Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.07.2021, Az.: 1 KN 9/20

Abwägung; Abwägungsdisproportionalität; Baumschutz; Ermittlungs- und Bewertungsdefizit; Ersatzpflanzung; Maßgeblicher Zeitpunkt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.07.2021
Aktenzeichen
1 KN 9/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70892
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Wird im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB die Abwägung wiederholt, so müssen Änderungen der Sachlage gegenüber dem Zeitpunkt des ersten Satzungsbeschlusses jedenfalls dann in die neue Abwägungsentscheidung einbezogen werden, wenn sie für den Rat ohne weiteres erkennbar sind.

2. Zu den Anforderungen an die Abwägungsgerechtigkeit von Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB.

Tenor:

Der vom Rat der Antragsgegnerin am 14. Mai 2019 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 368 „Stedinger Straße/Nordstraße“ in der Fassung des erneuten Satzungsbeschlusses vom 6. Februar 2020 wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 368 „Stedinger Straße/Nordstraße“ der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks E., Flurstück F., G., Gemarkung A-Stadt, welches im Geltungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans liegt. Für das Grundstück stellte er im Januar 2018 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses.

Anlässlich dieses Antrags führte die Antragsgegnerin eine Ortsbesichtigung durch, bei der sie auf dem Grundstück eine alte, große und vitale Rotbuche mit einem Stammumfang von ca. 4,80 Meter und Kronendurchmesser von 22 Metern feststellte. Dies veranlasste sie unter dem 17. Januar 2018 zur Fassung des Aufstellungsbeschlusses des Bebauungsplans Nr. 368 „Stedinger Straße/Nordstraße“ mit dem Ziel, den Baum zu schützen. Die Antragsgegnerin ließ den Baum durch das Baum-Sachverständigenbüro H. in I. begutachten. In seinem Gutachten vom 27. Februar 2018 stellte der Sachverständige fest, dass sich die Buche bisher natürlich und ungestört entwickeln und dadurch eine Baumgestalt erreichen konnte, die im städtischen Bereich Seltenheitswert besitze, und sie gemessen an ihrem schon fortgeschrittenen Alter von zwischen 200 bis 250 Jahren über eine sehr gute Vitalität verfüge. Bei weiterhin ungestörten Verhältnissen könne mit einer weiteren Standzeit von mindestens 50 Jahren gerechnet werden. Aufgrund der Empfindlichkeit des Baumes empfahl das Gutachten, den Wurzelbereich der Buche (die Fläche unter der Kronentraufe zuzüglich 1,50 Meter) durch geeignete Schutzmaßnahmen freizuhalten.

Am 11. Mai 2018 wurde die Antragsgegnerin darüber informiert, dass der Baum seit einigen Tagen braune Blätter und am Stammfuß mehrere Bohrlöcher aufweise. Das sodann in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen H. vom 25. Mai 2018 stellte vier frische Bohrlöcher im Stammfuß sowie Ausfälle im Kronenbereich fest. Das Gutachten sah es als wahrscheinlich an, dass der Baum vergiftet wurde. Ungeachtet des erlittenen Schadens ging das Gutachten davon aus, dass der Baum bei sofortiger Ergreifung intensiver Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen noch auf unbestimmte Zeit erhalten werden könne.

Der Antragsteller erhob im September sowie im Oktober 2018 Einwendungen und übersandte ein Gutachten des Dipl.-Ing. J. - vom 17. September 2018, das zum Ergebnis kam, dass die Krone nur noch zu 30 Prozent vital, im Übrigen abgestorben sei. Im Juli 2018 seien im Vergleich noch 65 bis 70 Prozent der Baumkrone vital gewesen. Sämtliche Pflegemaßnahmen seien nicht mehr aussichtsreich, um den Baum zu erhalten. Die Antragsgegnerin ließ daraufhin ein weiteres Gutachten durch den Sachverständigen H. vom 22. November 2018 erstellen, das unter Auseinandersetzung mit dem vom Antragsteller beigebrachten Gutachten dessen Ergebnissen entgegentrat. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass die durch die Vergiftung verursachten Schäden ein geringeres Maß, als das Gutachten des Dipl.-Ing. J. - feststellte, aufwiesen und die Baumkrone im nächsten Frühjahr zu ca. 60 bis 65 Prozent belaubt sein werde. Die Feststellungen des antragstellerseitig beigebrachten Gutachtens erachtete es zum Teil als „falsch“ und „substanzlos“.

