Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.09.2010, Az.: 12 ME 51/10
Anwendung der Geruchsimmissions-Richtlinie i.R.e. immissionsschutzrechtlichen Änderung einer bestehenden Tierhaltungsanlage durch Errichtung und Betrieb einer Biogasanlage als Nebeneinrichtung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.09.2010
- Aktenzeichen
- 12 ME 51/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 25762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0922.12ME51.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG
- Nr. 3.3 GIRL
- Nr. 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm
- Nr. 7.4 Abs. 1 S. 3 TA Lärm
- Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm
Fundstellen
- AUR 2011, 83-85
- BauR 2011, 502-503
- FStNds 2010, 793-796
- KommJur 2011, 106-107
- NVwZ-RR 2011, 7-8
- ZUR 2011, 92-93
Redaktioneller Leitsatz
Zur Beantwortung der Frage, ob Geruchsbelästigungen erheblich im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG sind, kann die Geruchsimmissions-Richtlinie herangezogen werden.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die dem Beigeladenen - unter nachträglicher Anordnung der sofortigen Vollziehung - erteilten Teilgenehmigungen Nr. 1 (vom 25. September 2009) und Nr. 2 (vom 14. Oktober 2009). Mit diesen genehmigte der Antragsgegner dem Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Änderung einer bestehenden Tierhaltungsanlage (Mastputen und Mastschweine) durch Errichtung und Betrieb einer Biogasanlage als Nebeneinrichtung.
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wurde das Ingenieurbüro H. und Partner mit der Erstellung eines Gutachtens über die Geruchseinwirkungen durch die geplante Biogasanlage beauftragt. In dem auf der Grundlage der Geruchsimmissions-Richtlinien der Länder Niedersachsen undNordrhein-Westfalen (GIRL) erstellten Geruchsimmissionsprognose vom 25. Juni 2009 kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Ausbreitungsberechnungen nach dem Modell AUSTAL 2000 für die beurteilungsrelevante Wohnbebauung eine maximal zu erwartende Geruchszusatzbelastung durch den Betrieb der geplanten Biogasanlage von 0,004 (entsprechend 0,4% der Jahresstunden) ergebe und damit die Grenze der "kleinen Irrelevanz" (IW = 0,0049) eingehalten werde. Bezüglich der Schallemissionen wurden unter Punkt 4.5 der Genehmigungsunterlagen in einer Tabelle die als relevant erachteten Betriebsabläufe aufgeführt und nach überschlägiger Betrachtung ein Lärmgutachten für nicht erforderlich erachtet.
Vor diesem Hintergrund genehmigte der Antragsgegner dem Beigeladenen durch die beantragten Teilgenehmigungen die wesentliche Änderung seiner Anlage zur Aufzucht und zum Halten von Mastputen und Mastschweinen durch die Errichtung und den Betrieb einer Biogasanlage. Zudem ordnete der Antragsgegner, nachdem die etwa 180 m nordöstlich der geplanten Biogasanlage wohnenden Antragsteller gegen beide Teilgenehmigungen Widerspruch eingelegt hatten, auf Antrag des Beigeladenen unter dem 14. Oktober 2009 für die Teilgenehmigung Nr. 1 und unter dem 23. November 2009 für die Teilgenehmigung Nr. 2 die sofortige Vollziehung an.
Den dagegen erhobenen Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche vom 1. Oktober 2009 (gegen die 1. Teilgenehmigung vom 25. September 2009) und vom 22. Oktober 2009 (gegen die 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2009) hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung sei rechtmäßig. Die seitens der Antragsteller erhobenen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der dem Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Teilgenehmigungen für die Errichtung und den Betrieb der Biogasanlage blieben erfolglos, weil eine Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften nicht feststellbar sei. Es sei hinreichend sichergestellt, dass von der Biogasanlage keine erheblichen Benachteiligungen oder Belästigungen in Gestalt unzumutbarer Geruchs- und/oder Lärmimmissionen für die Antragsteller ausgingen. Für die Ermittlung und Beurteilung von Geruchsimmissionen aus einer Biogasanlage fehlten untergesetzliche rechtsverbindliche Konkretisierungen. In der Rechtsprechung sei jedoch anerkannt, dass eine Beurteilung nach Maßgabe der Verwaltungsvorschrift zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen (GIRL) unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu erfolgen habe. Die diesen Grundsätzen entsprechende Geruchsprognose der Sachverständigen für Immissionsschutz H. und Partner vom 25. Juni 2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 15. September 2009 verneine schädliche Umwelteinwirkungen. Sie ermittle in nicht zu beanstandender Weise eine derart geringe Geruchszusatzbelastung (Geruchshäufigkeit von weniger als 0,4% der Jahresgeruchsstunden) durch die Biogasanlage, dass es einer Ermittlung der bestehenden Vorbelastung nicht bedurft habe. Auch die Schallimmissionen erwiesen sich als nicht erheblich. Der von dem Verbrennungsmotor der Biogasanlage als bedeutsamste Geräuschquelle ausgehende Schalldruck betrage in einem Abstand von ca. 200 m etwa 30 dB(A) und liege somit deutlich unter dem im hier maßgeblichen Gebiet zulässigen Nachtrichtwert von 45 dB(A). Wegen der deutlichen Unterschreitung um mehr als 6 dB(A) gelte die Zusatzbelastung nach Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm als irrelevant mit der Folge, dass die Vorbelastung keiner näheren Betrachtung bedurft habe. Bei der Festlegung der Lärmwerte in der Nebenbestimmung Nr. 47 habe sich der Antragsgegner zudem an den gebietsbezogenen Richtwerten der Nr. 6.1 orientiert und berücksichtigt, dass die Biogasanlage erheblich dichter an den Wohngebäuden der Antragsteller gelegen sei als der angrenzende landwirtschaftliche Betrieb des Beigeladenen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Die Gesichtspunkte, die die Antragsteller dargelegt haben und auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, können dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen.
