Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.04.2013, Az.: 9 A 52/12
Fleischwurst; Gemüsebrühe; Gemüsepulver; Gemüsesaftkonzentrat; Kochschinken; Lebensmittelzusatzstoff; technologische Gründe; Umrötung; Verzehr als Lebensmittel
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.04.2013
- Aktenzeichen
- 9 A 52/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64466
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 39 Abs 2 LFGB
- § 39 Abs 1 S 1 LFGB
- Art 5 EGV 1333/2008
- Art 35 EGV 1333/2008
- Art 3 Abs 2a EGV 1333/2008
- Art 6 Abs 4B EWGRL 112/74
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für die Frage, ob ein Lebensmittelzusatzstoff nach Art. 3 Abs. 2a VO (EG) Nr. 1333/2008 vorliegt, ist seine Stoffeigenschaft zum Zeitpunkt der Verwendung und nicht diejenige seiner Ausgangsstoffe maßgeblich.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine lebensmittelrechtliche Anordnung des Beklagten.
Die Klägerin stellt Fleischwaren her und verwendet für die Herstellung von Kochschinken und Fleischwurst u. a. die seit 2005 im Handel erhältliche „Bio-Gemüsemischung“ und das „Bio-Gemüsesaftkonzentrat“ der Firma D.. Die Verwendung dieser Produkte beruht auf Herstellungsanleitungen des biologischen Anbauverbandes E. (F.). Die trockene Gemüsemischung (Pulver) und das Gemüsesaftkonzentrat sind nicht als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen. Sie werden durch den Entzug von Wasser aus nitrathaltigen Gewürzen und Gemüsen gewonnen. Indem Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat jeweils nebst Starterkulturen aus Mikroorganismen der Lake für die Fleischzubereitung zugegeben werden, entsteht in den Fleischwaren ein Pökelaroma und sie erhalten eine stabile Färbung. Bei diesem Vorgang wird das in Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat enthaltene Nitrat mikrobiell u. a. in Nitrit umgewandelt. Der Gehalt an Nitrit im fertigen Fleischprodukt liegt niedriger als bei der Zugabe des als Lebensmittelzusatzstoff zugelassenen Nitrits.
Am 01.07.2010 nahm der Beklagte jeweils eine Probe des nach Herstellungsanleitung produzierten „E. -Kochschinken-Aufschnitt“ sowie der „E. -Fleischwurst“ und ließ die Proben beim G. (H.) analysieren. Das H. beanstandete mit Vorabmitteilung vom 08.07.2010 beide Proben im Wesentlichen damit, dass beide Lebensmittel nicht verkehrsfähig seien. Sie enthielten nicht zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe.
Unter dem 25.08.2010 nahm der Beklagte eine Probe des Bio-Gemüsesaftkonzentrats und der Bio-Gemüsemischung der Firma D.. Das H. berichtete jeweils unter dem 14.03.2011 über die Begutachtung der Proben.
Mit Bescheid vom 16.05.2011 untersagte der Beklagte der Klägerin das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Erzeugnissen mit nicht zugelassenen Zusatzstoffen. Dies gelte insbesondere für die Verwendung von „Bio-Gemüsekonzentrat“ und „Bio-Gemüsemischung“. Er verwies darauf, die beanstandeten Erzeugnisse seien Zusatzstoffe. Nach einer Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 09.06.2010 an die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen obersten Landesbehörden vertrete die Kommissionsarbeitsgruppe „Lebensmittelzusatzstoffe“ die Auffassung, dass es sich bei derartigen Verfahren um eine Zusatzstoffanwendung handele, die den zusatzstoffrechtlichen Vorschriften unterliege.
Am 08.06.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hält die von ihr verwendeten und von dem Beklagten beanstandeten Stoffe nicht für Zusatzstoffe im Sinne des LFGB. Diese seien selbst Lebensmittel, nämlich Gemüse und Gewürze. Der Fermentierungsprozess von Nitrat zu Nitrit trete beim Verzehr von rohen Gemüse und Gewürzen immer auch natürlich auf. Starterkulturen seien ohnehin nach § 6 Abs. 2 LFGB keine Zusatzstoffe. Die eingesetzten Bakterien würden seit Jahrzehnten bei der Fleischwarenherstellung verwendet und seien typische Lebensmittelzutat. Der Beklagte versuche, die gesetzliche Freistellung von Lebensmitteln als Zutat dadurch zu umgehen, indem er allein auf den technologischen Effekt, das Herstellen von Nitrit, abstelle, aber den natürlichen Entstehungsprozess des Nitrit ausblende. Nach dieser Auffassung des Beklagten wären zahlreiche andere Lebensmittel wegen des Fermentierungsprozesses nicht verkehrsfähig.
