Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.07.2022, Az.: 1 ME 58/22
Baugenehmigung; Bebauungsplan; großflächiger Einzelhandel; Einzelhandelsgroßprojekt; Gesetzgebungskompetenz; Kompetenz; Umweltauswirkungen; Umweltverträglichkeitsprüfung; Verbrauchermarkt; Vorhabenzulassung; Vorprüfung; allgemeine Vorprüfung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.07.2022
- Aktenzeichen
- 1 ME 58/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59628
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 02.05.2022 - AZ: 12 B 358/21
Rechtsgrundlagen
- § 4 UmwRG
- § 2 Abs 6 UVPG
- § 50 Abs 3 UVPG
- § 7 UVPG
- Anl 1 Nr 18 UVPG
- § 80 Abs 7 VwGO
Fundstellen
- BauR 2022, 1475-1478
- DVBl 2022, 1447-1451
- DÖV 2022, 828
- NordÖR 2022, 518-521
- NuR 2022, 574-576
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei in den Anwendungsbereich des UVPG fallenden UVP-pflichtigen Vorhaben insbesondere
nach Anlage 1 Nr. 18.1 bis 18.9 UVPG besteht die Prüfpflicht grundsätzlich sowohl bei der Planaufstellung als auch bei der Vorhabenzulassung (Bestätigung der Senatsrspr., vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, juris Rn. 18). Kompetenzielle Bedenken bestehen gegen dieses Ergebnis auch dann nicht, wenn die Vorhabenzulassung im Baugenehmigungsverfahren nach Landesrecht erfolgt.
2. Die in § 50 UVPG angelegte abschichtende Betrachtung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens ist europarechtlich
geboten.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 2. Mai 2022 geändert.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 22. Juni 2021 in der Gestalt des Abänderungsbeschlusses vom 7. Juli 2021 (12 B 358/21) und des Senatsbeschlusses vom 11. Oktober 2021 (1 ME 110/21) wird geändert und der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juni 2020 in der Fassung der Ergänzung vom 23. Mai 2022 insgesamt abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten hauptsächlich darüber, ob, auf welcher Ebene und in welcher Form vor Erteilung der Baugenehmigung zur Errichtung eines Verbrauchermarktes eine Prüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich war; die Beigeladene begehrt nach Nachholung entsprechender Verfahrenshandlungen nunmehr die Abänderung ihr ungünstiger Beschlüsse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
Der Antragsteller ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass des im April 2020 verstorbenen F.. Zum Nachlass gehören die mit Wohngebäuden bebauten Grundstücke G. und H. in I.; beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 21 „J.“ und sind als allgemeines Wohngebiet festgesetzt.
Südlich der Grundstücke liegen die Baugrundstücke K. /L. der Beigeladenen, die bis vor kurzem mit verschiedenen Wohn- und Geschäftshäusern bebaut waren. Der Bebauungsplan Nr. 21 setzte die Grundstücke vormals als Mischgebiet fest. Die Beigeladene plant auf den Grundstücken die Errichtung eines M. -Verbrauchermarktes mit rund 1.700 qm Verkaufsfläche sowie eines weiteren Büro- und Geschäftsgebäudes für Dienstleistungsbetriebe. Die Gebäude sollen im Norden und Osten des Grundstücks entstehen, während die übrige Grundstücksfläche im Wesentlichen als Parkplatz dienen soll. Im Norden entlang der Grenze zu den Grundstücken des Antragstellers ist die Errichtung einer 2 m hohen Lärmschutzwand vorgesehen.
Um diese Bebauung zu ermöglichen, beschloss der Rat der Gemeinde I. am 11. September 2019 die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 21 und setzte für die Baugrundstücke entsprechende Sondergebiete fest. Im Planaufstellungsverfahren hatte die Gemeinde zuvor eine Vorprüfung nach dem UVPG durchgeführt. Diese war zu dem Ergebnis gelangt, dass eine UVP-Pflicht nicht besteht. Der zulässige Betriebslärm werde durch die Festsetzung von Geräuschkontingenten so begrenzt, dass der Schutzanspruch der benachbarten Wohngrundstücke erfüllt werde. Ein im Planaufstellungsverfahren eingeholtes Lärmgutachten hatte ergeben, dass die zugewiesenen Emissionskontingente im Fall ihrer Ausschöpfung dazu führten, dass die Immissionsrichtwerte der TA Lärm am Grundstück des Antragstellers um 0,2 dB(A) unterschritten würden. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben unterschreite die Richtwerte um mindestens 1,1 dB(A). Der Bebauungsplan ist Gegenstand des Normenkontrollverfahrens 1 KN 136/20.
