Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.03.2000, Az.: 12 M 943/00

Aufwendungen; Frauenhaus; Unterkunft; Wunschrecht; Übergangszeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.03.2000
Aktenzeichen
12 M 943/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41549
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 4 B 23/00

Gründe

1

Diesem Maßstab wird der Zulassungsantrag, der die Auffassung des Verwaltungsgerichtes bekämpft, die Antragsgegnerin sei nicht im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die von den Antragstellern aufzubringenden Aufwendungen für die Unterkunft und die Heizung in vollem Umfang zu übernehmen, nicht vollständig gerecht. Der Zulassungsantrag besteht - nur - in den Wendungen (sieht man von der Schilderung des Sachverhalts ab): "Der angegriffene Beschluß verkennt hierbei, daß nach § 3 S. 2 RegelsatzVO auch unangemessen hohe Unterkunftskosten solange in der tatsächlichen Höhe zu übernehmen sind, als es dem Hilfesuchende nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken. Zur Senkung der Unterkunftskosten ist dem Hilfesuchenden eine angemessene Zeit, regelmäßig eine Frist von sechs Monaten einzuräumen. Jedenfalls innerhalb dieser Frist sind die Unterkunftskosten nach § 3 S. 1 RegelsatzVO in der tatsächlichen Höhe zu übernehmen. Demgegenüber geht der angegriffene Beschluß - unzutreffender Weise - von einer Anwendbarkeit von § 3 S. 3, 2. Halbsatz RegelsatzVO aus, wonach die Unterkunftskosten lediglich in angemessener Höhe zu übernehmen wären. Die Anwendbarkeit von § 3 S. 3, 2. Halbsatz RegelsatzVO setzt voraus, daß ein Vertrag über eine neue Unterkunft geschlossen wird. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend".

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Diese Erwägungen, die durchweg aus Rechtsbehauptungen bestehen, lassen eine - vertiefte - Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung vermissen, auch geht der Zulassungsantrag nicht hinreichend auf das geltende Recht ein. Insbesondere befasst sich der Zulassungsantrag nicht hinreichend mit § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO (i.d.F. des Art. 11 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts v. 23. Juli 1996, BGBl. I S. 1088), wonach auch unangemessen hohe Aufwendungen für die Unterkunft vom Träger der Sozialhilfe zu übernehmen sind, solange es dem Hilfeempfänger nicht möglich und nicht zuzumuten ist, diese Aufwendungen zu senken. Die in diesem Zusammenhang in dem Zulassungsantrag angesprochene Übergangsfrist ist indessen nach der ständigen Rechtsprechung des Senates nicht pauschal mit sechs Monaten zu bemessen. Richtig ist es vielmehr, die Verhältnisse des Einzelfalles (§ 3 Abs. 1 BSHG) zu würdigen; hiernach  kommt es maßgebend darauf an, ob der Hilfesuchende gegenwärtig eine Wohnung beziehen kann, deren Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze nicht überschreitet. Dieser Auffassung ist die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Wohnungen in dem von ihr betreuten Frauenhaus. Hierzu verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Über diesen Mangel kann auch nicht deshalb hinweggesehen werden, weil das Verwaltungsgericht gemeint hat, die Antragsteller könnten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG ein ihnen zustehendes "Wunschrecht" dahin ausüben, dass sie weiterhin eine Wohnung in dem von ihnen bisher bewohnten Frauenhaus beibehalten. Stützt nämlich der Zulassungsantrag den Angriff gegen die angefochtene Entscheidung auf die Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO, so ist im Hinblick auf diese Vorschrift eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Beschluss auf der Grundlage der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte erforderlich.

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Unzulänglich ist auch der Zulassungsantrag, soweit er geltend macht, § 3 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 RegelsatzVO zwinge den Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen für die Unterkunft in - letztlich - beliebiger Höhe zu übernehmen, wenn die bisherige Unterkunft weiterhin bewohnt wird, indessen ein neuer Mietvertrag abgeschlossen wird. Diese nicht naheliegende Auslegung der gesetzlichen Vorschrift stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht überein, das in dem Urteil vom 1. Oktober 1998 (BVerwG 5 C 6.98 -, BVerwGE 107.239 = Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr. 45) den Bezug einer neuen Unterkunft dem Abschluss eines  neuen Vertrages über eine bisher bewohnte Unterkunft gleichstellt. Das mag im Einzelnen aber auf sich beruhen, jedenfalls hätte der Zulassungsantrag bei hinreichender Auseinandersetzung mit der Rechtslage ausführen müssen, weshalb § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO - Angemessenheitsgrenze - dann nicht mehr Bedeutung haben soll, wenn der Hilfeempfänger nach einer grundlegenden Änderung des bisherigen Mietvertrages in der bisherigen Unterkunft verbleibt.