In seiner Sitzung vom 14. Mai 2019 beschloss der Rat der Antragsgegnerin den Bebauungsplan Nr. 368 als Satzung. Der Plan setzt ein Mischgebiet fest und bestimmt eine Baugrenze, die sich u.a. am Radius um die Krone des nach den zeichnerischen Festsetzungen zu erhaltenden Baumes orientiert. In seinen textlichen Festsetzungen bestimmt der Plan unter Ziffer 5:

„Der innerhalb der Flächen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 25 b BauGB mit Bindungen für Bepflanzungen und für die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen festgesetzte Baum ist vom Grundstückseigentümer dauerhaft zu erhalten, zu schützen und zu pflegen. Bei Abgang ist der Baum gemäß Baumschutzsatzung der Stadt Delmenhorst durch artgleiche Nachpflanzungen mit einem Stammumfang von mindestens 20-25 Zentimetern an gleicher Stelle zu ersetzen.“

In der Planbegründung wird als Planungsziel die Festsetzung des zu erhaltenden Baumes aus naturschutzfachlichen und städtebaulichen Gründen sowie dessen Bedeutung für das Ortsbild und die Anpassung des Baurechts innerhalb des Mischgebietes angegeben. Ferner heißt es u.a.:

„Die Rotbuche ist ca. 22 m hoch mit einem Baumkronendurchmesser von 22 m und einem Stammumfang von 4,65 m (gemessen in 1 m Höhe). Das Alter der Rotbuche wird vom Gutachter auf ca. 200 - 250 Jahre geschätzt. Die entstandene Baumgestalt besitzt im städtischen Bereich einen Seltenheitswert. Aufgrund plötzlich absterbender Kronenteile und dem Verdacht auf Vergiftung der Rotbuche Anfang Mai 2018 wurde ein weiteres Gutachten vom o.g. Baum-Sachverständigenbüro beauftragt. Das Ergebnis der erneuten Begutachtung des Baumes liegt seit dem 31.05.2018 vor. Es wird davon ausgegangen, dass die Rotbuche vorsätzlich vergiftet wurde. Die giftige Substanz hat einen Teil der Baumkrone verwelken lassen. Ein weiteres Fortschreiten der Schädigung konnte zu diesem Zeitpunkt nicht vorhergesagt werden und wird sich erst in der Zukunft zeigen. Sollten keine weiteren Kronenteile Schaden nehmen, so kann die Buche mit ihrer verbliebenen grünen Krone noch auf unbestimmte Zeit erhalten werden. Eine Prognose ist hier jedoch nicht möglich. Als sicher gilt aber, dass das arttypische Erscheinungsbild der Buche im Überlebensfall nicht wieder zurückerlangt wird.

Zum weiteren Erhalt der Rotbuche sind intensive Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen notwendig. Hierzu gehört u. a. eine Erleichterung der Wasser- und Nahrungsaufnahme, um weitere negative Einflüsse so gering wie möglich zu halten. Als baumpflegerische Maßnahme ist eine Schutzzone im Kronentraufbereich zuzüglich 3 m Schutzbereich einzurichten, in dem langfristig sämtliche Beeinträchtigungen des Baumes zu vermeiden sind. Der zusätzliche Schutzabstand zum Kronentraufbereich von 3 m wird dadurch begründet, dass bei Baumaßnahmen ein ausreichender Abstand und zum Schutz vor weiteren Beschädigungen vor allem im Wurzelbereich zu gewährleisten ist. Dieser wäre bei den im Gutachten geforderten 1,5 m nicht groß genug, um mögliche Beschädigungen durch Lagerung von Baumaterialien, Baumaßnahmen sowie Überfahrten durch Fahrzeuge alle Art zu verhindern.“

Zur Überprüfung der Vitalität des Baumes ließ ihn die Antragsgegnerin in der Folge erneut begutachten. Das vom Sachverständigen H. erstattete Gutachten vom 19. Juni 2019 ergab, dass der Baum aufgrund unterlassener Schutzmaßnahmen absterben werde und durch Neupflanzungen ersetzt werden solle. Hiervon setzte die Antragsgegnerin den Antragsteller in Kenntnis. Auf dessen Antrag erteilte die Antragsgegnerin eine Fällgenehmigung für die Buche mit Bescheid vom 2. Oktober 2019. In dem Bescheid ordnete sie für den Fall der Inanspruchnahme der Genehmigung Ersatzpflanzungen an und zwar drei Rotbuchen auf dem Grundstück des Antragstellers sowie auf dem Nachbargrundstück eine weitere Rotbuche, jeweils mit einem Stammumfang von 20 bis 25 Zentimetern. Der jeweilige Standort der Ersatzpflanzungen im Kronenradius des alten Baumes wurde mittels Plan festgelegt.