Der Antragsgegner erteilte der Beigeladenen daraufhin unter dem 6. Juli 2020 ohne Durchführung einer erneuten Vorprüfung die Baugenehmigung für sein Vorhaben bestehend aus dem Verbrauchermarkt und dem Büro- und Geschäftsgebäude. Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte die Anordnung dessen aufschiebender Wirkung.
Diesem Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juni 2021 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller sei als Testamentsvollstecker antragsbefugt, weil er sich auf unzumutbare Lärmimmissionen und eine Verletzung von Grenzabstandsvorschriften berufen könne. In der Sache sei die Baugenehmigung rechtswidrig, weil es an der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung fehle. Eine solche Prüfung sei erforderlich gewesen, weil von dem planerisch ermöglichten Vorhaben angesichts der nur geringen Unterschreitung der Lärmrichtwerte um 0,2 dB(A) erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen ausgehen könnten. Die Feststellung im Planaufstellungsverfahren, eine UVP-Pflicht bestehe nicht, sei daher nicht nachvollziehbar; dies könne der Antragsteller gemäß § 4 UmwRG rügen. Mit weiterem Beschluss vom 7. Juli 2021 hat das Verwaltungsgericht seinen vorgenannten Beschluss teilweise geändert und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf den Verbrauchermarkt und die zugeordneten Stellplätze beschränkt.
Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 zurückgewiesen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei im Ergebnis richtig. Das Vorhaben falle gemäß Anlage 1 Nr. 18.6.2 i.V.m. Nr. 18.8 UVPG in den Anwendungsbereich des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung; dies betreffe grundsätzlich sowohl die Ebene des Bebauungsplans einerseits als auch die Ebene der Vorhabenzulassung andererseits. Nur wenn auf der Ebene der Bauleitplanung eine Umweltverträglichkeitsprüfung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei, werde die Vorhabenzulassung gemäß § 50 Abs. 3 UVPG von weiteren Prüfungen ganz oder teilweise entlastet. Das sei hier nicht der Fall.
Der Antragsgegner hat das Vorhaben daraufhin unter dem 5. Januar 2022 einer allgemeinen Vorprüfung unterzogen und mit Ergänzung zur Baugenehmigung vom 23. Mai 2022 festgestellt, dass keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehe. Die durch den Zu- und Abgangsverkehr verursachten Lärmimmissionen würden durch von der Beigeladenen beantragte geeignete Maßnahmen - insbesondere eine Lärmschutzwand - so weit gemindert, dass die Richtwerte der TA Lärm ausweislich der schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, sicher eingehalten würden. Auch ansonsten seien keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten. Das Ergebnis der Vorprüfung wurde im Amtsblatt des Antragsgegners vom 22. März 2022 veröffentlicht.
Unter Hinweis auf die nachgeholte Vorprüfung, die Erstreckung des Bebauungsplans Nr. 36 „Ortskern“, 4. Änderung, auf das Plangebiet und die auf dieser Ebene durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung hat die Beigeladene am 10. Februar 2022 einen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO gestellt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Mai 2022 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung auf Ebene der Vorhabenzulassung stelle keinen entscheidungserheblichen Umstand dar, weil dadurch der Mangel bei der Durchführung der Vorprüfung auf Ebene der Bauleitplanung nicht behoben werde. Zudem dürfte die Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung auf der Ebene der Vorhabenzulassung nicht erforderlich gewesen sein, weil die bundesrechtlichen Bestimmungen über die UVP-Pflicht aus kompetenzrechtlichen Gründen keine Regelungen für das landesrechtliche Baugenehmigungsverfahren träfen. Eine Heilung des fehlerhaften Bebauungsplans durch Nachholung der Umweltverträglichkeitsprüfung, ordnungsgemäße Abwägung, erneuten Satzungsbeschluss und öffentliche Bekanntmachung sei bislang nicht erfolgt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde, deren Argumentation der Antragsgegner ohne Antragstellung zustimmt. Ergänzend verweist sie darauf, dass der Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 36 „Ortskern“, 4. Änderung, vom 16. März 2022 am 28./31. Mai 2022 öffentlich bekanntgemacht worden sei. Der Antragsteller tritt dem Antrag entgegen und verweist ergänzend auf im Einzelnen bezeichnete weitere Mängel der Baugenehmigung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Veränderte Umstände in diesem Sinne sind Veränderungen der Sach- und Rechtslage, welche den tragenden Erwägungen der erstinstanzlichen Entscheidung im Ursprungsverfahren in der Gestalt, die sie ggf. durch eine Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts erhalten haben, zugrunde lag (vgl. nur Senatsbeschl. v. 6.4.2021 - 1 ME 58/20 -, juris Rn. 10). Tragend war nach dem mithin maßgeblichen Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2021, dass der Antragsgegner die Baugenehmigung ohne Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 1 Nrn. 18.6.2, 18.8 UVPG erteilt hat (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 21). Insofern liegen veränderte Umstände vor.
