Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.09.2010, Az.: 11 ME 32/10

Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB bei Auffinden eines größeren Geldbetrages bei einem Rentner mit geringer Rente und gleichzeitigem Hinweis auf eine Straftat

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.09.2010
Aktenzeichen
11 ME 32/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25764
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0920.11ME32.10.0A

Amtlicher Leitsatz

Zur Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2009 angeordnete Sicherstellung eines Bargeldbetrages in Höhe von 80.500,-- Euro.

2

Am 24. April 2009 meldete sich eine unbekannte weibliche Person telefonisch bei der Polizeiinspektion E. und gab an, sie habe zufällig mitgehört, dass ein Herr B., wohnhaft in der F.-straße in E., eine ältere Person um 40.000,-- bis 50.000,-- Euro gebracht habe; das Geld solle sich bei dem B. zuhause befinden, jedoch nur noch bis zum 30. April 2009.

3

Die Polizei ermittelte, dass es sich bei der genannten Person wahrscheinlich um D. B. (geb. am ...1962) handele. Am 30. April 2009 beobachteten zwei Polizeibeamte, wie D. B. in Begleitung seiner Ehefrau A. B. gegen 10.25 Uhr das Haus F.-straße 33 verließ und mit einem PKW davonfuhr. Sie verfolgten das Fahrzeug bis zur Straße G., wo sie es ohne Insassen geparkt vorfanden. Gegen 11.45 Uhr kamen D. B. und seine Ehefrau zurück und setzten sich wieder in den PKW. Sie hatten D. C. - den Großvater von A. B. - von dessen Wohnung abgeholt und fuhren mit ihm weiter. Die Polizeibeamten stoppten das Fahrzeug in der Zufahrt zur Notaufnahme des H. Krankenhauses E.. Bei der anschließenden Durchsuchung fanden die Beamten im PKW hinten rechts unter einer Fußmatte eine silberne Schminktasche, in der sich - eingewickelt in eine Mullbinde - 161 Geldscheine im Wert von je 500,-- Euro (= 80.500,-- Euro) befanden. Einem Vermerk der Polizeiinspektion E. vom 30. April 2009 zufolge gab A. B. an, dass das Geld ihrem Großvater D. C. gehöre, der es über Jahre angespart habe. Er habe es aus Angst vor einem Diebstahl angesichts seines bevorstehenden Krankenhausaufenthalts mitgenommen. Die Schminktasche samt Inhalt wurde beschlagnahmt. Das Amtsgericht E. bestätigte die Beschlagnahme mit Beschluss vom 6. Mai 2009. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Landgerichts E. vom 22. Mai 2009 verworfen.

4

Mit Verfügung vom 30. September 2009 stellte die Staatsanwaltschaft E. das gegen D. B. als Beschuldigten geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Zugleich hob sie die Beschlagnahme des Schminketuis und des Bargeldes auf und ordnete die Herausgabe an die Antragsgegnerin an.

5

Die Antragsgegnerin hatte zuvor mit einem an D. C. gerichteten Bescheid vom 25. August 2009 den Bargeldbetrag von 80.500,-- Euro unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 26 Nr. 2 Nds. SOG sichergestellt. Dagegen hat er Klage erhoben (10 A 3950/09), über die noch nicht entschieden ist. Seinen gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Januar 2010 abgelehnt.

6

Herr C. hat am 26. Januar 2010 Beschwerde eingelegt. Er verstarb am 4. April 2010 im Alter von 83 Jahren. Ausweislich des vom Amtsgericht E. ausgestellten Erbscheins vom 16. August 2010 ist er von seiner Enkelin A. B. allein beerbt worden. Diese setzt das vorliegende Verfahren fort.

7

Die Beschwerde ist nicht begründet.

8

Allerdings vermag der Senat dem Verwaltungsgericht nicht darin zu folgen, dass die Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben werde, weil ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit bestehe, dass jedenfalls D. C. nicht der Eigentümer oder rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt des von der Antragsgegnerin sichergestellten Bargeldbetrages von 80.500,-- Euro (gewesen) sei. Vielmehr sind aufgrund der derzeitigen Erkenntnislage des Senats die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens als offen anzusehen. Dies ergibt sich vor allem aus den im Laufe des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Unterlagen. Es ist deshalb eine vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen, die nach Auffassung des Senats zu Lasten der Antragstellerin ausfällt. Zu diesem Ergebnis ist auch das Verwaltungsgericht in seinen hilfsweise angestellten Erwägungen gelangt.

