Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.03.2000, Az.: 4 M 443/00
Abschiebung; Abschiebungsschutz; Ausländer; Ehepartner; Familie; familiäre Lebensgemeinschaft; Kind
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.03.2000
- Aktenzeichen
- 4 M 443/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 6 B 1/00
Rechtsgrundlagen
- § 30 AuslG
- § 55 AuslG
- § 8 AuslG
- Art 6 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zum Anspruch eines Ausländers auf Schutz vor Abschiebung, der mit einer aufenthaltsberechtigten Ausländerin, mit welcher er nach islamischem Ritus verheiratet ist, und dem ebenfalls aufenthaltsberechtigten gemeinsamen Kind in familiärer Gemeinschaft lebt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn vorläufig nicht abzuschieben.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger und reiste erstmals am 9. Dezember 1989 mit seiner damaligen Ehefrau und zwei Kindern in das Bundesgebiet ein. Am 18. Januar 1990 stellte die Familie einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Januar 1992 abgelehnt wurde. Bereits am 27. Juli 1990 kehrten die damalige Ehefrau und die beiden Kinder in das Heimatland zurück. Diese Ehe des Antragstellers wurde in Algerien am 25. September 1991 rechtskräftig geschieden. Mit Bescheid vom 9. März 1992 forderte die Ausländerbehörde des damals zuständigen Landkreises X-Y den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Algerien zur Ausreise auf.
Mit Urteil vom 29. April 1992 wies das Verwaltungsgericht Schleswig die Klage des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab 9 A 93/92(93). Da der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachkam, sollte er am 22. Juli 1994 in sein Heimatland abgeschoben werden. Zu der beabsichtigten Abschiebung kam es jedoch nicht, da der Antragsteller vorher "untertauchte". Am 25. Oktober 1995 wurde der Antragsteller bei einer Verkehrskontrolle in I. überprüft und verhaftet. In der Abschiebehaft legte er erstmalig eine Trauungsurkunde des Islamischen Familienzentrums I. e. V. vor, nach der er am 14. Februar 1991 Frau B.O. nach islamischem Familienrecht geheiratet hat. Ferner legte er ein Attest des Allgemeinen Krankenhauses D. vor, demzufolge sein Sohn A.O. , geb. am 29. März 1992, unter Pseudokrupp leidet.
Am 13. Dezember 1995 wurde der Antragsteller nach Algerien abgeschoben.
Mit Schreiben der Rechtsanwältin P. aus B. vom 20. März 1996 stellte der inzwischen wieder illegal eingereiste Antragsteller einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 24. Januar 1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Algerien zur Ausreise auf.
Am 11. Februar 1997 erhob der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Schleswig Klage (11 A 36/97) und stellte einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (11 B 14/97). Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Schleswig mit Beschluss vom 16. Juni 1997 ab.
Am 2. April 1997 wurde der Antragsteller nach D. umverteilt. Eine für den 13. August 1997 geplante erneute Abschiebung scheiterte daran, dass der Antragsteller vorher "untergetaucht" war. Im Dezember 1997 durchgeführte Ermittlungen wegen eines vermuteten Aufenthalts des Antragstellers in I. in der Sch.-Landstraße (Haus-Nrn. 115 und 195) blieben erfolglos. Im September 1999 wurde der Antragsteller in I. festgenommen und befindet sich seither in Straf- bzw. Abschiebehaft.
Am 26. Oktober 1999 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Duldung. Zur Begründung führte er aus: Er sei der Vater des minderjährigen A.O. und habe die Vaterschaft anerkannt. Er habe bislang mit seinem Kind und der Kindesmutter in familiärer Gemeinschaft zusammengelebt. Das Kind habe hier ein Aufenthaltsrecht und es sei ihm nicht zuzumuten, in Algerien zu leben oder sich von seinem Vater zu trennen.
Mit Bescheid vom 26. November 1999 lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Duldung ab.