Die nach den vorgenannten Vorschriften vom Senat für erforderlich erachtete Vorprüfung hat der Antragsgegner entsprechend den Vorgaben des § 7 UVPG nunmehr nachgeholt; die Feststellung, dass keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, ist nachvollziehbar (§ 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG). Sie beruht auf den Feststellungen einer im Baugenehmigungsverfahren eingeholten schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, nach der das konkret zur Genehmigung gestellte Vorhaben die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA Lärm an allen Immissionsorten sicher einhält. Weder gegen den von dem Antragsgegner insofern angelegten Maßstab (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 23) noch gegen das Ergebnis der schalltechnischen Untersuchung sind berechtigte Einwände ersichtlich. Soweit der Antragsteller meint, die schalltechnische Untersuchung unterschätze den Zu- und Abgangsverkehr, weil das Vorhaben einen höheren Umsatz als angenommen generieren werde, greift das nicht durch. Die Untersuchung beruht vielmehr auf den Ansätzen der als taugliche Grundlage allgemein anerkannten Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (6. Aufl. 2007, S. 35); diese Ansätze sind nicht vom Umsatz des Marktes, sondern von dessen Art und dessen Verkaufsfläche abhängig. Hinsichtlich des vorhabenbezogenen Straßenverkehrslärms auf öffentlichen Straßen (vgl. Nr. 7.4 TA Lärm) geht die Untersuchung davon aus, dass eine Vermischung eintrete und deshalb Maßnahmen nicht erforderlich seien. Auch dagegen ist angesichts der mit mehr als 6.000 Fahrzeugen/Tag erheblichen Vorbelastung des Straßenzugs N. /O. schon mit Blick auf den anzulegenden Prüfungsmaßstab nichts zu erinnern; konkrete Einwände macht der Antragsteller insofern auch nicht geltend. Der Antragsgegner durfte schließlich von der Errichtung der Lärmschutzwand ausgehen, weil diese Bestandteil der einheitlichen Genehmigung des Vorhabens ist; die Zulässigkeit der Errichtung des Vorhabens ist mithin von der Errichtung der Lärmschutzwand abhängig.
Ist die Vorprüfung auf der Ebene der Vorhabenzulassung daher den Anforderungen des § 7 UVPG entsprechend durchgeführt, liegt ein entscheidungserheblicher veränderter Umstand vor, der eine erneute Abwägung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO, konkret eine Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers, erfordert. Soweit das Verwaltungsgericht bereits das Vorliegen eines solchen Umstands und das Erfordernis einer erneuten Prüfung verneint, verkennt es die Bindungswirkung des Senatsbeschlusses vom 11. Oktober 2021 und demzufolge den verfahrensrechtlichen Rahmen, in dem es sich bei einer Entscheidung gemäß § 80 Abs. 7 VwGO bewegt.
2.
Die Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung geht zu seinen Lasten aus. Die Baugenehmigung verletzt ihn bei summarischer Prüfung nicht in seinen nachbarlichen Rechten.
a)
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) oder b) und Satz 2, Abs. 1b Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG kann der Antragsteller die Aufhebung bzw. Nichtvollziehbarerklärung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, hier der Baugenehmigung, verlangen, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung des Einzelfalls nicht (ordnungsgemäß) durchgeführt bzw. nachgeholt worden ist. Das ist nicht mehr der Fall.