9

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die grundsätzlich für D. C. als Besitzer des Bargeldbetrages streitende Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB mit hoher Wahrscheinlichkeit durch zahlreiche Beweisanzeichen widerlegt sei. Dies hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

10

Nach den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Herrn C. sei nicht davon auszugehen, dass er in der Lage gewesen sei, eine Summe von 80.500,-- Euro anzusparen. Zwar habe er spätestens seit 1953 eine Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz von zunächst 100,-- DM und gegenwärtig von 455,-- Euro monatlich sowie seit 1985 eine Erwerbsunfähigkeitsrente von ursprünglich 338,40 DM und derzeit von 414,59 Euro monatlich bezogen, doch könne nicht nachvollzogen werden, dass diese Beträge ausgereicht hätten, um Ersparnisse in der genannten Höhe zu bilden, zumal er seine Behauptung, daneben Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielt zu haben, nicht belegt habe. Auch sei der Anlass für Zahlungen von 7.500,-- DM im Jahr 2001 und von 3.834,69 Euro im Jahr 2005 nicht dargelegt worden. Ebenso wenig sei die angebliche Unterstützung durch Familienangehörige näher substantiiert worden, was geboten gewesen wäre, weil die in das Verfahren eingeführten Angehörigen - I. und J. C., A. und D. B. - jedenfalls gegenwärtig Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII erhielten. Hinzu komme, dass er in den Jahren, während derer er seine Ersparnisse angesammelt haben wolle, nicht nur sich, sondern auch seine Angehörigen - jedenfalls seine Kinder I. und J. C. - habe unterhalten müssen. Träfe sein Vortrag zu, müsste er nach Einführung des Euro einen großen DM-Betrag umgetauscht haben. Auch hierzu fehle es an näheren Angaben, wie er auch die Modalitäten des angeblichen Umwechselns kleinerer Banknoten in 500,-- Euro-Scheine nicht detailliert dargelegt habe.

11

Darüber hinaus gehe die Antragsgegnerin zu Recht davon aus, dass auch die Auffindsituation der 80.500,-- Euro gegen die Richtigkeit der Angaben von Herrn C. spreche. So sei es nicht nachzuvollziehen, warum der angeblich stets in der Wohnung verwahrte Geldbetrag nicht dort belassen worden sei, als der Antragsteller sich am 30. April 2009 ins Krankenhaus begeben habe. Denn das Geld hätte dort in der Obhut seiner mit ihm zusammenlebenden Kinder I. oder J. C. verbleiben können. Dass diese beiden Personen ebenfalls ins Krankenhaus gefahren seien, sei nicht glaubhaft gemacht und auch nicht wahrscheinlich. Denn nach dem vorgelegten Bericht des H. Krankenhauses vom 27. April 2009 sei für den 30. April 2009 lediglich ein Termin zur Besprechung der noch ausstehenden Befunde und des weiteren Vorgehens anberaumt gewesen. Dass er an diesem Tag erneut stationär aufgenommen werden würde, sei nicht zu erwarten gewesen, da er dort bereits vom 17. bis 27. April 2009 stationär behandelt worden sei. Er habe auch nichts dazu vorgetragen, wo und wie er zuvor bei einem Verlassen der Wohnung - beispielsweise während seines Krankenhausaufenthalts im April 2009 - das Geld verwahrt gehabt habe. Dass er selbst geschwiegen und keinerlei Reaktion gezeigt habe, als seine "Ersparnisse" am 30. April 2009 beschlagnahmt worden seien, lasse darauf schließen, dass er selbst zu diesem Zeitpunkt von der Existenz des Geldes in dem PKW gar nichts gewusst habe.