Aufgrund einer fehlerhaften Besetzung des Verwaltungsausschusses der Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren wurde der Verwaltungsausschuss am 5. Februar 2020 neugebildet. Dieser bereitete zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens einen neuen Beschluss des Rats der Antragsgegnerin vor. Der Rat beschloss in seiner Sitzung am 6. Februar 2020 den Bebauungsplan nach § 214 Abs. 4 BauGB erneut mit Rückwirkung zum 5. November 2019 als Satzung. Dem Ratsbeschluss lag der Planungsstand zugrunde, der auch Gegenstand des Ratsbeschlusses vom 14. Mai 2019 gewesen war. Neue Erkenntnisse - insbesondere die im Gutachten des Sachverständigen H. vom 19. Juni 2019 gewonnenen Erkenntnisse darüber, dass der Baum absterben werde, sowie die dem Antragsteller erteilte Fällgenehmigung vom 2. Oktober 2019 - gingen nicht erkennbar in das Verfahren ein. Weder die Planurkunde noch die Planbegründung wurden gegenüber der Fassung zum ersten Satzungsbeschluss geändert.

Das ausgewiesene Planungsziel blieb ebenso unverändert, wie die der Planung zugrundeliegende Annahme der Erhaltungswürdigkeit des Baumes und seiner hohen naturschutzfachlichen und städtebaulichen Bedeutung für das Ortsbild. Dem Erhaltungsziel wird in der Abwägung höheres Gewicht zugeschrieben als den Eigentümerbelangen. In den textlichen Festsetzungen ist in Nummer 5 weiterhin die Pflanzenbindung - Erhaltung des Baumes - vorgesehen sowie die Verpflichtung zur Leistung von Ersatzpflanzungen bei Abgang des Baumes. Die Festsetzungen zu Baugrenzen und Schutzabständen orientieren sich weiter am Kronentraufbereich der Buche.

Der Antragsteller macht neben Einwendungen gegen die sonstige formelle sowie materielle Rechtmäßigkeit der Planung insbesondere Abwägungsfehler geltend. Der Plan stehe seinem Bauvorhaben ohne Grund entgegen. Er verkenne, dass der Baum zum Zeitpunkt jedenfalls des zweiten Satzungsbeschlusses nicht mehr erhaltungswürdig gewesen sei, wovon auch die Antragsgegnerin ausweislich ihrer erteilten Fällgenehmigung ausgegangen sei.

Der Antragsteller beantragt,

den vom Rat der Antragsgegnerin am 14. Mai 2019 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 368 „Stedinger Straße/Nordstraße“ in Gestalt des Satzungsbeschlusses vom 6. Februar 2020 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie meint, maßgeblicher Zeitpunkt für die dem Plan zugrunde liegende Abwägungsentscheidung sei der des ersten Ratsbeschlusses am 14. Mai 2019. Die erst danach erteilte Fällgenehmigung sowie die durch das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten gewonnenen Erkenntnisse über das nunmehr feststehende baldige Absterben der Buche seien für den Abschluss des Planverfahrens ohne Bedeutung. Selbst für den Fall, dass der Baum keine Überlebenschancen habe, erfülle der Plan seine Funktion weiterhin durch die Festsetzung der Ersatzpflanzungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet.

Der Bebauungsplan leidet unter zu seiner Unwirksamkeit führenden Abwägungsfehlern, weil die Antragsgegnerin die Bedeutung des zu erhaltenden Baumes auf dem Grundstück des Antragstellers nicht hinreichend ermittelt und bewertet hat (I.). Auch das Abwägungsergebnis hält der gerichtlichen Überprüfung nicht stand (II.).

I.

Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang ergeben sich aus den Vorgaben des § 2 Abs. 3 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), ermittelt und bewertet werden müssen. Sie decken sich mit denen, die die Rechtsprechung bezogen auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB entwickelt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.4.2008 - 4 CN 1.07 -, juris Rn. 18; Senatsurt. v. 9.9.2020 - 1 KN 71/18 -, juris Rn. 30). Danach ist das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot insbesondere verletzt, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen oder wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird. Zur Unwirksamkeit des Plans führen nur Abwägungsfehler, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind, § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB (vgl. zum Ganzen Senatsurt. v. 21.3.2019 - 1 KN 49/17 -, juris Rn. 18 sowie v. 12.5.2021 - 1 KN 87/16 -, juris Rn. 40). Solche Fehler liegen hier vor.

1. Wird - wie vorliegend - ein ergänzendes Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB durchgeführt, in dem das ursprüngliche Verfahren in das Stadium vor dem Satzungsbeschluss zurückversetzt wird, weil wie hier ein Verfahrensfehler - namentlich die fehlerhafte Befassung des Verwaltungsausschusses - behoben werden soll, der sich auf die Rechtmäßigkeit des Satzungsbeschlusses auswirkt, erfordert der Abschluss des ergänzenden Verfahrens einen neuen Satzungsbeschluss. Dieser begreift eine neu zu treffende Abwägungsentscheidung ein (vgl. NdsOVG, Urt. v. 5.3.2018 - 12 KN 41/17 -, juris Rn. 75) und zwar auch dann, wenn es sich bei dem zu heilenden Fehler „nur“ um einen Formfehler handelt (Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB, 85. Lfg. Sept 2015, § 214 Rn. 146). Denn von der zu korrigierenden Verfahrenshandlung an ist das gesamte nachfolgende Verfahren zu wiederholen (BVerwG, Beschl. v. 8.3.2010 - 4 BN 42.09 -, NVwZ 2010, 777 Rn. 8; Senatsurt. v. 27.4.2011 - 1 KN 19/09 -, juris Rn. 27).

Maßgeblich abzustellen ist im Rahmen der neu vorzunehmenden Abwägungsentscheidung gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des neuen Satzungsbeschlusses (NdsOVG, Urt. v. 5.3.2018 - 12 KN 41/17 -, juris Rn. 75; OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 12.12.2003 - 8 C 11362/03 -, juris Rn. 25; SächsOVG, Beschl. v. 5.3.2002 - 1 D 18/00 -, juris Rn. 32; BayVGH, Urt. v. 10.5.2016 - 9 N 14.2674 -, juris Rn. 20 ff.; OVG NRW, Urt. v. 6.3.2008 - 10 D 103/06.NE -, juris Rn. 65 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 26.1.2009 - 4 BN 27/08 -, juris Rn. 4).

2. Zum mithin maßgeblichen Zeitpunkt des zweiten Satzungsbeschlusses am 6. Februar 2020 genügten weder die Ermittlung noch die Bewertung der abwägungserheblichen Belange den eingangs genannten Anforderungen.

a) Die Planung der Antragsgegnerin wird den an die Ermittlung abwägungserheblicher Belange zu stellenden Anforderungen nicht gerecht. Die Antragsgegnerin hat im ergänzenden Verfahren einen veralteten Sachstand hinsichtlich des untrennbar mit seinen Überlebenschancen verbundenen Erhaltungswertes des Baumes zugrunde gelegt (aa). Reduzierte Ermittlungspflichten im ergänzenden Verfahren rechtfertigten dies nicht (bb).

aa) Der Senat kann offenlassen, ob der Baum zum Zeitpunkt des ersten Satzungsbeschlusses am 14. Mai 2019 noch erhaltungswürdig gewesen ist. Jedenfalls traf dies nach dem zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 6. Februar 2020 vorhandenen Kenntnisstand der Antragsgegnerin nicht mehr zu. Das von ihr eigens eingeholte Gutachten vom 19. Juni 2019 hat die Antragsgegnerin über den kurzfristig absehbaren Tod der Buche und die Aussichtslosigkeit weiterer Schutzmaßnahmen unterrichtet. Ausweislich ihrer am 2. Oktober 2019 erteilten Fällgenehmigung an den Antragsteller erachtet die Antragsgegnerin den Baum selbst für unrettbar. Gleichwohl waren für die Abwägung am 6. Februar 2020 ausweislich der Beschlussvorlagen und der Planbegründung unverändert die zum Beschluss vom 14. Mai 2019 angestellten Erwägungen entscheidend.

