Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.09.2010, Az.: 8 ME 144/10

Abschiebung eines zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilten Ausländers; Familiäre Lebensgemeinschaft von Eheleuten als Abschiebungshindernis bei vorübergehender Trennung der Eheleute

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.09.2010
Aktenzeichen
8 ME 144/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25573
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0920.8ME144.10.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Selbst wenn Eheleute keine häusliche Gemeinschaft führen, ist vom Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft auszugehen, wenn die notwendigen Voraussetzungen einer engen persönlichen Verbundenheit, intensiver Kontakte und gegenseitigen Beistands erfüllt sind.

  2. 2.

    Ein Ausländer, der in einer familiären Lebensgemeinschaft lebt, genießt im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzes besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und begründet.

2

Ausgehend von den im Beschwerdeverfahren gestellten Anträgen ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 19. Mai 2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. April 2010 wiederherzustellen, soweit sie sich gegen die Ausweisungsverfügung richtet, und anzuordnen, soweit sie sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung richtet.

3

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen. Die gerichtliche Entscheidung setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet. Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist. Lässt sich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht hinreichend sicher beurteilen, kommt es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (vgl. Senatsbeschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750 m.w.N.).

4

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist, erfüllt, weil sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 8. April 2010 bei der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig erweist und die danach vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausfällt.

5

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ausweisungsverfügung ihre Rechtsgrundlage in § 54 Nr. 1 AufenthG finden kann. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Hier wurde der Antragsteller unter anderem vom Amtsgericht B. mit rechtskräftigem Urteil vom 11. Juni 2009 - 9 Cs 75/09 (455 Js 6612/09) - wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.

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Ob dem Antragsteller besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4AufenthG, der hier allein in Betracht zu ziehen ist, zu gute kommt, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes offen. Nach dieser Bestimmung genießt ein Ausländer, der mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, besonderen Ausweisungsschutz. Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen. Hier ist der Antragsteller nach wie vor mit der deutschen Staatsangehörigen, Frau C., verheiratet. Ob der Antragsteller mit seiner Ehefrau bis zu seiner Inhaftierung am 8. April 2010 (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts: Nr. 56.1.4.2 i.V.m. Nr. 56.1.3 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwVAufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877) auch tatsächlich in einer familiären Lebensgemeinschaft zusammen gelebt hat, wie es § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG fordert, oder die Eheleute sich dauerhaft getrennt hatten, steht nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung nicht fest.

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Eheleute leben dann in einer familiären Lebensgemeinschaft zusammen, wenn sie nach außen erkennbar eine auf Dauer angelegte, durch enge persönliche Verbundenheit, intensive Kontakte und gegenseitigen Beistand geprägte Beziehung führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.12.1997 - 1 C 19/96 -, BVerwGE 106, 13, 18; Bayerischer VGH, Beschl. v. 25.11.2009 - 19 CS 09.2696 -, [...] Rn. 5; Sächsisches OVG, Beschl. v. 24.1.2002 - 3 B 603/00 -, InfAuslR 2002, 297, 298; GK-AufenthG, Stand: August 2010, § 27 Rn. 64 jeweils m.w.N.). In welcher konkreten Art und Weise diese gemeinsame Lebensführung verwirklicht wird, obliegt der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten freien Gestaltung durch die Eheleute (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81, 92 ; BVerwG, Urt. v. 23.3.1982 - 1 C 20/81 -, BVerwGE 65, 174, 181; Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., Art. 6 Rn. 3a und 5). Eine familiäre Lebensgemeinschaft setzt daher nicht zwingend eine häusliche Gemeinschaft voraus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009 - 2 BvR 1064/08 -, InfAuslR 2009, 150, 151; BVerwG, Urt. v. 9.12.1997, a.a.O.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 25.11.2009, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 22.6.2000 - 3 M 35/00 -, InfAuslR 2001, 128, 130; GK-AufenthG, a.a.O., Rn. 68 ff.), auch wenn der Grundtypus der familiären Lebensgemeinschaft die häusliche Lebensgemeinschaft ist, in der sich die persönliche Verbundenheit der Eheleute nach außen erkennbar zeigt. Besteht eine solche häusliche Gemeinschaft nicht, fehlt es zugleich an einem bedeutenden Indiz für eine gemeinsame Lebensführung der Eheleute. Es bedarf daher anderer nach außen erkennbarer Anhaltspunkte dafür, dass die gewählte Ausgestaltung der Beziehung die für eine familiäre Lebensgemeinschaft notwendigen Voraussetzungen einer engen persönliche Verbundenheit, intensiver Kontakte und gegenseitigen Beistands erfüllt.