12

Gebe es sonach zahlreiche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Herr C. nicht rechtmäßiger Eigentümer des sichergestellten Geldes gewesen sei, deuteten andererseits mehrere Indizien auf einen unredlichen Erwerb durch den Ehemann seiner Enkelin hin. Obgleich bisher der anonyme Hinweis auf eine Straftat des D. B. nicht habe verifiziert werden können, das Ermittlungsverfahren vielmehr gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, bleibe ein Resttatverdacht bestehen. Dies gelte umso mehr, als die Auskunft des Bundeszentralregisters vom 11. Mai 2009 insgesamt 14 Eintragungen zu ihm enthalte. Dabei beträfen zahlreiche Verurteilungen Eigentums- und Vermögensdelikte. Da die letzte Eintragung eine Verurteilung durch das Amtsgericht K. vom 23. August 2005 wegen Diebstahls betreffe, sei die Vermutung nicht ganz fernliegend, Herr D. B. könne auch in der Folgezeit erneut straffällig geworden sein und deshalb das in dem PKW am 30. April 2009 sichergestellte Geld aus einer strafbaren Handlung stammen. Dies gelte umso mehr, als die anonyme Anruferin angegeben hatte, das von ihm unredlich erworbene Geld befinde sich in dessen Wohnung, aber nur noch bis zum 30. April 2009.

13

Die gegen diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts vorgebrachten Argumente der Antragstellerin, die teilweise durch eidesstattliche Versicherungen und andere Beweismittel untermauert worden sind, können nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Jedenfalls kann derzeit nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB durch entgegenstehende Indizien und Erfahrungssätze widerlegt ist (vgl. dazuBVerwG, Urt. v. 24.4.2002 - 8 C 9/01 -, NJW 2003, 689; BGH, Urt. v. 4.2.2002 -II ZR 37/00 -, NJW 2002, 2101; OVG NRW, Beschl. v. 11.8.2010 - 5 A 298/09 -, [...]; Rohde/Schäfer, in: Nds.VBl. 2010, 41, 45).

14

Was die Lebens- und Einkommensverhältnisse des verstorbenen D. C. angeht, kann aufgrund des neuen Erkenntnismaterials nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass er doch in der Lage war, im Laufe der Jahre einen Geldbetrag von 80.500,-- Euro anzusparen. Die Antragstellerin hat durch Vorlage der Bescheinigung der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 23. Februar 2010 einschließlich Anlagen nachgewiesen, dass ihr Großvater bis Februar 2010 als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung Entschädigungsleistungen von insgesamt 167.959,39 Euro erhalten hat. Von dieser Summe sind aber die Zahlungen für den Zeitraum von Mai 2009 bis Februar 2010 in Höhe von 4.550,-- Euro abzuziehen. Aus der genannten Bescheinigung geht ferner hervor, dass L. C. - die Großmutter der Antragstellerin - für Schäden in der Ausbildung eine Kapitalentschädigung von 10.000,-- DM erhalten hat. Darüber hinaus hat die Antragstellerin nunmehr auch die Herkunft der Zahlungen von 7.500,-- DM im Jahr 2001 und von 3.834,69 Euro im Jahr 2005 belegt. Diese Beträge wurden durch die International Organisation for Migration in Genf an ihren Großvater überwiesen. Zu der Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren, dass ihre Großeltern auch Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielt hätten, hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass ihr Großvater mit Antiquitäten und Textilien gehandelt habe. Ebenso habe ihre Großmutter bis zu ihrem Tod im Jahr 1985 mit Textilien gehandelt. Daraus hätten sie erhebliches zusätzliches Einkommen zur Verfügung gehabt. Sie hat dazu eine eidesstattliche Versicherung von M. C. - Sohn des D. C. - vom 11. März 2010 vorgelegt, der ihre Angaben bestätigt. Ferner hätten weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass ihre Großeltern auch Kindergeld für ihre fünf Kinder erhalten hätten. Sie selbst habe bis zum Jahr 2003 bei ihrem Großvater gelebt. Dieser habe für sie Pflegegeld in Höhe von durchschnittlich 200,-- DM monatlich erhalten. Ebenso wenig spreche gegen die Ansparung, dass er in den Jahren, während derer er seine Ersparnisse angesammelt haben wolle, auch Angehörige habe unterhalten müssen. Abgesehen davon, dass seine Ehefrau bereits im Jahre 1985 verstorben sei, hätten lediglich seine Kinder J. und I. C. mit ihrem Vater im fraglichen Zeitraum zusammengelebt. Diese hätten aber eigene Beträge zum Lebensunterhalt erhalten. Sein Sohn M. C. bestätigt in der bereits erwähnten eidesstattlichen Versicherung vom 11. März 2010, dass er selbst seit 1992 nicht mehr bei seinem Vater wohne, während seine anderen beiden Geschwister schon vorher ausgezogen seien. Er wisse, dass sein Vater, der sehr knauserig sei, seit Jahren Geld angespart habe. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang ein Schreiben des Vorsitzenden des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti e.V. vom 4. Februar 2010 vorgelegt, wonach D. C. als "knochenharter Sparfuchs bekannt" sei. Dort heißt es weiter, dass D. C., der in verschiedenen Konzentrationslagern gewesen sei (vgl. dazu auch die Bescheinigung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora v. 28.1.2010 und die Häftlingsliste Auschwitz v. 3.3.1944), besonders skeptisch gegenüber Behörden, Banken und vergleichbaren Einrichtungen gewesen sei. Der Sohn J. C. hat darüber hinaus am 16. Februar 2010 eidesstattlich versichert, er habe gewusst, dass sein Vater das gesparte Geld unter seinem Bett in einem Bettkasten aufbewahrt habe. Dies hat der Sohn M. in der eidesstattlichen Versicherung vom 11. März 2010 bestätigt. Auch D. B. hat am 12. März 2010 eidesstattlich versichert, dass der Geldbetrag von D. C. über lange Jahre angespart worden sei. Die Antragstellerin trägt weiter vor, dass ihr Großvater von der Umwechselungsmöglichkeit von DM in Euro Gebrauch gemacht habe. Er habe sich auch später 500,-- Euro-Scheine auszahlen lassen, weil diese beim Aufbewahren nicht so viel Platz einnähmen.

