Landgericht Hannover
Urt. v. 09.06.2004, Az.: 11 O 216/03

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
09.06.2004
Aktenzeichen
11 O 216/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50833
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 08.02.2005 - AZ: 16 U 154/04

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht vor der Vollstreckung die Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin betreibt unter der Bezeichnung „...“ eine private Ergänzungsschule mit Grundschulcharakter gemäß § 158 Abs. 1 S. 1 NSchG. Sie begehrt die Feststellung der Amtshaftung des beklagten Landes aufgrund eines den Elternvertretern der Schule zugesandten Schreibens der Bezirksregierung vom 30.11.2001 und eines Bescheides vom 22.08.2002, mit dem die Bezirksregierung der Klägerin die angezeigte Erweiterung um die Klassen 5 und 6 (Förderstufe) untersagte.

2

Nachdem die Klägerin die Errichtung der Ergänzungsschule bei der Bezirksregierung Hannover als Schulaufsichtsbehörde angezeigt hatte, bat diese die Klägerin mit Bescheid vom 03.08.2001 (Bl. 64 d.A.), bis zum 31.08.2001 noch folgende Unterlagen vorzulegen: GmbH-Vertrag und dessen Eintragung beim Amtsgericht, Nebentätigkeitsgenehmigung des Schulleiters ..., Anstellungsverträge des Schulleiters und der Lehrkräfte, alle Anmeldungen mit dem neuen Informationstext (30.07.2001) zum Beginn des Schuljahres mit den Unterschriften der Erziehungsberechtigen.

3

Mit Bescheid vom 07.08.2001 (Bl. 65 d.A.) stellte die Bezirksregierung Hannover - vorbehaltlich der im Bescheid vom 03.08.2001 aufgeführten noch fehlenden Unterlagen - fest, dass für die Schülerinnen und Schüler während des Besuchs der „...-Schule ..., Ergänzungsschule mit Grundschulcharakter“ die Schulpflicht gemäß § 160 NSchG ruhe.

4

Mit Schreiben vom 30.11.2001 (Bl. 21 d.A.), von dem die Elternvertreter eine Durchschrift erhielten, forderte die Bezirksregierung Hannover die Klägerin auf, bis zum 15.12.2001 einen geeigneten Schulleiter zu benennen, nachdem die benannten Schulleiter den Dienst nicht angetreten hätten und der Geschäftsführer der Klägerin zu dem vereinbarten Termin am 22.11.2001 nicht erschienen sei. Die Bezirksregierung fügte hinzu, sie müsse, falls der Geschäftsführer der Klägerin auch diesen Termin nicht einhalten sollte, den Bescheid vom 07.08.2001 mit der Folge widerrufen, dass er keine schulpflichtigen Kinder in seine Ergänzungsschule aufnehmen dürfe. Zur Zeit ruhe aufgrund des Bescheides vom 07.08.2001 die Schulpflicht für kein Kind seiner Schule.

5

Mit Schreiben vom 26.06.2002 (Bl. 172 - 174 d.A. = Bl. 7 - 9 BA) zeigte die Klägerin die Erweiterung der Schule um den 5. und 6. Schuljahrgang (Förderstufe) gemäß § 158 Abs. 3 NSchG an.

6

Mit Bescheid vom 22.08.2002 (Bl. 181 f. d.A. = Bl. 23 f. BA) untersagte die Bezirksregierung die Erweiterung der Schule um die Klassen 5 und 6 unter Bezugnahme auf § 159 NSchG.

7

Die Klägerin wendete sich hiergegen mit ihrem Widerspruch vom 26.08.2002 (Bl. 34 f. BA) und stellte bei dem Verwaltungsgericht Hannover einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (Bl. 1 - 5 BA). Das Verwaltungsgericht Hannover lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 20.09.2002 ab (Bl. 90 ff. d.A. = Bl. 44 ff. BA). Auf die Beschwerde der Klägerin änderte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.11.2002 (Bl. 13 - 19 d.A. = Bl. 89 - 92 BA) den Beschluss des Verwaltungsgerichts und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her. Daraufhin hob die Bezirksregierung mit Bescheid vom 02.12.2002 die Untersagungsverfügung wieder auf.

8

Mit einer am 20.01.2003 vor dem Verwaltungsgericht Hannover erhobenen Klage begehrte die Klägerin u.a. die gerichtliche Feststellung, dass sich der Bescheid der Bezirksregierung über das Ruhen der Schulpflicht vom 07.08.2001 bis zum Ende des Schuljahres 2007/2008 auch auf Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 5 und 6 erstrecke. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 01.03.2004, Bl. 154 ff. d.A.).

9

Mit Bescheid vom 03.04.2003 (Bl. 67 - 77 d.A.) untersagte die Bezirksregierung schließlich die Fortführung der von der Klägerin betriebenen Ergänzungsschule und widerrief die Feststellung des Ruhens der Schulpflicht. Hiergegen hat die Klägerin eine Anfechtungsklage erhoben.

