Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.03.2000, Az.: 4 L 3835/99

Entgelt; Nichtsesshaftenhilfe; Pflegesatz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.03.2000
Aktenzeichen
4 L 3835/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 42096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.05.1999 - AZ: 9 A 3155/96

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Pflegesatz einer Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe erweist sich dann nicht als unwirtschaftlich, wenn die prognostizierte Auslastung (im entschiedenen Fall von 78 %) unter Berücksichtigung von Art, Größe und Lage der Einrichtung eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen (noch) nicht erfordert.

2. Zur Auslegung der Ergänzungsrahmenvereinbarung.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe des für das Jahr 1995 abzuschließenden Pflegesatzes.

2

Der Kläger betreibt in der Rechtsform des eingetragenen Vereins in N. eine Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe. Er ist Mitglied des Diakonischen Werks der evangelisch-lutherischen Landeskirche H.. Für das Jahr 1993 war zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen ein Pflegesatz von 72,90 DM vereinbart worden. Für das Jahr 1994 wurde eine gesonderte Vereinbarung nicht getroffen; aufgrund einer Entscheidung der Pflegesatzkommission wurde der Pflegesatz für die Zeit vom 1.1. bis 30.4.1994 in Höhe des für 1993 vereinbarten und für die Zeit ab 1.5.1994 auf 70,70 DM festgesetzt.

3

Auf Anforderung des Beigeladenen legte der Kläger am 12.9.1994 ein "Selbstkostenblatt" zur Berechnung des Pflegesatzes für das Jahr 1995 vor. Auf der Grundlage dieses Selbstkostenblattes beantragte der Kläger, den Pflegesatz auf 84,- DM festzusetzen. Mit Schreiben vom 29.11.1994 machte der Beigeladene geltend, das Selbstkostenblatt sei nicht vollständig ausgefüllt und bot - zunächst - ein Entgelt von 69,60 DM je Tag und Platz aufgrund der Fortschreibung des für 1994 ermittelten Pflegeentgelts von 65,10 DM an.

4

Der Beigeladene beantragte unter dem 22.12.1994, der Kläger unter dem 13.1.1995 eine Entscheidung der Schiedsstelle. Der Beigeladene beantragte zunächst, den Pflegesatz auf 69,60 DM pro Tag und Hilfeempfänger festzusetzen, später bezifferte er seinen Antrag auf 75,20 DM. Der Kläger beantragte, den Pflegesatz auf 84,- DM festzusetzen. Über beide Anträge verhandelte die Schiedsstelle in ihrer Sitzung vom 7.12.1995 gemeinsam. Durch einheitlichen, mit zwei Geschäftszeichen versehenen Beschluss vom 10.5.1996 setzte die Beklagte das Entgelt für das Jahr 1995 auf 75,20 DM je Pflegetag und Hilfeempfänger fest. Die Kosten der Verfahren von jeweils 850,- DM legte sie der Klägerin auf.

5

Mit der am 15.6.1996 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat vorgetragen: Das von ihm vorgelegte Selbstkostenblatt sei vollständig ausgefüllt. Die Ergänzungsvereinbarung zur Pflegesatzvereinbarung mache weitere Angaben nicht erforderlich; insbesondere der von ihm erwartete Rückgang der Belegungszahlen sei aufgrund des zwischen ihm und dem Beigeladenen geführten Schriftwechsels nachvollziehbar gewesen.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

die Beklagte zu verpflichten, das Entgelt je Pflegetag und Hilfeempfänger für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1995 auf 84,- DM festzusetzen und die Entscheidungen der Beklagten vom 7.12.1995 aufzuheben, soweit sie diesem Begehren entgegen stehen, und die Entscheidung hinsichtlich der Kosten aufzuheben.

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Die Beklagte und der Beigeladene haben beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte hat geltend gemacht: Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung verlangten vom Kläger, die Kostenpositionen im vorgelegten Selbstkostenblatt so auszufüllen, dass sie einen internen Vergleich ermöglichten. Im Selbstkostenblatt seien die Personalkosten unvollständig ausgefüllt und der Kostenanstieg nicht schlüssig begründet worden. Dies gelte auch für die Kalkulation der Posten Lebensmittel und Beköstigung, Wasser, Energie und Brennstoffe, Verwaltungsbedarf und Instandhaltung.