8

Hier haben der Antragsteller und seine Ehefrau nach ihrer Heirat im Januar 2004 in Kroatien und der nachfolgenden Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet zusammen in der gemeinsamen Wohnung in D., E., gelebt. Nach einer Überprüfung der Verhältnisse vor Ort durch den Antragsgegner am 8. Mai 2006 haben sich keine Bedenken am Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben.

9

Im Mai 2008 hat die Ehefrau des Antragstellers in einem strafgerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht D. erklärt, sich aufgrund erheblicher psychischer Probleme und wiederholter Straffälligkeiten ihres Ehemannes und der sich hieraus ergebenden Probleme für das gemeinsame Zusammenleben bereits eine eigene Wohnung in F. gesucht zu haben und sich von ihrem Ehemann scheiden lassen zu wollen. Im August 2008 verließ die Ehefrau des Antragstellers dann die gemeinsame Wohnung und zog in eine eigene Wohnung im circa 30 km entfernten F., G., wo sie seitdem lebt.

10

Ob der Antragsteller nach dem Auszug seiner Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung in D. bis zu seiner Inhaftierung im April 2010 weiterhin dort oder aber in der neuen Wohnung seiner Ehefrau in F. gelebt hat, ist offen. So hatte der Antragsteller in seinem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 9. Februar 2009 noch angegeben, in der Wohnung in D. zu leben. Dies hatte seine Ehefrau in einer Beschuldigtenvernehmung vom 26. Februar 2009 auch bestätigt. Im Rahmen einer persönlichen Anhörung durch den Antragsgegner am 16. Februar 2010 gab der Antragsteller indes an, nunmehr schon seit einem Jahr bei seiner Ehefrau in F. zu leben. Die Wohnung in D. bestehe zwar noch, solle aber aufgelöst werden. Den hierzu bestehenden Widerspruch in der beiläufigen Angabe des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner vom 22. Februar 2010, wonach er seine Wohnung noch in D. habe und die Eheleute eine gemeinsame größere Wohnung in F. suchen wollten, hält der Senat nicht für so bedeutend, dass er die Glaubhaftigkeit der vorausgegangenen Behauptung grundlegend in Frage stellen könnte. Denn zum einen hatte der Antragsteller seinerzeit eine Wohnung tatsächlich noch in D.. Zum anderen werden seine Ausführungen zum Zusammenleben der Eheleute in F. durch die eidesstattlichen Versicherungen der Ehefrau des Antragstellers und der Frau H., einer Freundin der Eheleute, die mit diesen in regelmäßigem Kontakt steht, bestätigt. Gerade letztere hat darauf hingewiesen, dass sich der Antragsteller bei seiner Ehefrau in F. aufgehalten habe, "wann immer mein Mann und ich, ob angemeldet oder ganz spontan, die beiden besucht haben... Selbst beim Einkaufen oder auf Flohmärkten, die zwei waren immer zusammen". Diese Ausführungen sind zwar erst in das Beschwerdeverfahren eingeführt worden und konnten daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden. Ihnen kann gleichwohl die Plausibiliät nicht von vorneherein abgesprochen werden. Denn die Ausführungen sind in sich stimmig und weisen auch keine offenen Widersprüche zu dem sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Sachverhalt im Übrigen auf. Vielmehr nehmen sie Bezug auf den von der Ehefrau des Antragstellers bereits im Mai 2008 vor dem Amtsgericht D. geschilderten Sachverhalt und erläutern die dort angesprochenen psychischen Probleme des Antragstellers näher und liefern mit dem Hinweis auf dessen Desorganisationsproblematik (sog. Messie-Syndrom) zugleich einen nachvollziehbaren - und zudem objektiv überprüfbaren - Grund für die vorausgehende räumliche Trennung der Eheleute. Nach diesem jedenfalls plausiblen Vorbringen bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute bis zur Inhaftierung des Antragstellers am 8. April 2010 in der Wohnung der Ehefrau sogar in häuslicher Gemeinschaft zusammen gelebt haben. Wenn der Antragsgegner sich demgegenüber im Wesentlichen auf die zurückliegenden, im Jahr 2008 und Anfang 2009 getätigten Ausführungen beruft, aus denen sich eine räumliche Trennung ergibt, kann dies schon wegen der zeitlich nachfolgenden Entwicklung nicht überzeugen. Gründe, warum der Antragsgegner die von ihm erkannten Widersprüche nicht zum Anlass genommen hat, die tatsächlichen Verhältnisse (häusliche Gemeinschaft der Eheleute; Vermüllung der Wohnung des Antragstellers) weiter aufzuklären, etwa durch einen Hausbesuch, wie er noch am 16. Februar 2010 angeregt worden war, sind nicht ersichtlich.

