Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.09.2010, Az.: 8 LA 226/10

Zulässigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach rechtskräftiger Verwerfung des zugrundeliegenden Rechtsbehelfs; Unvermeidbarkeit eines Rechtsirrtums als Voraussetzung für unverschuldetes Versäumen einer gesetzlichen Frist i.S.d. § 60 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); Vermeidbarkeit eines Rechtsirrtums für einen rechtsunkundigen Empfänger über den Zeitpunkt einer durch das Einlegen eines Schriftstücks in einen Briefkasten bewirkten Zustellung; Verpflichtung des Gerichts aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht zur Bewahrung einer Partei vor der Begehung eines fristschädlichen Fehlers bzw. vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.09.2010
Aktenzeichen
8 LA 226/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25767
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0929.8LA226.10.0A

Fundstellen

  • DVBl 2010, 1519-1520
  • DÖV 2011, 44
  • NordÖR 2011, 199-201

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Antrag auf Wiedereinsetzung kann auch dann noch in zulässiger Weise gestellt werden, wenn der zugrunde liegende Rechtsbehelf bereits durch rechtskräftige Entscheidung verworfen worden ist.

  2. 2.

    Ein Rechtsirrtum ist nur dann unverschuldet, wenn er unvermeidbar war.

  3. 3.

    Ein Rechtsirrtum über den Zeitpunkt der durch Einlegen eines Schriftstücks in den Briefkasten nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 180 ZPO bewirkten Zustellung ist auch für den rechtsunkundigen Empfänger aufgrund der klaren Hinweise zum Zustellungszeitpunkt auf dem nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 176 Abs. 1 ZPO vorgesehenen und den Anforderungen des § 1 Nr. 2 und der Anlage 2 der Zustellungsvordruckverordnung entsprechenden Briefumschlag regelmäßig vermeidbar.

  4. 4.

    Die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens abgeleitete prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts fordert nicht, dass ein Gericht Vorkehrungen zu treffen hat, damit eine Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter davor bewahrt wird, einen fristschädlichen Fehler überhaupt erst zu begehen. Sie ist vielmehr nur darauf gerichtet, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Das Oberverwaltungsgericht ist daher nicht verpflichtet, ein im Antrag auf Zulassung der Berufung genanntes Datum der Zustellung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen und den Zulassungsantragsteller auf den Fehler hinzuweisen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt die Fortsetzung des Berufungszulassungsverfahrens 8 LA 184/10 und beantragt zu diesem Zweck die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung.

2

Mit Urteil vom 11. Juni 2010 hat das Verwaltungsgericht Hannover - Einzelrichter der 12. Kammer - die Klage des Klägers gegen den Abschiebungskosten festsetzenden Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2004 und des Schriftsatzes vom 21. August 2008 abgewiesen. Ausweislich der sich in den Gerichtsakten befindenden Postzustellungsurkunde ist dieses Urteil am 22. Juni 2010 in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt worden.

3

Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2010 hat der Kläger beantragt, "die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 11.06.2010, zugestellt am 26.06.2010, zuzulassen", ihm Einsicht in die Gerichtsakte zu gewähren, und angekündigt, sodann den Berufungszulassungsantrag zu begründen. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 16. Juli 2010 ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers die begehrte Akteneinsicht gewährt worden. Die Gerichtsakte ist ausweislich des von diesen erteilten Empfangsbekenntnisses am 20. Juli 2010 im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen.

4

Mit Beschluss vom 24. August 2010 hat der Senat den Antrag auf Zulassung der Berufung mangels fristgerechter Begründung als unzulässig verworfen. Ausgehend von einer wirksamen Zustellung des Urteils an den Kläger am 22. Juni 2010 sei die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO am 23. August 2010, einem Montag, abgelaufen. Innerhalb dieser Frist sei der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht begründet worden.

