Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.01.2021, Az.: 1 ME 161/20

Bebauungsplan; Blockinnenbereich; Carport; Dorfgebiet; Einstellplatz; Garage; Gebot der Rücksichtnahme; Mischgebiet; Ruhezone (rückwärtige); Stellplatz; Stellplatzanlage; Vorbelastung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.01.2021
Aktenzeichen
1 ME 161/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.11.2020 - AZ: 4 B 5317/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es verstößt grundsätzlich nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, wenn in einem festgesetzten Dorf- oder Mischgebiet auch in den straßenabgewandten Bereichen Stellplätze und entsprechende Zufahrten genehmigt werden, soweit der Bebauungsplan keine Festsetzungen trifft, die dort eine besondere Wohnruhe gewährleisten sollen (Fortführung der Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschl. v. 28.5.2014 - 1 ME 47/14 -, BRS 82 Nr. 79 = juris Rn. 16; Senatsbeschl. v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris Rn. 19; Senatsbeschl. v. 20.9.2017 - 1 ME 111/17 -, juris Rn. 6).

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 6. November 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus, dessen Zufahrt an seinem Grundstück entlangführt.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt, Ortsteil D., das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt nördlich des Wendehammers am östlichen Ende des A-Straße im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 14 „A-Straße“, der dort ein Dorfgebiet festgesetzt. Der Hausgarten auf dem Grundstück ist straßenabgewandt nach Norden ausgerichtet.

Nördlich grenzt das neu gebildete Baugrundstück der Beigeladenen an. Es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 17 „Ortskern“ der Gemeinde A-Stadt, der für das Grundstück ein Dorfgebiet festsetzt. Es war jedenfalls ursprünglich Teil einer landwirtschaftlichen Hofstelle und entsprechend bebaut. Die gesamte Hofstelle wurde bzw. wird über die E. Straße von Norden her erschlossen. Die zukünftige Erschließung des Baugrundstücks soll über den A-Straße von Süden her erfolgen. Zu diesem Zweck ist auf dem östlich an die Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen angrenzenden Flurstück 341/2, Flur 7, Gemarkung A-Stadt-D., eine grundbuchlich gesicherte Zufahrt erstellt worden, die in einem Abstand von 3 m an der Grenze des Grundstücks des Antragstellers entlangläuft. Auch die Fläche dieser Zufahrt liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 17 und ist als Dorfgebiet festgesetzt.

Unter dem 29. Juli 2020 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Baugrundstück. Dagegen erhob der Antragsteller unter Berufung auf ihm nicht zumutbare Auswirkungen der Zufahrt einen bislang unbeschiedenen Widerspruch und beantragte erfolglos die Aussetzung der Vollziehung.

Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 6. November 2020 abgelehnt. Das Vorhaben der Beigeladenen verletze nicht das Gebot der Rücksichtnahme; er habe insbesondere keinen Anspruch darauf, dass sein Grundstück von jeglichen Verkehrsimmissionen aus nördlicher und östlicher Richtung verschont bleibe. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Ohne Erfolg wendet der Antragsteller zunächst ein, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Die fehlende Erwähnung, dass das grundbuchlich gesicherte Wege- und Fahrrecht zugunsten des Grundstücks der Beigeladenen erst im Mai 2020 bestellt worden ist, ist nach der zutreffenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unerheblich. Ebenso unerheblich ist, ob sich – wie der Antragsteller vorträgt – eine von zwei Terrassen auf der Ostseite seines Grundstücks unmittelbar neben der Zufahrt befindet. Es mag sein, dass eine solche Terrasse bislang keinen Störungen ausgesetzt war. Maßgeblich – dies hat das Verwaltungsgericht ausführlich und zutreffend begründet – ist aber, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Beibehaltung des bestehenden Zustands hat, sondern die Bebauung im Norden und deren Erschließung entlang seiner Grundstücksgrenze im Umfang der genehmigten Bebauung (und auch deutlich darüber hinaus) hinnehmen muss. Unerheblich ist deshalb schließlich, dass der Beigeladene die Errichtung eines Carports und eines weiteren Stellplatzes beabsichtigt.

Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller dagegen, dass das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf Erhalt einer von Immissionen unbelasteten Ruhe- und Erholungszone im nördlichen Teil seines Grundstücks und entlang der Zufahrt verneint hat. Mit dem Verwaltungsgericht vermag auch der Senat einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) nicht zu erkennen.

