Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 09.05.2023, Az.: 5 B 1621/23
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.05.2023
- Aktenzeichen
- 5 B 1621/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 20867
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2023:0509.5B1621.23.00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der am D.. E. 1989 in der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) geborene Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 1996 gemeinsam mit seiner Mutter und weiteren Personen mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet ein, nachdem sie gemeinsam als jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion mit einer Aufnahmezusage des Bundesverwaltungsamts vom Land Niedersachsen auf der Grundlage des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (HumHAG) aufgenommen worden waren. Am 10. Oktober 1996 wurde dem Antragsteller eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Nachdem der Antragsteller sich seit Sommer 2001 zwecks Schulbesuchs in der Ukraine aufgehalten hatte, kehrte er am 16. Oktober 2002 mit einem gültigen Visum ins Bundesgebiet zurück. Am 18. Oktober 2002 wurde ihm erneut eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 1 Abs. 3 HumHAG erteilt, die am 20. Dezember 2007 als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG übertragen wurde.
Im Jahr 2008 erreichte der Antragsteller den Hauptschulabschluss. Danach begann er eine Ausbildung zum Koch, die er aber nach einem Jahr und acht Monaten abbrach. In der Folgezeit arbeitete er seinen eigenen Angaben zufolge als Hilfskoch in mehreren Betrieben. Von November 2015 bis Ende Oktober 2016 bezog er Sozialleistungen.
Der Antragsteller ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Am 17. Juni 2009 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen falscher Verdächtigung, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Diebstahls, Erschleichens von Leistungen und Beleidigung zu sieben Monaten Jugendstrafe mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren.
Am 23. September 2009 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen, versuchter vorsätzlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Beleidigung, Bedrohung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Entscheidung vom 17. Juni 2009 zu zehn Monaten Jugendstrafe mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren. Die Bewährungszeit wurde bis zum 10. Mai 2019 verlängert.
Am 17. Januar 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Holzminden wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen.
Am 18. April 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichem Führen eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen.
Am 28. April 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Holzminden wegen besonders schwerem Fall des Diebstahls zu acht Monaten Freiheitsstrafe. Die Bewährungszeit betrug fünf Jahre und wurde bis zum 27. April 2017 verlängert.
Am 12. März 2012 bildete das Amtsgericht Holzminden unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 17. Januar 2011, 18. April 2011 und 28. April 2011 eine nachträgliche Gesamtstrafe von elf Monaten Freiheitsstrafe. Die Bewährungszeit betrug fünf Jahre.
Am 3. Mai 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht Holzminden wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 17. Januar 2011, 18. April 2011, 28. April 2011 und 12. März 2012 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat. Die Bewährungszeit betrug fünf Jahre und wurde bis zum 10. Mai 2019 verlängert.
Am 10. April 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Beleidigung in drei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Bedrohung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe.
Am 26. April 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Bedrohung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu vier Monaten Freiheitsstrafe.
Am 2. Juli 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht Holzminden wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in Tatmehrheit mit gemeinschaftlichem Computerbetrug unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 10. April 2013 und 26. April 2013 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die Bewährungszeit wurde bis zum 10. Mai 2019 verlängert.
Am 23. September 2015 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
Am 24. Februar 2017 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung sowie gefährlicher Körperverletzung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Am 1. Februar 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen gemeinschaftlichen besonders schwere Fall des Diebstahls sowie gemeinschaftlichen besonders schweren Fall des Diebstahls unter Einbeziehung der Entscheidung vom 24. Februar 2017 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten; wegen der übrigen Straftat wurde eine weitere Freiheitsstrafe von sechs Monaten ausgesprochen. Zudem ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Am 26. Juli 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht B-Stadt wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu zehn Monaten Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Am 15. Februar 2022 verurteilte ihn das Amtsgericht Helmstedt wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Freiheitsstrafe.
Der Antragsteller wurde erstmals im Juli 2013 inhaftiert und befand sich in der Folgezeit mehrfach in Haft. Seit dem 18. Juli 2017 befand er sich im Maßregelvollzug im F. Psychiatriezentrum Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie in G.. Am 7. März 2020 kehrte er von einer Beurlaubung nicht zurück und konnte erst am 3. April 2020 nach Einleitung einer Fahndung wieder festgenommen werden. Er hatte bei Rückkehr in den Maßregelvollzug noch einen Atemalkoholgehalt von 0,65 Promille und gab an, während seiner Flucht täglich mehrfach diverse Drogen (u. a. Alkohol, Cannabis und Kokain) konsumiert zu haben. Am 6. April 2020 entwich der Antragsteller erneut aus dem Maßregelvollzug. Dabei bedrohte er einen Mitarbeiter des F. Psychiatriezentrums mit einer mit Rasierklingen gespickten Zahnbürste, um dessen Schlüssel zu erlangen, und verletzte den Mitarbeiter am Arm und im Rippenbereich mit Schnitten. Nach rund drei Stunden, während der er bereits wieder Cannabis konsumiert hatte, konnte der Antragsteller festgenommen werden. Anschließend wurde er in die Maßregelvollzugsanstalt H. verlegt. Am 25. Mai 2018 beschloss das Landgericht Göttingen - Strafvollstreckungskammer - u. a., dass die durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 26. Juli 2018 angeordnete Unterbringung des Antragstellers in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen und die Maßnahme damit erledigt sei, und ordnete den Vollzug der Strafe an. Seit dem 27. Mai 2020 befindet sich der Antragsteller erneut in Haft, zuletzt in der JVA I..