5

Mit Schriftsatz vom 25. August 2010, eingegangen beim Oberverwaltungsgericht am 26. August 2010, hat der Kläger seinen Antrag auf Zulassung der Berufung begründet. Nachdem der Kläger durch richterliche Verfügung vom 27. August 2010 auf die Fristversäumnis hingewiesen worden war, beantragte er mit Schriftsatz vom 31. August 2010, eingegangen beim Oberverwaltungsgericht am selben Tage, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Fortsetzung des Berufungszulassungsverfahrens.

6

Es könne zwar sein, dass das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil am 22. Juni 2010, einem Dienstag, in den zur seiner Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt und damit zugestellt wurde. Er selbst sei zu jenem Zeitpunkt aber ortsabwesend gewesen und erst am 26. Juni 2010 zurückgekehrt. Er sei daher davon ausgegangen, dass ihm das Urteil erst am 26. Juni 2010 zugestellt worden sei. Dieses Zustelldatum habe er seinem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, der auf die Richtigkeit vertraut habe. Im Übrigen sei ein rechtlicher Hinweis durch das Gericht auf die drohende Fristversäumnis dringend geboten gewesen. Das Gericht habe aufgrund der Angabe des Zustelldatums bereits im Schriftsatz vom 7. Juli 2010 erkennen können, dass der Kläger von einem falschen Zustellungsdatum ausgehe. Hierauf hätte das Gericht den Kläger hinweisen müssen. Stattdessen habe das Gericht den Kläger sehenden Auges in die Fristversäumnis laufen lassen.

7

II.

Die Fortsetzung des Berufungszulassungsverfahrens kommt hier nicht in Betracht. Denn der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung des Berufungszulassungsantrages ist zwar zulässig, aber unbegründet.

8

Der vorausgegangene Beschluss des Senats 24. August 2010, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen nicht fristgerechter Begründung als unzulässig verworfen worden ist, steht der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags nicht entgegen. Zwar ist dieser Beschluss nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung kann aber auch dann noch in zulässiger Weise gestellt werden, wenn der zugrunde liegende Rechtsbehelf bereits durch rechtskräftige Entscheidung verworfen worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.1.1961 - III ER 414.60 -, BVerwGE 11, 322, 323; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 22.7.2008 - 11 ME 132/08 -, [...] Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.3.2006 - 13 E 240/06 -, NVwZ-RR 2006, 852; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 60 Rn. 24). Die Vorschrift des § 60 VwGO stellt insoweit eine Beschränkung der Rechtskraftwirkung von Entscheidungen dar (vgl. Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 60 Rn. 36), mit der Folge, dass bei gewährter Wiedereinsetzung die gerichtliche Entscheidung ohne Weiteres ihre Wirksamkeit verliert und das gerichtliche Verfahren fortgesetzt wird (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 24 und 34).

9

Der Wiedereinsetzungsantrag hat in der Sache aber keinen Erfolg. Denn der Kläger hat die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung schuldhaft versäumt.

10

Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.6.1995 - 1 C 38.93 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 200). Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigen gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 - 9 VR 2/08 -, DÖV 2008, 517, 518 ; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 22.7.2008 - 11 ME 132/08 -, [...] Rn. 6; Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.).

11

Nach dem Vorbringen des Klägers in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 31. August 2010 trifft ihn ein ursächliches Verschulden für die Fristversäumnis.

12

Der Kläger hat eingeräumt, dass das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil am 22. Juni 2010, einem Dienstag, in den zur seiner Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt und damit zugestellt worden sein mag. Er selbst sei zu jenem Zeitpunkt aber ortsabwesend gewesen und erst am 26. Juni 2010 zurückgekehrt. Er sei daher davon ausgegangen, dass ihm das Urteil erst am 26. Juni 2010 zugestellt worden sei.

