91 Abs.1 Nr. 4 c, 92 Abs. 3 2. Halbs., 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und wegen der Berechnung der für die Bemessung des Kostenbeitrags gemäß § 94 Abs. 2 SGB VIII maßgeblichen ersparten Aufwendungen auf der Grundlage der Düsseldorfer Tabelle (vgl. dazu auch Urt. d. Sen. v. 26.5.1999 - 4 L 4442/98 -, Nds.MBl. 1999, 688 (Leitsatz) = FEVS 51, 136 m.w.N.) nimmt der Senat gemäß § 130 b Satz 2 VwGO auf die Gründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Bezug.
Die danach noch streitige, für den vorliegenden Fall entscheidende Frage, ob die
(Zins-)Belastungen der Klägerin als Folge des Erwerbs ihrer Eigentumswohnung bei der Berechnung des Kostenbeitrags berücksichtigt werden können, weil der Erwerb dieser Wohnung und das Vorhalten eines Zimmers darin für die Tochter geeignet waren, das Ziel der gewährten Jugendhilfe, eine Rückkehr des Kindes bzw. der Jugendlichen in die Herkunftsfamilie zu fördern, zu erreichen, ist nach Auffassung des Senats - im Ergebnis mit derjenigen des Verwaltungsgerichts übereinstimmend - zu vermeinen.
Auszugehen ist davon, dass Schulden, die ein Elternteil - selbst nach Beginn der Jugendhilfe - eingeht, dann bei der Berechnung des Kostenbeitrags nach § 94 Abs. 2 SGB VIII beitragsmindernd berücksichtigt werden können, wenn sie auch dem Zweck der Hilfe dienen, die Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie zu fördern (Senatsurt. v 26.5.1999, a.a.O.). Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und Heimerziehung (§ 34 SGB VIII) bezwecken eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie und sind deshalb zeitlich befristet (vgl. § 33 SGB VIII) und sollen eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen (vgl. § 34 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII). Ob dieses Ziel der genannten Hilfen zur Erziehung erreicht werden kann, beurteilt sich in erster Linie nach den Verhältnissen zu Beginn der Hilfe. Doch bleibt dieses Ziel auch in der Folgezeit - jedenfalls für die hier streitige Berücksichtigung der Belastungen - weiterhin beachtlich. Ist eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie nicht erkennbar oder wenigstens absehbar, so kann es von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr gerechtfertigt sein, die genannten Belastungen bei der Kostenbeitragserhebung zu berücksichtigen. In der Folge mag der Elternteil zu Verkauf oder Vermietung der Wohnung oder des Zimmers gezwungen sein, wenn er die dafür übernommenen Lasten nicht aus seinem sonstigen Einkommen tragen kann.
Danach stimmt der Senat der Einschätzung des Verwaltungsgerichts insoweit nicht zu, als es meint, es sei schon zur Zeit des Einsetzens der Jugendhilfe im Jahre 1994 absehbar gewesen, dass die Tochter der Klägerin für längere Zeit der Hilfe zur Erziehung bedürfen würde und dass eine baldige Besserung des Verhältnisses der Klägerin zu ihrer Tochter auszuschließen gewesen sei. Für diese Einschätzung reicht es jedenfalls nicht, dass im Jahre 1994 das Mutter-Tochter-Verhältnis schwer gestört war, dass die Klägerin dies selbst in der beim Vormundschaftsgericht am 17. März 1994 geschlossenen Vereinbarung über die Aufnahme ihrer Tochter in eine Pflegefamilie anerkannte und dass ihr dieses Gericht durch Beschluss vom 14. Juli 1994 die elterliche Sorge entzog und ihre Mutter zum Vormund bestimmte. Denn diese (damaligen) Verhältnisse waren gerade Anlass für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung in jener Zeit, nämlich in Vollzeitpflege in einer anderen Familie in der Zeit vom 15. April bis zum 13. Juli 1994 und ab 14. Juli 1994 bei der Großmutter. Dies schloss aber eine Besserung der Erziehungsbedingungen und damit auch eine Rückkehr der Tochter zu ihrer Mutter nicht aus, sondern bezweckte beides gerade. Dieses Ziel betont auch der Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 14. Juli 1994, in dem es heißt: "Das Gericht hält es allerdings, ebenso wie das Kreisjugendamt, für erforderlich, dass auch in Zukunft versucht wird, einen Kontakt zwischen der Kindesmutter und Margarete wiederherzustellen". Für diese Möglichkeit spricht auch, dass die Tochter damals (erst) 14 Jahre alt war und deshalb auch mit einer kurzfristigen Änderung ihrer Haltung gegenüber ihrer Mutter gerechnet werden konnte. Eine Besserung des Mutter-Tochter-Verhältnisses bezweckte die Klägerin nach ihren Angaben gerade auch mit dem Kauf der Eigentumswohnung, weil diese von derjenigen ihres Bruders, dessen Einfluss auf ihre Tochter sie zurückdrängen wollte, weiter entfernt und günstig zu der von ihrer Tochter besuchten Schule gelegen war.
Auf die Verhältnisse im Jahre 1994 kommt es aber in diesem Verfahren nicht mehr entscheidend an, sondern vielmehr auf die Situation im Jahre 1997. Maßgeblich ist hier die Lage zur Zeit der Gewährung der Heimerziehung vom 24. Januar 1997 bis zum 6. Januar 1998. Denn der in diesem Verfahren angefochtene Kostenbeitragsbescheid vom 2. April 1997 betrifft - nur - die der Tochter der Klägerin gewährte Heimerziehung in dieser Zeit, nur hierfür ist ein Kostenbeitrag festgesetzt worden. Die Heimerziehung endete am 6. Januar 1998, weil die Tochter am 7. Januar 1998 volljährig wurde und deshalb Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII nicht mehr in Betracht kam.
In der genannten Zeit war dann allerdings - auch nach Auffassung des Senats - die Wahrscheinlichkeit einer Wiederannäherung von Mutter und Tochter, insbesondere eine Rückkehr der Tochter zu der Klägerin, objektiv so gering geworden, dass die Berücksichtigung der aus dem Erwerb ihrer Eigentumswohnung resultierenden Zinsbelastung und damit eine Minderung des von ihr zu fordernden Kostenbeitrags nicht mehr gerechtfertigt war. Dagegen, dass die Tochter der Klägerin im Jahre 1997 zu ihr zurück kehren würde, spricht es, dass sie bis Ende 1996 zwar noch bei ihrer Großmutter - also in der Familie im weiteren Sinne - gewohnt hatte, aber danach nicht zu ihrer Mutter zurückgekehrt, sondern auf ausdrücklichen eigenen Wunsch in ein Wohnheim gezogen war (wofür der Beklagte Heimerziehungshilfe gewährte) und von dort aus die Schule besuchte. Sie war inzwischen 17 Jahre alt und bedurfte der Hilfe zur Erziehung folglich nur noch für weniger als ein Jahr. Wenn auch nach den Akten vor und während des Heimaufenthalts der Tochter eine Wiederannäherung von Mutter und Tochter gelegentlich zur Sprache gekommen war, so war eine Rückkehr der Tochter in den Haushalt ihrer Mutter zu dieser Zeit aber objektiv sehr unwahrscheinlich geworden; dazu ist es auch später nicht mehr gekommen. Nach allem hält es der Senat für die Zeit der Heimerziehung vom 24. Januar 1997 bis zum 6. Januar 1998 nicht mehr für gerechtfertigt, Aufwendungen der Klägerin für das Vorhalten eines Kinderzimmers beitragsmindernd zu berücksichtigen.