Landgericht Hannover
Urt. v. 02.04.2004, Az.: 1 O 146/03

Anspruch auf Rückgewähr eines gezahlten Kaufpreises bei Einwand von Treu und Glauben; Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung für eine Insolvenzanfechtung; Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens bei Schaffung eines Vertrauenstatbestandes im Rechtsverkehr

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
02.04.2004
Aktenzeichen
1 O 146/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 38356
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2004:0402.1O146.03.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 21.10.2004 - AZ: 13 U 113/04

In dem Rechtsstreit
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 11.03.2004
durch
die ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger beansprucht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... die Rückgewähr eines im Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung an den Beklagten gezahlten Kaufpreises aufgrund erklärter Anfechtung der von ihm selbst bewilligten Auszahlung.

2

Am 25.10.2001 wurde beantragt, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der ... zu eröffnen. Der Kläger wurde daraufhin zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin hat mit Zustimmung des Klägers den Geschäftsbetrieb fortgeführt. Im Rahmen der Fortführung des Unternehmens bestellte die Schuldnerin mit Zustimmung des Klägers bei dem Beklagten, der einen Elektrohandel betreibt, weitere Waren. Mit Schreiben vom 05.11.2001 (Bl. 8 ff d.A.) teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er zur Lieferung weiterer Ware nur bereit sei, wenn die Rechnungen für bereits unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware in Höhe von insgesamt 12.891,78 DM (= 6.591,46 Euro) ausgeglichen würden. Die Schuldnerin war zur Fortführung des Geschäftsbetriebes auf die Belieferung durch den Beklagten nicht angewiesen. Mit Schreiben vom 14.11.2001 (Bl. 11 d.A.) hat der Kläger das Schreiben des Beklagten wie folgt beantwortet:

"Wir dürfen dieses (... Ihr Schreiben ...) insoweit kurz zusammenfassen: Ihnen ist die Insolvenzsituation der ... bekannt. Mit Zustimmung des Unterzeichners wird der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin fortgeführt. Die ... ist dabei für einige Objekte auf Ihre weitere ... Zulieferung angewiesen. Sie haben die Weiterbelieferung der Schuldnerin davon abhängig gemacht, dass ein Betrag von 12.891,78 DM aus bestehenden Altforderungen, die im eröffneten Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung zu qualifizieren wären, bezahlt wird. In Anbetracht der oben dargestellten Umstände stimmt der Unterzeichner der Auszahlung des Betrages von 12.891,78 DM an Sie zu."

3

Die Auszahlung des genannten Betrages erfolgte am 19.11.2001. Am 01.12.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der ... eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt; die Anmeldungsfrist für Insolvenzforderungen wurde auf den 17.01.2002 festgesetzt (Bl. 6 f d.A.). Der Beklagte hat die hier streitgegenständliche Kaufpreisforderung weder zur Insolvenztabelle angemeldet noch hat er sein Aussonderungsrecht aufgrund des mit der Schuldnerin vereinbarten Eigentumsvorbehalts geltend gemacht. Der Kläger hat mit Schreiben vom 23.04.2003 (Bl. 13 d.A.) und mit Schreiben vom 30.04.2003 (Bl. 16 d.A.) die Anfechtung der Zahlungszusage gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO erklärt und den Beklagten zur Rückzahlung des gezahlten Betrages in Höhe von 12.891,78 DM entsprechend 6.591,46 Euro bis zum 20.05.2003 aufgefordert.

4

Der Kläger ist der Auffassung, die Zahlungszusage sei anfechtbar, weil der Beklagte mit seinem Verlangen nach Ausgleich der Altforderung die Situation der Insolvenzschuldnerin dazu ausgenutzt habe, sich gegenüber den anderen Gläubigern einen Sondervorteil zu verschaffen.

5

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.591,46 Euro nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2003 zu bezahlen.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er ist der Auffassung, das Verhalten des Klägers verstoße gegen Treu und Glauben, weil dieser der Auszahlung des ausstehenden Kaufpreises an den Beklagten mit der Absicht zugestimmt habe, den ausgezahlten Betrag nach Insolvenzeröffnung zurückzufordern, was als arglistig zu erachten sei. Ferner habe der Kläger durch sein Schreiben vom 14.11.2001 das Vertrauen des Beklagten auf die Rechtsbeständigkeit der vorgenommenen Zahlung erweckt. Die Anfechtung der Zahlungszusage und Rückforderung des ausgezahlten Betrages stelle damit ein widersprüchliches Verhalten dar.

8

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus §§ 130 Abs. 1 Nr. 2, 143 Abs. 1 InsO i.V.m. § 812 BGB auf Rückgewähr des an den Beklagten gezahlten Kaufpreises in Höhe von 6.591,46 Euro nicht zu, weil der Forderung des Klägers der Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht.

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Dahin gestellt kann bleiben, ob die nach §§ 129, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zur Anfechtung erforderliche Gläubigerbenachteiligung infolge des nach §§ 946 ff BGB weggefallen Vorbehaltseigentums an den vom Beklagten gelieferten Gegenständen eingetreten ist, weil damit eine Aussonderung nach § 47 InsO ausgeschlossen wurde. Denn einem Anfechtungsrecht nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO steht § 242 BGB entgegen, da der Insolvenzverwalter durch sein Verhalten - der Zustimmung zur Auszahlung als vorläufiger Insolvenzverwalter - einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, durch den der Beklagte von der Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle bzw. von der Ausübung seines ggf. noch bestehenden Rechts nach § 47 InsO abgehalten wurde, zu dem er sich mit seiner im eröffneten Insolvenzverfahren erklärten Anfechtung in Widerspruch setzt.