Am 30. Dezember 1999 hat sich der Antragsteller sowohl mit einer Klage auf Erteilung einer Duldung (6 A 1/00), über die noch nicht entschieden worden ist, als auch mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Verwaltungsgericht gewandt. Er hat vorgetragen: Seiner Abschiebung stehe ein zwingendes Abschiebungshindernis nach Art. 6 GG entgegen. Er lebe seit seiner Einreise in familiärer Lebensgemeinschaft mit Frau O. und seinem Sohn. Seit 1992 bemühe er sich um eine staatliche Eheschließung, die bislang am Fehlen von Unterlagen gescheitert sei. Es treffe nicht zu, dass er am 11. August 1998 in Belgien gewesen sei, wie die Antragsgegnerin behaupte.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 14. Januar 2000 abgelehnt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die von dem Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO könne nicht ergehen, da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Er habe nicht Anspruch auf ein Absehen von der Abschiebung (Erteilung einer Duldung).
Nach § 55 Abs. 2 AuslG werde eine Duldung erteilt, solange eine Abschiebung des Ausländers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei. Hier komme allein eine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen im Hinblick auf die familiären Verhältnisse des Antragstellers in Betracht, der sich auf den Schutz von Art. 6 GG berufe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folge aus Art. 6 GG ein zwingendes Abschiebungshindernis dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitgliedes angewiesen sei, in einem überdurchschnittlichen Maße die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung übernehme sowie Beistand im Lebensalltag und durch intensive Zuwendung Lebenshilfe im seelisch-geistigen Bereich leiste. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Antragstellers nicht erfüllt, denn aus seinem Vortrag ergebe sich nicht, dass er in der Vergangenheit (vor seiner Inhaftierung) sich besonders für seinen Sohn engagiert habe und dessen Betreuung ohne ihn nicht vorstellbar sei. Im übrigen habe der Antragsteller in den vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren nichts zu den familiären Verhältnissen vorgetragen, den Sohn nicht einmal erwähnt. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die von dem Antragsteller behauptete familiäre Lebensgemeinschaft tatsächlich bestehe. Auch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Frau O. vermöge nicht zu erklären, warum der Antragsteller am 11. August 1998 in Belgien aufgrund einer erkennungsdienstlichen Behandlung identifiziert worden sei. Angesichts dessen, dass bei dem Antragsteller bereits seit seiner Festnahme im Jahre 1995 gefälschte italienische Papiere aufgefunden worden seien, erscheine es durchaus nicht fernliegend, dass er sich auch in Belgien aufgehalten haben könnte. Angesichts der weiteren vergeblichen Versuche der Ausländerbehörde, ihn aufzufinden, müsse auch ernsthaft bezweifelt werden, ob er sich dauerhaft bei Frau O. und seinem Sohn aufgehalten habe.
Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 AuslG, unter denen eine Duldung u. a. wegen dringender humanitärer oder persönlicher Gründe ausgesprochen werden könne, seien nicht erfüllt. Im übrigen sei bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits abgeschoben worden sei und ohne das erforderliche Visum erneut eingereist sei. Nach § 8 Abs. 2 AuslG dürfe ein Ausländer, der abgeschoben worden sei, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten; ihm werde auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Ausländergesetz eine Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt. Der Antragsteller sei deshalb darauf zu verweisen, von seinem Heimatland aus zunächst die Befristung des Einreiseverbots und die Erteilung eines Visums zu betreiben.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Zulassung der Beschwerde (und gegebenenfalls der Beschwerde). Er hält insbesondere "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses" für gegeben und trägt u. a. vor: Er habe (bis zu seiner Inhaftierung) in ständiger familiärer Lebensgemeinschaft mit Frau O. und seinem Sohn gelebt. Er habe sich in der Tat im Sommer 1997 kurzzeitig bei Freunden in I. aufgehalten, um einer Festnahme und Abschiebung zu entgehen, sei dann aber wieder in die gemeinsame Wohnung in D. zurückgekehrt. Im Oktober 1997 sei die Familie dann auf sein Drängen nach I. in die Sch.-Landstraße 65 umgezogen. Dort sei zu keinem Zeitpunkt nach ihm gesucht worden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 14. Januar 2000 zuzulassen und
auf die (zugelassene) Beschwerde den genannten Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn nicht abzuschieben.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde ist zulässig und begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts (§ 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wie im Folgenden noch ausgeführt wird. Die Beschwerde ist deshalb zuzulassen.
Die (zugelassene) Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Antragsteller hat Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin vorläufig von Abschiebungsmaßnahmen absieht.