Unter dem 4. Juni 2020 und 29. Juni 2020 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu ihrer Absicht an, ihn aus dem Bundesgebiet auszuweisen und abzuschieben. Im Rahmen einer umfangreichen persönlichen Stellungnahme gab der Antragsteller u. a. an, trotz seiner ADHS-Erkrankung einen Hauptschulabschluss erreicht zu haben. Eine Ausbildung zum Koch habe er abgebrochen, da es ihm schwergefallen sei, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Von 2013 bis 2014 sei er das erste Mal inhaftiert und wegen guter Führung nach Verbüßen der Halbstrafe entlassen worden. Kurze Zeit später sei er wieder in sein altes Umfeld gekommen und habe angefangen, Drogen zu nehmen und Straftaten zu begehen. Hin und wieder habe er auf Vollzeitbasis im Lager sowie in diversen Restaurants gearbeitet und nebenbei unter Rausch Straftaten begangen. Die Straftaten habe er überwiegend wegen seiner Drogensucht begangen. Am 18. Juli 2017 habe er die Therapie im Maßregelvollzug selbst angetreten, diese jedoch "verbockt". Er sei geflüchtet und habe Drogen genommen. In der Ukraine wäre er auf sich gestellt. Seine ganze Familie sei in Deutschland.
Unter dem 20. Mai 2021 wurde der Antragsteller erneut zu seiner beabsichtigten Ausweisung und Abschiebung angehört. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
Am 6. Oktober 2021 heiratete der Antragsteller.
Mit Schreiben vom 2. August 2022 wurde der Antragsteller ein weiteres Mal zu seiner beabsichtigten Ausweisung und Abschiebung angehört. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2023 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus, drohte ihm die Abschiebung in die Ukraine an und ordnete gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, dessen Sperrwirkung sie auf den Zeitraum von fünf Jahren und fünf Monaten ab dem Zeitpunkt der erfolgten Ausreise (Abschiebung) befristete. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, beim Antragsteller liege auf Grund seiner Verurteilungen ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nrn. 1b, 1d und 1e AufenthG (wohl: § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b, d, und e AufenthG) sowie ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG vor. Dem stünden besonders schwer wiegende Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG gegenüber. Die Ausweisung des Antragstellers sei aus spezial- und generalpräventiven Gründen erforderlich. Die von ihm begangenen Straftaten zeugten davon, dass er eine schwere Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. So seien eine Vielzahl seiner Taten gemeinschaftlich und planvoll gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass er weitere Straftaten begehen werde, insbesondere da alle Tatbeteiligten aus seinem nahen Umfeld stammen würden und er nach seiner Entlassung höchstwahrscheinlich in dieses Umfeld zurückkehren werde. Beim Antragsteller bestehe eine Suchtproblematik. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei wegen einer dauerhaft nicht mehr "aufbrechbaren" Therapieunwilligkeit und -fähigkeit für erledigt erklärt worden. Zudem sei der Antragsteller zweimal aus dem Maßregelvollzug entwichen und habe während seiner Flucht wieder Drogen konsumiert. Augenscheinlich falle es ihm auch innerhalb des strukturierten und geschützten Rahmens des Strafvollzuges schwer, abstinent zu bleiben. Nach Einschätzung der JVA habe er keine Strategien zur Selbstregulation und Impulssteuerung erworben. Auch könne er keine tragfesten Zukunftsperspektiven oder sonstige stabilisierende Faktoren vorweisen, die einer künftigen Straffälligkeit entgegenwirken könnten. Er habe sich in der Vergangenheit weder durch Vorverurteilungen, Strafaussetzungen zur Bewährung oder Vorinhaftierungen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen. Die Rückfallgeschwindigkeit sei als erhöht zu bezeichnen. Er schaffe es kaum, sich an Normen, Regeln und Verpflichtungen zu halten. Der Umstand, dass er eine Therapie gegen seine Alkohol- und Drogensucht absolvieren wolle, lasse noch nicht den Schluss zu, dass er in Zukunft straffrei bleiben werde, insbesondere da der Maßregelvollzug gescheitert sei. Auch im Falle einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie seiner Alkohol- und Drogensucht sei eine positive Prognose erst nach einer straffreien Lebensführung über einen längeren Zeitraum gewährleistet. Der Antragsteller sei Wiederholungstäter und in den letzten 13 Jahren wiederholt straffällig geworden. Auch wenn er über einen sozialen Empfangsraum verfüge, sei nicht zu erwarten, dass eine positive Einflussnahme auf sein Verhalten erfolgen werde. Angesichts der vom Antragsteller begangenen Delikte sei die Ausweisung auch aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Es bestehe ein dringendes Bedürfnis, andere Ausländer erfolgreich von derartigen Rechtsverstößen abzuschrecken und sie zur Einhaltung der Rechtsnormen anzuhalten. Art. 6 GG greife zu Gunsten des volljährigen, ledigen und kinderlosen Antragstellers nicht ein. Auch Art. 8 EMRK stehe der Ausweisung nicht entgegen. Zwar sei der Antragsteller in Deutschland aufgewachsen, der deutschen Sprache mächtig und habe eine in Deutschland lebende Familie. Ob er über ukrainische Sprachkenntnisse verfüge, sei nicht bekannt; es könne angenommen werden, dass er im Elternhaus zweisprachig erzogen worden sei. Eine Eingliederung in die Verhältnisse in der Ukraine könne ihm auf Grund seines Alters zugemutet werden. An der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse. Der Antragsteller sei Wiederholungstäter und Bewährungsversager. Sein Haftende sei bereits auf den 22. Dezember 2023 datiert. Aus diesem Grund sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier unbedingt notwendig. Es könne nicht hingenommen werden, dass sich sein Aufenthalt bis zur Beendigung eines evtl. langfristigen Klageverfahrens ausdehne und er Gelegenheit habe, erneut straffällig zu werden. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen. Der Bescheid wurde am 8. Februar 2023 zugestellt.
