Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.07.2022, Az.: 13 ME 76/22
Abwägung; Ausweisung; Ausweisungsschutz, besonderer; Beschwerde; Bleibeinteressen; Gefahrenprognose; vorläufiger Rechtsschutz; zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.07.2022
- Aktenzeichen
- 13 ME 76/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59756
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 17.02.2022 - AZ: 3 B 1532/21
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 1 AufenthG
- § 53 Abs 2 AufenthG
- § 53 Abs 3a AufenthG
- § 1 HumHiG
- § 57 StGB
- § 146 Abs 4 VwGO
- § 80 Abs 5 VwGO
Fundstellen
- DÖV 2022, 919
- InfAuslR 2022, 413-416
- ZAR 2022, 338
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Jüdische Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die als (unechte) Kontingentflüchtlinge nur entsprechend § 1 HumHAG durch Aufnahmezusage gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem Ausland aufgenommen wurden und denen nur entsprechend § 1 Abs. 3 HumHAG eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, besitzen (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 keinen Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG mehr und genießen deshalb auch keinen erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG.
2. Bei der Gefahrenprognose nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen nur ausnahmsweise dann, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann
3. Soweit ein Ausländer zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung (internationalen) subsidiären Schutzes zu begründen, ist es der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten im aufenthaltsrechtlichen Verfahren verwehrt, diese Umstände in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen einzubeziehen, ohne dass eine vorherige Prüfung und Feststellung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt ist. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch einen Anspruch auf Doppelprüfung.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 17. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 17. Februar 2022 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zutreffend abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 6. Dezember 2021 (Blatt 10 ff. der Gerichtsakte) für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung wiederherzustellen und gegen die Bestimmung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots anzuordnen. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.
1. Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde geltend, dass er seine Rechtsstellung als Kontingentflüchtling im Sinne der §§ 2a und 2b des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) erst im Nachhinein durch eine Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG verloren habe. Hierdurch sei eine Verschlechterung der Rechtstellung von jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion eingetreten. Er habe darauf vertrauen dürfen, eine für ihn vorteilhafte Rechtsstellung auch für die Zukunft behalten zu können. Möglicherweise seien das Rückwirkungsverbot und der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt.
Dieser Einwand verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Ausweisung nicht an den erhöhten Anforderungen des besonderen Ausweisungsschutzes für anerkannte Flüchtlinge gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG zu messen ist, da der Antragsteller weder direkt noch indirekt eine Rechtsstellung als Kontingentflüchtling gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG innehat (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 4 ff.).
Der Antragsteller gehört zum Personenkreis der jüdischen Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die als (unechte) Kontingentflüchtlinge nur entsprechend § 1 HumHAG durch Aufnahmezusage gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem Ausland aufgenommen wurden (vgl. die Bescheinigung der LAB Bramsche v. 6.10.2013, Blatt 11 der Beiakte 1) und denen nur entsprechend § 1 Abs. 3 HumHAG damals eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Für Angehörige dieses Personenkreises hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 1 C 3.11 -, BVerwGE 142, 179, 188 ff. - juris Rn. 21 und 32) entschieden, dass sie (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 keinen Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG mehr besitzen. Aus der Differenzierung in § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und einem Umkehrschluss aus § 103 AufenthG - der nur für (echte) Kontingentflüchtlinge gemäß § 1 HumHAG die Fortgeltung des Flüchtlingsstatus‘ und die Anwendbarkeit der hierauf bezogenen Erlöschensgründe aus §§ 2a, 2b HumHAG anordnet - ergibt sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, dass der Flüchtlingsstatus bei unechten Kontingentflüchtlingen ab dem 1. Januar 2005 entfallen und ihnen lediglich ausländerrechtlich nach § 101 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. AufenthG eine Niederlassungserlaubnis im Sinne des § 23 Abs. 2 AufenthG belassen werden soll. Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Senat angeschlossen (vgl. Senatsurt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 -, juris Rn. 58).
Die mit dieser Rechtsänderung verbundene unechte Rückwirkung (vgl. zur Abgrenzung der echten Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") von der unechten Rückwirkung ("tatbestandliche Rückanknüpfung"): Senatsbeschl. v. 25.2.2020 - 13 LA 50/19 -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.) ist verfassungsrechtlich zulässig. Denn die von der Rechtsänderung Betroffenen behalten ihr Daueraufenthaltsrecht und haben die Möglichkeit, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ist bei dem Personenkreis der jüdischen Emigranten, die - wie dargestellt - nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden sind, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., Rn. 32).