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Der Kläger selbst macht damit einen Rechtsirrtum betreffend den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend. Ein solcher Rechtsirrtum ist nur dann unverschuldet, wenn er unvermeidbar war (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.1993 - VII ZR 8/93 -, [...] Rn. 10; Kummer, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Rn. 581 jeweils m.w.N.). Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Anforderungen an das Vorbringen zum Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nicht überspannt werden dürfen (vgl.BVerfG, Beschl. v. 15.10.2009 - 1 BvR 2333/09 -, NJW-RR 2010, 421, 422; Beschl. v. 2.7.1974 - 2 BvR 32/74 -, BVerfGE 38, 35, 38), war der Rechtsirrtum des Klägers hier ohne Weiteres vermeidbar.

14

Dem Kläger ist die angefochtene verwaltungsgerichtliche Entscheidung, wie von § 116 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgeschrieben, zugestellt worden, und zwar hier im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 166 Abs. 2, 168 Abs. 1 Satz 2 und 3, 176, 180 ZPO am 22. Juni 2010. Zum Nachweis dieser Zustellung ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO von der mit der Zustellung beauftragten Deutschen Post AG eine Zustellungsurkunde erstellt worden (Bl. 78 GA), deren inhaltliche Richtigkeit vom Kläger nicht bestritten wird. Da diese Zustellungsurkunde an das Gericht zurückgesandt worden ist, konnte der Kläger hieraus bei Auffinden des zugestellten Urteils das Zustellungsdatum zwar nicht entnehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich das zugestellte Urteil in dem nach§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 176 Abs. 1 ZPO vorgesehenen und den Anforderungen des § 1 Nr. 2 und der Anlage 2 der Verordnung zur Einführung von Vordrucken für die Zustellung im gerichtlichen Verfahren - Zustellungsvordruckverordnung - vom 12. Februar 2002 (BGBl. I S. 671), geändert durch Verordnung vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 619), entsprechenden Briefumschlag (sog. "innerer Umschlag") befunden hat. Auf diesem wird in einem hervorgehobenen und für den Empfänger deutlich erkennbaren Feld ("Zugestellt am ...") gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 180 Satz 3 ZPO vom Zusteller das Datum der Zustellung vermerkt. Dass dies hier nicht geschehen wäre, hat der Kläger nicht vorgetragen. Zudem enthält der Briefumschlag auf der Vorderseite einen deutlichen "Hinweis: Umschlag bitte aufbewahren, siehe Rückseite !", der auf der Rückseite des Umschlags wie folgt lautet (vgl. Anlage 2 der Zustellungsvordruckverordnung):

" Wichtiger Hinweis:

Mit dieser Sendung werden Ihnen in gesetzlich vorgeschriebener Form die im Umschlag enthaltenen Schriftstücke förmlich zugestellt. Die förmliche Zustellung eines Schriftstücks dient dem Nachweis, dass dem Adressaten in gesetzlich vorgeschriebener Form Gelegenheit gegeben worden ist, von dem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und wann das geschehen ist.

Den Tag der Zustellung vermerkt der Zusteller auf dem Umschlag (siehe Vorderseite). Bitte bewahren Sie den Umschlag zusammen mit den darin enthaltenen Schriftstücken auf. Er dient als Beleg, wenn Sie angeben müssen, welche Schriftstücke Ihnen wann zugestellt worden sind.

Wird der Zustellungsadressat oder eine zum Empfang des Schriftstücks berechtigte Person in der angegebenen Wohnung oder in den angegebenen Geschäftsräumen nicht angetroffen, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt."

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Auch für einen Empfänger ohne juristische Kenntnisse, wie hier den Kläger, war es daher allein anhand des Briefumschlags ohne Weiteres erkennbar, dass die Zustellung nicht erst mit der Entnahme des Schriftstücks aus dem Briefkasten erfolgt war, sondern bereits mit dessen Einlegen in den Briefkasten zu dem auf dem Briefumschlag ausdrücklich vermerkten Zustelldatum. Gründe, warum diese eindeutigen Angaben vom Kläger nicht für verbindlich erachtet worden sind, hat der Kläger nicht dargetan. Sie sind für den Senat auch nicht ersichtlich.