15

Dass ihr Großvater das gesamte angesparte Geld von 80.500,-- Euro am 30. April 2009 mitgenommen habe, sei darauf zurückzuführen, dass an diesem Tag seine weitere medizinische Behandlung im Krankenhaus besprochen werden sollte. Ihr Großvater sei an einem Bronchialkarzinom schwer erkrankt gewesen. Unter den Sinti sei es üblich, dass in einem solchen Fall die gesamte Familiensippe mit ins Krankenhaus komme. Das Geld hätte entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht in der Wohnung ihres Großvaters in der Obhut von I. oder J. C. verbleiben können, weil diese ebenfalls am 30. April 2009 zum Krankenhaus gefahren seien. Sie hat dazu eine eidesstattliche Versicherung von M. C. vom 10. Februar 2010 vorgelegt, wonach er an diesem Tag mit seinem Bruder J. und seiner Schwester I. dorthin gefahren sei. Es sei durchaus möglich gewesen, dass ihr Großvater im Krankenhaus zur weiteren Behandlung hätte bleiben müssen. D. B. als Fahrer sollte im PKW bleiben und sicherheitshalber auf das Geld aufpassen, dass in Abstimmung mit ihrem Großvater unter der Fußmatte hinten deponiert gewesen sei. Dass ihr Großvater gegen die Sicherstellung des Geldes durch die Polizei keine Einwände erhoben habe, sei damit zu erklären, dass sie selbst die Polizeibeamten auf das Eigentum ihres schwerkranken Großvaters hingewiesen und dieser Angst vor dem Ergebnis der ärztlichen Überprüfung gehabt habe. Sie selbst hätte das Geld für den Fall, dass ihr Großvater im Krankenhaus bleiben müsste, an sich nehmen sollen. Wäre er aufgrund seiner Krebserkrankung im Krankenhaus gestorben, hätte das Geld für die Beerdigungskosten und für die Aufteilung unter seinen Kindern verwendet werden sollen. Das ergebe sich auch aus der schriftlichen Einlassung ihres Großvaters vom 4. Mai 2009 gegenüber der Staatsanwaltschaft. Hätte er nicht im Krankenhaus bleiben müssen, hätte er den Geldbetrag wieder mit nach Hause genommen.