Die Klägerin beantragt,
die Untersagungsverfügung des Beklagten vom 16.05.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert, die Bewertung als Zusatzstoff sei nach den Gründen für seine Verwendung im konkreten Einzelfall zu beurteilen. Bei den von der Klägerin verwendeten Stoffen handele es sich nicht um Gemüse oder Gewürze üblicher Beschaffenheit, sondern um ein daraus hergestelltes Pulver bzw. Konzentrat, deren Herstellung bewusst darauf angelegt sei, den Nitratgehalt zu erhöhen. Das „Bio-Gemüsesaftkonzentrat“ habe einen Nitratgehalt von 2.714 mg/kg und das als „Bio-Gemüsemischung“ bezeichnete Pulver einen Nitratgehalt von 7.771 mg/kg. Entscheidend für die Frage, ob es sich um einen Zusatzstoff handele oder nicht, sei, ob der zugesetzte Stoff selbst als Lebensmittel verzehrt werden könne oder nicht. Gemüse werde nicht in Pulverform konsumiert. Gemüsesäfte würden in konzentrierter Form nicht aus besonders nitratreichen Gemüsen wie Kopfsalat oder Spinat hergestellt. Die verwendeten Bio-Produkte seien ferner nicht typische Zutaten von Fleischerzeugnissen. Nitrat sei als Zusatzstoff nur für nicht wärmebehandelte Fleischerzeugnisse zugelassen, Kochschinken und Fleischwurst würden aber hitzebehandelt. Außerdem werde die von der Klägerin erwünschte Wirkung nur dadurch erzielt, dass neben den nitrathaltigen Gemüse- und Gewürz-Stoffen nitratreduzierende Bakterien beigegeben würden. Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden seien sich in der Einschätzung der von der Klägerin verwendeten Stoffe einig. Ähnlich sei der Standpunkt der Europäischen Union.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte kann seine Verfügung auf § 39 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs - LFGB - stützen. Danach ist es Aufgabe der zuständigen Behörden, die Einhaltung der Vorschriften der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des LFGB über Lebensmittel zu überwachen. Sie treffen die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich sind. Dazu können sie insbesondere das Herstellen, Behandeln oder das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten. Zu den überwachungsbedürftigen Vorschriften der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union gehört die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 vom 16.12.2008 (ABl. L 354/16 vom 31.12.2008). Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 bestimmt, dass nur die in der Gemeinschaftsliste in Anhang II aufgeführten Lebensmittelzusatzstoffe unter den darin festgelegten Bedingungen in Lebensmitteln verwendet werden dürfen. Nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1333/2008 darf niemand einen Lebensmittelzusatzstoff oder ein Lebensmittel, in dem ein Lebensmittelzusatzstoff vorhanden ist, in Verkehr bringen, wenn die Verwendung des Lebensmittelzusatzstoffs nicht mit der Verordnung in Einklang steht.
Die VO (EG) Nr. 1333/2008 gilt zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Sie ist nach deren Art. 35 jedenfalls zum 20.01.2010 in Kraft getreten. Ungeachtet der in Art. 34 enthaltenen Übergangsvorschrift gelten von vornherein die Regeln für das Verbot nicht zugelassener Lebensmittelzusatzstoffe (Nds. OVG, Urteil vom 30.06.2010 -13 LC 10/08 -, LRE 62, 224; Zipfel, Lebensmittelrecht, C 121 Art. 4, Rn. 4; Rathke, Die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe, ZLR 2010, S. 163, 170).
Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei den von ihr hergestellten Produkten, Kochschinken und Fleischwurst, um Lebensmittel, in denen Lebensmittelzusatzstoffe im Sinne von Art. 5 VO (EG) Nr. 1333/2008 vorhanden sind. Die Verwendung von Gemüsemischung und Gemüsesaftkonzentrat steht mit der Vorschrift nicht in Einklang, da diese Lebensmittelzusatzstoffe darstellen, die nicht in der Liste der zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe nach Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 aufgeführt sind.
Nach Art. 3 Abs. 2 a Satz 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 ist ein Lebensmittelzusatzstoff ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können.