11

Selbst wenn die Eheleute bis zur Inhaftierung des Antragstellers aber keine häusliche Gemeinschaft in der Wohnung in F. geführt hätten, könnte hieraus allein nicht zwingend auf das Nichtbestehen einer tatsächlichen familiären Lebensgemeinschaft geschlossen werden. Wie ausgeführt ist auf alle nach außen erkennbaren Anhaltspunkte abzustellen, die dafür sprechen, dass die gewählte Ausgestaltung der Beziehung die für eine familiäre Lebensgemeinschaft notwendigen Voraussetzungen einer engen persönliche Verbundenheit, intensiver Kontakte und gegenseitigen Beistands erfüllt.

12

Hierzu ist aus den in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten befindlichen Unterlagen ersichtlich, dass die Ehefrau des Antragstellers zwar im Mai 2008 in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht D. und im Februar 2009 in einem Ermittlungsverfahren vor dem Polizeikommissariat B. ihre Scheidungsabsicht bekundet hat. In den zeitlich nachfolgenden Stellungnahmen hat der Antragsteller aber stets beteuert, trotz der räumlichen Trennung weiterhin mit seiner Ehefrau zusammen zu sein und auch zusammen zu leben (vgl. Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 9.2.2009, Gesprächsvermerk des Antragsgegners vom 16.2.2010). Aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ist nicht ersichtlich, dass die Ehefrau des Antragstellers hierzu im Verwaltungsverfahren angehört worden wäre. Im Beschwerdeverfahren haben die Ehefrau des Antragstellers und Frau H. in ihren eidesstattlichen Versicherungen die Ausführungen des Antragstellers bestätigt. Hiernach waren die Eheleute auch nach der räumlichen Trennung "ganz normal ein Paar", sind gemeinsam einkaufen gegangen, haben gemeinsam Freunde besucht und sind gemeinsam zu Verwandten gefahren. Der Antragsteller hat seiner nach einem Autounfall gehbehinderten Ehefrau im Alltag notwendige Hilfe geleistet. Die Ehefrau des Antragstellers hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung zudem darauf hingewiesen, dass auch eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde, Frau I., die Eheleute häufig bei gemeinsamen Einkäufen gesehen hätte. Dass es sich hierbei, wie der Antragsgegner meint, um bloße Gefälligkeitsaussagen der Ehefrau des Antragstellers und der Frau H. handelt, vermag der Senat nicht ohne Weiteres festzustellen. Zum einen ist das Vorbringen hinreichend detailreich und wird durch die in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Unterlagen und die sich daraus ergebende Entwicklung bestätigt. Zum anderen ist weder bei der Ehefrau des Antragstellers noch bei Frau H. ein Grund ersichtlich, zugunsten des Antragstellers eine derartige Gefälligkeit, zumal hier in Form der eidesstattlichen Versicherung, zu erbringen.

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Selbst wenn sich die Eheleute Ende 2008/Anfang 2009 vorübergehend getrennt haben sollten, begründet das plausible Vorbringen zur tatsächlichen Entwicklung seit Mitte 2009 daher Zweifel daran, dass die Trennung endgültig und dauerhaft geworden ist (vgl. zur Abgrenzung der vorübergehenden von der dauerhaften Trennung von Eheleuten: GK-AufenthG, a.a.O., § 27 Rn. 29 ff. m.w.N.). Ungeachtet der Tatsache, dass die Ehefrau des Antragstellers ihre in der Vergangenheit geäußerte Scheidungsabsicht offenbar nicht realisiert hat, sind dem Vorbringen des Antragstellers, seiner Ehefrau und der Frau H. zumindest für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes hinreichende Anhaltspunkte zu entnehmen, aus denen auf eine über bloße Besuchskontakte und Begegnungen hinausgehende enge persönliche Verbundenheit, intensive Kontakte und gegenseitigen Beistand der Eheleute und damit eine bis zur Inhaftierung des Antragstellers im April 2010 fortbestehende familiäre Lebensgemeinschaft der Eheleute geschlossen werden kann. Diese Annahme findet Bestätigung in der Tatsache, dass die Ehefrau den derzeit inhaftierten Antragsteller zwar nicht oft, aber doch regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt besucht und zu diesem auch in telefonischem Kontakt steht.

