Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.01.2021, Az.: 2 NB 272/20
Dienstleistungsexport; Lehramt; Überbuchung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.01.2021
- Aktenzeichen
- 2 NB 272/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 06.05.2020 - AZ: 8 C 2028/20
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 6. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, sie vorläufig zum Studium im Studienfach Geschichte (Zwei-Fächer-Bachelor) außerhalb der festgesetzten Kapazität nach den Rechtsverhältnissen im Sommersemester 2020 im
2. Semester zuzulassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angegriffenen Beschlusses.
1. Die von der Antragstellerin beanstandeten Überbuchungen unterliegen keinen Bedenken. Bei einer rechnerisch ermittelten Studienplatzkapazität von 56 Vollzeitstudienplätzen (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Satz 1 ZZ-VO 2019/2020) waren zum Stichtag 15. Mai 2020 67,26 Vollzeitäquivalente besetzt. Aus den Darlegungen der Antragsgegnerin ergibt sich, dass die Überbuchungen rechtlich nicht zu beanstanden sind. Auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 24. September 2020 - 2 NB 751/19 -, juris, betreffend das Wintersemester 2019/2020 wird verwiesen; sie gelten hier entsprechend:
„Überbuchungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. hierzu zuletzt Senatsurt. v. 25.6.2019 - 2 LC 655/17 -, juris Rn. 71 f.; Senatsbeschl. v. 23.7.2020 - 2 NB 690/19 -, juris Rn. 30), die mit der anderweitigen obergerichtlichen Rechtsprechung in Einklang steht (vgl. etwa OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 5.3.2018 - OVG 5 NC 38.17 -, juris Rn. 17; BayVGH, Beschl. v. 17.4.2014 - 7 CE 14.10046 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschl. v. 28.1.2013 - 13 B 971/12 -, juris Rn. 4), grundsätzlich zulässig. Nach § 5 Abs. 4 der Hochschul-Vergabeverordnung kann die Hochschule durch eine Überbuchung berücksichtigen, dass Studienplätze voraussichtlich nicht angenommen werden. Damit wird keine neue Kapazität erschlossen, sondern lediglich die in der Zulassungszahl erfasste Kapazität wirksam genutzt. Ob die Hochschule überbucht oder nachrücken lässt, ist keine Frage der verfassungsrechtlich gebotenen vollständigen Kapazitätsausnutzung, sondern richtet sich nach verwaltungsorganisatorischen Zweckmäßigkeitserwägungen. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Hochschule zu entscheiden, welcher der beiden Maßnahmen sie den Vorzug gibt. Überbuchungen zehren die vorhandene Kapazität auf. Für einen Zuteilungsanspruch des Studienplatzbewerbers müsste deshalb vom Gericht das Vorhandensein einer über die bereits vorgenommenen Überbuchungen hinaus bestehenden freien Kapazität festgestellt werden. Zwar kann eine Überbuchung infolge von Prognoseunsicherheiten dazu führen, dass mehr Studierende zugelassen werden als in der Zulassungszahlenverordnung vorgesehen, was die Chancen anderer Studienbewerber schmälert, im Wege eines gerichtlichen Verfahrens an einen Studienplatz zu gelangen. Das ist jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden. Wer sich für einen Platz unter den Begünstigten einer Überbuchung durch seine Rangziffer qualifiziert, braucht nicht hinter anderen Studienplatzklägern zurückzustehen, zumal ihm ebenfalls das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zur Seite steht (vgl. Senatsbeschl. v. 22.8.2013 - 2 NB 394/12 -, juris Rn. 16 m.w.N.).
Eine Ausnahme mag dann gerechtfertigt sein, wenn das Instrument der Überbuchung "rechtsmissbräuchlich" gehandhabt wird, etwa um die tatsächlich vorhandenen Kapazitäten zu verschleiern oder um einen etwaigen "Anreiz" zur Führung von Prozessen, die eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung festgesetzter Zulassungszahlen ermöglichen, zu konterkarieren. Insoweit ist allerdings kein enger Maßstab anzulegen, denn eine großzügige Überbuchung ist "kapazitätsfreundlich" und verliert diese aus der Sicht der Studierwilligen positive Eigenschaft nicht dadurch, dass sie zu Verschiebungen der Zulassungsquoten zwischen der Gruppe der Bewerber mit "zulassungsnaher Qualifikation" einerseits und der Gruppe der Studienplatzkläger andererseits führt. Bei der Einschätzung des Annahmeverhaltens der zugelassenen Bewerber darf deshalb Raum gelassen werden für Prognosefehler zugunsten von Studienbewerbern mit "zulassungsnaher Qualifikation". Für eine Argumentation mit mathematischen Scheingenauigkeiten ist in diesem Zusammenhang deshalb von vornherein kein Raum (vgl. Senatsbeschl. v. 20.2.2013 - 2 NB 386/12 -, juris Rn. 23 f.).
