Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.07.2022, Az.: 1 MN 132/21

einseitige Planung; Einsichtnahmemöglichkeiten; Grundstücksgröße; innerörtliche Lage; Lastengleichheit; Nachverdichtung; sozial adäquat

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.07.2022
Aktenzeichen
1 MN 132/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59904
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. In innerörtlichen Lagen besteht grundsätzlich nicht die berechtigte Erwartung, die Nachbargrundstücke würden in einer Weise bebaut, die Einsichtsmöglichkeiten möglichst gering hält; im Gegenteil sind Einsichtsmöglichkeiten bei heute gängigen Grundstücksgrößen üblich und als sozial adäquat hinzunehmen.

2. Abwägungsfehlerhaft aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Planung erst dann, wenn die Nutzung einzelner Grundstücke empfindlich beschnitten wird, ohne dass es dafür einen sachlich einleuchtenden Grund gibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 -, NVwZ 2003, 727 = BRS 65 Nr. 6 = juris Rn. 21; ähnlich BVerwG, Beschl. v. 19. 4.2000 - 4 BN 16.00 -, NVwZ-RR 2000, 532 = BRS 63 Nr. 30 = juris Rn. 4).

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich als Plannachbar gegen den Bebauungsplan Nr. 125 „- südwestlich des Nagelschmiedswegs -“. Im Wesentlichen rügt er, dass die Planung ausschließlich zu seinen Lasten gehe und rücksichtslos sei.

Er ist Eigentümer der Grundstücke Nagelschmiedsweg D. und E.. Beide Grundstücke sind in ihrem nördlichen, straßenzugewandten Teil jeweils mit einem Einfamilienhaus bebaut; der südliche Teil der etwa 30 m (Nr. E.) bzw. 35 m (Nr. D.) tiefen Grundstücke ist nicht bebaut.

Das 3.570 qm große Plangebiet, das wie der restliche Innenbereich des Straßengevierts Nagelschmiedsweg/Harburger Straße/Werkstraße/Mittelweg bislang nicht überplant war, besteht im Wesentlichen aus dem Flurstück F., Flur D. der Gemarkung G.. Dieses schließt sich südlich des Nagelschmiedswegs L-förmig westlich an das Antragstellergrundstück Nagelschmiedsweg E. und südlich an die Grundstücke Nagelschmiedsweg H. an und war ursprünglich Teil des Betriebsgeländes der I. (zuvor J.), dessen verbleibender Teil östlich an das Plangebiet angrenzt und auf dem sich großvolumige Flachdachbauten sowie ein Funksendeturm befinden. Das Flurstück F. wird derzeit gewerblich durch einen Betrieb für Solar-, Elektro- und Heizungstechnik, Photovoltaik sowie Sanitärbedarf genutzt und ist im nördlichen Teil mit einem zweigeschossigen Gebäude mit Flachdach bebaut, welches zum Nagelschmiedsweg einen Abstand von 8-10 m hält und mit einer Grundfläche von ca. 16 m x 27 m deutlich größer, gleichzeitig aber niedriger ist als die Umgebungsbebauung. Im Übrigen ist die Fläche vollständig versiegelt und wird überwiegend als Stellplatz für die Mitarbeiter genutzt.

Mit dem angegriffenen Plan möchte die Antragsgegnerin dem erheblichen Bedarf an Flächen für den Wohnungsbau Rechnung tragen und im Bestand im Wege der Nachverdichtung, d.h. ohne Inanspruchnahme zusätzlicher Flächen, kurzfristig Wohnraum schaffen. Der als Bebauungsplan der Innenentwicklung im beschleunigten Verfahren aufgestellte und vom Rat der Antragsgegnerin am 15. Juli 2021 als Satzung beschlossene Plan wurde nach Ausfertigung am 31. August 2021 im Amtsblatt für den Landkreis Rotenburg (Wümme) öffentlich bekannt gemacht. Er setzt für das Flurstück F. ein Allgemeines Wohngebiet mit einer Grundflächenzahl von 0,4, einer offenen Bauweise mit maximal 2 Vollgeschossen bei einer Begrenzung der Firsthöhe auf 12,50 m fest. Untere Bezugshöhe ist der in der Planzeichnung gekennzeichnete Höhenfestpunkt mit einer Höhe von 21,79 üNN; die maximal zulässige Höhe kann durch untergeordnete Dachaufbauten, z.B. Solarkollektoren oder Schornsteine, überschritten werden (vgl. Textliche Festsetzung Nr. 5). Das sich über das gesamte Grundstück erstreckende Baufenster hält im Osten zu dem Antragstellergrundstück Nagelschmiedsweg E. einen Abstand von 5 m, während der Abstand zu den im Norden angrenzenden Grundstücken (Nagelschmiedsweg H.) 3 m beträgt.

