Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.07.2021, Az.: 1 LA 8/19

Außenbereich; Außenbereichsfinger; Baulücke; Bebauungszusammenhang; Eigenart der Landschaft, natürliche; Innenbereich; Splittersiedlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.07.2021
Aktenzeichen
1 LA 8/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70894
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 25.10.2018 - AZ: 2 A 974/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch eine an zwei oder drei Seiten von Bebauung umschlossene Fläche mit der Breite nur eines Bauplatzes kann sich nach Lage der Dinge als Teil des Außenbereichs ("Außenbereichsfinger") darstellen.

Die Gefahr einer unorganischen Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der von der möglichen Ausweitung betroffene Raum klar begrenzt ist.

Auch bei landwirtschaftlichen Flächen in Dorfrandlage beeinträchtigt eine nichtlandwirtschaftliche Bebauung regelmäßig die natürliche Eigenart der Landschaft.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 25. Oktober 2018 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt einen bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid zur Errichtung eines Einfamilienhauses; in der Sache streiten die Beteiligten über die Lage des Bauplatzes im Innen- oder Außenbereich und die Zulässigkeit des Vorhabens in letzterem.

Der Kläger ist Eigentümer der Flurstücke 135/3 und 135/5 der Flur 4, Gemarkung A-Stadt. Das Grundstück mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von etwas mehr als 45 m und einer Ost-West-Ausdehnung von über 400 m wird bislang - von einem landwirtschaftlichen Gebäude im äußersten Südwesten abgesehen - ackerbaulich genutzt. Es wird im Westen von der Großen Straße (K 226) und daran anschließend der zentralen Ortslage, im Süden von der Gartenstraße und südlich von dieser ganz überwiegend mit Einfamilienhäusern bebauten Grundstücken begrenzt. Die Nordgrenze bilden auf den westlichen 250 m Einfamilienhausgrundstücke, die von der an ihrer Nordseite gelegenen Straße Wulfsacker aus erschlossen werden. Im Nordosten und Osten schließt sich die offene Landschaft an. Im Flächennutzungsplan ist das Grundstück bis zur Höhe der östlichen Siedlungsgrenze als Wohnbaufläche dargestellt.

Eine Bauvoranfrage des Klägers zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Neubaus eines Einfamilienhauses mit Carportanlage auf einem 22 m breiten, 46,5 m tiefen Bauplatz in der westlichen Hälfte des nördlich und südlich an den Siedlungsbereich angrenzenden Bereichs des Grundstücks lehnte der Beklagte ab.

Die dagegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Ortsbesichtigung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bauplatz sei nach § 35 BauGB zu beurteilen. Vom Standort der Kammer während der Ortsbesichtigung stelle sich das gesamte Grundstück als in die Bebauung hineinreichender Teil des Außenbereichs dar, der sich sowohl von der nördlich als auch der südlich angrenzenden Wohnbebauung deutlich absetze. In Richtung Osten eröffne sich der Blick in den weiteren Außenbereich. Auch wenn die Fläche zwischen der Bebauung im Norden und der Gartenstraße im Süden nur ca. 50 m breit sei, also der Tiefe der in der Umgebung vorhandenen Wohngrundstücke entspreche, könne wegen der Öffnung in den Außenbereich ohne jede topographische oder sonstige Begrenzung und der gegenwärtigen außenbereichstypischen, ackerbaulichen Nutzung nicht davon gesprochen werden, dass die Flächen von der Umgebungsbebauung geprägt würden. Hinzu komme, dass gerade die dem Vorhaben südlich der Gartenstraße gegenüberliegenden Flächen nicht bebaut seien. Aus diesen Gründen spreche für den Kläger auch nicht die Rechtsprechung, nach der ein jenseits der eigentlichen Bebauung liegendes unbebautes Grundstück ausnahmsweise noch dem Innenbereich zuzurechnen sei, wenn dieses aufgrund seiner Größe und topographischer Merkmale, die es vom weiteren Außenbereich abgrenzten, quasi als Baulücke oder versehentlich freigebliebene Fläche erscheine. Ohne Privilegierung sei das Vorhaben im Außenbereich unzulässig, da es die Entstehung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) befürchten lasse. Der Standort führe zu einer unorganischen Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich, denn es liege auf der Hand, dass eine geordnete Bebauung eine planerische Regelung durch die beigeladene Gemeinde erfordere.

II.

Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel und besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1.