Zur Anordnung von Stellplätzen und Garagen abseits von öffentlichen Verkehrsflächen gelten nach ständiger Rechtsprechung des Senats die folgenden Grundsätze (vgl. Senatsbeschl. v. 28.5.2014 - 1 ME 47/14 -, BRS 82 Nr. 79 = juris Rn. 16; Senatsbeschl. v. 20.9.2017 - 1 ME 111/17 -, juris Rn. 6): Stellplätze und Garagen sollen grundsätzlich möglichst nah an öffentliche Verkehrsflächen herangebaut werden, um kein Störpotenzial in Ruhezonen hineinzutragen, in denen bislang keine Fahrzeugbewegungen stattfanden. Dementsprechend sollen selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen. Das gilt jedoch nur, wenn dieses Karree durch Grünflächen bzw. durch relative Wohnruhe gekennzeichnet ist. Was danach bei Abwägung der konkurrierenden Nutzungsinteressen dem Bauherrn gestattet bzw. seinem Nachbarn zugemutet werden kann, richtet sich zum einen nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungs-ortes durch vergleichbare Anlagen, daneben und vor allem aber nach den Festsetzungen eines für diesen Bereich geltenden Bebauungsplans.

Das zugrundegelegt spricht in diesem Fall nichts gegen die vorgesehene Art der Erschließung und die Anlage von Stellplätzen nördlich des Grundstücks des Antragstellers. Sowohl die Zufahrt als auch das Baugrundstück selbst sind im Bebauungsplan Nr. 17 als Dorfgebiet festgesetzt; eine Baugrenze verhindert lediglich die bauliche Nutzung eines schmalen Streifens am Rand des Baugebiets. Damit liegt ein Bebauungsplan vor, der eine bauliche Nutzung – und zwar auch mit gewerblicher und insbesondere landwirtschaftlicher Bebauung – in den straßenabgewandten Bereichen ermöglicht, von der eine deutlich größere Störintensität ausgehen würde, als sie von dem Vorhaben der Beigeladenen ausgehen wird. Für eine landwirtschaftliche oder gewerbliche Nutzung ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass diese nicht bloß straßenzugewandt, sondern auch auf den rückwärtigen Hof- und Grundstücksflächen stattfindet und dort unter anderem mit Fahrzeugbewegungen einhergeht. Die Erwartung, der straßenabgewandte Bereich bleibe auf Dauer von emittierenden Nutzungen verschont, ist deshalb im Dorfgebiet grundsätzlich nicht berechtigt (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris Rn. 19 zur Lage in einem Mischgebiet). Ist daher die planerische Vorbelastung erheblich, schließt bereits diese den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erhalt seines bislang bestehenden Lagevorteils aus. Ob darüber hinaus auch eine faktische Vorbelastung aufgrund der bestehenden Nutzung in Rechnung zu stellen ist, kann der Senat offenlassen.

Zu Unrecht meint der Antragsteller demgegenüber, er habe dennoch nicht damit rechnen müssen, dass die Erschließung einer nördlich entstehenden Bebauung über eine Zufahrt neben seinem Grundstück erfolgen könnte. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht ausgeführt, dass der für sein Grundstück geltende Bebauungsplan Nr. 14 eine weitergehende Bebauung und deren Erschließung vorbereitet. Die Straße A-Straße endet im Norden und Osten jeweils in einem Wendehammer, sodass eine Fortführung problemlos möglich ist. Diese Möglichkeit spricht die Begründung zum Bebauungsplan Nr. 14 – das Verwaltungsgericht hat dies zutreffend wiedergegeben – bereits an; sie drängt sich angesichts des Zuschnitts des östlich an das Grundstück des Antragstellers angrenzenden Grünstreifens auch geradezu auf. Dass die Grundstücke im Norden zuvor über die E. Straße erschlossen waren, ändert daran nichts. Es liegt auf der Hand, dass eine verdichtete Bebauung, die der Bebauungsplan Nr. 17 ausweislich der Planbegründung (dort S. 12) im Dorfgebiet bewusst zulässt, weiteren Erschließungsbedarf auch von Süden her auslösen kann. Ebenso konnte sich der Antragsteller nicht darauf verlassen, dass der Eigentümer des Flurstücks 341/2 einer Nutzung zu Erschließungszwecken nicht zustimmen würde.

Erfolglos bleibt schließlich die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe seine Betrachtung zu Unrecht auf das genehmigte Vorhaben beschränkt und ausgeblendet, dass der Beigeladene nördlich weitere Einfamilienhäuser plane. Zur Prüfung steht – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – allein die angegriffene Baugenehmigung. Nur ergänzend merkt der Senat daher an, dass auch gegen die Erschließung weiterer Einfamilienhäuser über die Zufahrt östlich des Grundstücks des Antragstellers keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, solange insbesondere die im Dorfgebiet einzuhaltenden Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden. Dies dürfte – wenn man mit dem Antragsteller von einer (nahezu) fehlenden Vorbelastung durch Lärmimmissionen ausgeht – auch bei mehreren Einfamilienhäusern bei weitem nicht zu erwarten sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie sich nicht am Verfahren beteiligt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).