Dem unter dem 1. September 2021 gestellten Normenkontrolleilantrag, mit dem der Antragsteller die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans Nr. 125 „- südwestlich des Nagelschmiedsweges -“ bis zur Entscheidung über einen noch zu stellenden Normenkontrollantrag begehrt, ist die Antragsgegnerin entgegengetreten.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Die erforderliche Antragsbefugnis des Antragstellers ist gegeben. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren und ebenso im Normenkontrolleilverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 28.10.2020 - 4 BN 44.20 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Das ist dem Antragsteller mit der Benennung seines Interesses, vor planbedingten nachteiligen Veränderungen im Hinblick auf die durch die Planung zugelassene Höhe von bis zu 12,50 m (Firsthöhe), die maximal zulässige Länge der Gebäude (bis zu 50 m) sowie die mögliche Anordnung etwaiger Stellplätze gelungen. Er hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Planung insoweit jedenfalls in einzelnen Aspekten über das hinausgeht, was im Plangebiet zuvor nach § 34 BauGB zulässig war, und beruft sich auf dadurch verursachte Beeinträchtigungen seiner Grundstücke.

2.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 28.2.2020 - 1 MN 153/19 -, BauR 2020, 978 = juris Leitsätze 1 und 2 sowie Rn. 15 unter Anschluss an die stRspr des 4. Senats des BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 12; v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 -, BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 -, BauR 2019, 1442 = juris Rn. 4).

Gemessen hieran hätte ein derzeit noch fristgerecht zu erhebender Normenkontrollantrag voraussichtlich keinen Erfolg, weil sich der angegriffene Plan als rechtmäßig erweisen wird.

a)

Die Entscheidung der Antragsgegnerin für das Instrument eines Angebotsplans in Form eines Bebauungsplans der Innenentwicklung i.S.v. § 13a Abs. 1 Satz1 BauGB ist nicht zu beanstanden. Grundsätzlich kann die Gemeinde im Rahmen ihres durch § 1 Abs. 3 Satz1 BauGB begrenzten Planungsermessens zwischen verschiedenen planungsrechtlichen Instrumenten frei wählen. Dies gilt allgemein auch für die Wahl zwischen Angebotsbebauungsplan und vorhabenbezogenem Bebauungsplan (allgM, vgl. nur Senatsbeschl. v. 4.1.2011 - 1 MN 130/10 -, BRS 78 Nr. 45 = BauR 2011, 805 = juris Rn. 77; Senatsurt. v. 8.9.2021 - 1 KN 150/19 -, BauR 2022, 432 = juris; OVG NRW, Beschl. v. 14.6.2012 - 2 B 379/12.NE -, juris Rn. 75 f. m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5/14 -, BRS 83 Nr. 190 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 4 [„projektbezogener Angebotsbebauungsplan“]). Dass der angegriffene Plan aus Anlass eines konkreten Vorhabens (Neubau einer Wohnanlage mit ca. 20-25 Wohneinheiten, Begründung S. 3; drei Baukörper, zweigeschossig mit Staffelgeschoss, Begründung S. 6) aufgestellt wurde, hindert nicht die Wahl der Angebotsplanung. Entscheidend ist, dass bei der Planung nicht nur die Auswirkungen des konkreten Projekts, sondern die des Plans allgemein im Sinne eines realistischen „worst-case-Szenarios in den Blick genommen werden. Dies hat die Antragsgegnerin getan. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sind die Festsetzungen des Plans, nicht das konkrete Vorhaben. Dass sie darüber hinaus in der Abwägung vereinzelt ergänzend auf das geplante Bauvorhaben Bezug nimmt (Abwägung S. 8 zu c), S. 11 zu III)), ist ebenso unschädlich wie der Umstand, dass den Ratsmitgliedern das anlassbildende Bauvorhaben bekannt war.