aa)
Der Senat lässt weiterhin offen, ob der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf etwaige Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Vorprüfung schon daran scheitern muss, dass der Baugenehmigung ein wirksamer und vollziehbarer Bauvorbescheid zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit städtebaulichem Planungsrecht vorangegangen war (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 15 und BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 - 4 C 7.14 -, BVerwGE 153, 361 = BRS 83 Nr. 82 = juris Rn. 7). Dies kommt mit Blick auf § 29 Abs. 1 UVPG grundsätzlich in Betracht, bedarf aber angesichts der ordnungsgemäßen Nachholung der Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren keiner Vertiefung.
bb)
Nach den eingangs zitierten Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes und vor dem Hintergrund der Anforderungen des europäischen Rechts besteht ein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch eines Dritten in Bezug auf eine Zulassungsentscheidung im Sinne von § 2 Abs. 6 UVPG dann, wenn die Umweltauswirkungen eines Vorhabens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sind (vgl. grundlegend EuGH, Urt. v. 7.1.2004 - Rs. C-201/02, Slg. 2004, S. I-723 Rn. 54 ff. - Wells). Der konkret angegriffenen Zulassungsentscheidung muss mithin ein Mangel anhaften. Das ist nach Durchführung einer ordnungsgemäßen Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr der Fall.
Dem lässt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entgegenhalten, dass die Prüfung der Umweltauswirkungen allein auf der Ebene des Bebauungsplans erfolgen dürfe und der Plan zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht dementsprechend ergänzt worden sei. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Nr. 18.8 UVPG bedarf vielmehr der Bau eines Vorhabens unter anderem der in Nr. 18.6.2 genannten Art, soweit der jeweilige Prüfwert für die Vorprüfung erreicht oder überschritten wird und für den in sonstigen Gebieten ein Bebauungsplan aufgestellt, geändert oder ergänzt wird, der allgemeinen Vorprüfung; darunter fällt das hiesige Vorhaben. Dabei wird die Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der Vorprüfung grundsätzlich im Planaufstellungsverfahren als Umweltprüfung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs durchgeführt; in diesem Fall entfällt die Vorprüfung auf Ebene des Bebauungsplans (§ 50 Abs. 1 UVPG). Unterbleibt die Umweltprüfung, ist eine erforderliche Vorprüfung ebenfalls auf der Ebene des Bebauungsplans vorzunehmen, weil der Plan eine Zulassungsentscheidung nach § 2 Abs. 6 UVPG ist.
Auf der dem Bebauungsplan nachgelagerten Zulassungsebene soll jedenfalls dann, wenn auf der Ebene des Bebauungsplans eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 50 Abs. 3 UVPG auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 17 ff.). Demzufolge geht das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung davon aus, dass die Umweltauswirkungen eines Vorhabens abschichtend auf allen Ebenen der Vorhabenzulassung zu prüfen sind. Diesem Ansatz entspricht auch Anlage 1 Nrn. 18.6.2, 18.8 UVPG i.V.m. § 50 Abs. 3 UVPG, der ausdrücklich auf den Bau des Vorhabens und nicht bloß auf den Akt der Planaufstellung abstellt.
Ein solcher abschichtender, alle Ebenen einbeziehender Ansatz ist europarechtlich erforderlich (vgl. EuGH, Urt. v. 7.1.2004 - Rs. C-201/02, Slg. 2004, S. I-723 Rn. 52 - Wells; Gaentsch, UPR 2001, 287 [289]; Schink, UPR 2004, 81 [91]). Denn Art. 4 Abs. 2 RL 2011/92/EU (Projekt-UVP-RL) verlangt eine projektbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung. Diesem Erfordernis trägt eine auf Planebene vorgenommene Prüfung nur dann Rechnung, wenn sie das konkrete Projekt in allen seinen umweltrelevanten Aspekten - also nicht nur standort-, sondern auch betriebsbezogen - umfassend betrachtet. Eine solche konkrete Betrachtung ist auf Planebene aber nicht stets gewährleistet. Sie kann insbesondere bei projektbezogenen Angebotsbebauungsplänen fehlen, bei denen im Sinne der gebotenen „realistischen worst-case-Betrachtung“ (vgl. Senatsurt. v. 8.9.2021 - 1 KN 150/19 -, BauR 2022, 432 = juris Rn. 86) zwar ein bestimmtes Vorhaben geprüft wird. Dieses Vorhaben muss aber aufgrund des Angebotscharakters des Plans nicht zwingend dem Vorhaben entsprechen, das tatsächlich verwirklicht wird. Insbesondere betriebsbezogene Veränderungen sind möglich und bedürfen der umweltbezogenen Prüfung; diese Prüfung kann allein auf der Ebene des Baugenehmigungsverfahrens durchgeführt werden. Zulässig ist es zudem grundsätzlich auch bei projektbezogenen Plänen, Konflikte auf die nachgelagerte Ebene des Baugenehmigungsverfahrens zu verlagern, soweit dies sachgerecht erscheint. Erfolgt eine solche Konfliktverlagerung, kann die konkrete Konfliktlösung erst auf der nachgelagerten Ebene betrachtet werden.
Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber meint, dem Bundesgesetzgeber fehle die Kompetenz, ein baugenehmigungspflichtiges Vorhaben in den Anwendungsbereich des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehen (so auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 24.2.2021 - OVG 2 N 58.19 -, juris Rn. 6), ist sehr zweifelhaft, ob das zutrifft. Die Regelungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind zwar verfahrensrechtlicher Natur; sie sind jedoch eng auf den Schutz von Umweltrechtsgütern bezogen, die wiederum Gegenstände bundesrechtlicher Regelungen und entsprechender Kompetenzen sind (vgl. nur Art. 74 Abs. 1 Nr. 24, 29, 32 GG). Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus möglich, dass das Bundesrecht schutzgutbezogene Prüfungsanforderungen auch mit Blick auf Vorhaben stellen kann, die (nur) einem Baugenehmigungsverfahren unterliegen. Eine solche bundesrechtliche Verpflichtung, baugenehmigungspflichtige Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, ist an anderer Stelle allgemein anerkannt. Hinzuweisen ist insofern auf die Regelungen der §§ 10 ff. UVPG zur UVP-Pflicht bei kumulierenden Vorhaben. Derartige Vorhaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur in der Zusammenschau mit weiteren Vorhaben die Schwellenwerte zur UVP- bzw. Vorprüfungspflicht überschreiten. In diesen Fällen ist das Genehmigungsverfahren des isoliert betrachtet unter den Schwellenwerten bleibenden hinzutretenden Vorhabens nach den allgemeinen Regeln, häufig in einem Baugenehmigungsverfahren, durchzuführen, während die aufgrund der Zusammenrechnung erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung nach Maßgabe der bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 10 ff. UVPG erfolgt (vgl. beispielhaft nur BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 - 4 C 7.14 -, BVerwGE 153, 361 = BRS 83 Nr. 82 = juris). Die Auffassung, die §§ 10 ff. UVPG seien insoweit kompetenzwidrig, wird - soweit ersichtlich - aus gutem Grund nicht vertreten.
Selbst wenn man aber die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verneinen wollte, führte dies nicht zu dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Ergebnis. Offenkundiges und notwendiges Ziel des Bundes und der Länder war und ist es, den europarechtlichen Anforderungen umfassend Rechnung zu tragen und ein lückenloses UVP-Recht zu schaffen. Sollte sich aus kompetenziellen Gründen eine unerwünschte und nach den europarechtlichen Grundlagen zwingend zu vermeidende Regelungslücke auftun, wäre diese durch eine direkte (bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans) oder analoge Anwendung der landesrechtlichen Regelung der Anlage 1 Nr. 13 NUVPG zu schließen, um eine Vertragsverletzung und die demzufolge erforderliche unmittelbare Anwendung der Projekt-UVP-RL zu vermeiden. Die Möglichkeit, die Ergebnisse einer Umweltverträglichkeitsprüfung in das Baugenehmigungsverfahren einfließen zu lassen, folgt in umfassender Weise aus § 70 Abs. 1 Satz 2 NBauO; ein geeignetes Trägerverfahren, das - in diesem Punkt ist dem Verwaltungsgericht zu folgen - landesrechtlich zu regeln ist, liegt mithin vor.