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Davon abgesehen befasst sich der Zulassungsantrag nicht mit dem Verhältnis zwischen  § 3 Abs. 2 BSHG einerseits und § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO und Satz 3 aaO andererseits (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v.  17.11.1994 - BVerwG  5 C 11.93 - BVerwGE 97, 110, Urt. v. 1.10.1998, aa0, S. 241 ff. m.w.Nachw.).

5

Für die weitere Gewährung der Hilfe an die Antragsteller gibt der Senat folgende Hinweise:

6

Auf der Grundlage, die Antragsteller könnten sich für das Verbleiben in der bisherigen Wohnung mit Erfolg auf das "Wunschrecht" des § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG berufen (das mag immerhin zweifelhaft sein, weil insoweit § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO die speziellere Regelung sein könnte), ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in sich nicht konsequent. Dürfen nämlich die Antragsteller danach in ihrer bisherigen Unterkunft verbleiben, so muss bei folgerichtiger Betrachtung der Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen für die Unterkunft in vollem Umfang tragen, da dann den Antragstellern eine anderweitige Unterkunft, auf die sie verwiesen werden können, nicht zur Verfügung steht.

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Ein entsprechendes Ergebnis wird aber auch bei Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO zu gewinnen sein (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 30.5.1996 - BVerwG 9 C 14.95 -, BVerwGE 101, 194). Besondere Umstände im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO, die eine Verweisung des Hilfebedürftigen auf die verfügbare Unterkunftsalternative für eine Übergangszeit als unzumutbar erscheinen lassen, können darin gesehen werden, dass der Hilfesuchende bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit die aus sozialhilferechtlicher Sicht zu teure Wohnung bereits bewohnt; zusätzlich spricht zugunsten der Antragsteller die Annahme, für eine nicht zu geringe Übergangszeit zugrunde zu legen, dass es die persönliche Situation der Antragsteller erfordern könnte, weiterhin in dem beschützten Raum eines Frauenhauses zu leben, und dass es ihnen - gegenwärtig und für die nächste Zukunft - nicht zuzumuten ist, das bisher von ihnen bewohnte Frauenhaus, dessen Träger der Braunschweiger Frauenhaus e.V. ist, zu verlassen. Dann aber sind die mietvertraglichen Aufwendungen für die Unterkunft für die weitere Betrachtung zugrunde zu legen, sofern in ihnen nicht Aufwendungen enthalten sind, die in den Regelsatzleistungen abgegolten sind (Bezug elektrischer Energie, ggf. auch von Kochgas - § 1 Abs. 1 RegelsatzVO). Davon abgesehen wird bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze nicht der vom Verwaltungsgericht beschrittene Weg zu wählen sein, zwischen einer "Grundmiete" und "Mietnebenkosten" (ohne Aufwendungen für die Heizung) zu differenzieren. § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO setzt voraus, die Miete umfasse "Grundmiete" und "Nebenkosten" (ohne Aufwendungen für die Heizung). Bei der Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft wird weiter zu berücksichtigen sein, dass die Wohnung, die vermietet worden ist, mit Möbeln ausgestattet ist. Dies kann es rechtfertigen, die Aufwendungen für die Unterkunft gegenüber einer Wohnung, die ohne Möblierung vermietet wird, zu erhöhen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem vorgelegten Untermietvertrag vom 30. Dezember 1999 und dem Mietvertrag zwischen der Nibelungen-Wohnhaus-GmbH Braunschweig und dem Braunschweiger Frauenhaus e.V. (ohne Datum) nicht erschließt, nach welchem Gesichtspunkt die Heizkosten umgelegt werden. Insoweit ist ferner zu berücksichtigen, dass nach den bezeichneten Verträgen - offenbar - auch die Warmwasserversorgung mit der "Nebenkostenpauschale" abgegolten ist, diese Aufwendungen werden von den Regelsatzleistungen umfasst (§ 1 Abs. 1 RegelsatzVO). Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand spricht mithin Überwiegendes dafür, dass die streitbemessenen Aufwendungen für die Unterkunft (ohne Aufwendungen für die Heizung, deren Angemessenheit noch zu prüfen wäre) auch die Angemessenheitsgrenze nicht überschreiten, sofern sie - wie dargestellt - um den Aufwand für den Bezug elektrischer Energie, ggf. Gas für Kochfeuerung und Warmwasserversorgung gemindert werden, wobei weiterhin zu berücksichtigen wäre, dass die Wohnung mit Möbeln vermietet worden ist. Insgesamt gesehen dürfte aber für einen längeren Übergangszeitraum den Antragstellern ein Umzug nicht zuzumuten sein (zur Frage der Gültigkeit des Mietvertrages zwischen Antragstellern und Braunschweiger Frauenhaus e.V. dürfte die Auffassung des Verwaltungsgerichts zutreffen). Diese Unzumutbarkeit ändert allerdings nichts daran, dass mit den Regelsatzleistungen abgegoltene Beträge nicht - abermals - über die Leistungen für die Unterkunft zu erbringen sind, auch ändert sich nichts daran, dass Aufwendungen für die Heizung nur in angemessenem Umfang zu leisten sind.