Ernstliche Zweifel sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung im erstinstanzlichen Urteil mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese als offen darstellen. Das ist hier nicht der Fall.

a)

Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Bewertung des Bauplatzes als Teil des Außenbereichs. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht bei Darstellung der hierfür maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe ausgeführt, dass die erforderliche Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich anhand des von der vorhandenen Bebauung vermittelten Eindrucks der Geschlossenheit vorzunehmen ist. Diesen - regelmäßig schwer in Worte zu fassenden - Eindruck hat es in noch hinreichender Weise dargelegt, indem es ausgeführt hat, von seinem Standort während der Ortsbesichtigung stelle sich das gesamte Grundstück als in die Bebauung hineinreichender Teil des Außenbereichs dar, der sich sowohl von der nördlichen als auch der südlich angrenzenden Wohnbebauung deutlich absetze. Die im Widerspruchsvorgang (BA 002) enthaltenen Lichtbilder einer Ortsbesichtigung vom 3. November 2016 und auch das dort vorhandene Luftbild verdeutlichen, wie diese Ausführungen zu verstehen sind: Die Bebauung nördlich des Flurstücks 135/3 vermittelt den Eindruck einer nach Süden klar definierten Siedlungsgrenze, der im Süden des Flurstücks die durch die Gartenstraße akzentuierte Situation entspricht. Der Eindruck einer Zusammengehörigkeit der Bebauung südlich und nördlich der Freifläche ergibt sich nicht, zumal die genannte Bebauung die Freifläche auch nicht vollständig umschließt. Mag die Freifläche auch rechnerisch derart aufgeteilt werden können, dass sie lediglich die Tiefe eines Bauplatzes aufweist, so stellte sich die Gesamtfläche doch nicht als eine Reihe von Baulücken, sondern als „Außenbereichsfinger“ dar (vgl. zu einem ähnlichen Fall jüngst Senatsbeschl. v. 4.6.2021 - 1 LA 145/20 -, juris).

Die vom Kläger vertretene „Faustformel“, nach der eine an drei Seiten oder zwei gegenüberliegenden Seiten von Bebauung umgebene Fläche in aller Regel als Bestandteil des Bebauungszusammenhangs erscheine, hält der Senat in dieser Allgemeinheit nicht für zutreffend. Jedenfalls bei - wie hier mit rund einem Hektar - größeren Freiflächen lässt sich aus dem Vorhandensein von Bebauung auf gegenüberliegenden Seiten nicht auf eine Prägung durch diese schließen. Die vom Kläger betonte Tatsache, dass in einem solchen Fall keine uferlose Ausdehnung des Bebauungszusammenhangs drohe, ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Anwendung des § 34 BauGB. Auf die vom Verwaltungsgericht verneinte Frage, ob der Bauplatz, der Gegenstand der Bauvoranfrage ist, überhaupt - wie die „Faustformel“ des Klägers erfordert - von zwei gegenüberliegenden Seiten von Bebauung umgeben ist (bzw. bei Ablauf der Zulassungsantragsbegründungsfrist war), kommt es angesichts dessen nicht an.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht auch auf die „außenbereichstypische“ Nutzung der Fläche sowie auf das Fehlen einer topographischen oder sonstigen Abgrenzung nach Osten hin abgestellt hat. Beides kann zwar - darin ist dem Kläger beizupflichten - die Zugehörigkeit einer nach ihrem sonstigen Eindruck als Baulücke zu bewertenden Fläche zum Außenbereich nicht begründen. Eine gegenteilige Auffassung hat das Verwaltungsgericht aber trotz etwas missverständlicher Formulierungen seinen Ausführungen auch nicht zugrunde gelegt. Angesichts der vorhandenen klaren Siedlungsränder und der Gesamtgröße der zwischen diesen Siedlungsrändern gelegenen Freifläche von rund einem Hektar, die zusammen eine Betrachtungsweise als Reihe von Baulücken eher als fernliegend erscheinen ließen, galt es für das Verwaltungsgericht lediglich noch auszuschließen, dass das Grundstück sich nicht ausnahmsweise nach seiner Nutzungsart (etwa als Hausgärten) oder topographischen Begrenzung doch noch als Teil des Bebauungszusammenhangs darstellte, was es zutreffend verneint hat.

b)

Gleichfalls erfolglos bleibt der Einwand, das unstrittig im Außenbereich nicht privilegierten Vorhaben beeinträchtige nicht die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB zum Ausdruck kommenden öffentlichen Belange, da aufgrund der natürlichen Grenze, die einem Vorrücken der Bebauung durch den Ostrand der Bestandsbebauung südlich des Wulfackers gesetzt sei, der Vorprägung durch die Bestandsbebauung nördlich und südlich der Freifläche, der vorhandenen Erschließung und der im Flächennutzungsplan zum Ausdruck kommenden planerischen Vorstellung der Gemeinde eine unorganische Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich nicht zu befürchten sei.