Am 22. Februar 2023 hat der Antragsteller Klage erhoben (5 A 1620/23) und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dem Ausweisungsinteresse stünden schwerwiegende Gründe für einen Verbleib im Bundesgebiet entgegen. Zunächst sei zu beanstanden, dass er in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt werden solle. Eine Abschiebung in die Ukraine, deren Situation als gerichtsbekannt unterstellt werde, sei für ihn mit erheblichen Lebensrisiken verbunden. Sofern er nicht als Zivilist durch Luftangriffe gefährdet sei, werde er insbesondere damit rechnen müssen, umgehend zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Ferner habe er keine Bezüge zur Ukraine. Er beherrsche weder die ukrainische Sprache noch würden Angehörige der Familie in der Ukraine leben. Diese seien sämtlich ins Bundesgebiet umgezogen. Zudem habe die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt, dass er seit dem 6. Oktober 2021 verheiratet sei. Warum die Antragsgegnerin der Auffassung sei, der Vollzug der Ehe sei nach der Haftentlassung nicht möglich, erschließe sich nicht. Auch sei unberücksichtigt geblieben, dass er seit frühester Kindheit unter ADHS leide und die Auswirkungen dieser Erkrankung bis heute sein Verhalten prägen würden. Bis zum Erreichen der Volljährigkeit sei er regelmäßig medikamentös behandelt worden. Mit Erreichen der Volljährigkeit sei die medikamentöse Therapie abgebrochen und bis heute nicht wiederaufgenommen worden. Schließlich trägt er unter Vorlage eines Schreibens der J. e. V. Drogenberatung vom 16. Januar 2023 sowie einer Kostenübernahmeerklärung der K. Niedersachsen für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vor, er habe eine Zusage für eine stationäre Drogenlangzeitentwöhnung in der Einrichtung "J." in L., die am 5. April 2023 beginnen werde. Ergänzend trug er vor, die ursprünglich geplante Langzeitentwöhnung habe nicht am 5. April 2023 angefangen, da eine vorzeitige Haftentlassung abgelehnt worden sei und er den Beginn seiner Therapie daher verschieben müsse.
Der Antragsteller hat ursprünglich beantragt, die aufschiebende Wirkung des Klageverfahrens festzustellen. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 23. März 2023, die Fassung seines Antrags im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung der Ausweisung zu überdenken, beantragt er nunmehr,
im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 133 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage festzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides. Ergänzend trägt sie vor, die Haftentlassung des Antragstellers sei für den 21. Dezember 2023 vorgesehen. Bis dahin sei in Anbetracht der derzeitigen bekannten Lage in der Ukraine noch genug Zeit für eine Stabilisierung vor Ort. Auch die Eheschließung vermöge an der Ausweisung nichts zu ändern. Der Antragsteller sei mehrfach zu seiner beabsichtigten Ausweisung angehört worden. Die Eheschließung sei erst am 6. Oktober 2021 und damit in Kenntnis einer beabsichtigten Ausweisung erfolgt. Ein mögliches Bleibeinteresse überwiege daher nicht. Die eheliche Lebensgemeinschaft habe nicht schon vor der Haft bestanden und könne während der Haft auch nicht vollzogen werden, sodass daraus nicht auf die Fortsetzung nach der Haftentlassung zu schließen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung ist der Antrag des Antragstellers auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 133 VwGO bereits unzulässig. Die im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte Feststellung ist - unabhängig von der mit dem Antrag genannten Norm, statt der richtigen Norm des § 123 VwGO - schon deshalb nicht auszusprechen, weil insoweit ein Antrag auf vorläufigen Rechtschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO Vorrang hat (§ 123 Abs. 5 VwGO). Zudem wäre der Antrag sowieso unbegründet, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ist der Antrag jedenfalls unbegründet, da die Abschiebungsandrohung gem. § 70 NVwVG i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG sofort vollziehbar ist und die Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat.
Das Gericht war auch nicht gehalten, den Antrag des Antragstellers auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsentscheidung der Antragsgegnerin entgegen der ausdrücklich gewollten Fassung als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen, weil er auch in dieser Fassung absehbar unbegründet wäre.
Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ausreichend im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO begründet. Die Begründung erfolgte schriftlich und bezogen auf den konkreten Fall, indem dargelegt wurde, dass an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe. Der Antragsteller sei Wiederholungstäter und Bewährungsversager. Sein Haftende sei bereits auf den 22. Dezember 2023 datiert. Aus diesem Grund sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier unbedingt notwendig. Es könne nicht hingenommen werden, dass sich sein Aufenthalt bis zur Beendigung eines evtl. langfristigen Klageverfahrens ausdehne und er Gelegenheit habe, erneut straffällig zu werden.
Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers oder der betroffenen Ausländerin, von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Bei nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechendem Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist. Ergibt dagegen eine summarische Einschätzung des Gerichts, dass die Anfechtungsklage offensichtlich erfolglos bleiben wird, reicht dies allein zwar noch nicht aus, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr ein über den Erlass des Grundverwaltungsaktes hinausgehendes öffentliches Interesse. Hierfür ist allerdings nicht ein besonders gewichtiges oder qualifiziertes öffentliches Interesse zu fordern; notwendig, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass überhaupt ein öffentliches Vollzugsinteresse vorliegt. Bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt reichen daher auch Vollzugsinteressen minderen Gewichts für die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO, in denen - wie hier bei der Abschiebungsandrohung - die aufschiebende Wirkung bereits kraft gesetzlicher Anordnung entfällt, spricht die gesetzliche Wertung für ein überwiegendes öffentliches Interesse, soweit nicht offensichtlich absehbar ist, dass die Verfügung rechtswidrig ist und die Klage Erfolg hat.
Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, weil sich die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweisen und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Vollzugsinteresse ausnahmsweise zurücktritt oder entfällt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - wie hier - Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, juris Rn. 12).
Dabei ist die Ausweisung des Antragstellers nicht an den erhöhten Anforderungen des besonderen Ausweisungsschutzes für anerkannte Flüchtlinge gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG zu messen. Diese Vorschrift, der zufolge ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, ist in Bezug auf den Antragsteller nicht anwendbar. Denn der Antragsteller hat weder direkt noch indirekt eine Rechtsstellung als Kontingentflüchtling gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG inne.
Der Antragsteller gehört zum Personenkreis der jüdischen Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die als (unechte) Kontingentflüchtlinge nur entsprechend § 1 HumHAG durch Aufnahmezusage gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem Ausland aufgenommen wurden und denen damals eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nur in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 3 HumHAG erteilt wurde. Für Angehörige dieses Personenkreises hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 22.3.2012 - BVerwG 1 C 3.11 -, juris Rn. 21, 32) entschieden, dass sie (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 keinen Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 1 HumHAG mehr besitzen. Aus der Differenzierung in § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und einem Umkehrschluss aus § 103 AufenthG - der nur für (echte) Kontingentflüchtlinge gemäß § 1 HumHAG die Fortgeltung des Flüchtlingsstatus und die Anwendbarkeit der hierauf bezogenen Erlöschensgründe aus §§ 2a, 2b HumHAG anordnet - ergibt sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, dass der Flüchtlingsstatus bei unechten Kontingentflüchtlingen ab dem 1. Januar 2005 entfallen und ihnen lediglich ausländerrechtlich nach § 101 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. AufenthG eine Niederlassungserlaubnis im Sinne des § 23 Abs. 2 AufenthG belassen werden soll. Die mit dieser Rechtsänderung verbundene unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig. Denn die von der Rechtsänderung Betroffenen behalten ihr Daueraufenthaltsrecht und haben die Möglichkeit, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ist bei dem Personenkreis der jüdischen Emigranten, die - wie dargestellt - nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden sind, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.7.2022 - 13 ME 76/22 -, juris Rn. 5, 6 m. w. N.).
Infolgedessen ist Rechtsgrundlage und Maßstab der im angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2023 enthaltenen Ausweisung § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG setzt eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise gegenüber dem Interesse des Ausländers oder der Ausländerin am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird diese Person ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht. Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den § 54, § 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den § 54, § 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49).
Hieran gemessen ist die Ausweisung rechtlich nicht zu beanstanden. Ohne Rechtsfehler ist die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis gekommen, dass den für eine Ausweisung sprechenden Interessen gegenüber den Bleibeinteressen bei einer Abwägung überwiegendes Gewicht zukommt.
Es besteht ein besonders schwerwiegendes Interesse an der Ausweisung des Antragstellers gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b AufenthG. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten, u. a. gegen die körperliche Unversehrtheit (lit. b). Erfolgt die Verurteilung in Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) auf Grund von § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG erfasster Taten und anderweitiger Taten, so muss die einbezogene von § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG erfasste Straftat an der Gesamtstrafe einen Anteil von mindestens einem Jahr haben. Aus den Urteilsgründen, insbesondere den Strafzumessungserwägungen, müssen die Einsatzstrafen erkennbar sein. Nur auf diese Weise kann zweifelsfrei darauf geschlossen werden, dass die von § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG erfassten Taten das Mindeststrafmaß von einem Jahr erfüllen (Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Aufl. 2022, § 54 AufenthG, Rn. 14, 16). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Am 1. Februar 2018 verurteilte das Amtsgericht B-Stadt den Antragsteller wegen gemeinschaftlichen besonders schweren Fall des Diebstahls sowie gemeinschaftlichen besonders schweren Fall des Diebstahls unter Einbeziehung der Entscheidung vom 24. Februar 2017 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten; wegen der übrigen Straftat wurde eine weitere Freiheitsstrafe von sechs Monaten ausgesprochen. Zudem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Urteilsgründen ist hinsichtlich der Gesamtstrafenbildung zu entnehmen, dass - da eine der abgeurteilten Taten vor dem letzten Urteil gelegen hatte - insoweit gemäß den §§ 53, 55 StGB unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und unter Einbeziehung der Einzelstrafen von drei Monaten, sechs Monaten und einem Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 24. Februar 2017 eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden war. Dem Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 24. Februar 2017 zufolge bezog sich die dort verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf die abgeurteilte gefährliche Körperverletzung.