10

Die Klägerin ist der Auffassung, die Feststellung in dem Schreiben der Bezirksregierung vom 30.11.2001, gegenwärtig ruhe die Schulpflicht für keines der Kinder, sei unzutreffend, das Schreiben an die Elternvertreter sei daher rechtswidrig. Die Eltern von sieben Kindern hätten vor allem dieses Schreiben zum Anlass genommen, die bestehenden Schulverträge, die sonst zumindest bis zum Schuljahresende weitergeführt worden wären, außerordentlich zu kündigen. Hierdurch seien ihr zunächst 16.000,- € Schulgeld entgangen; inwieweit dieser Schaden endgültig eintrete, sei von dem Ausgang anderer Rechtsstreitigkeiten abhängig.

11

Die aufgehobene Untersagungsverfügung vom 22.08.2002 habe in zwei Fällen zur Beendigung der Schulverträge geführt. Die betroffenen Eltern hätten den Vorgang zum Anlass genommen, auch die Geschwister anderweitig zu beschulen. Außerdem sei der Klägerin hierdurch die Möglichkeit genommen worden, zu Beginn des neuen Schuljahres 2002/2003 für die Aufnahme von Kindern des 5. und 6. Schuljahrganges zu werben. Sie vertritt hierzu die Auffassung, der Feststellungsbescheid vom 07.08.2001, mit dem das Ruhen der Schulpflicht festgestellt wurde, habe auch für Kinder gegolten, die die später eingerichtete Förderstufe mit den Klassen 5 und 6 besuchen.

12

Das Ausmaß ihres wirtschaftlichen Schadens lasse sich insgesamt noch nicht übersehen.

13

Die Klägerin beantragt,

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festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr entstanden ist oder noch entstehen wird,

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1. aus der rechtswidrigen Untersagungsverfügung der Bezirksregierung Hannover vom 22.08.2002 - 409.2 - 81101/200 -,

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2. aus dem rechtswidrigen Schreiben der Bezirksregierung Hannover vom 30.11.2001 - 409.2 - 81101/200 - an Elternvertreter der ...-Schule ....

17

Das beklagte Land beantragt,

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die Klage abzuweisen.

19

Das beklagte Land ist der Auffassung, dass die Klägerin zum Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 2) nicht hinreichend vorgetragen habe. Zudem sei ihm keine Pflichtverletzung vorzuwerfen.

20

Die in dem Schreiben vom 30.11.2001 getroffene Feststellung, dass gegenwärtig für kein Kind die Schulpflicht ruhe, sei zutreffend gewesen. Der Bescheid vom 07.08.2001 habe unter einer aufschiebenden Bedingung gestanden, da das Ruhen ausdrücklich nur vorbehaltlich der Vorlage der noch fehlenden Unterlagen festgestellt worden sei. Die Klägerin habe jedoch - was zwischen den Parteien unstreitig ist - bis zum 15.12.2001 nicht die Einstellung eines geeigneten Schulleiters nachgewiesen. Da somit bei Abfassung des Schreibens am 30.11.2001 kein Anstellungsvertrag für einen Schulleiter vorgelegen habe, sei die aufschiebenden Bedingung nicht erfüllt gewesen. Diese Rechtsauffassung habe auch das Landgericht Hannover in seinem Urteil vom 14.02.2003 - Az. 14 S 84/02 - (Bl. 79 ff. d.A.) vertreten, weshalb der Bezirksregierung insoweit jedenfalls auch dann keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, wenn man der Rechtsauffassung nicht folgte.

21

Auch die dem Untersagungsbescheid vom 22.08.2002 zugrundeliegende Rechtsauffassung sei zumindest vertretbar, wie sich aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20.09.2002 ergebe.

22

Die behaupteten Pflichtverletzungen seien auch nicht kausal für den behaupteten Schaden geworden. Ursächlich für die Kündigungen von Schulverträgen seien Unzulänglichkeiten in dem Schulbetrieb der Klägerin. Auch sei die durch § 6 Abs. 5 NSchG in der Fassung vom 01.09.2002 eingeräumte Möglichkeit, an einer Grundschule die Jahrgänge 5 und 6 als Förderstufe zu führen, aufgrund einer abermaligen Gesetzesänderung vom 02.07.2003 mit Wirkung zum 01.08.2003 wieder entfallen. Darüber hinaus habe die Klägerin auch aus baurechtlichen Gründen die Schüler nicht über den 31.10.2003 hinaus unterrichten dürfen, da sich das Schulgebäude in einer Einflugschneise des Flughafens ... befinde und die Verlängerung der Baugenehmigung durch Bescheid der Stadt ... vom 07.01.2004 (Bl. 101 f. d.A.) wegen des Auslaufens der nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm erforderlichen Ausnahmegenehmigung abgelehnt worden sei.

23

Die Akten des Verwaltungsgerichts Hannover - Az. 6 B 3822/02 - sind beigezogen worden und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist von einem Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO auszugehen, da die Klägerin nachvollziehbar dargetan hat, dass sie den ihr aufgrund der behaupteten Pflichtverletzungen entstandenen Schaden noch nicht abschließend beziffern kann.