2. Der Antragsteller macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe unzutreffend eine Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen bejaht. Es habe seine persönlichen Bindungen unberücksichtigt gelassen und sich nahezu ausschließlich auf das umfangreiche Strafregister fokussiert. Ein substanzieller und objektiver Nachweis einer Wiederholungsgefahr fehle. Das Verwaltungsgericht habe ausschließlich eine rückblickende Sichtweise an den Tag gelegt und allein auf der Grundlage seines bisherigen Werdegangs darauf geschlossen, dass er - der Antragsteller - für die Warnfunktion strafrechtlicher Sanktionen nicht empfänglich sei. Es sei bloße Spekulation, dass er in der organisierten Kriminalität vernetzt sei und hierauf Rückgriff nehmen könne. Die Mutmaßungen des Verwaltungsgerichts stünden im eklatanten Gegensatz zur Sichtweise der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. im Beschluss vom 6. Januar 2022. Deren Einschätzung der Wiederholungsgefahr sei näher an den Straftaten orientiert und daher viel realistischer. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Prognoseentscheidung den Resozialisierungsgedanken der Strafhaft ausgeblendet.
Auch diese Einwände verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG erforderliche Feststellung, dass der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 15 ff.; Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, 237 - juris Rn. 12; Urt. v. 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, 282 f. - juris Rn. 15 ff.; Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 -, juris Rn. 6 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Das Verwaltungsgericht hat anhand dieses Maßstabes zutreffend angenommen, dass der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, weil der Antragsteller Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat und die Gefahr besteht, dass er erneut straffällig wird (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 6 ff.).
a. Dabei hat das Verwaltungsgericht entgegen der Beschwerde auch seine persönlichen und familiären Bindungen an das Bundesgebiet hinreichend berücksichtigt und herausgearbeitet, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung im Wesentlichen in dieselben familiären Verhältnisse zurückgekehrt sei, die bereits zur Zeit der Begehung seiner letzten Straftaten bestanden hätten. Diese Verhältnisse seien ersichtlich ohne positiven Einfluss geblieben und hätten den Antragsteller schon seinerzeit nicht davon abgehalten, straffällig zu werden (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 9). Auch der regelmäßige Kontakt zu seiner früheren Ehefrau habe ihn nicht auf einen besseren Weg geführt. Anhand des Vollzugsplans der JVA E. (Blatt 276 ff. der Beiakte 2) habe nicht festgestellt werden können, inwieweit die familiären Besuchskontakte überhaupt schützend und stützend auf den Antragsteller einzuwirken vermochten (Beschl. v. 17.2.2022 i.V.m. Bescheid v. 6.12.2021, S. 6). Mit diesen für den Senat nachvollziehbaren Erwägungen setzt sich die Beschwerde nicht ansatzweise auseinander.
b. Entgegen der Beschwerde ist zudem nicht zu beanstanden, dass sich die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts auch auf in der Vergangenheit liegende Tatsachen und Umstände stützt, welche die Delinquenz des Antragstellers betreffen. Nach dem dargestellten Maßstab sind insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung maßgebliche Umstände für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr. In Anbetracht der Vorstrafen des Antragstellers, des erheblichen Umfangs der von ihm fortlaufend begangenen Diebstahlsdelikte deutet Vieles auf eine erneute Straffälligkeit hin. Dass der Antragsteller weitreichend in der organisierten Kriminalität vernetzt ist und auf Grund dessen über diverse Flucht- und Unterschlupfmöglichkeiten verfügt, ist keine bloße Spekulation von Seiten des Verwaltungsgerichts. Vielmehr beruht diese Einschätzung auf Ermittlungen der Polizeiinspektion F. sowie den Tatumständen, wonach dessen letzten Diebstähle mit großer Professionalität und Effektivität unter Zuhilfenahme weiterer Komplizen begangen worden sind. Auch des vom Antragsteller eingeforderten objektiven Nachweises einer Wiederholungsgefahr, etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, bedarf es nicht. Vielmehr bewegt sich das Verwaltungsgericht bei der Prognoseentscheidung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, 237 - juris Rn. 12). Solche besonderen Umstände sind hier weder geltend gemacht noch für den Senat ohne Weiteres ersichtlich.
c. Ferner musste sich das Verwaltungsgericht bei seiner Gefahrenprognose nicht in bindender Weise an der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. vom 6. Januar 2022 - G. - (Blatt 69 f. der Gerichtsakte) über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB ausrichten.
Der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB kommt mit Blick auf die hier zu treffende aufenthaltsrechtliche Gefahrenprognose eine Bindungswirkung nicht zu. Sie ist zwar bei der Prognose zu berücksichtigen und für diese von tatsächlichem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21; Beschl. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 18). Ihr Gewicht ist aber von vorneherein deutlich geringer als das einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB; eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründet sie nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010 - 2 BvR 130/10 -, juris Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 2.9.2009 - BVerwG 1 C 2.09 -, juris Rn. 18; Urt. v. 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, juris Rn. 17). Denn die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB betrifft maßgeblich die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen vor allem Resozialisierungsaspekte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines straffälligen Ausländers um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.1.2019 - 13 LA 452/17 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 -, juris Rn. 21; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.7.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 38; Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 425/09 -, juris Rn. 54).