11

Der Beigeladene hat insbesondere vorgetragen: Zwischen dem Kläger und ihm sei in der Ergänzungsvereinbarung zur Pflegesatzvereinbarung vorgesehen gewesen, den Pflegesatz nach Wahl der Einrichtung entweder aufgrund einer Fortschreibung des im Vorjahr vereinbarten Pflegesatzes oder aufgrund eines vorgelegten Selbstkostenblattes und damit prospektiv zu bestimmen. Der Kläger habe sich dafür entschieden, den Pflegesatz aufgrund eines Selbstkostenblattes zu kalkulieren; dann hätte er sich aber auch an die übrigen Regelungen der Ergänzungsvereinbarung halten müssen, die u.a. verlangen, dass das Selbstkostenblatt innerhalb der vorgesehenen Frist vollständig vorzulegen gewesen sei. Unter Berücksichtigung des angenommenen Auslastungsgrades der Einrichtung von 78 % sei der kalkulierte Tagessatz nicht wirtschaftlich.

12

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. Mai 1999 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein höherer Pflegesatz hätte nur dann festgesetzt werden können, wenn der Kläger ein bestimmtes Leistungsangebot unterbreitet hätte. Nur bei einer feststehenden Leistung könne beurteilt werden, ob das hierfür verlangte Entgelt angemessen sei. Das Leistungsangebot könne nach Ablauf der jeweiligen Wirtschaftsperiode nicht mehr vorgelegt werden, weil dies mit dem Zweck der Neufassung des § 93 Abs. 2 BSHG (F. 1994), nachträgliche Ausgleiche auszuschließen, nicht zu vereinbaren sei.

13

Auf den Antrag des Klägers vom 25. Juni 1999 hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 7. Oktober 1999 zugelassen.

14

Der Kläger begründet die Berufung wie folgt: Die Kalkulation des Pflegesatzes in Höhe von 84,- DM habe den Regelungen der Ergänzungsvereinbarung zur Pflegesatzvereinbarung entsprochen. Der zwischen ihm und dem Beigeladenen streitige Auslastungsgrad habe sich als Prognose aus den Auslastungen der Vorjahre (1993 85,84 %, 1994 76,23 %) ergeben. Die Personalkosten seien aufgrund der "Ist-Abrechnung" des Jahres 1993 zuzüglich der inzwischen vereinbarten Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst kalkuliert worden. Bei der Kalkulation der Sachkosten, nämlich für Wasser, Energie und Brennstoffe, sei ebenfalls von den Ist-Zahlen für 1993 ausgegangen worden. Wegen zu erwartender Gebührensteigerungen im kommunalen Sektor sei eine geringfügige Anhebung einkalkuliert gewesen. Bei den Instandhaltungskosten und Abschreibungen sei - entsprechend einer Vereinbarung mit dem Beigeladenen, nach der eine größere Investition auf mehrere Jahre verteilt werden solle - ein größerer Betrag für die Sanierung der Sanitäreinrichtungen und des Kellerflures im Gebäude von insgesamt 100.000,- DM teilweise einkalkuliert worden. Im Nachhinein habe sich im Übrigen ergeben, dass die Auslastung der Einrichtung im Jahre 1995 71,43 % betragen habe. Die Kostenentscheidung im Beschluss der Beklagten vom 10. Mai 1996 sei schon deshalb fehlerhaft, weil es sich nicht um zwei eigenständige Antragsverfahren gehandelt habe. Eine getrennte Behandlung der von ihm und dem Beigeladenen gestellten Anträge sei nicht sachgerecht gewesen. Er habe vom Antrag des Beigeladenen bis zur gemeinsamen Verhandlung über beide Anträge keine Kenntnis gehabt. Es wäre merkwürdig, wenn der Kläger mit Kosten für ein Verfahren belastet würde, von dem er überhaupt keine Kenntnis gehabt habe.

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Der Kläger beantragt,

16

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 9. Kammer - vom 6. Mai 1999 zu ändern, die Entscheidung der Beklagten vom 7. Dezember 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Entgelt je Pflegetag für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1995 auf 84,- DM festzusetzen sowie die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Kosten aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie hebt insbesondere hervor, die kalkulierte Auslastung von nur 78 % sei nicht mit den Grundsätzen der Leistungsgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu vereinbaren.