Nach § 55 Abs. 1 AuslG kann die Abschiebung eines Ausländers nur nach Maßgabe der Abs. 2 - 4 zeitweise ausgesetzt werden (Duldung). Nach § 55 Abs. 2 AuslG wird einem Ausländer eine Duldung u. a. dann erteilt, solange seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Hier ergibt sich entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen im Hinblick auf die familiären Verhältnisse des Antragstellers.
Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 51, 386 396 f.; 80, 81 93) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Februar 1995 - BVerwG 1 C 11.94 -, BVerwGE 98, 31 46 = Buchholz 402.240 § 6 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 07. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13 = Buchholz 402.240 § 30 AuslG 1990 Nr. 8 = NVwZ 1998, 742 = InfAuslR 1998, 213 = DVBl 1998, 722; weitere Nachweise im Urteil vom 27. August 1996 - BVerwG 1 C 8.94 - BVerwGE 102, 12 19 = Buchholz 402.240 § 13 AuslG 1990 Nr. 3, S. 8) gewährt Art. 6 GG nicht unmittelbar einen Anspruch auf Aufenthalt. Die entscheidende Behörde hat aber die familiären Bindungen des Antragstellers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Anwendung offener Tatbestände und bei der Ermessensausübung pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 80, 81 93; BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - BVerwG 1 C 9.95 - a. a. O.).
Das Ausländergesetz erfüllt das verfassungsrechtliche Schutzgebot für Ehe und Familie, indem es in allen auf die Familie bezogenen aufenthaltsrechtlichen Regelungen auf die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 AuslG verweist, wonach die Aufenthaltsgenehmigung "zum Zwecke des nach Artikel 6 des Grundgesetzes gebotenen Schutzes von Ehe und Familie ... für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft ... im Bundesgebiet erteilt und verlängert werden kann". Damit stellt das Ausländergesetz eine Reihe abgestufter Regelungen zur Verfügung, in denen dem Schutzgebot des Art. 6 GG nach Maßgabe der nach Fallgruppen gewichteten besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen Rechnung getragen wird.
Die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder findet in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage. Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Die Lebensgemeinschaft kann dadurch zur bloßen Hausgemeinschaft werden, die Gemeinsamkeiten des Zusammenwohnens wahrt, jedem Mitglied der Familie im übrigen aber die unabhängige Gestaltung seines Lebens überlässt. Mit der Auflösung der Hausgemeinschaft kann sich die Familie sodann zur bloßen Begegnungsgemeinschaft wandeln, bei der Eltern und Kinder nur den gelegentlichen Umgang pflegen. Die Haus- oder Lebensgemeinschaft setzt sich in der Familie unter Erwachsenen von Rechts wegen fort, wenn weiterhin Unterhalt oder Beistand geleistet wird und dies in einer Hausgemeinschaft geschieht - vgl. §§ 1612 Abs. 2, 1618 a BGB - (BVerfG, Beschl. v. 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 = DVBl 1989, 712 = NJW 1989, 2195).
Der Begriff der familiären Lebensgemeinschaft fordert nicht unbedingt eine häusliche Gemeinschaft. Eine familiäre Lebensgemeinschaft wird aber in der Regel durch eine gemeinsame Lebensführung jedenfalls in der Form der Beistandsgemeinschaft zwischen erwachsenen Angehörigen und der Erziehungsgemeinschaft zwischen erwachsenen und minderjährigen Angehörigen gekennzeichnet sein und einen Lebensmittelpunkt besitzen. Zur Entfaltung eines gemeinsamen Lebens gehört im allgemeinen eine gemeinsame Wohnung. Leben die Familienmitglieder zusammen, so liegt eine familiäre Lebensgemeinschaft ohne Rücksicht darauf vor, ob die Eltern miteinander verheiratet und das Kind ehelich oder nichtehelich ist. Leben die Familienmitglieder dagegen getrennt, so bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, um gleichwohl eine familiäre Lebensgemeinschaft annehmen zu können. Solche Anhaltspunkte können im Verhältnis zwischen einem Vater und seinem nichtehelichen Kind etwa in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und der Erziehung des Kindes oder in sonstigen vergleichbaren Beistandsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen. Erschöpft sich der familiäre Kontakt in Besuchen, fehlen also darüber hinausgehende Beistandsleistungen oder andere Formen des familiären Kontakts, handelt es sich um eine bloße Begegnungsgemeinschaft (BVerwG, Urteil vom 07. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19.96 - a. a. O.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Versagung des Aufenthalts eines Ausländers im Bundesgebiet im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls als unbedenklich anzusehen, soweit eine Familie zwischen einem nicht sorgeberechtigten Elternteil und seinem Kind aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nur als Begegnungsgemeinschaft geführt wird und keine Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung der Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden Schutz angezeigt erscheinen lassen (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. August 1989 - 2 BvR 67/85 - FamRZ 1989, 1159 und vom 1. August 1996 - 2 BvR 1119/96 - InfAuslR 1996, 341; vgl. auch BVerfGE 80, 81 91, 94).