b)

Sollte der Antragsteller mit seinem Hinweis, dass ein - namentlich nicht benannter - Ratsherr dem Vorhabenträger in maßgeblicher Funktion angehöre, die Rechtmäßigkeit des Satzungsbeschlusses in Zweifel ziehen wollen (vgl. § 54 Abs. 3 NKomVG i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NKomVG), dringt er damit nicht durch. Gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 1 NKomVG gilt das Mitwirkungsverbot aus § 41 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NKomVG nicht für die Entscheidung über Rechtsnormen. Abgesehen davon ergibt sich aus der Niederschrift über die Ratssitzung vom 15. Juli 2021 die Nichtteilnahme des Ratsherrn Grafe, der die Beigeladene vertritt und auf den der Einwand des Antragstellers möglicherweise abzielt.

c)

Entgegen der Auffassung des Antragstellers leidet der angegriffene Bebauungsplan nicht an einem zu seiner Unwirksamkeit führenden Bestimmtheitsmangel. Die in der Textlichen Festsetzung Nr. 5 Satz 2 getroffene und nach § 18 Abs. 1 BauNVO erforderliche Bestimmung zum (unteren) Höhenbezugspunkt für die zulässige Höhe der baulichen Anlagen (Firsthöhe max. 12,50 m) ist nicht zu beanstanden. Mit der angegebenen Höhe von 21,79 m üNN ist ein objektiver Wert angegeben, der keiner weiteren Konkretisierung bedarf. Dass der Höhenfestpunkt in der Legende zur Planzeichnung als „Kennzeichnung ohne Normcharakter“ beschrieben wird, ist insoweit folgerichtig. Damit wird verhindert, dass etwaige Diskrepanzen zwischen der nachrichtlich in die Planzeichnung aufgenommenen Markierung (wenn dieser Punkt nicht exakt auf 21,79 üNN liegt) und dem absoluten Wert zu einer mehrdeutigen und damit unbestimmten Festsetzung führen.

d)

Der angegriffene Plan leidet auch nicht unter einem Abwägungsmangel.

Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der [gemeint: die] zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29).

Gemessen hieran ist das Abwägungsgebot im Hinblick auf die vorgetragene „erdrückende Wirkung“ (1), die beanstandeten Einsichtnahmemöglichkeiten und Zunahme der Verschattung (2), die erwartete Lage der Stellplätze und die mit ihnen verbundenen Störungen (3) sowie den geltend gemachten Verstoß gegen das „Prinzip der Lastengleichheit“ (4) nicht verletzt.

(1)

Von der Planung geht keine erdrückende Wirkung aus. Zwar kann eine Verletzung des Abwägungsgebots gerügt werden, wenn ein Bebauungsplan Bebauungsmöglichkeiten zulässt, von denen eine erdrückende Wirkung auf Nachbargrundstücke ausgeht (vgl. auch Senatsbeschl. v. 19.1.2012 - 1 MN 93/11 -, NordÖR 2012, 185 = juris Rn. 94; VGH BW, Urt. v. 15.9.2015 - 3 S 975/14 -, BRS 83 Nr. 178 = BauR 2015, 1984 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dabei ist in der Rechtsprechung des Senats seit langem geklärt, dass die „Masse“ eines Vorhabens als solche in der Regel keine erdrückende Wirkung entfaltet. Das anzunehmen kommt nur in Ausnahmefällen, und zwar erst dann in Betracht, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, das heißt dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine Gefängnishofsituation hervorruft (stRspr. des Senats, vgl. Senatsbeschl. v. 3.11.2021 - 1 ME 159/20 -, BauR 2022, 65 = juris Rn. 33 unter Verweis auf Senatsbeschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = NdsVBl. 2007, 248 = juris Rn. 13 m.w.N. zur Senatsrechtsprechung). Können die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen zu den benachbarten Grundstücken ohne weiteres eingehalten werden, schließt dies die Annahme einer erdrückenden Wirkung in der Regel aus (vgl. Senatsbeschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = NdsVBl. 2007, 248 = juris Rn. 14 f. m.w.N.).