20

Der Beigeladene hat einen Sachantrag nicht gestellt. Er hat auf Aufforderung des Senats eine Liste der Entgelte der Einrichtungen zur Betreuung von Nichtsesshaften in Niedersachsen und in der mündlichen Verhandlung eine Übersicht über die den Entgelten kalkulatorisch jeweils zugrunde gelegten Auslastungsgrade vorgelegt. Wegen der Einzelheiten dieser Auflistung wird auf die Fotokopie Bl. 200 d. GA und die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, sie sind in ihrem wesentlichen Bestandteil Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung ist erfolgreich; die Beklagte ist unter Aufhebung des Beschlusses vom 10. Mai 1996 zu verpflichten, den Pflegesatz für die von der Klägerin betriebene Einrichtung für das Jahr 1995 neu festzusetzen.

23

Die Klage ist als gegen die Schiedsstelle gerichtete Verpflichtungsklage auch nach Inkrafttreten der Änderung des § 93 Abs. 2 und 3 BSHG gemäß Art. 17 i.V.m. Art. 1 Nr. 29 Buchst. b des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 - BGBl. I S. 1066 - zulässig (vgl. Senat, Urt. v. 30.11.1999 - 4 L 3515/9-, V.n.b.).

24

Der Anspruch des Klägers auf Festsetzung der Pflegesätze für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1995 beruht auf § 93 Abs. 2 BSHG i.d.F. des 2. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 - 2. SKWPG - (BGBl. I S. 2374, vgl. Neubekanntmachung des BSHG v. 23.3.1994, BGBl. I S. 646). Die Angemessenheit des vom Kläger begehrten Entgelts ergibt sich aus dem durchzuführenden externen Vergleich mit den Kosten vergleichbarer Leistungen in anderen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.12.1998 - BVerwG 5 C 17.97 - BVerwGE 108, 47 = NDV-RD 1999, 34 = FEVS 49, 337 = DVBl. 1999, 1113 = NVwZ-RR 1999, 446).

25

Diesem "externen" Vergleich steht nicht entgegen, dass der Kläger als Mitglied des Diakonischen Werks der evangelisch-lutherischen Landeskirche H. der Ergänzungsvereinbarung zur Pflegesatzrahmenvereinbarung vom 5.4./15.3.1994 beigetreten ist. Diese Vereinbarung, aus der der Beigeladene die Forderung herleitet, der Kläger müsse ein vollständig ausgefülltes Selbstkostenblatt vorlegen, um für das Jahr 1995 einen prospektiven Pflegesatz festsetzen zu lassen, steht der Ermittlung eines den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechenden Pflegesatzes aufgrund eines externen Vergleichs nicht entgegen: Nach Nummer I 2 gilt die Ergänzungsvereinbarung für Pflegesatzvereinbarungen, die nach den §§ 93, 94 BSHG i.d.F. des 2. SKWPG (vom 21. 12. 1993, BGBl. I S. 2374) bis zum 31.12.1994 abzuschließen sind oder für Vorjahre nach den jeweils vorher geltenden Fassungen des § 93 BSHG abzuschließen waren. § 93 Abs. 3 Satz 1 1. Halbs. BSHG (i.d.F. des 2. SKWPG) verpflichtet die Beteiligten, Pflegesatzvereinbarungen vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode für einen zukünftigen Zeitraum abzuschließen. Die Anlehnung an diesen Wortlaut der gesetzlichen Regelung in der Ergänzungsvereinbarung dehnt den zeitlichen Geltungsbereich der Vereinbarung auf einen für das Jahr 1995 abzuschließenden Pflegesatz aus.