25

II. Beide Feststellungsanträge sind jedoch - mangels vorwerfbarer Amtspflichtverletzungen - unbegründet.

26

1. Hinsichtlich des in dem Feststellungsantrag zu 1) genannten Bescheides ist nicht von einer vorwerfbaren Pflichtverletzung der Bezirksregierung auszugehen. Zu diesem Bescheid hat zwar das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in dem Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO (Az. 6 B 3822/02) ausgeführt, es bestünden - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Hannover - hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bescheides erhebliche Bedenken, und die Begründung (für die Anordnung der sofortigen Vollziehung) entspreche kaum den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.

27

Allein die Tatsache, dass die Bezirksregierung eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, vermag jedoch - unabhängig davon, ob die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zutreffen - den Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung nicht zu begründen. Insoweit gilt die allgemeine Richtlinie, dass einen Amtsträger grundsätzlich kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (BGH NJW-RR 1992, 919 f. [BGH 19.12.1991 - III ZR 9/91]; Palandt/Sprau, 63. Aufl. 2004, § 839 Rn. 53). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht Hannover - durch eine mit drei Richtern besetzte Kammer - sowohl die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung als auch das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO bejaht. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts enthält eine ausführliche, nachvollziehbare und abgewogene Begründung. Insofern kann bereits kein schuldhaftes Verhalten der Bezirksregierung darin gesehen werden, dass sie zu ihrer - auch von dem Verwaltungsgericht Hannover geteilten - Rechtsauffassung gelangt ist.

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Darüber hinaus ist auch nicht davon auszugehen, dass die Untersagungsverfügung bis - zu ihrer Aufhebung am 02.12.2002 - zu dem behaupteten Schaden geführt hat. Denn für den Besuch der 5. und 6. Klasse hätten überhaupt nur dann Kinder mit Erfolg angeworben werden können, wenn zweifelsfrei festgestanden hätte, dass die Schulpflicht auch für diese Kinder, die die geplante Förderstufe besuchen, ruht. Hierzu ist eine Feststellung der Schulbehörde nach § 160 NSchG erforderlich. Nach der Anzeige der Erweiterung der Schule um die Förderstufe mit den Klassen 5 und 6 hat die Klägerin - nach ihrem Vorbringen in dem nachgelassenen Schriftsatz - erst am 19.12.2002, mithin nach Aufhebung der Untersagungsverfügung, den Antrag gestellt, das Ruhen der Schulpflicht auch für die Klassen 5 und 6 festzustellen. Zu dem vorliegenden Feststellungsbescheid vom 07.08.2001 vertritt die Bezirksregierung die Auffassung, dieser beziehe sich nur auf das Ruhen der Schulpflicht für den Besuch der bis zu der angezeigten Erweiterung betriebenen Grundschule mit den Jahrgängen 1 bis 4, nicht auf die nachträglich eingerichtete Förderstufe mit den Klassen 5 und 6. Diese Auffassung wird auch von dem Verwaltungsgericht Hannover in seinem überzeugenden Urteil vom 01.03.2004, auf das Bezug genommen wird (Bl. 154 ff d.A.), geteilt, sodass der Bezirksregierung auch insoweit jedenfalls keine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Da somit das Ruhen der Schulpflicht für die neue Förderstufe seinerzeit nicht zweifelsfrei feststand - worauf die Klägerin interessierte Eltern auch von sich aus hätte hinweisen müssen -, war es der Klägerin unabhängig von der Untersagungsverfügung ohnehin nicht möglich, erfolgreich um Schüler für den Besuch der Klassen 5 und 6 zu werben. Bei dieser Sachlage ist auch eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf das o.g. Verfahren nicht veranlasst.

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2. Die Feststellung der Bezirksregierung in dem Schreiben vom 30.11.2002, dass gegenwärtig die Schulpflicht nicht ruhe, stellt ebenfalls keine schuldhafte Pflichtverletzung dar.

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Die Kammer folgt insoweit der - auch in dem Urteil des Landgerichts vom 14.02.2003 (Az. 14 S 84/02, s. Bl. 81 d.A.) zum Ausdruck gebrachten - Auffassung, dass der in dem Bescheid ausgesprochene Vorbehalt als aufschiebende Bedingung anzusehen ist. Das Ruhen wurde ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt angeordnet, dass die genannten Unterlagen vorgelegt werden. Der danach erforderliche Anstellungsvertrag für einen Schulleiter lag unstreitig noch nicht vor, sodass die Bezirkregierung zu Recht davon ausging, dass am 30.11.2001 die Feststellung des Ruhens keine Wirksamkeit entfaltete. Dem steht nicht entgegen, dass die Bezirksregierung mit Schreiben vom 31.01.2002 (Bl. 216 d.A.) - nachdem ihr die Anstellung eines Schulleiters nachgewiesen wurde - mitteilte, dass der Bescheid vom 07.08.2001 weiterhin Bestand habe, wobei sie offenbar davon ausging, dass die aufgestellten Bedingungen nunmehr erfüllt seien.

31

Auch die Information der Elternvertreter stellt sich nicht als pflichtwidrig dar. Da die Schulaufsicht gerade auch im Interesse der schulpflichtigen Kinder ausgeübt wird, war die Bezirksregierung gehalten, auch die Eltern über die Entwicklung zu informieren.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.