Gemessen hieran kann von einer Abriegelung, selbst unter Berücksichtigung eines realistischen „worst-case-Szenarios“, keine Rede sein. Die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen können eingehalten werden. Hinzu kommt, dass bei einer Grundflächenzahl von 0,4 erhebliche Freiflächen verbleiben und eine künftige Bebauung südlich zu den Wohnhäusern auf den Antragstellergrundstücken mindestens einen Abstand von 18 m (Nr. 13) bzw. 25 m (Nr. 11) einhalten wird. Soweit die Planung eine moderate Steigerung hinsichtlich der Firsthöhe der baulichen Anlagen (12,50 m zzgl. untergeordneter Dachaufbauten im Vergleich zu bisher üblichen 9-10 m), ist dies nicht geeignet einen Ausnahmefall zu begründen, in dem bei Einhaltung der Abstandsflächen von einer „erdrückenden Wirkung“ auszugehen wäre.

(2)

Angesichts des festgelegten Baufensters und der Höhenbegrenzung drohen zudem keine Verschattungen und/oder Einsichtnahmemöglichkeiten, die über das hinausgehen, mit dem in städtischen Lagen stets zu rechnen ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Abstand zwischen den Baukörpern von mindestens 18 m. Soweit der Antragsteller einen Schutz seiner rückwärtigen Gärten reklamiert, ist er auf die Möglichkeiten der Selbsthilfe zu verweisen. In innerörtlichen Lagen besteht grundsätzlich - und so auch hier - nicht die berechtigte Erwartung, die Nachbargrundstücke würden in einer Weise bebaut, die Einsichtsmöglichkeiten möglichst gering hält; im Gegenteil sind Einsichtsmöglichkeiten bei heute gängigen Grundstücksgrößen üblich und als sozial adäquat hinzunehmen.

Dass die von der Antragsgegnerin angestrebte stärkere Verdichtung insbesondere hinsichtlich der Einsichtnahme und der Besonnung zu gewissen Einschränkungen führen kann, hat die Antragsgegnerin gesehen und abgewogen (Abwägung S. 7, 11), sich aber abwägungsfehlerfrei im Interesse der Schaffung zusätzlichen Wohnraums entschieden, dies hinzunehmen. Gerade in - wie hier - innerstädtischen Lagen ist mit einer zusätzlichen Nachverdichtung schon angesichts der Vorgaben des § 1a Abs. 2 BauGB zu rechnen, was mit sich bringt, dass weder Schutz vor Einsichtnahme noch berechtigterweise verlangt/erwartet werden darf, dass rund um das Jahr jedwede Verschattung unterbleibt (vgl. auch Senatsurt. v. 26.7.2017 - 1 KN 171/16 -, BRS 85 Nr. 5 = BauR 2017, 2115 = juris Rn. 80). Demgegenüber haben alle hier dem Anliegerinteresse entgegenstehenden Belange ein hohes Gewicht: Dies ergibt sich insbesondere für die Schaffung von Wohnbauflächen aus § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB und für das Interesse an Nachverdichtung des Innenbereiches zwecks Freihaltung des Außenbereiches und Bodensparsamkeit aus § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB.

(3)