Die Antragsteller machen geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes seien die Abstandsvorschriften nach der TA Luft oder der VDI-Richtlinie 3471 und VDI 3472 hier anwendbar, da es sich um vergleichbare Geruchsimmissionen handele. Dies trägt nicht. Das Verwaltungsgericht hat als Entscheidungshilfe zu der Frage, ob Geruchsbelästigungen erheblich im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind, die Geruchsimmissions-Richtlinie (nachfolgend GIRL, nunmehr in der Fassung der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 29. Februar 2008 mit einer Ergänzung vom 10. September 2008, in Niedersachsen eingeführt durch Gem. RdErl. d. MU, d. MS, d. MI u. d. MW v. 23. Juli 2009, Nds. MBl. S. 794) herangezogen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates (vgl. Beschl. v. 19.6.2007 - 12 ME 63/07 -; Beschl. v. 26.6.2007 - 12 LA 14/07 -, OVGE 50, 463 m.w.N.). Der Einwand, die Abstandsvorschriften der TA Luft bzw. der VDI-Richtlinien 3471 und 3472 hätten angewandt werden müssen, überzeugt schon deshalb nicht, weil die dortigen Vorgaben für Biogasanlagen erkennbar nicht passen. Die VDI-Richtlinien knüpfen für die Bemessung des Abstandes an Viehbestandszahlen und Haltungsbedingungen an. Nach der TA Luft ist die Tierlebendmasse maßgeblich, die errechnet wird aus der Tierplatzzahl multipliziert mit dem für die jeweilige Tierart vorgegebenen Faktor. Eine Anwendung dieser Regelwerke scheitert bereits daran, dass diese Parameter bei einer Biogasanlage fehlen und auch nicht etwa anderweitig bestimmbar sind. Darüber hinaus lassen die VDI-Richtlinien 3471 und 3472 aber auch ein Unterschreiten der sich aus ihnen ergebenden pauschalen Abstände nach einer Sonderbeurteilung der konkreten Verhältnisse ausdrücklich zu (vgl. jeweils Nr. 3.2.3.2 i.V.m. 3.2.3.4). Diese die konkrete Anlage in den Blick nehmende Sonderbeurteilung wird - jedenfalls in neuerer Zeit - aber in der Regel gerade nach den Maßgaben der im Verhältnis zu den VDI-Richtlinien nachrangig anzuwendenden (vgl. dazu Nr. 1 der GIRL i.V.m. den Anwendungshinweisen) GIRL durchgeführt. Im Ergebnis würden somit die Antragsteller auch bei Anwendung der VDI-Richtlinien nicht günstiger stehen. Vielmehr dürfte die Anwendung der GIRL in der Regel zu für die Nachbarn günstigeren Ergebnissen führen als die Anwendung der Abstandsvorschriften der VDI-Richtlinien bzw. der TA Luft.
Die gegen die den Genehmigungen zugrunde gelegte Geruchsimmissionsprognose erhobenen Einwände überzeugen nicht. Die Antragsteller machen insoweit geltend, die bei der Lagerung des für die Anlage vorgesehenen Geflügelmistes auf einer Festmistlagerplatte entstehenden Gerüche seien in der Geruchsprognose nicht berücksichtigt worden. Der Antragsgegner hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Festmistlagerplatte bereits 1997 baurechtlich genehmigt worden und nicht Teil der im Wege der Änderungsgenehmigung genehmigten Biogasanlage sei. Es entspricht den Anwendungshinweisen zur GIRL und ist nicht zu beanstanden, die nicht durch die Änderung hervorgerufenen, sondern der "Altanlage" zuzurechnenden Gerüche für die Frage, ob die durch die Errichtung der Biogasanlage entstehenden Gerüche die sogenannte "kleine Irrelevanzschwelle" überschreiten, nicht zu berücksichtigen. Liegt der Immissionsbeitrag der wesentlichen Änderung (hier 0,004) unter 0,0049 und ist damit die "kleine Irrelevanzschwelle" eingehalten, so wirkt er sich in der (gerundeten) Kenngröße nämlich nicht aus. In diesen Fällen darf deshalb das Irrelevanzkriterium der Nr. 3.3 der GIRL als gegeben angesehen werden, ohne dass es der bei der Anwendung der Irrelevanzschwelle auf eine wesentlichen Änderung der Anlage sonst erforderlichen Berücksichtigung der übrigen Anlagenteile, also der Anlage in ihrer Gesamtheit, bedarf (vgl. Anwendungshinweis zu Nr. 3.3 GIRL). Die Prognose ist auch nicht deshalb für die Beurteilung ungeeignet, weil sie die bei dem Transport des Geflügelmistes von der Festmistlagerplatte zur Biogasanlage entstehenden Gerüche nicht aufführt. Die während dieser Zeit aus dem geöffneten Mischdosierungsbunker entweichenden Gerüche sind in der Geruchsprognose berücksichtigt und hierfür mit nachvollziehbarer Begründung 29 Jahresstunden angesetzt worden. Der Antragsgegner hat ausgeführt, beim Transport des Mistes von der ca. 250 m vom Wohnhaus der Antragsteller entfernt gelegenen Festmistlagerplatte mit einem Radlader zum Mischdosierungsbunker könnten keine stärkeren Gerüche entstehen als aus dem während dieses Transportes geöffneten Mischdosierungsbunker selbst, weil dieser näher am Wohnhaus der Antragsteller gelegen sei, nämlich in 180 m Entfernung. Dies erscheint nachvollziehbar und erklärt, warum insoweit kein zusätzlicher Beitrag eingestellt wurde. Substantiierte Einwände dagegen sind nicht erhoben worden.
