Landgericht Hannover
Urt. v. 16.01.2004, Az.: 16 O 12/02
Befreiung des Drittschuldners von der Verpflichtung gegenüber dem Pfändungsgläubiger mit Zahlung an den Schuldner; Vornahme der Leistungshandlung in Unkenntnis eines vorläufigen Zahlungsverbotes; Verpflichtung zur Verhinderung des Eintritts des Leistungserfolges durch aktives Tun
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 16.01.2004
- Aktenzeichen
- 16 O 12/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 36022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2004:0116.16O12.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 135 BGB
- § 136 BGB
- § 407 BGB
Fundstelle
- NVwZ-RR 2005, 764-765 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO
mit einer Erklärungsfrist bis zum 19.12.2003
durch
die Richterin am Landgericht... als Einzelrichterin
für Rechterkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.552,13 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.07.2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 31.12.2002 Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma ..., die die Klage ursprünglich erhoben hatte. Diese Firma hatte am 25.01.2001 gegen die Eheleute ... vordem Landgericht Verden ein Anerkenntnisurteil (Az: 4 O 542/00) erwirkt, in welchem diese als Gesamtschuldner verurteilt wurden, an die ... GmbH & Co. KG 50.000,00 DM nebst Zinsen zu zahlen und der Schuldner... darüber hinaus zur Zahlung weiterer 115.000,00 DM nebst Zinsen verurteilt wurde. Mehrere Vollstreckungsmaßnahmen gegen Herrn ... blieben ohne Erfolg. Allerdings erzielte er aus einem "Hausmeistervertrag" mit der Standortverwaltung Nienburg für die Betreuung der Liegenschaften der Bundeswehr regelmäßige Einnahmen. Am 07.05.2001 beantragte die Firma ... daher ein vorläufiges Zahlungsverbot, welches am 09.05.2001 beim Amtsgericht Nienburg einging. Die Zustellung erfolgt am 11.05.2001 durch den Gerichtsvollzieher... an den Regierungsoberinspektor... der Standortverwaltung Nienburg. Bereits am 08.05.2001 hatte die Standortverwaltung Nienburg die Bundeswehrkasse beauftragt, an den Schuldner... 59.754,77 DM auszuzahlen. Die Auszahlung durch die Bundeswehrkasse erfolgte dann am 15.05.2001. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde am 07.06.2001 der Standortverwaltung Nienburg und am 08.06.2001 dem Schuldner Herrn ... zugestellt.
Bei der Standortverwaltung Nienburg handelt es sich um eine untere Verwaltungsbehörde, welche der Wehrbereichsverwaltung Nord untersteht, die wiederum dem Bundesministerium für Verteidigung untersteht. Die Bundeswehrkasse hingegen ist direkt dem Bundesamt für Wehrverwaltung zugeordnet.
Der Kläger ist der Ansicht, die Standortverwaltung Nienburg sei verpflichtet gewesen, alles ihr Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um die Auszahlung der Bundeswehrkasse an den Schuldner... zu verhindern. Dies sei darin begründet, dass es sich bei der Beauftragung der Bundeswehrkasse durch die Standortverwaltung Nienburg um einen "betriebsinternen" Vorgang gehandelt habe. In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger, die Standortverwaltung Nienburg habe nicht alles Mögliche und Zumutbare getan, um die Auszahlung zu verhindern. Er ist daher der Ansicht, dass die Auszahlung als Verstoß gegen das Zahlungsverbot zu werten sei und somit die Zahlungsverpflichtung der Beklagten ihm gegenüber weiter bestehe. Bezüglich der Behauptung der Beklagten, der Regierungsoberinspektor... hätte den am 11.05.2001 ihm zugestellten Brief mit dem vorläufigen Zahlungsverbot erst am 14.05.2001 gelesen und hätte zu diesem Zeitpunkt die Auszahlung nicht mehr verhindern können, ist der Kläger der Ansicht, dass es sich hierbei um ein Organisationsverschulden der Beklagten handele, welches dem Kläger nicht anzulasten sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.552,13 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 09.06.1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 1242) seit dem 08.06.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass die Standortverwaltung Nienburg nicht verpflichtet gewesen sei, die Auszahlung durch aktives Tun zu verhindern. Insbesondere sei die durch die Standortverwaltung Nienburg veranlasste Auszahlung der Bundeswehrkasse nicht als eine Art betriebsinterner Vorgang zu werten, da es sich bei der Standortverwaltung Nienburg und dem Bundesamt für Wehrverwaltung, welchem die Bundeswehrkasse zugeordnet ist, um unterschiedliche Behörden handele. Zudem ist die Beklagte der Ansicht, die Standortverwaltung Nienburg hätte das ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, die Auszahlung zu verhindern. In diesem Zusammenhang behauptet sie, der Regierungsoberinspektor ... hätte zwar die Zustellungsurkunde am 11.05.2001 unterzeichnet, jedoch den Brief ungeöffnet in den Geschäftsgang gegeben. Daher habe er von dem Inhalt des zugestellten Briefes, d. h. von dem vorläufigen Zahlungsverbot, erst bei Wiedervorlage am 14.05.2001 Kenntnis erlangt. An diesem Tag habe der Regierungsoberinspektor ... jedoch nicht in Erfahrung bringen können, ob vor kurzem Auszahlungsanordnungen an Herrn ... erfolgt seien, da der Leiter des technischen Betriebsdienstes, der hierzu allein Angaben habe machen können, an diesem Tag nicht anwesend gewesen sei. Dass eine Auszahlungsanordnung erfolgt war, hätte erst am 15.05.2001 in Erfahrung gebracht werden können. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Auszahlung jedoch nicht mehr verhindert werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und zum ganz überwiegenden Teil begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 30.552,13 EUR gegen die Beklagte zu, da diese nicht mit befreiender Wirkung gegenüber dem Kläger an den Schuldner... geleistet hat. Die Zahlung der Beklagten an Herrn ... vom 15.05.2001 ist dem Kläger gegenüber gem. §§ 136, 135 BGB unwirksam.