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Ob die so beschriebenen Anhaltspunkte auch genügen werden, um das Gericht im Hauptsacheverfahren vom tatsächlichen Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft der Eheleute in einer den Anforderungen des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügenden Weise zu überzeugen, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ist von der Möglichkeit auszugehen, dass die Eheleute bis zur Inhaftierung des Antragstellers eine familiäre Lebensgemeinschaft geführt haben.

15

Ausgehend von dieser Annahme genießt der Antragsteller im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzes besonderen Ausweisungsschutz nach§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Er kann daher nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Liegen, wie hier, die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vor, ist die Regelausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zudem zur Ermessensausweisung herabgestuft. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel nur in den hier nicht einschlägigen Fällen der §§ 53, 54 Nrn. 5, 5 a und 7 AufenthG vor. Darüber hinaus können zwar auch bei anderen Regelausweisungstatbeständen des § 54 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gegeben sein (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 2.6.2000 - 18 B 1121/99 -, [...] Rn. 16 (zu § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2010, AufenthG, § 56 Rn. 22). Zur Annahme solcher bedarf es aber jedenfalls einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die einerseits die der Ausweisung zugrunde liegenden Taten und persönlichen Umstände ihrer Begehung würdigt und eine dem Einzelfall gerecht werdende Gefahrenprognose trifft, und andererseits das Überwiegen des sich hieraus ergebenden öffentlichen Interesses an einer Ausweisung gegenüber dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers begründet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300, 1301; Hailbronner, a.a.O., § 56 Rn. 20; Huber, AufenthG, § 56 Rn. 2).

16

Diesen Anforderungen genügt die Ausweisungsverfügung im Bescheid vom 8. April 2010 nicht. Der Antragsteller hat zwar eine Ermessensentscheidung getroffen, da er die Ausweisung auf der Grundlage des § 55 AufenthG verfügt hat. Für den Fall des hier angenommenen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG erweist sich diese Ermessensentscheidung aber schon deshalb als fehlerhaft, weil sie weder die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Schutzwirkungen beachtet noch berücksichtigt, dass nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verfügt werden darf (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 2.10.1990 - 18 A 1028/87 -, NWVBl. 1991, 98).

17

Geht man von dem Bestehen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG aus, erweist sich die von dem Antragsgegner verfügte Ausweisung daher als voraussichtlich rechtswidrig, ohne dass es noch auf die Frage der mangelnden Befristung dieser ankäme.

18

Auf die im Bescheid vom 8. April 2010 darüber hinaus abgelehnte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wirkt sich die mögliche Rechtswidrigkeit der konkreten Ausweisungsverfügung nicht zwingend aus. Denn am Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlt es auch schon dann, wenn, wie hier, die Voraussetzungen eines Ausweisungstatbestandes nach den§§ 53 bis 55 AufenthG objektiv vorliegen, ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Ausländer auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 5 Rn. 26; Nr. 5.1.2.1 AVwVAufenthG). Bei der hier begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aber vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen, die Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen also trotz Vorliegens eines Ausweisungsgrundes erteilt werden. Dass der Antragsgegner von diesem Ermessen bisher Gebrauch gemacht hätte, ergibt sich aus seinem Bescheid vom 8. April 2010 nicht. Er hat die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vielmehr als zwingend angesehen. Ausgehend vom tatsächlichen Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau erwiese sich daher auch die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich als rechtswidrig.

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Gleiches gilt schließlich für die im Bescheid vom 8. April 2010 enthaltene Abschiebungsandrohung. Denn für den Fall, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zustehen sollte, entfiele seine Ausreisepflicht und damit eine Grundvoraussetzung für die Abschiebung und auch für deren Androhung.

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Daher erweist sich der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 8. April 2010 bei summarischer Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig.

21

Die mithin durchzuführende Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus, weil sein Interesse, von der sofortigen Vollziehung der Ausweisung bis zur endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides zu bewerten ist. Bliebe es bei der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung, müsste der Antragsteller das Bundesgebiet unverzüglich verlassen und könnte unter den Voraussetzungen des§ 456a Abs. 1 StPO aus der Strafhaft heraus abgeschoben werden. Hierdurch würden seine im Bundesgebiet bestehenden und grundrechtlich geschützten familiären Bindungen abgebrochen und deren Wiederaufnahme im Bundesgebiet voraussichtlich langfristig ausgeschlossen. Daher ist das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage erheblich. Andererseits bestehen keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür, dass dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides besonderes Gewicht zukommt, solange nicht feststeht, dass trotz eines etwaigen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Ausweisung rechtfertigen könnten. Daher hat das Suspensivinteresse des Antragstellers Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung. Folglich ist dem Antragsteller der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.