Anders als die Antragsteller meinen, ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Genehmigung auch nicht aus einer unzureichenden Beurteilung der Lärmimmissionen. Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass die Nebenbestimmung 47 "Immissionsschutzrecht" zur Teilgenehmigung Nr. 2 festlegt, dass der Immissionsrichtwert auf den nächstgelegenen benachbarten Wohnrundstücken von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts grundsätzlich nicht überschritten werden darf und dadurch Nachbarrechten Rechnung getragen wird. Der Antragsgegner ist ausweislich eines Vermerks vom 24. September 2009 davon ausgegangen, dass der von der Anlage selbst ausgehende Lärmdruckpegel in ca. 200 m (nur) etwa 30 dB(A) erreicht und damit 15 dB(A) unter dem zulässigen Nachtrichtwert von 45 dB(A) liegt. Dass er vor diesem Hintergrund ein schalltechnisches Gutachten mit der Begründung für nicht erforderlich erachtet hat, nach der TA Lärm sei schon bei einer Unterschreitung des Immissionsrichtwertes von 6 dB(A) von keinem relevanten Beitrag auszugehen, begegnet vor dem Hintergrund der Regelung der Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm keinen Bedenken. Der Einwand der Antragsteller, bei der Ermittlung der Geräuschimmissionen sei der unmittelbar an ihrem Haus vorbeifahrende Fahrzeugverkehr für die Anlieferung nicht berücksichtigt worden, überzeugt nicht. Der Antragsgegner hat insoweit darauf verwiesen, dass die Zuwegung zur Biogasanlage nicht unmittelbar am Wohnhaus der Antragsteller vorbeiführt und bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen sei, dass Anlieferungsfahrzeuge den direkten Weg über die B 213 und nicht über die am Grundstück der Antragsteller vorbeiführende Straße nehmen würden. Dies erscheint plausibel und wird von den Antragstellern auch nicht substantiiert in Frage gestellt. Darüber hinaus gelten für Verkehrsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen nach Nr. 7.4 Abs. 1 Satz 3 TA Lärm die Absätze 2 bis 4. Gemäß Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm sollen Geräusche des An- und Abfahrtverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 m von dem Betriebsgrundstück durch Maßnahmen organisatorischer Art soweit wie möglich vermindert werden, soweit sie den Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche für den Tag oder die Nacht rechnerisch um mindestens 3 dB(A) erhöhen, keine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt ist und die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) erstmals oder weitergehend überschritten werden. Im vorliegenden Fall fehlt es aber schon an Anhaltspunkten dafür, dass der durch den Betrieb des Beigeladenen verursachte An- und Abfahrtsverkehr auf der an dem Grundstück der Antragsteller vorbeiführenden Straße zu einer Überschreitung der - recht hohen - Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung führt. Der Einwand der Antragsteller, es sei bei der Betrachtung des Lärms zu berücksichtigen, dass während der Erntezeit die Silage vollständig angeliefert und dann unter "ständiger Fahrerei zu einem Haufen verarbeitet" wird, führt ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrages. Der Antragsgegner hat mit der Begründung, dieser Lärm erstrecke sich allenfalls über eine Woche, ihn als seltenes Ereignis i.S.d. Nr. 7.2 der TA Lärm gewertet und darauf hingewiesen, dass dafür die erhöhten Immissionswerte der Nr. 6.3 der TA Lärm gelten. Dagegen ist nichts zu erinnern. Angesichts der in Rede stehenden von der Biogasanlage selbst verursachten Geräuschimmissionen, die deutlich hinter den zulässigen Richtwerten zurückbleiben, bestehen nach summarischer Prüfung auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Richtwerte der TA Lärm am Wohnhaus der Antragsteller überschritten werden könnten.