16

Diese Ausführungen der Antragstellerin sind geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts, D. C. sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtmäßiger Eigentümer des sichergestellten Geldes, zumindest zu erschüttern. Allerdings kann andererseits derzeit auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Eigentum von D. C. an dem Geld wahrscheinlicher ist als das Eigentum eines noch unbekannten Dritten. Wegen der Unzuverlässigkeit des Schlusses vom Besitz auf das Eigentum dürfen an die Widerlegung der Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB auch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.4.2002, a.a.O.). Trotz der entgegenstehenden eidesstattlichen Versicherungen von Familienmitgliedern gibt es weiterhin Beweisanzeichen, die auf einen unrechtmäßigen Erwerb des Geldes hindeuten. So haben die Antragstellerin und die von ihr benannten Zeugen bisher keine plausible Erklärung dafür geben können, weshalb das Geld an einem so ungewöhnlichen Ort wie unter der Fußmatte eines PKW in einer Schminktasche versteckt bzw. aufbewahrt worden war. Dies gilt umso mehr, als vorgetragen worden ist, dass D. B. während der Besprechung im Krankenhaus im PKW bleiben und sicherheitshalber auf das Geld aufpassen sollte. Auffällig ist ferner die Stückelung des sichergestellten Geldbetrages in Form von 161 Geldscheinen im Wert von je 500,-- Euro. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass das Geld aus einer Straftat stammt. Dafür könnte auch der telefonische Hinweis einer weiblichen Person vom 24. April 2009 sprechen. Zwar konnte diese nicht identifiziert werden, doch hält die Polizei ihre Angaben für glaubhaft, zumal sie sich zumindest teilweise mit der Realität decken. Hinzu kommt als weiteres Indiz, dass D. B. einschlägig vorbestraft ist. Dass die tatsächliche Herkunft des Geldes bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, schließt einen deliktischen Erwerb nicht von vornherein aus. So hat das Amtsgericht E. im Beschluss vom 14. Mai 2009 als mögliche Ursachen angeführt, dass der Geschädigte den Vermögensverlust bislang noch gar nicht bemerkt oder aber ihn zwar festgestellt habe, jedoch - wie aus nicht wenigen gleichgelagerten Fällen bekannt sei - aus subjektiv empfundener Scham von der Erstattung einer Strafanzeige Abstand genommen habe.

17

Nach alledem bestehen zwar gewisse Zweifel am Eigentum bzw. rechtmäßigen Fremdbesitz des D. C., doch ist der Antragsgegnerin bisher der Nachweis der deliktischen Herkunft des Geldes nicht gelungen. Der Senat hält deshalb eine weitere Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren für geboten. Dabei kommt insbesondere die Vernehmung von I., J. und M. C. sowie von D. B. als Zeugen in Betracht. Ist somit der angefochtene Sicherstellungsbescheid weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig anzusehen, sind die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Diese Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse der Antragstellerin an der Suspensivwirkung überwiegt.

18

Die Sicherstellung nach § 26 Nr. 2 Nds. SOG (i.V.m. § 1 Abs. 3 Nds. SOG) dient dazu, die Eigentümerin/den Eigentümer oder die Person, die rechtmäßig die tatsächliche Gewalt innehat, vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen. Es handelt sich um einen Fall der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Abschnitt F Rn. 756; Söllner, in: DVBl. 2009, 1320 f.). Selbst wenn die wahren Eigentümer von sichergestellten Gegen-ständen bisher nicht bekannt sind, ist nicht auszuschließen, dass diese später doch noch ermittelt werden und dann ihre Rückgabeansprüche geltend machen (vgl. Senatsbeschl. v. 14.1.2008 - 11 PA 391/07 -; OVG NRW, Beschl. v. 15.8.2010, a.a.O.; OVG Berlin, Beschl. v. 16.9.2002 - 1 N 13.00 -, [...]). Würde dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben und als Folge davon der Geldbetrag von 80.500,-- Euro an sie gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG ausgezahlt werden, würde der Rückzahlungsanspruch des wahren Berechtigten vereitelt oder erschwert. Demgegenüber ist ein vorrangiges privates Interesse der Antragstellerin auf Herausgabe des sichergestellten Bargeldes vor einer Entscheidung in der Hauptsache nicht erkennbar. Sie hat nicht geltend gemacht, dass sie aus dringenden persönlichen Gründen - etwa zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts - auf das Geld zwingend angewiesen ist. Sollte sie im Klageverfahren obsiegen, wäre ihr der Geldbetrag zwar vorübergehend rechtswidrig vorenthalten worden, doch könnte sie ggf. eine Verzinsung als Schadenersatz verlangen (vgl. Söllner, in NJW 2009, 3339, 3343). Ein nicht mehr wieder gutzumachender Nachteil ist deshalb mit der Aufrechterhaltung des Sofortvollzuges nicht verbunden.