Die Gemüsemischung und das Gemüsesaftkonzentrat sind Stoffe im Sinne dieser Regelung. Mit der Verwendung dieses Begriffs macht die Verordnung zunächst deutlich, dass es für die Zuordnung von Lebensmitteln unbeachtlich ist, welche physikalischen Eigenschaften das Erzeugnis aufweist (vgl. Meyer/Streinz, LFGB, 2. Aufl., Art. 2 Basis-VO, Rn. 5). Dabei kommt es, auch bei verarbeiteten Lebensmitteln, auf die Stoffeigenschaften zum Zeitpunkt der Verwendung als Zutat an. Art. 3 Abs. 2 a Satz 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 klärt dies mit der Wendung „Stoff …, der in der Regel weder … selbst als Lebensmittel verzehrt … und einem Lebensmittel … zugesetzt wird“ eindeutig. Dies ergibt sich auch aus der Kombination der Voraussetzung mit dem Umstand, dass der Stoff nicht „selbst“ als Lebensmittel verzehrt wird. Dieser Zusammenhang wäre entbehrlich, wenn nicht die Eigenschaft des Stoffes als Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verzehrs maßgeblich wäre (entsprechend sieht auch Zipfel, Lebensmittelrecht, C 121, Art. 3, Rn. 14 eine Mischung aus Lebensmitteln als „Stoff“ an).
Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat werden einem Lebensmittel - hier Kochschinken-Aufschnitt und Fleischwurst - aus technologischen Gründen bei den in Betracht kommenden Vorgängen Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung oder Behandlung zugesetzt. Aus „technologischen Gründen“ wird derjenige Stoff verwendet, der „eine technologische Wirkung“ ausübt (vgl. EuGH, Urteil vom 28.09.1994 - C-144/93 -, BeckRS 2004, 74409, der sich dem Schlussantrag von Generalanwalt Walter van Gerven vom 16.06.1994 anschloss). Durch die Zugabe von Gemüsemischung und Gemüsesaftkonzentrat wird in den behandelten Fleischwaren Nitrat eingelagert, das anschließend zu Nitrit umgewandelt wird. Hierdurch entsteht ein Pökelaroma und die Fleischware erhält eine stabile Färbung. Ungeachtet der Frage, ob die technologische Wirkung erst in der Umrötung durch die von Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat nebst den jeweiligen Starterkulturen in Gang gesetzte Fermentierung liegt (hiervon geht aus: VG Bremen, Urteil vom 12.07.2012 - 5 K 230/09 -, juris), bewirkt die für die Umwandlung von Nitrat in Nitrit erforderliche Einlagerung unzweifelhaft technologische Aufgaben. Dies ist schon daran erkennbar, dass für den Kochschinken die beanstandeten Stoffe in der Pökellake in die Fleischware eingespritzt werden (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 05.08.2010 - 13 ME 85/10 -, LRE 62, 96).
Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat sind nicht deshalb kein Lebensmittelzusatzstoff, weil sie in der Regel selbst als Lebensmittel verzehrt werden oder charakteristische Lebensmittelzutat sind.
Der Hinweis der Klägerin, dass Gewürze und Gemüse vor ihrer Trocknung (Gemüsemischung) bzw. Konzentrierung (Gemüsesaft) selbst in der Regel als Lebensmittel verzehrt werden und nach ihrer Verarbeitung durch den bloßen Entzug von Wasser nichts anderes gelten könne, greift nicht durch. Es kommt - wie ausgeführt - auf die Eigenschaften der „Stoffe“ bei ihrer Verwendung an. Die Klägerin verweist insoweit zu Unrecht auf den Erwägungsgrund Nr. 5 der VO (EG) Nr. 1333/2008. Unabhängig davon, ob und inwieweit der Erwägungsgrund zur Auslegung von Art. 3 Abs. 2 a Satz 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 herangezogen werden kann, stützt die von der Klägerin benannte Quelle nicht ihre Auffassung. Nach Satz 4 des Erwägungsgrundes Nr. 5 soll die Verordnung nicht auf Stoffe Anwendung finden, die als Lebensmittel gelten und für einen technologischen Zweck verwendet werden, wie etwa Natriumchlorid oder Safran zum Färben, sowie Lebensmittelenzyme. Nach Satz 5 des Erwägungsgrundes Nr. 5 gelten dagegen Zubereitungen aus Lebensmitteln und anderen natürlichen Ausgangsstoffen, die in dem Enderzeugnis eine technologische Funktion erfüllen und die durch selektive Extraktion von Bestandteilen (z. B. Pigmenten) im Vergleich zu ihren ernährungsphysiologischen oder aromatisierenden Bestandteilen gewonnen werden, als Zusatzstoffe im Sinne dieser Verordnung. Die Klägerin missversteht den Satz 5 (genauso aber wohl unter Verwendung einer Stellungnahme der Natural Food Colours Association - NatCol - Wehlau, LFGB, Kommentar, § 2, Rn. 151), wenn sie im Umkehrschluss darauf abstellt, dass alle Zubereitungen aus Lebensmitteln, die nicht durch selektive Extraktion gewonnen werden, kein Lebensmittelzusatzstoff seien. Weder in Satz 4 noch in Satz 5 sind nämlich grundsätzlich Zubereitungen aus Lebensmitteln in Hinblick darauf bewertet, ob sie in der Regel selbst als Lebensmittel verzehrt werden oder nicht. Diese Entscheidung ist abstrakt auch nicht zu treffen, da es Zubereitungen aus Lebensmitteln gibt, die ihrerseits verzehrt werden und Lebensmittelzutat sein können (z. B. Kirschmarmelade für ein Joghurterzeugnis) und wieder solche, in denen die Zubereitung selbst nicht mehr in der Regel als Lebensmittel verzehrt wird (z. B. eine Mischung aus Backpulver und Essig als Sprengmittel).