Zudem besteht ein schwer wiegendes Interesse an der Ausweisung des Antragstellers gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist. Am 15. Februar 2022 verurteilte das Amtsgericht Helmstedt den Antragsteller wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Freiheitsstrafe. Ebenso wiegt das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG schwer, wenn der Ausländer als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht oder dies versucht. So liegt es hier. Am 26. Juli 2018 verurteilte das Amtsgericht B-Stadt den Antragsteller wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu zehn Monaten Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Die weiteren im Bundeszentralregisterauszug aufgeführten Verurteilungen des Antragstellers begründen ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil sie einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen die Rechtsordnung darstellen. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift.
Der weitere Aufenthalt des Antragstellers stellt sowohl aus spezialpräventiven als auch aus generalpräventiven Gründen auch gegenwärtig noch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 53 Abs. 1 AufenthG dar.
Die Ausweisung eines Ausländers aus spezialpräventiven Gründen dient der Vorbeuge gegen Gefahren, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst in Zukunft für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Hat der Ausländer Rechtsverstöße begangen, hängt die Rechtfertigung der Ausweisung von einer Gefahrenprognose, insbesondere der Einschätzung der Wiederholungswahrscheinlichkeit, ab. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 23). Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Nds. OVG, Urteil vom 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 38 m. w. N.). Für bestimmte Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte sind an den Grad der Wiederholungsgefahr nur geringe Anforderungen zu stellen. Zu diesen Fallgruppen gehören neben schweren Gewalt- und Eigentumsdelikten vor allem auch schwere Betäubungsmitteldelikte, wie das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, vor allem mit harten Drogen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 - 2 B 314/20 -, juris Rn. 20; Urteil vom 14.8.2019 - 2 B 159/19 -, juris Rn. 11). Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach unten ist jedoch auch bei schwersten Schäden nicht zulässig. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung eines spezialpräventiven Ausweisungsinteresses ist bei schwerwiegenden Gefahren bereits die "ernsthafte Möglichkeit" einer Wiederholung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 - 1 B 314/20 -, juris Rn. 20 m. w. N.).
Hieran gemessen ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller auch künftig Straftaten begehen wird. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr sprechen die Häufigkeit und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten sowie seine - bisher nicht erfolgreich therapierte - Betäubungsmittelabhängigkeit. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf den zutreffenden Inhalt des angegriffenen Bescheides Bezug genommen, denen der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten ist. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Der Antragsteller hat in teilweise rascher Folge sowie insbesondere auch unter laufender Bewährung bei hoher Rückfallgeschwindigkeit eine Vielzahl von Straftaten, insbesondere Eigentums- und Vermögensdelikte, begangen. Hierdurch hat er gezeigt, dass er Eigentum und körperliche Unversehrtheit anderer Menschen nicht zu respektieren bereit ist. Seine letzte abgeurteilte Tat beging der Antragsteller noch im Maßregelvollzug. So verurteilte ihn das Amtsgericht Helmstedt am 15. Februar 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Freiheitsstrafe. Im Urteil wird hierzu ausgeführt, dass der Antragsteller am 6. April 2020 auf der Station 70 im F. Psychiatriezentrum in G. in seinem Zimmer eingeschlossen war. Gegen Abend klingelte er an seiner Zimmertür, woraufhin ein Pfleger diese öffnete. Der Antragsteller nahm unvermittelt den Schlüssel des Pflegers an sich und flüchtete zu den Ausgangstüren der Station. Dort angekommen versuchte er mit den Schlüsseln des Pflegers die Türen zu öffnen. Als der Pfleger dies verhindern wollte, schnitt der Antragsteller den Pfleger mit einer mit Rasierklingen gespickten Zahnbürste mehrfach im Bereich des Oberkörpers, wodurch der Pfleger Schnittverletzungen erlitt. Für die Annahme der Wiederholungsgefahr spricht weiterhin, dass der Antragsteller selbst unter den besonderen Umständen des Maßregelvollzugs seine Betäubungsmittelabhängigkeit nicht hat therapieren können oder wollen, die für seine Straffälligkeit zumindest mitursächlich ist.
Ausweislich des im beigezogenen Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Hildesheim enthaltenen Beschlusses des Landgerichts Göttingen - Strafvollstreckungskammer - vom 25. Mai 2020 wurde die Maßregel schließlich wegen fehlender Erfolgsaussichten für erledigt erklärt. Dem lag die Einschätzung zu Grunde, dass beim Antragsteller eine dauerhafte, nicht mehr "aufbrechbare" Therapieunwilligkeit und Therapieunfähigkeit vorliege. Mit den zur Verfügung stehenden therapeutischen Mitteln sei eine weitere Behandlung des Antragstellers im Maßregelvollzug zum Erreichen des Maßregelzwecks nicht mehr möglich. Der Antragsteller habe bereits dreimal aus dem Probewohnen abgelöst werden müssen, wobei in zwei Fällen Suchtmittelrückfälle der Grund gewesen seien. Schon im Herbst 2019 sei deutlich geworden, dass der Antragsteller keine Therapiefortschritte habe machen können und er Risikosituationen weiterhin unterschätze. Er zeige Bagatellisierungstendenzen hinsichtlich seines eigenen Handelns und sei mit zunehmenden Freiheitsgraden überfordert. Er sei mit der Organisation seines Alltags und administrativen Aufgaben überfordert, verweigere aber weitere Hilfsangebote wie eine rechtliche Betreuung, betreutes Einzelwohnen oder eine medikamentöse Einstellung seiner im Jugendalter diagnostizierten ADHS-Erkrankung. Dies, die Bagatellisierungstendenzen und die mangelnde realistische Selbsteinschätzung würden eine verfestigte Kognition darstellen, die vom Antragsteller nur schwer bis gar nicht reflektiert werden könne. Auch verschiedene Therapeutenwechsel und unterschiedliche methodische Herangehensweisen hätten daran nichts ändern können. Zudem sei es zu Beginn des Jahres 2020 zu zwei Entweichungen des Antragstellers aus dem Maßregelvollzug gekommen, bei denen er erneut Drogen konsumiert habe.