Dies zugrunde gelegt, hat das Verwaltungsgericht die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 6. Januar 2022 aufgeführten spezialpräventiven Aspekte in ausreichendem Maße bei seiner eigenständigen Gefahrenprognose berücksichtigt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Strafvollstreckungskammer mit wesentlichen Umständen, die für die ausweisungsrechtliche Beurteilung der Wiederholungsgefahr erheblich sind, gerade nicht bzw. nicht hinreichend auseinandergesetzt habe und dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf einer schmaleren Tatsachengrundlage beruhe. Die Strafvollstreckungskammer habe lediglich auf Umstände abgestellt, die eine mögliche Resozialisierung des Antragstellers stützen könnten, etwa die erstmalige Verbüßung einer Freiheitsstrafe, das Vollzugsverhalten und das stabile soziale Umfeld nach einer Haftentlassung. Entscheidende ausweisungsrechtliche Aspekte, wie die auf eine erhöhte und sich steigernde kriminelle Energie trotz Vorverurteilung hindeutete Delinquenz des Antragstellers und der mangelnde positive Einfluss seines sozialen Umfelds auf die bisherige Delinquenz, seien von der Strafvollstreckungskammer hingegen nicht in den Blick genommen worden (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 9 f.).
3. Der Antragsteller macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe seine privaten Bleibeinteressen, insbesondere die familiären Bindungen und die zuletzt erteilte Niederlassungserlaubnis, nicht angemessen berücksichtigt.
Dieses Beschwerdevorbringen des Antragstellers genügt schon den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht (vgl. zu diesen Anforderungen im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. - juris Rn. 4 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Anwendung eines richtigen rechtlichen Maßstabs und nach Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalls angenommen, dass wegen der vom Antragsteller innegehabten Niederlassungserlaubnis ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht und auch die familiären Bindungen des Antragstellers zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen, insbesondere seiner minderjährigen Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit, bedeutsam und zu berücksichtigen sind, diese aber das widerstreitende öffentliche Ausweisungsinteresse nicht überwiegen (Beschl. v. 17.2.2022, S. 10 ff.). Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beschwerde nicht in der gebotenen qualifizierten, ins Einzelne gehenden und fallbezogenen Weise auseinander. Vielmehr ist der Einwand pauschal und unsubstantiiert. Er zeigt für den Senat nicht nachvollziehbar auf, dass und warum die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig und im Ergebnis aufzuheben und zu ändern ist.
4. Schließlich macht der Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe die aktuelle Situation in seinem Heimatland Ukraine außer Betracht gelassen. Eine Rückkehr dorthin würde für ihn auf Grund der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Kommunikationsmöglichkeit mit der Familie in Deutschland könne faktisch nicht in Anspruch genommen werden, da kriegsbedingt die Kommunikationswege in der Ukraine abgeschnitten seien.
Auch dieser Einwand greift nicht durch.
Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung (internationalen) subsidiären Schutzes zu begründen, ist es dem Antragsgegner als Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten im aufenthaltsrechtlichen Verfahren verwehrt, diese Umstände in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen einzubeziehen, ohne dass eine vorherige Prüfung und Feststellung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt ist. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch einen Anspruch auf Doppelprüfung (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 34).
Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach nicht einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorbehalten sind, führen sie hier nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Sie sind zwar als Umstände des Einzelfalls, insbesondere als persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen im Herkunftsstaat, im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung einzustellen. Sie lassen aber das besonders schwerwiegende öffentliche Ausweisungsinteresse nicht hinter die widerstreitenden Bleibeinteressen zurücktreten. Abgesehen davon, dass eine konkrete Beeinträchtigung der Bleibeinteressen des Antragstellers auf absehbare Zeit durch die vom Verwaltungsgericht suspendierte Abschiebungsandrohung (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 1 und 14 f.) und durch die vom Antragsgegner im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine avisierte Duldung (Schriftsatz des Antragsgegners v. 7.4.2022, S. 2 = Blatt 122 der Gerichtsakte) nicht droht, verfolgte die Ausweisung selbst bei Feststellung eines Abschiebungsverbots immer noch das legitime Ziel, den Aufenthaltsstatus des Antragstellers zu verschlechtern, und wäre zur Erreichung des Ziels auch verhältnismäßig (vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Urt. v. 25.7.2017 - BVerwG 1 C 12.16 -, juris Rn. 23; Urt. v. 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; OVG Bremen, Urt. v. 17.2.2021 - 2 LC 311/20 -, juris Rn. 80).
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.2 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).