Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.07.2022, Az.: 9 ME 95/22

Abgabenverkürzung, leichtfertige; Festsetzungsfrist; Feststellungslast; in dubio pro reo

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.07.2022
Aktenzeichen
9 ME 95/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59891
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.04.2022 - AZ: 3 B 12/22

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2022, 782-784
  • NWB 2023, 673

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 3. Kammer – vom 1. April 2022 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 26. Februar 2021 (Az. 3 A 279/21) gegen den Abwassergebührenbescheid der Antragsgegnerin für das Abgabenjahr 2016 vom 9. Dezember 2020 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 48.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 1. April 2022, mit dem dieses den Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (Az. 3 A 279/21) gegen den Abwassergebührenbescheid der Antragsgegnerin für das Abgabenjahr 2016 vom 9. Dezember 2020 abgelehnt hat, hat auch in der Sache Erfolg.

Aufgrund der mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Dem Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist stattzugeben. Denn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Es spricht nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür, dass für das Abgabenjahr 2016 eine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Das Verwaltungsgericht hat insoweit zunächst ausgeführt, dass sich die Festsetzungsfrist grundsätzlich nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bemesse und damit vier Jahre betrage. Sie beginne nach § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sei. Damit ende sie für das Gebührenjahr 2016 am 31. Dezember 2020. Die Antragsgegnerin habe keine Bekanntgabe des Bescheids im Jahr 2020 dokumentiert oder könne sie sonst belegen. Insbesondere lasse sich aus der Übersendung einer E-Mail an eine E-Mail-Adresse keine Bekanntgabe herleiten. Eine Reaktion der Antragstellerin auf diese E-Mail als Beleg für die faktische Kenntnisnahme sei nicht im Verwaltungsvorgang enthalten. Ebenso fehle die schriftsätzlich von der Antragsgegnerin angeführte E-Mail, in der um die Gutschrift für 2018 gebeten werde. Eine postalische Zustellung sei im Verwaltungsvorgang auch nicht dokumentiert.

Diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts tritt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht entgegen.

Das Verwaltungsgericht führt weiter aus, dass vorliegend jedoch Überwiegendes dafür spreche, eine Festsetzungsfrist von zumindest fünf Jahren anzunehmen. Die Festsetzungsfrist betrage gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden sei. Voraussetzung der verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist sei, dass die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen. Gemäß § 18 Abs. 1 NKAG handele ordnungswidrig, wer als Abgabenpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Abgabenpflichtigen eine der in § 16 Abs. 1 bezeichneten Taten leichtfertig begehe (leichtfertige Abgabenverkürzung). Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 NKAG werde mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer die Körperschaft, die die Abgabe festsetze und erhebe, pflichtwidrig über abgabenrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lasse und dadurch Abgaben verkürze oder nicht gerechtfertigte Abgabenvorteile für sich oder einen anderen erlange. Die Antragstellerin habe die Antragsgegnerin über die Existenz des auf ihrem Grundstück befindlichen Brunnens 1 in Unkenntnis gelassen und dadurch Abgabenvorteile für sich erlangt, da der dortige Frischwasserverbrauch nicht zur Grundlage der Abwassergebühren habe gemacht werden können. Hierbei könne sich die Antragstellerin nicht darauf zurückziehen, dass es sich um einen nicht genutzten Notbrunnen handele, denn ob und wie der Brunnen genutzt werde, wäre durch (ggfs. gleichbleibende) Zählerstandsmitteilungen der Antragsgegnerin nachzuweisen gewesen. Unstreitig sei, dass der Zählerstand des Brunnens 1 einen Verbrauch von ca. 366.000 m³ aufweise. Eine Frischwasserentnahme habe folglich stattgefunden und könne auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass sich aus dem vorliegenden Sachverhalt keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass tatsächlich die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen. Hierbei gelte grundsätzlich, dass der Steuergläubiger die materielle Beweislast für das Vorliegen aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerverkürzung trage. Weiter gelte, dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nur insoweit verlängert werde, als eine konkrete Abgabenverkürzung in konkreter Höhe im Veranlagungszeitraum auch hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale nachgewiesen sei. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass tatsächlich im Veranlagungszeitraum 2016 die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerverkürzung vorliegen. Insbesondere verkenne das Erstgericht, dass es im deutschen Recht keine Straftatbegehung durch juristische Personen gebe. Weiter sei unstreitig, dass sie, die Antragstellerin, erst seit dem Jahr 2016 Grundstückseigentümerin sei. Auch habe die Antragsgegnerin in der vorprozessualen Kommunikation stets betont, dass sie der Geschäftsführerin der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst keinerlei strafrechtlich relevanten Vorwürfe mache. Jedenfalls wäre aber durch das Erstgericht für die Annahme einer verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist der gesamte objektive und subjektive Tatbestand sowie die genaue Höhe der hinterzogenen Abgaben festzustellen gewesen. Hierzu führe das Erstgericht lediglich aus, dass unstreitig sei, dass der Zählerstand des Brunnens 1 einen Verbrauch von ca. 366.000 m³ aufweise, dass eine Frischwasserentnahme folglich stattgefunden habe und auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein könne. Diese Feststellung reiche nicht aus. Die reine Möglichkeit eines Frischwasserbezuges über den Brunnen 1 im Jahr 2016 entspreche nicht den Anforderungen an die Feststellung einer Abgabenverkürzung. Auch eine Schätzung komme für die Feststellung einer konkreten Hinterziehung nach der Rechtsprechung nicht in Betracht.