Eine Klärung im Sinne der Klägerin leistet auch nicht Art. 6 Abs. 4 B der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. EG 1979, Nr. L 33, S. 1). Danach gelten, wenn eine Zutat eines Lebensmittels ihrerseits aus mehreren Zutaten hergestellt ist, die letzteren als Zutaten dieses Lebensmittels. Doch ist die Bestimmung nicht dafür geschaffen worden, den Begriff des Lebensmittelzusatzstoffs zu klären, sondern dafür, welche Angaben für das Verzeichnis der Zutaten maßgeblich sind.
Die Gemüsemischung bzw. das Gemüsesaftkonzentrat werden „in der Regel“ nicht in dem Zustand, in dem sie als „Stoff“ eingesetzt werden, verzehrt. Diese Wendung setzt keine bestimmte Menge, sondern in zeitlicher Hinsicht ein gewohnheitsmäßiges Verhalten voraus (Zipfel, Lebensmittelrecht, C 121, Art. 3, Rn. 20). Wenn - wie hier vorgetragen - der Entwickler von Gemüsemischung und Konzentrat seine Produkte täglich mit Wasser verdünnt zu sich nimmt, betrifft das schon einen anderen Stoff. Im Übrigen belegt der Verzehr nicht ein - auch quantitativ erforderliches (vgl. Wehlau, LFGB, Kommentar, § 2, Rn. 149) - gewohnheitsmäßiges Verhalten, da hierfür das Verhalten einer breiten Bevölkerungsgruppe und nicht einer Einzelperson maßgeblich ist. Die Kammer ist davon überzeugt, dass schon wegen der Gesundheitsgefahren, die von einem hohen Nitratgehalt in Lebensmitteln ausgehen, Verbraucher die hier streitbefangenen stark nitrathaltigen Gewürze und Gemüse weder in einer flüssigen Konzentration noch in Trockenform zu sich nehmen. Dies behauptet Klägerin auch selbst nicht.
Gemüsemischung und Gemüsesaftkonzentrat sind auch kein „Stoff …, der in der Regel als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird“. Nach dem Wortlaut der Bestimmung kommt es erstens darauf an, ob die verwendete Zubereitung charakteristische Lebensmittelzutat ist, und nicht darauf, ob der unbehandelte Ausgangstoff (Gewürze oder Gemüse) vor der Herstellung der Zubereitungen dieses Merkmal erfüllt. Zweitens muss die Zubereitung das Charakteristikum des Endprodukts ausmachen. Was als „charakteristische Lebensmittelzutat“ aufzufassen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht (zur Auslegung des fast wortgleichen § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LFGB) im Einzelnen bestimmt. Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung (Urteil vom 01.03.2012 - 3 C 15/11 -, NVwZ 2012, 1343) an. Sie besagt:
„… Eine Zutat ist charakteristisch ..., wenn sie prägender Bestandteil des Lebensmittels ist ... Ob ein Stoff prägend für ein Nahrungsergänzungsmittel ist, lässt sich bereits am Produktnamen festmachen, unter dem das Lebensmittel in den Verkehr gebracht wird. …Hiernach handelt es sich bei den von der Klägerin verwendeten Substanzen Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat um charakteristische Zutaten im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LFGB. Die Stoffe werden jeweils im Produktnamen geführt. Abgesehen davon sind sie auch deshalb prägende Bestandteile der streitigen Erzeugnisse, weil sie nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in wesentlichen Anteilen in den Kapseln enthalten sind.