Das zugrunde gelegt gibt es für einen Missbrauch des Instruments der Überbuchung durch die Antragsgegnerin keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin plausibel erläutert, sie lasse stets so viele Studienbewerber zu, dass die Studienplatzkapazität unter Berücksichtigung der zu erwartenden Annahmequote ausgeschöpft werde. Ein solches - hier kapazitätsfreundlich gehandhabtes - Verfahren ist nicht zu beanstanden, auch wenn ihm gewisse Unsicherheiten immanent sind. Eine systematische Überbuchung liegt zudem auch der Sache nach nicht vor; im Gegenteil konnten die Studienanfängerplätze in den Studienjahren 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018 nicht vollständig gefüllt werden. Im Studienjahr 2018/2019 war die Überbuchung mit 6,3 VZÄ eher gering.“
2. Die Einwände der Antragstellerin gegen die Deputatsverminderungen von Frau D. und Herrn E. greifen schon deshalb nicht durch, weil das Verwaltungsgericht diese Reduzierungen bei seiner Berechnung ausdrücklich nicht berücksichtigt hat und die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht darlegt, warum sie gleichwohl für ihr Begehren relevant sein sollen. Dass sich trotz der Überbuchungen unter Berücksichtigung eines um drei LVS erhöhten Lehrangebots ein weiterer freier Studienplatz ergeben würde, ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
3. Die Einwände der Antragstellerin gegen den von der Antragsgegnerin angesetzten Dienstleistungsexport greifen nicht durch. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 24. September 2020 - 2 NB 751/19 -, juris, ausgeführt:
„Die mit jedem Dienstleistungsexport einer Lehreinheit einhergehende Beeinträchtigung des grundrechtlich gewährleisteten Anspruchs eines Studienbewerbers auf Zulassung zum Studium, der bei Studiengängen mit numerus clausus als Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungskapazitäten gewährleistet ist, ist im Grundsatz zulässig. Denn die als Dienstleistung exportierte Lehre geht nicht verloren, sondern schafft Ausbildungskapazität in einem anderen Studiengang. Weder das Kapazitätserschöpfungsgebot noch das Teilhaberecht des Studienbewerbers vermitteln einen Anspruch darauf, das Lehrpotential der wissenschaftlichen Lehrkräfte einer Hochschule in einer allein einem von dieser Hochschule angebotenen Studiengang zugutekommenden Weise einzusetzen. Ein von einer Lehreinheit für zulassungsbeschränkte Studiengänge erbrachter Dienstleistungsexport könnte lediglich dann verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen, wenn er sachlich nicht geboten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 22.1.2019 - 2 NB 1695/17 -, juris Rn. 15). Die Antragstellerin legt schon nicht dar, dass dies der Fall sein könnte. Dass die Lehreinheit Geschichte in einem relevanten Umfang Lehre für andere geisteswissenschaftliche Bachelor- und Masterstudiengänge erbringen muss, liegt - die Antragsgegnerin hat das zutreffend erläutert - angesichts des interdisziplinären Charakters dieser Studiengänge auf der Hand. Eine dahingehende hochschulpolitische Entscheidung der Antragsgegnerin ist im Grundsatz nicht zu beanstanden.“
Hieran wird auch angesichts der Ausführungen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung festgehalten. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung die Hintergründe für den Dienstleistungsexport wie folgt näher erläutert:
„Geisteswissenschaftliche Studiengänge bereiten in der Regel nicht auf ein fest vorgegebenes Berufsziel vor, sondern die Studierenden erwerben im Verlauf ihres Studiums ein individuelles berufsqualifizierendes Profil. Das Nebenfach Geschichte ist inhaltlich ein unverzichtbarer Bestandteil des Studienangebots in beiden Bachelorstudiengängen, da das Lehrangebot für die Ausrichtung auf die Berufsfelder Medien, Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit sowie politische Institutionen, Organisationen und Einrichtungen unerlässlich ist. Die Studierenden müssten eine erhebliche Einschränkung ihrer späteren Beschäftigungsfähigkeit hinnehmen, wenn es nicht mehr anwählbar wäre. Das wäre für die Absolventinnen und Absolventen im Hinblick auf die Freiheit der Berufswahl nicht zumutbar.“
Das macht auch für die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung benannten Studiengänge, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die hochschulpolitische Entscheidung der Antragsgegnerin plausibel.
4. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin eine sogenannte horizontale Substitution, also eine Kapazitätsverlagerung zwischen einzelnen der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen zugunsten des Zwei-Fächer-Bachelorstudiengangs Geschichte hätte vornehmen müssen, sind gleichfalls weder dargetan noch ersichtlich. Das folgt bereits daraus, dass die erheblichen Überbuchungen im Zwei-Fächer-Bachelor Geschichte und vor allem auch im Fach Atlantic Studies die frei gebliebene Kapazität in den Fächern Geschichte (Lehramt Gymnasium), Geschichte (Bachelor, Lehramt Sonderschulen) und Geschichte (Master, Lehramt Sonderschulen) mehr als aufzehren.
5. Soweit die Antragstellerin im Übrigen zu den Bereichen „Lehrauftragsstunden“, „ständige Überlast“ und „Lehrangebot“ um nähere Erläuterungen der Antragsgegnerin gebeten hat, ist diese dem nachgekommen. Die Antragstellerin hat hierzu nichts mehr vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).