Der Beklagten wurde am 07.06.2001 ein wirksamer Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. Im Wege der Vorpfändung wurde die gepfändete Geldforderung des Schuldners ... gemäß § 845 ZPO bereits am 11.05.2001, also weniger als einen Monat vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, wirksam arretiert. Die Beklagte konnte daher grundsätzlich ab dem 11.05.2001 nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Schuldner... leisten.
In entsprechender Anwendung des § 407 BGB wird der Drittschuldner zwar durch eine Zahlung an den Schuldner auch von seiner Verpflichtung gegenüber dem Pfändungsgläubiger frei, wenn er das Zahlungsverbot bei Vornahme seiner Leistungshandlung nicht kennt. Sofern der Drittschuldner vor Zustellung des Zahlungsverbotes die zur Erfüllung notwendige Leistungshandlung bereits vorgenommen hat, wird er grundsätzlich auch nicht für verpflichtet gehalten, den Eintritt des Leistungserfolges durch aktives Tun zu verhindern (BGHZ 105, 358, 369, 361) [BGH 27.10.1988 - IX ZR 27/88]. Dies kann aber nach Auffassung des Gerichts nur dann gelten, wenn die zur Erfüllung notwendige Leistungshandlung den Einflussbereich des Drittschuldners verlassen hat und es ihm nach Zustellung des Zahlungsverbots trotz Aufwendung möglicher und zumutbarer Handlungen nicht mehr möglich war, die Auszahlung zu verhindern. Anders als bei Kreditinstituten, die in keinerlei organisatorischer Verbindung mit dem Drittschuldner stehen und denen lediglich ein Überweisungsformular des Drittschuldners übermittelt wird, liegen diese Voraussetzungen bei der Beklagten nicht vor. Denn die Bundeswehrkasse ist nicht mit einem selbstständigen Kreditinstitut vergleichbar. Zwar ist sie einer anderen Behörde zugeordnet als die Standortverwaltung Nord. Die tätig werdende juristische Person ist aber die Beklagte, unabhängig von der Frage, ob sie sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf Grund ihrer inneren Organisationsstruktur unterschiedlicher Behörden bedient. Die Anweisung der Standortverwaltung Nord an die Bundeswehrkasse als Zahlungsstelle und die Auszahlung durch die Zahlungsstelle selbst sind damit als Teilstücke einer einheitlichen Leistungshandlung der Beklagten anzusehen. Dies führt dazu, die bloße Anweisung durch die Standortverwaltung Nord an die Bundeswehrkasse nicht als Leistungshandlung der Beklagten anzusehen, die ihren Einflussbereich bereits verlassen hatte und damit nicht mehr rückholbar war.
Die Beklagte war daher verpflichtet, alles ihr Mögliche und Zumutbare zur Abwendung von Nachteilen für den Kläger zu unternehmen. Dies hat sie jedoch nicht getan. Denn selbst wenn sie - wie sie selbst behauptet - das Zahlungsverbot erst im Wege des normalen Postlaufs am 14.05.2001 durch den Regierungsoberinspektor... inhaltlich zur Kenntnis genommen hat, so hätte sie die Auszahlung an den Schuldner... noch verhindern können. Denn auch ohne am 14.05.2001 in Erfahrung bringen zu können, ob tatsächlich eine Zahlungsanweisung an die Bundeswehrkasse betreffend den Schuldner... ergangen war, hätte sie durch einen Anruf bei der Bundeswehrkasse oder ein entsprechendes Telefax allein unter Nennung des Namens des Zwangsvollstreckungsschuldners vorsorglich alle Auszahlungen an diesen untersagen können. Dies wäre rechtzeitig gewesen, um die Auszahlung am 15.05.2001 zu verhindern.
Die von der Beklagten an den Schuldner... geleistete Zahlung hatte nach alledem gegenüber dem Kläger keine Wirkung, so dass dieser nochmalige Zahlung an sich verlangen kann.
Zinsen stehen der Klägerin nicht bereits seit dem 08.06.2001, sondern gemäß § 286 BGB erst seit dem 11.07.2001 zu, da die Beklagte erst durch das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.06.2001 mit Fristsetzung zum 10.07.2001 in Verzug geraten ist.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 709 ZPO.