Eine erneute Therapie der Suchtmittelproblematik des Antragstellers hat seither nicht stattgefunden. Auch ist sein Verhalten im Vollzug nicht beanstandungsfrei. So stellte die JVA I. im Rahmen der auf den Maßregelvollzug folgenden Haft des Antragstellers ausweislich ihrer im beigezogenen Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Hildesheim enthaltenen Berichte vom 18. März 2021, 17. Mai 2022 und 10. Februar 2023 das Fortbestehen der nicht hinreichend bearbeiteten Suchtmittelproblematik des Antragstellers fest, auch wenn er sich um eine Drogentherapie in der Einrichtung "J." bemühe. Weiter wird in den Berichten ausgeführt, dass der Antragsteller mehrfach disziplinarisch in Erscheinung trat, zuletzt am 26. Januar 2023.
Mit Beschluss vom 17. März 2023 lehnte das Landgericht Hildesheim - Strafvollstreckungskammer - es schließlich ab, den Antragsteller nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts B-Stadt 23. September 2009, des Amtsgerichts Holzminden vom 3. Mai 2012 und des Amtsgerichts Holzminden vom 2. Juli 2013 aus der Strafhaft zu entlassen und die Vollstreckung der Reststrafen zur Bewährung auszusetzen. Zur Begründung führte die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB lägen nicht vor. Der Antragsteller sei bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und habe sich durch vorangegangene Verurteilungen zu Geldstrafen und durch die Verhängung sowie die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nicht von der Begehung neuer Straftaten abhalten lassen, sondern immer wieder in schneller Folge auf vorangegangene Verurteilungen oder erfolgte Vollstreckungen neue erhebliche Straftaten begangen. Sein innervollzugliches Verhalten sei zudem nicht frei von Beanstandungen. Die Kammer verkenne nicht, dass er eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie anstrebe und eine entsprechende Kostenzusage vorgelegt habe. Allerdings könne im Hinblick auf die bereits seit mehreren Jahren bestehende straftatursächliche Suchtmittelproblematik und die verfestigte kriminelle Entwicklung des Antragstellers keine günstige Prognose gestellt werden. Hier sei auch in den Blick zu nehmen gewesen, dass verschiedene Therapieversuche in der Vergangenheit erfolglos geblieben seien. Erst wenn der Antragsteller seine straftatursächliche Suchtmittelproblematik durch die angestrebte Therapie hinreichend aufgearbeitet habe, würde allenfalls in der Zukunft eine positive Sozialprognose gestellt werden können. Derzeit sei zu befürchten, dass der Antragsteller nach seiner Entlassung weiterhin Straftaten begehen werde. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer unter eigener kritischer Würdigung an.
Neben dem spezialpräventiven Ausweisungsinteresse begründen die Straftaten des Antragstellers auch ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse, das nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG (wonach bereits eine Gefahr durch den "Aufenthalt" des Ausländers ein Ausweisungsinteresse begründet) berücksichtigungsfähig ist und auch durch Zeitablauf nicht zurücktritt, weil die Tilgungsfristen des § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) noch nicht abgelaufen sind.
Der Antragsteller kann sich demgegenüber auf ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr.1 AufenthG berufen. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Bleibeinteresse i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Dem Antragsteller wurde erstmals am 10. Oktober 1996 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nachdem er sich seit Sommer 2001 zwecks Schulbesuchs in der Ukraine aufgehalten hatte, kehrte er am 16. Oktober 2002 mit einem gültigen Visum ins Bundesgebiet zurück. Am 18. Oktober 2002 wurde ihm erneut eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 1 Abs. 3 HumHAG erteilt, die am 20. Dezember 2007 als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG übertragen wurde.
Auf ein schwer wiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, wonach das Bleibeinteresse i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, kann sich der Antragsteller dagegen trotz seiner Eheschließung mit einer (vermutlich) deutschen Staatsangehörigen am 6. Oktober 2021 nicht berufen. § 55 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG verlangt allein eine tatsächlich gelebte eheliche, lebenspartnerschaftliche oder familiäre Beziehung mit einem deutschen Staatsangehörigen (vgl. Bergmann/Dienelt/Bauer, § 55 AufenthG, Rn. 11). Ein Ausländer, der sich in Haft befindet, kann sich auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse berufen, wenn die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft unmittelbar vor Beginn der Haft bestanden hat und im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Lebensgemeinschaft unmittelbar nach der Haftentlassung fortgesetzt wird (vgl. BeckOK AuslR/Fleuß, 36. Ed. 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 43, 46). Hier fehlt es an einem Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft unmittelbar vor Beginn der Haft. Der Antragsteller befindet sich seit dem 27. Mai 2020 durchgängig in Haft und heiratete am 6. Oktober 2021, mithin erst während der Haftzeit.