Mit diesen Ausführungen hat die Antragstellerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und damit zugleich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2020 dargelegt. Denn eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung ist weder von der Antragsgegnerin als Abgabengläubigerin, die hierfür die Feststellungslast bzw. die materielle Beweislast trägt (vgl. Rüsken in: Klein, AO Kommentar, 11. Auflage 2012, § 169 Rn. 26; VGH BW, Beschluss vom 24.1.2022 – 2 S 3137/21 – juris Rn. 30), noch von dem Verwaltungsgericht hinreichend nachgewiesen worden.

Im Ausgangspunkt weist das Verwaltungsgericht noch zu Recht darauf hin, dass für die Verlängerung der Festsetzungsverjährung die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen müssen. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 NKAG handelt ordnungswidrig, wer als Abgabepflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Abgabepflichtigen eine der in § 16 Abs. 1 bezeichneten Taten leichtfertig begeht (leichtfertige Abgabenverkürzung). Nach § 16 Abs. 1 NKAG wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer 1. der Körperschaft, die die Abgabe festsetzt und erhebt, oder einer anderen Behörde über Tatsachen, die für die Erhebung oder Bemessung von Abgaben erheblich sind, unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder 2. die Körperschaft, die die Abgabe festsetzt und erhebt, pflichtwidrig über abgabenrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Abgaben verkürzt oder nicht gerechtfertigte Abgabenvorteile für sich oder einen anderen erlangt. § 370 Abs. 4 sowie §§ 371 und 376 AO in der jeweils geltenden Fassung gelten nach § 16 Abs. 3 NKAG entsprechend.

Bei der Frage, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen, handelt es sich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheids, welche die Behörde in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 169 Rn. 27). Mittels Schätzung lässt sich das Vorliegen einer Straftat nicht feststellen, so dass die Anwendung des § 162 AO ausscheidet (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 169 Rn. 27). Bei nicht behebbaren Zweifeln führt der Grundsatz „in dubio pro reo" daher dazu, dass die Feststellung der leichtfertigen Abgabenverkürzung durch ein reduziertes Beweismaß – mithin im Wege der Schätzung – unzulässig ist. Das Gericht muss vielmehr die volle Überzeugung erlangen, dass die Voraussetzungen der leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach vorliegen. Anders als bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO darf dem Steuerpflichtigen die Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl. BFH, Urteile vom 9.5.2017 – VIII R 51/14 – juris Rn. 40 m. w. N. und vom 7.11.2006 – VIII R 81/04 – juris Rn. 14; Rüsken in: Klein, a. a. O., § 71 Rn. 8). Möglich bleibt allein die Schätzung der Höhe leichtfertig verkürzter Abgaben. Allerdings schließt es die Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ hierbei aus, die Schätzung der verkürzten Abgabe entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten im Erhebungsverfahren an der oberen Grenze des für den Einzelfall zu beachtenden Schätzrahmens auszurichten (vgl. BFH, Urteile vom 9.5.2017, a. a. O., Rn. 41 und vom 7.11.2006, a. a. O., Rn. 16). Es kann danach nur die Abgabe berücksichtigt werden, die jedenfalls mit Gewissheit verkürzt worden ist; es darf nicht frei gegriffen oder an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen werden (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 71 Rn. 8).

Dies zugrunde gelegt, bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an dem Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung, und damit im Ergebnis auch ernstliche Zweifel an der Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass sich die Antragsgegnerin, die wie dargelegt die Feststellungslast bzw. materielle Beweislast trägt, nicht auf eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung gestützt hat. Ausweislich des Bescheids vom 9. Dezember 2020 hat sie vielmehr die „reguläre“ Festsetzungsfrist von vier Jahren zugrunde gelegt. Den Aspekt der Verlängerung der Festsetzungsverjährung wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung hat das Verwaltungsgericht erstmals selbst geprüft. An dem gefundenen Ergebnis bestehen jedoch ernstliche Zweifel.