Auch das Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf die voraussichtliche Lage der Stellplätze und das mit diesen verbundene Störpotenzial ist nicht geeignet, einen Abwägungsfehler zu begründen. Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin von der aktuell gewerblichen Nutzung des Flurstücks Nr. F. ausgegangen ist und diese als „Vorbeeinträchtigung“ im Hinblick auf den Punkt „Immissionsschutz/Verkehr“ eingestellt hat (Begründung S. 12). Das Plangebiet war ursprünglich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilen. Im Rahmen dieser Regelung ist die tatsächlich vorhandene Bebauung in den Blick zu nehmen. Hierzu gehört auch eine weder formell noch materiell baurechtsmäßige Bebauung, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit ihrem Vorhandensein abgefunden hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.6.2019 - 4 C 10.18 -, NVwZ 2019, 1456 = BauR 2019, 1745 = ZfBR 2019, 794 = Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 = juris Rn. 15). Selbst wenn die Nutzung des Flurstücks F. in ihrer derzeitigen Form zumindest formell baurechtswidrig sein sollte, hat die Antragsgegnerin diese über Jahre geduldet. Anlass zum Einschreiten gegen diese - wohl vor der Planung in einem faktischen Mischgebiet zumindest materiell genehmigungsfähige Nutzung - hat sie nicht gesehen. Die Planung, die auch durch die Umzugspläne des im Plangebiet ansässigen Betriebs angestoßen wurde, ließe eine derartige Nutzung künftig nicht mehr zu. Insoweit ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass sich die planungsrechtliche Situation auf den Grundstücken des Antragsstellers durch die Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebiets tendenziell verbessert. Die Annahme des Antragstellers, die bisherigen Stellplätze seien zumindest in den Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende weniger genutzt worden als dies bei einer Wohnbebauung zugeordneten Stellplätzen der Fall sein werde, mag zutreffend sein. In der Abwägung hat sich die Antragsgegnerin jedoch mit der Frage der Verkehrszunahme befasst und ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass zumindest nicht mit mehr Verkehrsbewegungen zu rechnen sei (Abwägung S. 8). Soweit sie auf Planungsebene davon ausgeht, dass keine Lärmbelastungen zu erwarten sind, die über das nachbarschaftliche Maß hinausgehen (Begründung S. 12), war sie nicht gehalten, ein schalltechnisches Gutachten einzuholen und/oder die Antragstellergrundstücke in das Plangebiet einzubeziehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich hier nicht um einen Vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt, ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Bewältigung des Konflikts, der in seiner Ausprägung maßgeblich von dem letztlich zur Genehmigung gestellten Bauvorhaben bestimmt wird, auf die nachgelagerte Vorhabenzulassungsebene verschoben hat. Eine Konfliktbewältigung ist dort möglich.

(4)

Soweit der Antragsteller unter Berufung auf das sog. Prinzip der Lastengleichheit meint, dass die Planung von ihm ein nicht zu rechtfertigendes Sonderopfer fordere, indem sie die Beigeladene begünstige und „nur“ das Eigentum des Antragstellers in besonderer Weise belaste, dringt er nicht durch. Eine zu seinen Lasten unzumutbar einseitige, d.h. gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Planung liegt nicht vor. Jede Planung, die das Maß der baulichen Nutzung erhöht, wird sich vielfach auf die umliegenden Grundstücke beispielsweise durch erhöhte Einsichtnahmemöglichkeiten, Schattenwurf und/oder eine Zunahme des Anliegerverkehrs auswirken. Schon wegen der verschiedenen Grundstückszuschnitte und der vorhandenen Bebauung wird sich eine gleichmäßige Verteilung in vielen Fällen nicht darstellen lassen. Dies ist aber auch nicht erforderlich und würde das Planungsermessen der Gemeinde unzulässig beschränken. Abwägungsfehlerhaft ist die Planung erst dann, wenn die Nutzung einzelner Grundstücke empfindlich beschnitten wird, ohne dass es dafür einen sachlich einleuchtenden Grund gibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 -, DÖV 2003, 376 = NVwZ 2003, 727 = BauR 2003, 1338 = BRS 65 Nr. 6 = juris Rn. 21; ähnlich BVerwG, Beschl. v. 19. 4.2000 - 4 BN 16.00 -, NVwZ-RR 2000, 532 = BRS 63 Nr. 30 = juris Rn. 4). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie oben unter (1) bis (3) dargestellt, sind die durch die Planung hervorgerufenen Veränderungen auf den Grundstücken des Antragstellers nicht von besonderer Intensität, gelten - ggf. mit Abschwächungen - auch für die übrigen an das Plangebiet angrenzenden Grundstücke und/oder folgen - insbesondere mit Blick auf die wahrscheinliche Anordnung von Ruhebereichen und Stellplätzen - aus der konkreten Lage der Nachbargrundstücke im Norden bzw. Süden des Baugrundstücks. Ein besonderes „Sonderopfer“ wird von dem Antragsteller nicht verlangt. Dass auch eine die Antragstellergrundstücke stärker schonende Planung möglich gewesen wäre, ist unerheblich.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 8 c) i.V.m. Nr. 7 a), 17 b) der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247 ff.). Der Senat legt bezüglich der Beeinträchtigung der beiden Einfamilienhäuser jeweils einen Wert von 25.000,00 EUR zugrunde und halbiert diesen mit Blick darauf, dass vorliegend eine vorläufige Regelung begehrt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).