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 25.7.2017 - BVerwG 1 C 12.16 -, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 20 ff.). Dem konkreten Gewicht des Verstoßes ist im Rahmen der nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmenden Abwägung unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu begegnen (Nds. OVG, Urteil vom 14.11.2018 - 13 LB 160/17 -, juris Rn. 40 f.)
Gemessen an diesem Maßstab überwiegen unter den Umständen des Einzelfalles die Ausweisungsinteressen gegenüber den Bleibeinteressen. Außerdem ist weder eine Verletzung des Schutzes der Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG noch des Rechts auf Achtung des Privatlebens i. S. d Art. 8 Abs. 1 EMRK erkennbar.
Dem besonders schwer wiegenden Bleibeinteresse i. S. v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist kein überragendes Gewicht beizumessen. Zwar ist die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis Ausdruck eines besonderen Vertrauens in die Integrationsfähigkeit eines Ausländers (BeckOK AuslR/Fleuß, 36. Ed. 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 12). Dieses ihm entgegengebrachte Vertrauen hat der Antragsteller jedoch durch die von ihm begangenen Straftaten und seine insbesondere darin zum Ausdruck kommende mangelnde Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse enttäuscht. Der Antragsteller verfügt auch über keine schutzwürdigen Belange nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK, die einer Ausweisung absolut entgegenstehen würden.
Dies gilt zunächst für die familiären Bindungen des Antragstellers zu seiner Ehefrau. Ein Ausländer kann auch bei einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen ausgewiesen werden, wenn trotz der Ehe sein Aufenthalt im Inland nicht weiter hingenommen werden kann. Das ist der Fall, wenn das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Ausländers wie auch des deutschen Ehegatten überwiegt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.3.2022 - 2 M 1/22 -, juris Rn. 26). Nach diesem Maßstab beansprucht hier die Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers Vorrang vor dem familiären Interesse.
Der Antragsteller ist, wie zuvor ausgeführt, in teilweise rascher Folge sowie insbesondere auch unter laufender Bewährung bei hoher Rückfallgeschwindigkeit vielfach straffällig geworden und hat dadurch ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 53 Abs. 1 Nr. 1a lit. b AufenthG sowie schwer wiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 9 AufenthG verwirklicht.
Der Ehe des Antragstellers ist demgegenüber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein geringeres Gewicht beizumessen. Denn die Ehe wurde erst am 6. Oktober 2021 während der Haft und in Kenntnis der beabsichtigten Ausweisung, zu der der Antragsteller unter dem 4. Juni 2020, 29. Juni 2020 und 20. Mai 2021 angehört worden war, geschlossen. Die Umstände deuten dementsprechend darauf hin, dass die Eheschließung jedenfalls auch aufenthaltsrechtlich motiviert war. Auch unabhängig davon ist die Berücksichtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem nur geringen Gewicht aber schon deshalb gerechtfertigt, weil beide Eheleute bei der Eheschließung um den prekären Aufenthaltsstatus des Antragstellers und die damit verbundene Gefahr einer zumindest zeitweisen Unterbrechung der ehelichen Lebensgemeinschaft wussten (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.6.2019 - 13 ME 92/19 -, n. V.). Zudem wurde die eheliche Lebensgemeinschaft auf Grund der fortdauernden Inhaftierung des Antragstellers mit Ausnahme von Besuchskontakten in der JVA bisher nicht tatsächlich gelebt. Dem familiären Interesse lässt sich schließlich dadurch hinreichend Rechnung tragen, dass die Wirkungen der Ausweisung befristet werden. Ob die hier gewählte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) rechtmäßig ist, ist hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht jedoch regelmäßig und auch hier unerheblich und daher im Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz nicht zu prüfen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 34).
Sonstige schutzwürdige familiäre Bindungen des volljährigen Antragstellers i. S. v. Art. 6 Abs. 1 GG, insbesondere zu seiner ihn regelmäßig in der Haft besuchenden Mutter, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Dem Antragsteller kommen auch nicht die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 8 EMRK zu Gute. Es ist nicht davon auszugehen, dass er ein durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiertes Privatleben nur noch im Bundesgebiet führen kann. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung muss der Ausländer dazu im Bundesgebiet ein Leben führen, durch das er faktisch so stark in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist, dass ihm das Verlassen des Bundesgebiets nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.7.2002 - 1 C 8/02 -, juris, Rn. 23; OVG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.3.2020 - 11 S 2293/18 -, juris Rn. 31). Der Ausländer muss auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sein, dass er gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt werden könne, während ihn mit dem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band seiner Staatsangehörigkeit verbindet (BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - BVerwG 1 C 8.96 -, juris Rn. 30; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 -, juris Rn. 27; VGH München, Beschluss vom 3.7.2017 - 19 CS 17.551 -, juris Rn. 10). Dies hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension "Verwurzelung") und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland (Dimension "Entwurzelung") ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.2.2018 - 8 ME 1/18 -, juris Rn. 17 m. w. N.; Beschluss vom 1.11.2017 - 13 ME 190/17 -, juris Rn. 27 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Der Antragsteller verfügt zwar über einen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt, da er - abgesehen von seinem Aufenthalt in der Ukraine im Jahr 2001/2002 - durchgängig im Besitz von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen bzw. einer Niederlassungserlaubnis war. Dennoch ist von einer hinreichenden Verwurzelung des Antragstellers im Bundesgebiet auf Grund seiner Straffälligkeit, der fehlenden wirtschaftlichen Integration und des Fehlens sonstiger besonderer Integrationsleistungen nicht auszugehen. Ein fortbestehendes Band zu seinem Heimatstaat zeigt schon der vorübergehende Aufenthalt zum Schulbesuch von Sommer 2001 bis Mitte Oktober 2022. Der Antragsteller hat es auch weder geschafft, eine Berufsausbildung abzuschließen, noch dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach seiner Haftentlassung bezog er von November 2015 bis Ende Oktober 2016 Sozialleistungen. Ab Juli 2017 befand er sich im Maßregelvollzug und ab Mai 2020 in Strafhaft. Auch hier vermochte der Antragsteller sich - offenbar auch bedingt durch seine bisher nicht therapierte Drogenabhängigkeit - beruflich nicht zu qualifizieren.