26

Der Beigeladene kann jedoch nicht mit Erfolg geltend machen, das vom Kläger vorgelegte Selbstkostenblatt sei unvollständig: Nach III 2 der Ergänzungsvereinbarung gilt für Einrichtungen, die nach der Nummer II 2 einen neuen Pflegesatz vereinbaren wollen, diese Regelung - mit Abweichungen, die im vorliegenden Fall nicht vorliegen - entsprechend. Nach dieser Regelung gilt die herkömmliche, auf den konkreten Einzelfall abstellende Verfahrensweise, Pflegesätze zu vereinbaren, nicht für Einrichtungen, die innerhalb einer Frist bis zum 15. September 1994 (vgl. III 2 a) ein vollständig ausgefülltes Selbstkostenblatt vorgelegt haben. Nach der beigefügten Anmerkung werden als vollständig ausgefüllte Selbstkostenblätter im Sinne dieser Regelung insbesondere nur solche Selbstkostenblätter angesehen, die in allen Positionen des Hauptblattes und der Anlagen ausgefüllt sind. Die Positionen, die diejenigen des Jahres 1993 zuzüglich des Vorgabewertes überschreiten, sind schlüssig zu begründen. Der Senat legt diese Regelung nach dem erkennbaren Zweck der Ergänzungsvereinbarung aus: Die Verwendung eines Selbstkostenblattes, die für das Jahr 1995 schon lange nicht mehr vorgesehen gewesen ist, kann nur dahin verstanden werden, dass dadurch die Kalkulation des prospektiven Pflegesatzes in einer bestimmten äußeren Form festgelegt werden sollte. Der erkennbare Zweck der vertraglichen Vereinbarung liegt dann darin, der Pflegesatzbehörde in gleicher Weise bei allen Einrichtungen einen raschen Überblick über die Kalkulationsgrundlagen und die Positionen zu verschaffen, in denen gegenüber den Vorjahren Erhöhungen eingetreten sind. Dieser Zweck wird auch deutlich durch die aufgenommene Verpflichtung, Überschreitungen schlüssig zu begründen. Dieser Satz 2 der Anmerkung verlangt schon nach seinem Wortlaut nicht, dass die Überschreitung im Selbstkostenblatt dargelegt und erläutert wird. Die Verpflichtung, die Überschreitungen zu erläutern, zwingt aber ohnehin dazu, weitergehende Darlegungen aus anderen Schriftstücken zu entnehmen; es wäre bloßer Formalismus zu verlangen, dass dann auch die entsprechenden Positionen des Selbstkostenblattes ausgefüllt werden. Der erkennbar verfolgte Zweck, einen erleichterten Überblick zu verschaffen, wird für die Positionen, für die frühere Kostenansätze überschritten werden, nämlich nicht erreicht. Zwischen den Beteiligten waren insbesondere die Positionen "Personalkosten", "Auslastungsquote", Wasser, Energie, Brennstoffe, Verwaltungsbedarf und Instandhaltung streitig. Diese Positionen hat der Kläger im Schriftwechsel außerhalb des Selbstkostenblattes erläutert. Schon deshalb ist nach dem erkennbaren Zweck der Ergänzungsvereinbarung nicht davon auszugehen, das Selbstkostenblatt sei unvollständig ausgefüllt im Sinne des Satzes 1 der Anmerkung. Für dieses Ergebnis zweckorientierter Auslegung der Ergänzungsvereinbarung sprechen auch Bedenken, die dann entstünden, wenn man die getroffene Vereinbarung dahingehend verstünde, die Vorlage eines Selbstkostenblattes sei notwendige Voraussetzung, um einen Anspruch auf Abschluss einer zukunftsgerichteten Pflegesatzvereinbarung zu erlangen: Dann nämlich stünde die Wirksamkeit der Ergänzungsvereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag in Frage, § 58 Abs. 2 Nr. 2 SGB X. Dem Beigeladenen wäre es danach verwehrt, einseitig durch Verwaltungsakt einen prospektiven Pflegesatz auf der Grundlage eines Selbstkostenblattes festzusetzen. Die am Zweck der Ergänzungsvereinbarung orientierte Auslegung ihres Inhalts durch den Senat ergibt eine solche Kollision mit dem gesetzlichen Leitbild zum Abschluss prospektiver Pflegesätze nicht. Sie führt jedoch im vorliegenden Fall dazu, dass sich der Beigeladene nicht mit Erfolg darauf berufen kann, der Kläger habe nicht innerhalb der in der Ergänzungsvereinbarung vorgesehenen Fristen ein vollständig ausgefülltes Selbstkostenblatt vorgelegt und damit keinen Anspruch auf Abschluss eines prospektiven Pflegesatzes für das Jahr 1995.