bb) Die Änderung der Sachlage war abwägungsrelevant. Auch eine im Wege des ergänzenden Verfahrens erfolgende Planung muss Änderungen der Sachlage, die nach dem ursprünglichen Satzungsbeschluss eingetreten sind, jedenfalls dann berücksichtigen, wenn diese der Gemeinde bekannt geworden sind oder ihr hätten bekannt werden müssen (OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 20.1.2003 - 8 C 11016/02 -, juris Rn. 33 ff.; v. 12.12.2003 - 8 C 11362/03 -, juris Rn. 25 ff.). Zwar mag in bestimmten Fällen davon auszugehen sein, dass bei Wiederholung des Satzungsbeschlusses im ergänzenden Verfahren nicht das unveränderte Fortbestehen sämtlicher Abwägungsgrundlagen - etwa durch erneute Beteiligung der Bürger und Träger öffentlicher Belange - geprüft zu werden und sich der Rat nicht mit Belangen, die von dem zu heilenden Abwägungsfehler nicht betroffen sind, erneut auseinanderzusetzen braucht (so im Grundsatz BVerwG, Urt. v. 20.1.2010 - 9 A 22/08 -, juris Rn. 27 f.). Andererseits verlangt die planerhaltende Funktion des § 214 Abs. 4 BauGB aber nicht, die Gemeinde auch von der Berücksichtigung solcher Änderungen abwägungserheblicher Umstände freizustellen, die im Zeitpunkt des erneuten Satzungsbeschlusses ohne weiteres erkennbar sind. In einem solchen Fall überwiegt das in § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB zum Ausdruck kommende Interesse an der „Sachgerechtigkeit“ der Norm im Zeitpunkt der Normsetzungsentscheidung das Interesse an einer möglichst „schlanken“ Heilung von Planungsmängeln (vgl. OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 6.2.2013 - 8 C 10943/12 -, juris Rn. 28 ff., insb. Rn. 33).

b) Davon ausgehend hat die Antragsgegnerin die Bedeutung der in der konkreten Plansituation betroffenen Belange verkannt.

Hatte der Baum keine Überlebenschance mehr, durfte ihm im Rahmen der Abwägung zum Zeitpunkt des zweiten Satzungsbeschlusses am 6. Februar 2020 der von der Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägung im Zeitpunkt des ersten Satzungsbeschlusses vom 14. Mai 2019 beigemessene hohe naturschutzfachliche sowie städtebauliche Wert nicht mehr zuerkannt werden. Denn mit dem feststehenden zeitnahen Abgang der Buche waren die ihr von der Antragsgegnerin zugeschriebenen städtebaulich relevanten Funktionen unwiederbringlich verloren.

Soweit sich die Antragsgegnerin auf die Festsetzung der Ersatzbepflanzungen (von vier Bäumen mit einem Stammdurchmesser von jeweils 20 bis 25 Zentimetern) beruft und meint, diese könnten die städtebauliche und naturschutzfachliche Funktion der alten Buche sowie ihre Bedeutung für den Klimaschutz (mit Blick auf die Kohlenstoffdioxid-Bindung) ersetzen, verkennt sie die unter den genannten Gesichtspunkten deutlich geminderte Bedeutung von Neupflanzungen. Deren Wert steht hinter der Bedeutung der 200 bis 250 Jahre alten Buche für den Naturschutz (insbesondere ihrer Bedeutung als Lebensraum für Vögel und Insekten), für die Ortsbildgestaltung sowie für den Klimaschutz (insbesondere hinsichtlich der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Kohlenstoffdioxid-Absorptionsrate des alten Baumes) erheblich zurück.

c) Der vorstehende Ermittlungs- und Bewertungsfehler, den der Antragsteller innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt hat, ist gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB beachtlich, da er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist (vgl. zum Ganzen Senatsurt. v. 12.5.2021 - 1 KN 87/16 -, juris Rn. 45).

aa) Die Mängel im Abwägungsvorgang sind offensichtlich, weil sich die fehlende Berücksichtigung des aktuellen Baumzustandes unmittelbar und eindeutig der unvollständigen Darstellung in der Planbegründung entnehmen lässt. Die Erkennbarkeit der nunmehr deutlich geminderten Schutzwürdigkeit der Buche für die Antragsgegnerin im Zeitpunkt des erneuten Satzungsbeschlusses ergibt sich ohne weiteres aus der gutachterlichen Bestätigung sowie der erteilten Fällgenehmigung.

bb) Die Fehler im Abwägungsvorgang sind zudem auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen, weil die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne die Mängel anders ausgefallen wäre.