Die danach geforderte prägende Wirkung der Zutaten Gemüsemischung bzw. Gemüsesaftkonzentrat lässt sich dem Produktnamen „Kochschinken-Aufschnitt“ bzw. „Fleischwurst“ nicht entnehmen, auch der Zusatz „E.“ bzw. „Bio-“ leistet diesbezüglich keine Klärung. Gemüsemischung und Gemüsesaftkonzentrat dienen lediglich dem Ersatz von für den Zubereitungsprozess erforderlichen Stoffen, die weder selbst für den Namen des Lebensmittels noch seinen Inhalt charakteristisch sind.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind Gemüsemischung und Gemüsesaftkonzentrat auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 a ii VO (EG) Nr. 1333/2008 von dieser Einordnung als Lebensmittelzusatzstoff (fiktiv) ausgenommen. Nach dieser Bestimmung gelten „Lebensmittel, getrocknet oder in konzentrierter Form, einschließlich Aromen, die bei der Herstellung von zusammengesetzten Lebensmitteln wegen ihrer aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigegeben werden und eine färbende Nebenwirkung haben“, nicht als Lebensmittelzusatzstoffe. Die Regelung ist als Ausnahme zu Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 gefasst. Damit steht die technologische Wirkung, die nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1333/2008 den Stoff erst zum Lebensmittelzusatzstoff macht, der Ausnahme nicht entgegen. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 a ii VO (EG) Nr. 1333/2008 sind nämlich einzelne, gesondert benannte Funktionen von Stoffen Anlass, sie dann nicht als Lebensmittelzusatzstoffe zu betrachten, wenn sie eine färbende Nebenwirkung haben. Die Stoffe müssen sowohl technologische als auch die Eigenschaften nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 a ii VO (EG) Nr. 1333/2008 haben (Zipfel, Lebensmittelrecht, C 121, Art. 3, Rn. 45). Entscheidend für die Unterscheidung ist, weshalb der Stoff im konkreten Fall eingesetzt wird bzw. was die Hauptfunktion des Stoffs ist (Zipfel, Lebensmittelrecht, C 121, Art. 2, Rn. 9; Wehlau, LFGB, Kommentar, § 2, Rn. 138 f.).
Die Klägerin gibt die beanstandeten Stoffe dem Kochschinken und der Fleischwurst im Wesentlichen wegen der erwünschten Umrötung bei. Die Umrötung vollzieht sich durch den Fermentierungsprozess und damit gerade nicht als eine färbende Nebenwirkung, wie dies etwa bei der unmittelbaren Einlagerung eines Farbstoffs durch die Zugabe von Rote-Beete-Saft oder beim Würzen mit Paprikapulver der Fall ist. Hinzu kommt, dass für diese Umrötung nicht die aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften der beanstandeten Stoffe maßgeblich sind. Dies fordert aber Art. 3 Abs. 2 Satz 2 a ii VO (EG) Nr. 1333/2008 („wegen“). Maßgeblich sind damit nicht - trotz der von der Klägerin vorgetragenen Entstehung eines „Pökelaromas“ - aromatisierende, geschmackliche oder ernährungsphysiologische Eigenschaften der Stoffe. Die Eigenschaften nehmen nicht die Hauptfunktion der von dem Beklagten beanstandeten Stoffe ein. Aromatisierend ist der Stoff, der mittels seines Aromas die Funktion besitzt, einen bestimmten Geruch oder Geschmack zu verleihen (Hahn, Lexikon Lebensmittelrecht, „Aromatisierung“). Geschmackliche Eigenschaften hätte eine Substanz, die den Geschmack verfeinert. Das „Pökelaroma“ der Fleischwaren der Klägerin wird nicht als Substanz (Aroma oder Geschmacksstoff) zugefügt, sondern ist Folge der vorher stattgefundenen Fermentierung. Ernährungsphysiologische Gründe sind solche, die der optimalen Ernährung dienen. Dass die beanstandeten Stoffe dem dienen, behauptet auch die Klägerin nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Das Gericht lässt die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache, da zu der Rechtsfrage, ob und wann aus Lebensmitteln gewonnene Konzentrate nicht mehr Lebensmittel(zutat), sondern ein Lebensmittelzusatzstoff sind, in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs bislang keine Entscheidung getroffen worden ist.