27

Der vom Kläger begehrte Pflegesatz von 84,- DM bewegt sich an der unteren Grenze der Pflegesätze, die für Einrichtungen zur Betreuung von Nichtsesshaften in Niedersachsen abgeschlossen worden sind. Dabei mögen die Kosten einzelner Einrichtungen aus der Betrachtung heraus zu halten sein, weil sie erkennbar durch besondere Erschwernisse der Betreuung begründet sind (z.B. Krankenstation K. oder sozialtherapeutisches Wohnheim für Strafentlassene). Die vom Beigeladenen zur Gerichtsakte gereichte Aufstellung lässt jedoch nur zwei Einrichtungen erkennen, deren Pflegesätze unter dem vom Kläger begehrten liegen. Unter Berücksichtigung der Umstände, die Einfluss auf die Bemessung des Pflegesatzes haben, ist die Größe der Einrichtung (29 Plätze), ihre Lage im ländlichen Bereich und der Umstand zu berücksichtigen, dass im Jahre 1993 mit einem Aufwand von rd. 100.000,- DM u.a. die Sanitäreinrichtungen der Einrichtung erneuert worden sind. Dies rechtfertigt ohne weitere Erhebungen ein Entgelt, das zumindest unter dem Durchschnitt der mit anderen Einrichtungen der Nichtsesshaften vereinbarten Entgelte liegt. In der ab 1. Januar 1999 gültigen Übergangsfassung des Landesrahmenvertrags nach § 93 d Abs. 2 BSHG sind im Übrigen unter § 5 Abs. 4 die Vertragspartner einig, dass eine abweichende Bemessung des Pflegegeldes möglich ist, wenn die Summe aus Grund- und Maßnahmepauschale der jeweiligen Einrichtung wesentlich unter dem Durchschnitt anderer Einrichtungsträger/Einrichtungen mit vergleichbaren Leistungen liegt.

28

Ohne Erfolg macht der Beigeladene auch geltend, der beantragte Pflegesatz erweise sich deshalb als unwirtschaftlich, weil die vom Kläger seiner Kalkulation zugrunde gelegten Auslastungsquote zu niedrig sei. Der Senat sieht jedenfalls bei der vom Kläger prognostizierten Auslastung (auf die maßgeblich abzustellen ist) von 78 % noch keinen Anlass, einen solchen Rückgang der Inanspruchnahme anzunehmen, der es verlangte, die mit dem Betrieb der Einrichtung verbundenen Aufwendungen diesem Rückgang anzupassen.

29

Nach Auffassung des Senats sind drei Umstände für die anzunehmende Auslastungsquote einer Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe in besonderem Maße bestimmend: Die Art der Einrichtung, ihre Größe und ihre Lage. Nach der Art der Einrichtung bestimmt sich, in welchem Maße der Einrichtungsbetreiber vorhersehen oder beeinflussen kann, wie viele Hilfesuchende sein Angebot in dem Zeitraum, für den vorausschauend zu kalkulieren ist, in Anspruch nehmen werden. Je höher die Planungsverlässlichkeit ist, desto höher wird die zu kalkulierende Auslastung der Einrichtung anzusetzen sein. Bei der vom Kläger betriebenen Einrichtung handelt es sich um eine Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe im Akutbereich. Die Inanspruchnahme des Hilfsangebots ist danach typischerweise von spontanen Entscheidungen der Hilfesuchenden abhängig, die ihrerseits durch Jahreszeit und Witterungsverhältnisse zumindest mit bestimmt werden mögen. Um ein effektives Angebot vorhalten zu können, muss dem Einrichtungsträger erlaubt sein, sein Platzangebot so zu bemessen, dass er auch einen wegen äußerer Umstände signifikant erhöhten Bedarf decken kann.

30

Die Größe der Einrichtung spielt nach Auffassung des Senats für die unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit anzusetzende anzusetzende Auslastungsquote deshalb eine Rolle, weil es einer kleineren Einrichtung regelmäßig schwerer fallen wird, auf eine zurückgehende Nachfrage nach ihrem Hilfsangebot durch eine Änderung ihrer Kostenstruktur zu reagieren. Ein Gutteil der Kostenbelastung von Einrichtungen auch der vorliegenden Art entspringt dem Personalaufwand. Die Arbeitsverhältnisse sind typischerweise auf Dauer angelegt und erlauben deshalb nur in begrenztem Rahmen Reaktionen, die auf einen Jahreszeitraum bezogen sind; dies wäre aber erforderlich, um mit der jährlich abzuschließenden Pflegesatzvereinbarung zu korrespondieren. In kleineren Einrichtungen wird es wegen der geringen Zahl an Mitarbeitern regelmäßig besonders schwierig sein, auf die Personalkosten bei veränderter Auslastungsquote Einfluss zu nehmen. Ähnliches gilt für die festen Kosten, die mit dem Vorhalten der Gebäude im Zusammenhang stehen: Langfristige Entscheidungen wie Mietverträge oder Finanzierungen werden nur bedingt jahresweise zu beeinflussen sein. Von der Größe der Einrichtung ist auch abhängig, wie sich das Verhalten einzelner Hilfesuchender in dem von ihnen versorgten Gebiet auswirkt. Bei einer Einrichtung mit (nur) 29 Plätzen, wie sie der Kläger betreibt, führt das regelmäßige Ausbleiben nur eines im Rahmen der Prognose erwarteten Hilfesuchenden zu einem Rückgang der Auslastung von rd. 3,5 %. Der Beigeladene hat in der Auflistung der "vereinbarten Auslastung 1995" vom 3. März 2000, die er in der mündlichen Verhandlung überreicht hat, für die vom Kläger betriebene Einrichtung eine Quote von 85 % als wirtschaftlich zugrunde gelegt. Dies entspricht der Quote, die er für zwei andere, von ihm für vergleichbar erachtete Einrichtungen in Ansatz gebracht hat. Bei der Größe der Einrichtung von 29 Plätzen wirkt sich demnach ein Ausbleiben von zwei Hilfesuchenden im Durchschnitt so aus, dass die Auslastung anstelle der von der Beigeladenen angenommenen 85 % noch 78 % betrüge; von einer Auslastung dieser Größenordnung ist der Kläger für das Jahr 1995 ausgegangen. Im Hinblick auf die Größe der Einrichtung ist er deshalb nicht gehalten gewesen, die von ihm angebotene Platzzahl einem möglichen dauerhaften Rückgang der Nachfrage bereits zu diesem Zeitpunkt anzupassen.