11

Die Rechtsordnung lässt zwar grundsätzlich widersprüchliches Verhalten zu. Die Rechtsausübung einer Vertragspartei ist aber dann unzulässig, wenn durch das Verhalten des Berechtigten ein Vertrauenstatbestand entstanden ist und der andere Teil im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat. Der Kläger hat vorliegend mit seinem Schreiben vom 14.11.2001 den Anschein erweckt, die von ihm gebilligte Auszahlung solle rechtlich Bestand haben. Denn es fehlt jeder Hinweis darauf, dass im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der gezahlte Betrag zurückzugewähren sein könnte. Ein solcher Hinweis auf die Anfechtbarkeit seiner Zustimmung zur Auszahlung des geforderten Betrages war dem Kläger auch zuzumuten, weil die Schuldnerin nicht auf eine weitere Belieferung durch den Beklagten angewiesen war. Unstreitig hatte der Beklagte nämlich keinerlei Monopolstellung inne, so dass die Schuldnerin nach Insolvenzantragstellung benötigte Waren ohne weiteres von anderen Lieferanten hätte beschaffen können. Infolge dessen bestand eine Zwangslage der Schuldnerin nicht, die es hätte gerechtfertigt erscheinen lassen, von einem Hinweis auf die Anfechtbarkeit der Auszahlungsbewilligung abzusehen. Ferner gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten die Anfechtbarkeit der Zahlungsbewilligung bekannt war, noch kann davon ausgegangen werden, dass ihm "bewusst war, auf welch unsicherer rechtlicher Basis die Zahlung stand" (so das Landgericht Freiburg in ZIP 1983, Seite 1358). Denn aus Sicht des Beklagten, der ein Einzelunternehmen betreibt, musste das Schreiben vom 14.11.2001 so verstanden werden, dass es dem Kläger in Ansehung aller Umstände gerade darauf ankam, die weitere Belieferung der Schuldnerin durch den Beklagten zu erreichen, wofür dieser bereit war, auf die Forderung des Beklagten - die Altverbindlichkeiten auszugleichen - einzugehen. Anhaltspunkte für die Absicht des Klägers zu einem späteren Zeitpunkt den gezahlten Betrag zurückzufordern, ergaben sich aus dem Schreiben nicht. Der Beklagte musste auch nicht aufgrund außerhalb des Schreibens liegender Umstände mit einer Rückforderung rechnen, da er angesichts der Größe seines Unternehmens - anders als große Firmen oder Banken - über juristische Kenntnisse, insbesondere des Insolvenzrechts, nicht verfügt.

12

Aufgrund des vom Kläger geschaffenen Vertrauenstatbestandes hat der Beklagte Dispositionen in der Weise getroffen, dass er im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit der erhaltenen Leistung, seine Forderung weder innerhalb der Anmeldefrist (17.01.2002) angemeldet noch Sicherungsrechte an den gelieferten Gegenständen ausgeübt hat. Für den Fall, dass der Kläger den Beklagten rechtzeitig von der Anfechtbarkeit in Kenntnis gesetzt hätte, ist auch zu erwarten, dass der Beklagte dann seine Rechte wahrgenommen hätte.

13

Darüber hinaus verstößt das Verhalten des Klägers gegen § 242 BGB, weil er arglistig gehandelt hat. Er hat sich nämlich mit seinem Schreiben vom 14.11.2001 erkennbar die Grundlage für eine spätere Anfechtung geschaffen, ohne dies dem über Kenntnisse im Insolvenzrecht nicht verfügenden Beklagten zu offenbaren. Das vorgenannte Schreiben des Klägers fasst die maßgebenden Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zusammen, wobei es vorgibt, den Inhalt des Schreibens des Beklagten vom 05.11.2001 wiederzugeben. Das Schreiben des Beklagten vom 05.11.2001 entspricht der Zusammenfassung indessen nicht. Denn dort ist weder die "Insolvenzsituation" der ... erwähnt noch das "angewiesen sein" der Schuldnerin auf eine weitere pünktliche Zulieferung durch den Beklagten. Diese gezielt falsche Wiedergabe des Inhalts des Schreibens lässt allein den Schluss darauf zu, dass sich der Kläger damit eine Grundlage für eine spätere Anfechtung schaffen und den Beklagten von der Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle bzw. der Ausübung seines ggf. noch bestehenden Aussonderungsrechtes abhalten wollte. Hinzukommt, dass der Kläger auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet und die weitere vereinbarte Lieferung abgewickelt war, auf die Anfechtbarkeit seiner Zahlungszusage hingewiesen hat. Dies spricht ebenfalls dafür, dass der Kläger die Schädigung des Beklagten von Anfang an sehenden Auges in Kauf genommen hat. Ein solches Verhalten ist mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, die auch im Rahmen der Insolvenzverwaltung zu beachten sind, nicht zu vereinbaren.

14

Die prozessualen Nebenentscheidungen wurden gemäß §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO getroffen.