Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.03.2000, Az.: 1 M 482/00

Baugenehmigung; Bestandsschutz; Erlöschen der Baugenehmigung; Grundstückssituation; Nutzungsunterbrechung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.03.2000
Aktenzeichen
1 M 482/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41538
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 4 B 4541/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Baugenehmigung erlischt, wenn die zugelassene Nutzung 3 Jahre oder länger unterbrochen wird.

Gründe

1

Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen durch Bescheide der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 1999 erteilten Baugenehmigungen zur Errichtung einer Tankstelle mit Shopgebäude, Fahrbahnüberdachung, Zapfinsel und Waschhalle sowie zur Errichtung von Werbeanlagen und gegen die Erlaubnis zur Errichtung tanktechnischer Anlagen auf dem Grundstück A.-Straße 229 in Emden (Flurstück 405/56 der Flur 1 der Gemarkung H.) - Vorhaben -.

2

Die Antragsteller sind Eigentümer des westlich angrenzenden und Wohnzwecken dienenden Grundstücks T.-Straße 9 (Flurstück 56/2 der Flur 1 der Gemarkung H.). Die Antragsteller erhoben Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilten Genehmigungen und Erlaubnis, über den noch nicht entschieden ist.

3

Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Januar 2000 ab.

4

Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag der Antragsteller, der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO gestützt wird.

5

Der Zulassungsantrag ist unbegründet.

6

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nach ständiger Senatsrechtsprechung erst dann, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn sein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen (Beschl. d. Sen. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, Nds.VBl. 1999, 93). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

7

Mit ihrer Ansicht, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend zwischen der Vorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB, die ihnen über das im Merkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme Nachbarschutz vermittle, und der Bestimmung in Abs. 2 der genannten Vorschrift differenziert, legen die Antragsteller nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung dar. Sie wiederholen lediglich ihre Ausführungen aus der Antragsschrift vom 8. Dezember 1999, die sie - nahezu wortgleich - im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eingereicht haben. Eine solche Handhabung genügt nicht den Darlegungsanforderungen, die § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO an das Zulassungsvorbringen stellt. Hiernach wird eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts verlangt, an der es zwangsläufig fehlt, wenn das Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren noch einmal dargestellt und der Bezug zu der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung lediglich dadurch hergestellt wird, dass in der Textpassage der Zusatz aufgenommen wird, "entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts" sei hier die drittschützende Wirkung des Gebots der Rücksichtnahme zu bejahen.

8

Ob der Senat mit Blick auf § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO verpflichtet ist, die Ausführungen der Antragsteller zu § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dahingehend zu überprüfen, ob sie sich auch als tragfähig erweisen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen, kann dahinstehen. Denn auch die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsteller rechtfertigen nicht die Zulassung der Beschwerde nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

9

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteile, weil die nähere Umgebung des Vorhabens einem Mischgebiet entspreche. Das Vorhaben füge sich seiner Art nach in die nähere Umgebung ein, weil in einem Mischgebiet gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO Tankstellen allgemein zulässig seien. Durch die Errichtung einer Tankstelle werde der Gebietscharakter weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht in die Richtung "Gewerbe" so verändert, dass die Gebietsart wechsele. Wenn sich auf dem Grundstück A.-Straße 229, auf dem bis Dezember 1995 ein Autohaus mit Kraftfahrzeugwerkstatt betrieben worden sei, wieder Gewerbe ansiedle, liege keine Änderung der Grundstücksnutzung vor. Dem setzen die Antragsteller nur unzureichende Darlegungen entgegen, die sich dahingehend zusammenfassen lassen, dass der Bestandsschutz für eine gewerbliche Nutzung des Baugrundstücks entfallen sei, weil die Beendigung der bisherigen Nutzung und der Beginn der neuen Nutzung nach Ablauf einer Übergangsfrist von längstens zwei Jahren nicht mehr einen einheitlichen Lebensvorgang darstelle. Die Antragsteller hätten deshalb entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht mehr damit rechnen müssen, dass das Grundstück nach Aufgabe des Autohandels gewerblich genutzt werde.