Wenn der Kläger meint, die Abmessungen und der Zuschnitt des unbebauten Streifens lasse praktisch keine andere Bebauung zu als eine Errichtung einer Reihe von nebeneinanderstehenden Wohnhäusern auf Baugrundstücken, die sich nebeneinander entlang der Gartenstraße zwischen dieser und den nördlich vorhandenen Baugrundstücken befänden, verkennt er, dass im Außenbereich das Erfordernis des Einfügens keine Steuerungsfunktion erfüllt. Weder in ihrer Kubatur, noch in ihrer Lage auf dem jeweiligen Baugrundstück müssten sich etwaige Vorhaben in dem vom Kläger umrissenen Bereich an der Umgebungsbebauung orientieren. Auch querstehende Gebäuderiegel von erheblicher Länge wären, stünde nicht § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB einer Bebauung entgegen, zulässig. Unabhängig davon gibt die Bestandsbebauung nördlich und südlich der Freifläche das vom Kläger skizzierte Bebauungsschema nicht vor; namentlich südlich, aber auch nördlich der Freifläche ist durchaus auch zweireihige Bebauung vorhanden (im bei Ablauf der Zulassungsantragsbegründungsfrist vorhandenen Bestand namentlich die Grundstücke Gartenstraße 6, 6A/6B, Gartenstraße 14A, 14B oder Wulfsacker 24/26), was selbst bei Anwendung des § 34 BauGB die Schaffung von rund 20 Wohngebäuden ermöglichte. Selbst wenn die Ausdehnung der Siedlung räumlich darauf begrenzt bleiben müsste, wäre doch nicht auszuschließen, dass das Ergebnis nach Dichte und Struktur unorganisch und städtebaulich unerwünscht ausfiele.

Unabhängig davon kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Behandlung des § 35 Abs. 2, 3 BauGB deshalb nicht in Betracht, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts jedenfalls offenkundig im Ergebnis richtig ist. Denn das Vorhaben beeinträchtigt entgegen der Auffassung des Klägers trotz seiner Tiefe von nur 46,5 m den öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Die natürliche Eigenart der Landschaft wird durch ein Bauvorhaben beeinträchtigt, wenn die zur Bebauung vorgesehene Fläche - wie hier - entsprechend der im Außenbereich zu schützenden „naturgegebenen Bodennutzung“, nämlich landwirtschaftlich, genutzt wird und nichts darauf hindeutet, dass sie die Eignung für diese Nutzung demnächst einbüßen wird. Die bloße Nachbarschaft zu einer Wohnbebauung genügt hierfür nicht; vielmehr erfasst § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB auch den Erhalt landwirtschaftlicher Flächen in Dorfrandlage, solange diese Dorfrandlage noch landwirtschaftlich genutzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.1.1985 - 4 C 29.81 - NVwZ 1985, 747 = juris Rn. 8). Das ist hier offenkundig der Fall; sämtliche an die in Rede stehende Freifläche östlich angrenzenden Flurstücke dienen dem Ackerbau, und auch auf dem Flurstück 135/3 selbst, westlich des Vorhabens, ist noch ein offenbar landwirtschaftlich genutztes Gebäude vorhanden.

2.

Die Berufung ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufwiese. Das erfordert, dass die Entscheidung der Streitsache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich überdurchschnittliche, d. h. das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen würde. Das ist nicht der Fall.

Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass die Beurteilung der Zugehörigkeit einer Fläche zum Innen- oder Außenbereich in Grenzfällen derartige Schwierigkeiten durchaus aufwerfen kann. Bereits die in der Widerspruchsakte vorhandenen Lichtbilder und das Luftbild lassen allerdings erkennen, dass ein solcher Grenzfall hier nicht vorliegt. Auch aus Sicht des Senats ist die fehlende Prägung der Freifläche durch die Umgebungsbebauung eindeutig feststellbar, ohne dass es dafür der Durchführung eines Berufungsverfahrens mit Ortsbesichtigung bedürfte.

Die besonderen Schwierigkeiten, die der Kläger bei der Beantwortung der Frage sieht, ob das Vorhaben, eine Lage im Außenbereich unterstellt, gleichwohl ausnahmsweise nach § 35 Abs. 2, 3 BauGB zulässig sein könnte, bestünden nur dann, wenn wirklich, wie der Kläger meint, zu klären wäre, ob eine räumlich auf ca. 10 Baugrundstücke begrenzte, aber geordnete und der Umgebungsstruktur entsprechende Bebauung als unorganische Ausdehnung des Siedlungsbereichs angesehen werden könnte. Diese Prämisse trifft aber aus den oben dargelegten Gründen nicht zu.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil sie im Berufungszulassungsverfahren keinen Antrag gestellt und das Verfahren auch sonst nicht gefördert hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).