31

Für das Maß der anzunehmenden Auslastung ist nach Auffassung des Senats ferner die Lage der Einrichtung erheblich: Während in Ballungsgebieten - wie auch die Auflistung des Beigeladenen vom 3. März 2000 zeigt - eine Mehrzahl von Einrichtungen unterschiedliche Angebote der Nichtsesshaftenhilfe bereit hält, betreibt der Kläger im Raum N. als Einziger eine solche Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe. Den Hilfesuchenden in der Region ist es deshalb anders als in Ballungsgebieten nicht möglich, ihren Bedarf notfalls nicht in der von ihnen zunächst in Aussicht genommenen Einrichtung zu decken, sondern - wenn eine Aufnahme dort zur Zeit nicht möglich ist - in eine andere Einrichtung auszuweichen. Auch die Lage in einer eher strukturschwachen Region mit einer geringen Zahl an Einrichtungen und großem Versorgungsgebiet spricht deshalb dafür, eine relativ niedrige durchschnittliche Auslastungsquote noch als wirtschaftlich anzusehen.

32

Der Senat braucht zur Entscheidung des vorliegenden Einzelfalles nicht auszusprechen, bis zu welcher Auslastungsquote noch ein wirtschaftliches Leistungsangebot anzunehmen ist. Die vom Kläger prognostizierte Quote von 78 % ist - wie ausgeführt - jedenfalls noch nicht unwirtschaftlich.

33

Da demnach der Einwand des Beklagten, die Auslastungsquote der vom Kläger betriebenen Einrichtung sei zu niedrig, nicht durchdringt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, welche Bedeutung diesem Gesichtspunkt bei dem durchzuführenden externen Vergleich überhaupt zukommt.

34

Da die Berufung erfolgreich ist, braucht der Senat zur Höhe der von der Beklagten nach § 9 Satz 1 Nr. 1 SchiedsstellenVO festgesetzten Kosten nicht weiter Stellung zu nehmen. Bedenken gegen den zweifachen Ansatz der Gebühr von 850,- DM ("je Antrag") ergeben sich daraus, dass es sich um einen identischen Streitgegenstand handelt. Dies zeigt sich auch daran, dass die Beklagte die Verfahren gemeinsam verhandelt und in einem einheitlichen Beschluss - lediglich unter zwei Geschäftszeichen - entschieden hat. Weil sich die Verfahrensgebühr am Gegenstand des Verfahrens orientiert, kommt es darauf an, dass die Beteiligten letztlich zu einem identischen Lebenssachverhalt (nur) mit widerstreitenden Anträgen verhandelt haben.

35

Der Senat erachtet die Sache als spruchreif im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er sieht gleichwohl davon ab, die Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung eines Pflegesatzes in der Entscheidungsformel mit 84,- DM zu beziffern, um der Einschätzungsprärogative der Beklagten, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 1. Dez. 1998, a.a.O.) hervorgehoben worden ist, Rechnung zu tragen. Aus dem dem Senat zur Entscheidung vorliegenden Sachverhalt ergeben sich indes keine Anhaltspunkte, die es geboten erscheinen ließen, von der mit 84,- DM angegebenen Höhe des Pflegesatzes abzuweichen. Ein auch nur teilweises Unterliegen des Klägers ist in dieser Fassung der Entscheidungsformel nicht zu sehen.