Der Antragsteller ist auch nicht derart von seinem Heimatland entwurzelt, dass ihm ein Privatleben in der Ukraine unmöglich oder unzumutbar wäre. Ein fortbestehendes Band zu seinem Heimatstaat zeigt schon der vorübergehende Aufenthalt zum Schulbesuch von Sommer 2001 bis Mitte Oktober 2022 im Alter von zwölf bis 13 Jahren - einer für die Persönlichkeitsbildung (und die Integration) durchaus bedeutsamen Lebensphase. Seine Mutter stammt ebenfalls aus der Ukraine. Deshalb und angesichts des Schulbesuchs im Heimatland liegt es nach allgemeiner Lebenserfahrung nahe, dass in der Familie des Antragstellers in der Ukraine verbreitete Sprachen wie Ukrainisch und/oder Russisch gesprochen wurden und der Antragsteller somit zumindest über mündliche Kenntnisse dieser Sprachen verfügt (s. hierzu auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, juris Rn. 24). Zudem ist im beigezogenen Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Hildesheim dokumentiert, dass der Antragsteller deutsche, russische und ukrainische Sprachkenntnisse hat. In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sich in der Ukraine wird verständigen können. Zudem ist es ihm auf Grund seines Alters von 34 Jahren auch möglich und zumutbar, sich in der Ukraine in neue und unbekannte soziale Strukturen einzufügen und ein neues Privatleben aufzubauen, auch wenn dies - was die Kammer nicht verkennt - mit Schwierigkeiten verbunden sein dürfte, zumal der Antragsteller vorträgt, in der Ukraine keine Angehörigen mehr zu haben.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass die Rückkehr in die Ukraine, deren derzeitige Situation als Kriegsgebiet als gerichtsbekannt unterstellt werde, für ihn mit erheblichen Lebensrisiken, u. a. der Gefährdung als Zivilist durch Luftangriffe und der umgehenden Einziehung zum Kriegsdienst, verbunden sei, verhilft auch dies seinem Antrag nicht zum Erfolg. Die vom Antragsteller geltend gemachten Gefahren im Herkunftsstaat, die die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, können bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls insoweit nicht berücksichtigt werden, als für das Abschiebungsverbot eine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge besteht und dieses ein solches Verbot bislang nicht festgestellt bzw. sogar ausdrücklich verneint hat. Dies gilt insbesondere für zielstaatsbezogene Gefahren, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu begründen. Denn ein Ausländer ist mit einem Asylbegehren, das nach § 13 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) seit dem 1. Dezember 2013 auch das Begehren auf subsidiären Schutz umfasst, hinsichtlich aller zielstaatsbezogenen Schutzersuchen und Schutzformen auf das Asylverfahren zu verweisen; er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt und auch keinen Anspruch auf eine Doppelprüfung. Ein Ausländer ist daher nach aktueller Rechtslage schon dann - gemäß § 24 Abs. 2 AsylG auch hinsichtlich nationaler Abschiebungsverbote - zwingend auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen, wenn er sich auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, subsidiären Schutz zu begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 34 m.w.N.). So liegt es hier. Soweit der Antragsteller sich auf eine Gefährdung von Zivilisten in der Ukraine durch Luftangriffe beruft, handelt es sich um Gefahren, die ihrer Art nach jedenfalls geeignet sind, subsidiären Schutz i. S. v. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu begründen. Denn gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gilt als ernsthafter Schaden i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe keine Bezüge zur Ukraine und beherrsche weder die ukrainische Sprache noch würden Angehörige der Familie in der Ukraine leben, und damit zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach nicht einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorbehalten sind, da sie das Gewicht eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nicht erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.2.2022 - 1 C 6/21 -, juris Rn. 35), führen diese hier nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Sie wurden bereits als Umstände des Einzelfalls, insbesondere als persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen im Herkunftsstaat, im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung eingestellt und von der Kammer berücksichtigt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu Art. 8 EMRK verwiesen.
Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Die Zielstaatsbestimmung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Hinsichtlich der geltend gemachten zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich der Ukraine ist der Antragsteller auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen, da er sich, wie zuvor ausgeführt, auch auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, subsidiären Schutz zu begründen. Sie stünden aufgrund von § 59 Abs. 3 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung auch bei Vorliegen nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 1.5, 8.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung hat aus den dargelegten Gründen keine Aussicht auf Erfolg.