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen bleibt es demzufolge dabei, dass es bei der hier vorliegenden mehrstufigen Zulassungsentscheidung einer abschichtenden Betrachtung am Maßstab des § 50 Abs. 3 UVPG bedarf. Daraus folgt, dass bei einer fehlenden oder fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung/Vorprüfung auf der Ebene des Bebauungsplans eine vollständige Prüfung auf der Zulassungsebene vorzunehmen ist; das hat der Antragsgegner in diesem Fall nachgeholt.
cc)
Offen bleiben kann angesichts dessen, ob eine Heilung des Fehlers auch dadurch erfolgt ist, dass die Gemeinde I. mittlerweile einen neuen Bebauungsplan, und zwar mit vorangegangener Umweltverträglichkeitsprüfung, in Kraft gesetzt hat, der das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässt, oder ob es insoweit - wie der Antragsteller vorgetragen hat - weiterer Verfahrensschritte bedürfte. Selbst wenn der Satzungsbeschluss und seine Bekanntmachung für die streitgegenständliche Baugenehmigung bedeutungslos bleiben oder der Bebauungsplan fehlerhaft sein sollte, folgte daraus kein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch. Denn die bauplanungsrechtlichen Grundlagen der angegriffenen Baugenehmigung sind nach ordnungsgemäßer Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren auch mit Blick auf das UVP-Recht weder direkt noch indirekt Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung in einem Verfahren des Drittrechtsschutzes.
Das Verwaltungsgericht geht demgegenüber - ohne dies explizit auszuführen oder rechtlich zu begründen - offenbar davon aus, dass im Fall eines mehrstufigen Zulassungsverfahrens ein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch auch dann besteht, wenn zwar die Umweltauswirkungen des konkreten Vorhabens auf der Ebene der angegriffenen Zulassungsentscheidung vollständig und richtig ermittelt worden sind, aber auf einer früheren, selbst nicht in Streit stehenden Verfahrensstufe ein Fehler unterlaufen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Fehler auf der vorangegangenen Verfahrensstufe fortwirkt oder sich daraus die Verletzung anderer drittschützender Bestimmungen ergeben kann. Dieser Auffassung, die entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 UVPG („Zulassungsentscheidungen im Sinne dieses Gesetzes sind…“) offenbar von einer einheitlichen Zulassungsentscheidung, bestehend aus Bebauungsplan und Baugenehmigung, ausgeht und auf die im Gesetz vorgesehene Trennung der Ebenen verzichtet, ist mit der Beigeladenen und dem Antragsgegner nicht zu folgen. Sie verstößt gegen den Grundsatz, dass sich die Beeinträchtigung von Rechten Dritter aus der konkret angegriffenen Zulassungsentscheidung ergeben muss, und läuft auf ein subjektives Recht auf ein umfassend rechtmäßiges Zulassungsverfahren auf allen Ebenen hinaus. Ein solches Recht besteht indes auch mit Rücksicht auf die Anforderungen des europäischen Rechts nicht.
b)
Weitere Rechte des Antragstellers verletzt die Baugenehmigung aller Voraussicht nach nicht.
aa)
Das genehmigte Vorhaben verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Unzumutbare Lärmimmissionen gehen von ihm ausweislich der schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, das Bestandteil der Baugenehmigung ist, nicht aus. Auf die obigen Ausführungen nimmt der Senat Bezug.
bb)
Soweit der Antragsteller Einwendungen gegen die Errichtung der Lärmschutzwand erhoben und sowohl die Verletzung von Grenzabstandsvorschriften als auch einen Verstoß gegen eine Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen geltend macht, müssen diese Einwendungen unberücksichtigt bleiben, weil es insofern bereits das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Juli 2021 abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dieser Beschluss ist rechtskräftig und einer Überprüfung des Senats entzogen. Unabhängig davon ist anzumerken, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der Sache keinen Grund zur Beanstandung bieten. Soweit sich der Antragsteller nunmehr ergänzend auf eine Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen beruft, ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beigeladene daran gebunden sein könnte. Weder ist die Vereinbarung dinglich oder durch Baulast gesichert noch im Wege einer Rechtsnachfolgeregelung auf die Beigeladene übertragen worden.
cc)
Ebenfalls nur ergänzend merkt der Senat schließlich an, dass es auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Bebauungspläne Nr. 21 und 34 auch jenseits des UVP-Rechts nicht ankommt. Die Rechtslage stellte sich auch in diesem Fall für den Antragsteller nicht günstiger dar; insbesondere könnte er sich auch dann nicht auf einen aus dem Vorgängerplan folgenden Gebietserhaltungsanspruch berufen, weil seine Grundstücke nicht im selben Baugebiet wie das Baugrundstück lagen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Der gegenüber dem Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2021 erhöhte Ansatz beruht darauf, dass das vorliegende Verfahren nach dem 31. Mai 2021 und damit unter Geltung der neuen Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247), hier Nr. 1 a), 7 a), 17 b), eingegangen ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).