10

Das von den Antragstellern zitierte Zeitmodell des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, nach welchem Zeitablauf ein Wechsel der Grundstückssituation auf den Bestandsschutz durchschlägt (vgl. Urt. v. 21.8.1981 - IV C 65.80 -, BRS 38, Nr. 99; Urt. v. 18.5.1995 - 4 C 20.94 -, BRS 57, Nr. 67) hat seine Aussagekraft für die maßgebliche Fragestellung, ob eine genehmigte Nutzung, die längere Zeit unterbrochen wurde, die Eigenart der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich noch prägt verloren. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 7.11.1997 - 4 C 7.97 -, BRS 59, Nr. 109) unterliegt der Bestandsschutz in erster Linie der einfachrechtlichen Ausgestaltung des nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung berufenen Landes- oder auch Bundesgesetzgebers. Danach richte sich auch die Dauer einer Baugenehmigung nach den Bestimmungen der Landesbauordnung, der unmittelbare Rückgriff auf den Bestandsschutz nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sei damit nicht (mehr) zulässig. § 77 Satz 1 NBauO bestimmt, dass die Baugenehmigung erlischt, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung der Baumaßnahme nicht begonnen oder wenn die Ausführung drei Jahre unterbrochen worden ist. Auch wenn der Wortlaut dieser Vorschrift den Fall der Nutzungsunterbrechung nicht ausdrücklich erfasst, rechtfertigen es Gründe des Bodenrechts, die Drei-Jahres-Frist für die Ausnutzung der Baugenehmigung auch auf die Nutzungsunterbrechung zu übertragen (Schmaltz, in: Grosse-Suchsdorf/Lindorff/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 6. Aufl., 1996, § 77, Anm. 20). Danach verliert eine ursprünglich vorhandene Prägung der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich bei Unterbrechung der Nutzung ihre den Rahmen mitbestimmende Kraft, wenn die genehmigte Nutzung drei Jahre nicht mehr ausgeübt wird. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die im Dezember 1995 aufgegebene gewerbliche Nutzung des Grundstücks A.-Straße 229 zum Zeitpunkt der Stellung des Bauantrages für das Vorhaben der Beigeladenen noch nachwirkte. Zum Zeitpunkt des Eingangs des Bauantrages bei der Antragsgegnerin am 1. April 1998 war die Drei-Jahres-Frist noch nicht verstrichen. Die Antragsteller mussten folglich noch damit rechnen, dass sich auf dem bisher gewerblich genutzten Grundstück erneut Gewerbe ansiedelt.

11

Daran ändert auch das von den Antragstellern vorgelegte Schreiben der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2000 an einen ansiedlungswilligen Gewerbebetrieb nichts, der plante eine Reparaturwerkstätte neu zu gründen. Zunächst bezieht sich das Schreiben nach der Lagebeschreibung im Rubrum auf das Nachbargrundstück A.-Straße 227. Die Antragsgegnerin betont eingangs ihrer Ausführungen, dass das bezeichnete Grundstück in einem Mischgebiet liege. Soweit in dem Schreiben auf das Zwei-Jahres-Modell des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen wird, dürften sich die Ausführungen weniger auf die Frage, ob die aufgegebene Nutzung noch die Eigenart der näheren Umgebung prägt, beziehen, sondern mehr darauf, ob für die Aufnahme des Betriebes einer Reparaturwerkstätte in den leerstehenden Gebäuden auf dem bezeichneten Grundstück eine Baugenehmigung benötigt wird.

12

Ob die mit dem aufgegebenen Autohandel verbundene Kraftfahrzeug-Reparaturwerkstätte entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auf dem benachbarten Grundstück A.-Straße 227 unterhalten wurde, ist nicht entscheidungserheblich. Denn auch der (ehemalige) Handel mit Autos auf dem Grundstück A.-Straße 229 stellte gewerbliche Nutzung dar. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das vormals auf dem Grundstück betriebene Autohaus (auch in quantitativer Hinsicht) durch Büro- und Hallenflächen einen erheblichen Grundstücksteil eingenommen hat.

13

Die Antragsteller befürchten nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts schließlich auch zu Unrecht unzumutbare Lärmimmissionen durch das Vorhaben der Beigeladenen. Die hiergegen gerichteten Angriffe genügen nicht den Darlegungsanforderungen. Die Antragsteller verweisen hinsichtlich ihrer Kritik an der Lärmwertbegutachtung auf ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren. Eine solche Bezugnahme verstößt gegen § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO, weil ein Zulassungsantrag aus sich selbst heraus verständlich sein muss. Verweisungen sind deshalb unzulässig.

14

Die Zulassungsrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO greift ebenfalls nicht durch. Nach dem Vorgesagten weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten nicht auf.