Zum einen besteht die konkrete Möglichkeit, dass die Antragsgegnerin, deren erklärtes vorrangiges Planungsziel im Schutz der Buche bestand, bei Zugrundelegung der richtigen Faktenlage mangels Planungsanlasses schon gar keinen Planbeschluss gefasst hätte. Hinsichtlich der noch verbleibenden Funktion des Bebauungsplans - namentlich der Absicherung der Verpflichtung zur Vornahme von Ersatzpflanzungen bei Abgang der Buche (textliche Festsetzung unter Ziffer 5) - besteht die konkrete Möglichkeit, dass die Planfestsetzungen - wie die streng am Kronentraufbereich der alten Buche orientierten Baugrenzen - eine andere Gestalt angenommen hätten. Dass die Ersatzpflanzungen auf die dezidiert festgesetzten Schutzabstände (der nach dem Plan zulässigen Bebauung zur alten Buche und damit auf die getroffenen Festsetzungen zu den Baugrenzen) in der Sache nicht angewiesen sind, hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung durch ihre Erklärung bestätigt, dass der genaue Standort der Ersatzpflanzungen erst nach Maßgabe der Baumschutzsatzung der Antragsgegnerin bestimmt werde. Von Bedeutung sei hinsichtlich ihres Standorts lediglich, dass diese in einer zusammenstehenden Gruppe an der von der Stedinger Straße aus betrachtet rückwärtigen Grundstücksseite angepflanzt würden.

Vor dem Hintergrund der tatsächlich weitaus geringeren als angenommenen Bedeutung der Ersatzpflanzungen besteht weiterhin die konkrete Möglichkeit, dass sich die Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägungsentscheidung gegen die weitreichenden Beschränkungen der Baufreiheit des Antragstellers entschieden hätte.

II.

Auch das Planergebnis genügt nicht den nach § 1 Abs. 7 BauGB an die planende Gemeinde gerichteten Anforderungen. Danach bildet der Ausgleich des Abwägungsmaterials zwar ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde und ist einer gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich. Die Grenzen der gemeindlichen Planungsfreiheit sind jedoch überschritten, wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Senatsurt. v. 21.3.2019 - 1 KN 49/17 -, juris Rn. 18 sowie v. 12.5.2021 - 1 KN 87/16 -, juris Rn. 40).

Ein dem Gebot sachgerechter Abwägung Rechnung tragender Ausgleich der von der Planung berührten Belange ist der Antragsgegnerin schon deshalb nicht gelungen, da sie der Beschränkung der nach Art. 14 Abs. 1 GG auf der Grundlage des Vorgängerplans vermittelten Baufreiheit des Antragstellers keinen den Eingriff rechtfertigenden städtebaulich belastbaren Belang entgegenzusetzen vermag. Zwar kann der Schutz eines das Ortsbild prägenden und für den Natur- sowie Klimaschutz bedeutsamen Baumes unter Voraussetzungen, die hier keiner näheren Erörterung bedürfen, Festsetzungen wie die hier zur Prüfung stehenden tragen. Anderes gilt allerdings, wenn die mit dem Baumschutz verfolgten Funktionen tatsächlich deshalb unerreichbar sind und in der Folge die Plankonzeption deshalb hinfällig ist, weil der Baum zur Fällung freigegeben ist und realistisch kurzfristig absterben wird. Ökologische Gesichtspunkte mögen es rechtfertigen, auch in einer städtebaulichen Situation wie der hier nach Wegfall des Ursprungsbaumes entstandenen Pflanzgebote für neue Bäume vorzusehen. Allerdings ist deren Standort dann ohne Rücksicht auf den Wuchsort des Ursprungsbaums so zu wählen, dass legitime Interessen der Grundstückseigentümer an einer bestmöglichen Ausnutzung ihres Eigentums nur dann zurückstehen müssen, wenn die Beeinträchtigung durch einen ökologischen Mehrwert des Standorts gerechtfertigt ist. Dies ist für die hier relativ zentrale, das Baufenster zerschneidende Lage der Ersatzpflanzung nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.