Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2010, Az.: 11 LA 392/09

Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Familienangehörige beim sog. Familienasyl; Erlöschen der Asylberechtigung eines Stammberechtigten nach dessen Einbürgerung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.09.2010
Aktenzeichen
11 LA 392/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 24148
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0907.11LA392.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Mit der Einbürgerung des Stammberechtigten erlischt dessen Asylberechtigung, so dass hinsichtlich der Familienangehörigen der Widerrufstatbestand des § 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG eingreift.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

2

Die Berufung kann nicht wegen der vom Kläger geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassen werden.

3

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Komm., § 78 AsylVfG Rn. 140 ff. m.w.N.).

4

Dies trifft auf die im Zulassungsantrag des Klägers aufgeworfenen Fragen nicht zu.

5

1.

Im Hinblick auf die dem Europäischen Gerichtshof mit Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 2008 (BVerwG 10 C 33.07) gestellten Fragen, auf die der Kläger zur Darlegung seines Zulassungsantrages Bezug genommen hat, kommt der Rechtssache jedenfalls zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. Die von dem Kläger insofern als klärungsbedürftig bezeichneten Rechtsfragen sind durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 2. März 2010 (C-175 - 179/08) beantwortet worden. Weitergehender Klärungsbedarf wird vom Kläger nicht dargelegt und ist auch nicht zu erkennen.

6

Ebenso wenig ist auf Grund des bezeichneten Urteils des Europäischen Gerichtshofes nunmehr nachträglich eine Divergenz i.S.d.§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG eingetreten, auf die die Zulassung der Berufung gestützt werden könnte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.2.2000 - BVerwG 9 B 57.00 -, [...], m.w.N.).

7

Ob die insoweit aufgeworfenen Fragen überhaupt entscheidungserheblich oder für den hier allein erfolgten Widerruf der Asylanerkennung des Klägers von vornherein unerheblich waren, braucht deshalb nicht geklärt zu werden.

8

2.

Die von dem Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Fragen:

"Trifft die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu, dass eine Asylberechtigung eines Stammberechtigten, von dem Kinder ihr Familienasyl ableiten, 'erlischt', wenn der Stammberechtigte eingebürgert wird? Ist es nicht vielmehr so, dass das Asylrecht von den Einbürgerungsfolgen 'überlagert' wird, so dass sich für Familienasylberechtigte nichts ändert?"

9

sowie

"Darf die Asylberechtigung eines Familienasylberechtigten widerrufen werden, obwohl der Stammberechtigte - denkt man seine Einbürgerung hinweg - immer noch als Asylberechtigter anerkannt wäre und das Bundesamt diesen Status auch nicht in Frage stellt?"

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lassen sich anhand der gesetzlichen Regelungen bereits im Zulassungsverfahren beantworten und bedürfen nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren.

11

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. In den Fällen des§ 26 Abs. 1, 2 und 4 AsylVfG ist gemäß § 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG die Anerkennung als Asylberechtigter ferner zu widerrufen, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, erlischt, widerrufen oder zurückgenommen wird und der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigter anerkannt werden könnte.

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Die Tatbestände, die zum Erlöschen der Asylberechtigung führen, sind in § 72 Abs. 1 AsylVfG aufgeführt. Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn der Ausländer auf Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, genießt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG auch für die Einbürgerung eines Asylberechtigten in die Bundesrepublik Deutschland. Aus dem Zusammenhang mit § 72 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, der den Erlöschensgrund der freiwilligen Wiedererlangung der früheren Staatsangehörigkeit (und damit der Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates) regelt, ergibt sich, dass § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG den Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit, d.h. der Staatsangehörigkeit eines anderen Staates als der des Verfolgerstaates, betrifft. Dies kann aber auch der Asylstaat, d.h. die Bundesrepublik Deutschland, sein. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund für eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift in dem Sinne, dass der nachträgliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht unter § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG subsumiert werden könnte (ebenso: Marx, AsylVfG, Komm., 7. Aufl., § 72 Rn. 53; Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, Komm., § 72 AsylVfG Rn. 19; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 28.6.2007 - 1 LB 4/07 -, m.w.N.; VG Aachen, Urt. v. 15.7.2010 - 6 K 1134/07.A - m.w.N.). Die von Renner (AuslR, Komm., 8. Aufl., § 72 Rn. 24) vertretene Auffassung, nach der der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG nicht erfasst werde, da diese die Anwendung asylrechtlicher Bestimmungen von vornherein ausschließe und eine zuvor erfolgte Asylanerkennung von selbst ("eo ipso") erledige, überzeugt den Senat nicht. Wenn der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Gewährung von Asyl oder der Flüchtlingsanerkennung vorausgeht, findet § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG deshalb keine Anwendung, weil einem deutschen Staatsangehörigen gar keine Asylberechtigung und kein Flüchtlingsstatus verliehen werden kann und es somit schon an der nach § 72 Abs. 1 1. Halbsatz AsylVfG vorausgesetzten Gewährung einer solchen Rechtsstellung fehlt. Anders liegt es aber dann, wenn ein Asylberechtiger oder anerkannter Flüchtling nachträglich die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Dieser Fall wird ohne Weiteres von dem Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erfasst, so dass kein Anlass besteht, auf einen gesetzlich nicht geregelten Erledigungstatbestand ("eo ipso") zurückzugreifen.

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Die von dem Kläger gestellten Fragen lassen sich daher dahingehend beantworten, dass durch die Einbürgerung des Stammberechtigten dessen Asylberechtigung erlischt und das Asylrecht nicht nur von den Einbürgerungsfolgen "überlagert" wird. Dass sich an der Verfolgungssituation im Heimatstaat möglicherweise nichts geändert hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch bei dem Erwerb der Staatsangehörigkeit eines dritten Staates kann mit Blick auf das Heimatland das Bedürfnis nach Schutz vor politischer Verfolgung durch den deutschen Staat fortbestehen. Gleichwohl erlischt die Asylanerkennung nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, weil dem Schutzbedürfnis auf andere Weise nachgekommen wird. Da mit der Einbürgerung des Stammberechtigten dessen Asylanerkennung erlischt und somit hinsichtlich der Familienangehörigen der Widerrufstatbestand des§ 73 Abs. 2 b Satz 2 AsylVfG eingreift, kann es auch nicht darauf ankommen, ob ohne die Einbürgerung die Asylanerkennung des Stammberechtigten widerrufen worden wäre. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob die Asylberechtigung eines Familienasylberechtigten widerrufen werden darf, wenn der Stammberechtigte ohne die Einbürgerung noch als Asylberechtigter anerkannt wäre, lässt sich daher aufgrund der gesetzlichen Regelungen ohne Weiteres bejahen.