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Darüber hinaus trifft auch die Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden, weil sie sich über die Richtigkeit des vom Kläger benannten Zustellungsdatums offensichtlich nicht vergewissert haben, obwohl ihnen dies ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Gemäß ihrem Antrag im Schriftsatz vom 7. Juli 2010 ist den Prozessbevollmächtigten Einsicht in die Gerichtsakte gewährt worden. Sie haben die Gerichtsakte ausweislich des von ihnen erteilten Empfangsbekenntnisses (Bl. 89 GA) am 20. Juli 2010 und damit weit vor Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO am 23. August 2010 erhalten. Bestandteil dieser Gerichtsakte ist die Postzustellungsurkunde (Bl. 78 GA), aus der sich als Zustellungsdatum eindeutig der 22. Juni 2010 ergibt.

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Die Kausalität des danach schuldhaften Verhaltens des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumnis ist nicht durch eine (überholende) schuldhafte Pflichtverletzung seitens des Senats entfallen (vgl. hierzu BSG, Beschl. v. 7.10.2004 - B 3 KR 14/04 R -, NJW 2005, 1303, 1305; BVerwG, Beschl. v. 15.7.2003 - 4 B 83/02 -, NVwZ-RR 2003, 901; BGH, Beschl. v. 20.1.1997 - II ZB 12/96 -, NJW-RR 1997, 1020; Kummer, a.a.O., Rn. 606 ff. m.w.N.). Denn der Senat war entgegen der Auffassung des Klägers nicht verpflichtet, die Richtigkeit des im Schriftsatz vom 7. Juli 2010 angegebenen Zustellungsdatums "26.06.2010" sofort zu überprüfen und den Kläger auf den Fehler hinzuweisen.

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Die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens abgeleitete prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99, 114) fordert im Zusammenhang mit einzuhaltenden Fristen nicht, dass ein Gericht Vorkehrungen zu treffen hat, damit eine Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter davor bewahrt wird, einen fristschädlichen Fehler überhaupt erst zu begehen. Die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts ist vielmehr darauf gerichtet, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen, wie etwa das Fehlen einer zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO: "Formfehler"), die irrtümliche Einreichung eines korrekt adressierten Schriftsatzes bei einem anderen Gericht oder die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.1.2006 - 1 BvR 2558/05 -, NJW 2006, 1579 f.; Beschl. v. 3.3.2003 - 1 BvR 310/03 -, NVwZ 2003, 728 f.; Beschl. v. 20.6.1995, a.a.O., S. 112 und 115 f.; BSG, Beschl. v. 7.10.2004, a.a.O.; BVerwG, Beschl. v. 15.7.2003, a.a.O.).

19

Ein solches für das Gericht offenkundiges Versehen liegt hier nicht vor. Die Angabe des Datums der Zustellung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung gehört schon nicht zu den notwendigen Bestandteilen eines Antrags auf Zulassung der Berufung (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO), so dass für den Senat keinerlei Veranlassung bestand, dieses Datum alsbald auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Zudem war eine drohende Versäumung der Begründungsfrist allein unter Berücksichtigung der Angaben im Schriftsatz des Klägers vom 7. Juli 2010 auch nicht offensichtlich. Es war für das Gericht eben nicht ohne Weiteres erkennbar, ob die Angabe des 26. Juni 2010 als Zustellungsdatum auf einer falschen Ermittlung des Fristbeginns durch den Kläger oder seines Prozessbevollmächtigten, die die Gefahr einer falschen Fristberechnung und damit der Fristversäumnis begründet, oder schlicht auf einem Schreibfehler im Schriftsatz beruhte. Dies hätte weiterer Nachforschungen bedurft und steht schon deshalb der Annahme der Offenkundigkeit des Versehens und seiner Folgen im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung entgegen (vgl. BSG, Beschl. v. 7.10.2004, a.a.O.).