Diese Grundsätze gelten gleichermaßen bei der Prüfung der rechtlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG als auch der Prüfung des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG.
Der so umschriebene Schutz des Art. 6 GG kommt hier dem Antragsteller zugute. Denn er macht geltend, seit seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet und bis zu seiner Festnahme im September 1999 in I. in familiärer Lebensgemeinschaft mit Frau O. und dem gemeinsamen Sohn zunächst in D. und dann in I. gelebt zu haben. Dieses Vorbringen wird durch die eidesstattliche Versicherung der Frau O. vom 7. Dezember 1999 (GA Bl. 8, 9) bestätigt. Durchgreifende Zweifel daran, dass die Beteiligten tatsächlich in einer solchen Lebensgemeinschaft gelebt haben, bestehen nicht.
Der Antragsteller bestreitet nicht, sich im Sommer 1997 vorübergehend bei Freunden verborgen gehalten zu halten, um einer erneuten Abschiebung zu entgehen. Angesichts dessen, dass offenbar nur über einen kurzen Zeitraum nach seinem Verbleib geforscht worden ist, und er nach eigenem Vorbringen nicht nur den Kontakt mit Frau O. aufrechterhalten hat, sondern schon etwa Ende August 1997 wieder in die gemeinsame Wohnung in D. zurückgekehrt ist, kann von einer Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft nicht die Rede sein. Im übrigen hat sich die Familie nach seinem Vorbringen ab Oktober 1997 in I. aufgehalten. Dem mag es entsprechen, dass der Antragsteller auch in I. festgenommen worden ist. Jedenfalls steht diesen Angaben des Antragstellers nicht entgegen, dass Nachforschungen nach ihm in der Sch.-Landstraße im Jahre 1997 erfolglos geblieben sind. Denn dort ist offensichtlich unter den falschen Adressen nach ihm gesucht worden. Soweit die Antragsgegnerin schließlich darauf verweist, dass der Antragsteller am 11. August 1998 in Belgien anlässlich einer Überprüfung identifiziert worden sei, folgt daraus nichts gegen das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit Frau O. und seinem Sohn. Denn weder aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin noch aus den Verwaltungsvorgängen ergeben sich irgendwelche Hinweise darauf, zu welchen Zwecken und für welche Dauer der Antragsteller sich in Belgien aufgehalten haben soll - er selbst bestreitet einen Aufenthalt dort -. Ein nur kurzzeitiger Aufenthalt des Antragstellers in Belgien würde ohnehin Zweifel an einem Fortbestehen der familiären Gemeinschaft nicht begründen können.
Ist mithin nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand von dem Bestand einer familiären Lebensgemeinschaft (in der Zeit bis zur Inhaftierung des Antragstellers) auszugehen - etwaige Zweifel mag die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren vertiefend begründen und können dort aufgeklärt werden -, folgt für den Antragsteller aus Art. 6 GG ein Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin vorläufig von Abschiebungsmaßnahmen absieht. Denn wie oben ausgeführt ist bei Vorliegen der familiären Lebensgemeinschaft ohne weiteres auch vom Bestehen einer Beistandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau O. und einer Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn auszugehen, die den Schutz des Art. 6 GG genießen. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf § 8 Abs. 2 AuslG geht in diesem Zusammenhang im übrigen fehl. Denn wenn der Antragsteller jetzt einen Anspruch auf Absehen von der Abschiebung (Duldung) hat, wird zu seinen Gunsten § 30 Abs. 4 AuslG zum Tragen kommen, demzufolge einem Ausländer, der seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig ist und eine Duldung besitzt, abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden kann.