Es steht bereits nicht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass im hier streitigen Abgabenjahr 2016 die Voraussetzungen einer leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach vorliegen. Zwar weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Zähler des Brunnens 1 beim Ausbau am 20. März 2020 einen Zählerstand von 366.261 m³ aufgewiesen hat. Dieser Zähler wurde im Jahr 2005 installiert und geeicht und wurde seither – und insbesondere auch im Jahr 2016 – bei der Abgabenerhebung nicht berücksichtigt. Der Grund dafür liegt augenscheinlich darin, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Zählerwerte für den Brunnen 1 nicht übermittelt hat. Darin – aber auch nur darin und nicht zusätzlich in der technisch fehlerhaften Zählung des Durchlaufzählers am Brunnen 2 – könnte eine leichtfertige Abgabenverkürzung gesehen werden. Richtig ist damit noch, dass es in dem Zeitraum von 2005 bis 2020 – d. h. in einem Zeitraum von 15 Jahren – zu einer Wasserentnahme in Höhe von 366.261 m³ gekommen ist, die bei der Abgabenerhebung aus Gründen, die voraussichtlich in der Sphäre der Antragstellerin liegen, nicht berücksichtigt wurde. Offen bleibt dabei jedoch, ob eine Wasserentnahme aus dem Brunnen 1 auch im hier streitigen Abgabenjahr 2016 erfolgt ist und es insoweit zu einer leichtfertigen Abgabenverkürzung im Jahr 2016 gekommen ist. Eine festgestellte leichtfertige Abgabenverkürzung im Jahr 2016 wäre jedoch Voraussetzung dafür, dass es für dieses Abgabenjahr zu einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung kommt. Das Verwaltungsgericht führt insoweit lediglich aus, dass aufgrund des Zählerstands eine Frischwasserentnahme folglich stattgefunden habe und auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein könne. Die reine Möglichkeit, dass die Wasserentnahme aus dem Brunnen 1 im Abrechnungsjahr 2016 erfolgt sein kann, genügt jedoch nicht. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass der Brunnen 1 nur als Notbrunnen genutzt wurde. Dies entspricht jedenfalls der Erlaubnis nach dem Wasserhaushaltsgesetz des Landkreises Harburg vom 26. Juni 2013, wonach der Brunnen 1 lediglich als Ersatzbrunnen (ohne eigene Fördermenge) gegenüber dem Brunnen 2 aufgeführt wird. Ob dem Brunnen 1 damit im Abgabenjahr 2016 tatsächlich Wassermengen entnommen wurden oder ob die Wasserentnahme in einem oder mehreren anderen Jahren zwischen 2005 und 2020 erfolgt ist, steht damit für die Bejahung einer leichtfertigen Abgabenverkürzung nicht zur vollen Überzeugung des Senats fest.

Selbst wenn man – unterstellt – die Erfüllung des Tatbestands der leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach bejahen und zugrunde legen wollte, dass auch im streitigen Abgabenjahr 2016 Wassermengen entnommen wurden, die bei der Abgabenerhebung nicht berücksichtigt wurden, verbleiben zumindest ernstliche Zweifel an der Höhe der zugrunde gelegten, verkürzten Abgaben. Die Antragsgegnerin hat ausweislich ihres Bescheids vom 9. Dezember 2020 für das Abgabenjahr 2016 eine Nacherhebung in Höhe von 191.866,40 EUR für eine abgabenpflichtige Wassermenge von 109.015 m³ vorgenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Laufe des Vorgangs zur Schätzung der Abwassermengen aufgefallen sei, dass für den bisher unbekannten Brunnen 1 keine Kanalbenutzungsgebühren erhoben worden seien. Zwar bleibt die Schätzung der Höhe leichtfertig verkürzter Abgaben wie dargelegt möglich. Allerdings kann nur eine Abgabe berücksichtigt werden, die jedenfalls mit Gewissheit verkürzt worden ist; es darf nicht frei gegriffen oder an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen werden. Daran bestehen hier ernstliche Zweifel. Denn die Antragsgegnerin legt allein für das Abgabenjahr 2016 eine nachzuerhebende abgabenpflichtige Wassermenge von 109.015 m³ zugrunde, obwohl es im gesamten Zeitraum von 2005 bis 2020 bezogen auf den Brunnen 1 (lediglich) zu einer Wasserentnahme in Höhe von 366.261 m³ gekommen ist. Allein im Jahr 2016 soll damit mehr als ein Viertel der gesamten, in 15 Jahren geförderten Wassermenge entnommen worden sein. Damit ist die Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung jedenfalls an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen. Dies ist im Rahmen der Prüfung, in welcher Höhe eine leichtfertige Abgabenverkürzung vorliegt, nicht zulässig.

Soweit die Antragsgegnerin einwendet, dass hinsichtlich des Zählers für den Brunnen 1 auf dem Prüfstand eine Abweichung von bis zu -59,6 % nachgewiesen worden sei, was bedeute, dass lediglich 40 % der geförderten Wassermenge auch gemessen worden seien, so dass unter Berücksichtigung der Mindermessung des Zählers sogar eine tatsächliche Fördermenge von 915.652 m³ vorstellbar sei, vermag auch dies die Schätzung der Höhe einer für das Abgabenjahr 2016 nachzuerhebenden abgabenpflichtigen Wassermenge von 109.015 m³ nicht plausibel zu machen. Denn selbst wenn man – mit der Antragsgegnerin – eine Fördermenge von 915.652 m³ in 15 Jahren zugrunde legen würde, ergibt sich danach (lediglich) eine durchschnittliche jährliche Wassermenge von 61.043 m³.

Eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO kommt damit nach summarischer Prüfung nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 Satz 1 Halbsatz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) und folgt der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht, die von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist.