Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.07.2021, Az.: 1 ME 75/21
Anforderungen an die Bestimmtheit einer Abstandsbaulast
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.07.2021
- Aktenzeichen
- 1 ME 75/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 29935
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 27.04.2021 - AZ: 2 B 25/21
Rechtsgrundlage
Fundstelle
- NVwZ-RR 2021, 966-967
Amtlicher Leitsatz
Einer Abstandsbaulast muss, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, die Höhe des Bauvorhabens, für das sie bestimmt ist, nicht bezeichnen.
Einer mit dem Ziel, die erstinstanzliche Kostenentscheidung (hier: Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen) zu ändern, erhobene Anschlussbeschwerde steht § 158 Abs. 2 VwGO nicht entgegen.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 27. April 2021 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde des Beigeladenen wird die Kostenentscheidung des vorgenannten Beschlusses teilweise geändert. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren sind erstattungsfähig.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im zweitinstanzlichen Verfahren sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 7.500 EUR festgesetzt; insoweit wird die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts geändert.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Grenzgarage; im Wesentlichen streiten die Beteiligten darüber, ob diese von einer von der Antragstellerin eingeräumten Baulast gedeckt ist.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des dem Vorhabengrundstück südöstlich benachbarten Grundstücks E.. Ihr Wohnhaus steht etwa 5 m von der nordwestlichen Grundstücksgrenze entfernt. Am 21. März 2019 wurde in das Baulastenverzeichnis nach vorangegangener Bewilligung durch die Antragstellerin folgende Baulast eingetragen:
"Der jeweilige Eigentümer gestattet, dass von seinem Grundstück eine Teilfläche, die im anliegenden Lageplan kenntlich gemacht ist, dem Nachbargrundstück [Bezeichnung des Vorhabengrundstücks] bei der Bemessung des Grenzabstandes zugerechnet wird. Er verpflichtet sich, mit seinen geplanten baulichen Anlagen von dieser Teilfläche den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten.
Die Baulast gilt für den Neubau einer Doppelgarage."
Der beigefügte Lageplan stellt als Baulastfläche eine 15 m breite, an den Ecken abgerundete, 3 m tiefe - in voller Tiefe also 9 m breite - Fläche an der Grenze zum Vorhabengrundstück, unmittelbar gegenüber dem Wohnhaus der Antragstellerin, dar; zu diesem Wohnhaus beträgt der Abstand der Baulastfläche mithin ca. 2 m.
Unter dem 5. März 2021 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung einer Doppelgarage auf dem Vorhabengrundstück. Die Garage soll auf einer Breite von 9 m - entsprechend der Baulastfläche - an die Grenze zum Grundstück der Antragstellerin gebaut werden und ein Pultdach erhalten, das entlang der Grenze eine Höhe zwischen 5,30 m im Südwesten und 5,00 m im Nordosten aufweist.
Den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres fristgerecht erhobenen, noch nicht beschiedenen Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Baugenehmigung verletze voraussichtlich keine Nachbarrechte der Antragstellerin. Ob das Vorhaben die Abstandsregeln verletze, weil die zugunsten des Vorhabengrundstücks eingetragene Baulast objektiv rechtswidrig sei - dies komme in Betracht, da ihre Bestellung auf dem Antragstellergrundstück selbst zu einer Grenzabstandsunterschreitung führe -, könne dahinstehen; denn jedenfalls könne sich die Antragstellerin darauf nicht berufen. Der mögliche Mangel betreffe allein ihr eigenes Grundstück. Die Baulast sei weder nach § 81 Abs. 3 Satz 1, 2 NBauO, noch wegen Nichtigkeit zu löschen. Die mit ihr ermöglichten Verhältnisse seien nicht schlechthin unerträglich. Die Baulast sei auch hinreichend bestimmt; die dem Vorhabengrundstück zuzurechnende Abstandsfläche sei aus dem Lageplan klar ersichtlich. Eine Angabe zur Höhe des Vorhabens sei bei einer Abstandsbaulast nach § 6 Abs. 2 NBauO nicht erforderlich. Sonstige Nachbarrechte verletze das Vorhaben ebenfalls nicht. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung für nicht erstattungsfähig erklärt, dieser habe weder einen Antrag gestellt, noch die ihm erteilte Baugenehmigung verteidigt oder das Verfahren sonst wesentlich gefördert.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Beschluss fristgerecht Beschwerde, der Beigeladene Anschlussbeschwerde mit dem Ziel, die Kostenentscheidung zu ändern, erhoben.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin, auf deren fristgerecht vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, ist unbegründet.
1.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die von ihr bewilligte Baulast nichtig, da sie zur Folge habe, dass ihr eigenes Wohnhaus nur 2 m von der gedachten Grundstücksgrenze entfernt liege. Diese Rüge verkennt bereits, dass das Verwaltungsgericht sein Urteil auch darauf gestützt hat, dass sich die Antragstellerin auf eine daraus etwa folgende Rechtswidrigkeit der Baulast und in der Folge eine Grenzabstandsverletzung durch das Vorhaben nicht berufen könne, weil der Mangel der Baulast aus den Zuständen auf ihrem eigenen Grundstück folge. Diese Erwägung ist - auch wenn das Verwaltungsgericht das nicht ausdrücklich ausgeführt hat - selbständig tragend; sie behielte ihre Gültigkeit auch dann, wenn die sich daraus ergebenden Zustände entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schlechthin untragbar wären, mit der Folge, dass die Baulast nicht nur rechtswidrig, sondern nichtig wäre. Die Antragstellerin hat die Erwägung im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen; sie ist auch in der Sache zutreffend. In der Bewilligung einer Baulast liegt als minus die Erklärung, ihre Ausnutzung nicht mit Rechtsbehelfen angreifen zu wollen; diese Erklärung wird von einem Rechtsmangel der Baulast nicht automatisch miterfasst.
Unabhängig davon ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die durch die Baulast ermöglichten baulichen Zustände seien nicht schlechthin unerträglich und genügten den Mindestanforderungen des § 3 Abs. 1 NBauO, die Baulast sei daher nicht als nichtig anzusehen, auch in der Sache nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren geltend macht, das mit der Baulast ermöglichte Vorhaben verschatte die Fenster von Bad, Gäste-WC, Eingangstür, Küche und Hauswirtschaftsraum, ist ihr entgegenzuhalten, dass kaum einer dieser Räume nach der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) auf eine Belichtung durch Fenster angewiesen ist. Lediglich Küchen und u.U. Hauswirtschaftsräume sind Aufenthaltsräume i.S.d. § 43 Abs. 3, § 2 Abs. 8 NBauO (vgl. Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl., § 2 Rn. 115), und auch für Küchen entbindet § 44 Abs. 3 Satz 2 NBauO vom Erfordernis notwendiger Fenster. Beim Hauswirtschaftsraum, der typischerweise tagsüber genutzt wird, ist der angesichts der Nordwestausrichtung der betroffenen Fassade allenfalls in Rede stehende Verlust der Abendsonne ohne weiteres zu verschmerzen. Die von der Antragstellerin weiter angeführten baugestalterischen Erwägungen - es entstehe optisch der Eindruck eines Hinterhofes eines Gewerbebetriebes - berühren die Ziele des § 3 Abs. 1 NBauO - gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse - nicht. Mangels Nichtigkeit der Baulast kommt es auf die von der Antragstellerin weiter aufgeworfenen Fragen, ob die Nichtigkeit durch eine nachträgliche Zulassung einer Abweichung geheilt werden könne und ob die Antragstellerin verpflichtet sein könne, diese zu beantragen, nicht an.
2.
Die Rüge, entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts sei die Baulast auch mangels Bestimmtheit nicht zu beachten, greift ebenfalls nicht durch. Auf das Senatsurteil vom 27.9.2001 - 1 LB 1137/01 -, BauR 2002, 770 = juris Rn. 21 ff., kann die Antragstellerin ihre gegenteilige Auffassung nicht stützen. Dieses Urteil betraf den Fall einer Baulast nach § 8 Abs. 2 Satz 1 NBauO damaliger Fassung (§ 5 Abs. 5 Satz 2 NBauO n.F.), d.h. der Baulast mit der Verpflichtung, einen Grenzbau hinzunehmen und diesem einen entsprechenden Bau an die Seite zu stellen. Dass dies einer näheren Bestimmung der baulichen Anlage, auf die sich die Verpflichtung bezieht, bedarf, liegt auf der Hand. Auf den Fall der Abstandsbaulast nach § 6 Abs. 2 NBauO (§ 9 Abs. 2 NBauO a.F.) ist dies indes nicht übertragbar. Hier grenzt bereits die Tiefe der Baulastfläche den Kreis der mit der Baulast ermöglichten Vorhaben hinreichend ein: Zulässig ist nicht jedes beliebige, sondern nur ein Vorhaben, das den Grenzabstand nach § 5 NBauO zur fiktiv verschobenen Grundstücksgrenze wahrt. Das genügt, um die Rechtswirkungen der Bewilligung hinreichend verlässlich einzugrenzen (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsurteil vom 27.9.2001 - 1 LB 1137/01 -, BauR 2002, 770 = juris Rn. 27). Dem Bewilligenden ist es unbenommen, den Gegenstand seiner mit der Baulast verbundenen Duldungspflicht - wie hier durch die Beschränkung auf eine Doppelgarage - weiter einzugrenzen; ein Wirksamkeitserfordernis ist das nicht.
Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin habe aufgrund ihrer Baulasterklärung auch die Geltendmachung etwaiger sonstiger Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung verwirkt, war nicht entscheidungstragend, da das Gericht vom Bestehen solcher Rechte nicht ausgegangen ist. Auf die Richtigkeit des Beschwerdevorbringens der Antragstellerin, eine Verwirkung komme nicht in Betracht, da sie bei Bewilligung der Baulast über die Höhe des geplanten Garagenvorhabens getäuscht worden sei, kommt es schon deshalb nicht mehr an. Unabhängig davon lässt sich die Richtigkeit ihrer Behauptung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung nicht mit der für ein Obsiegen erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Die Antragstellerin behauptet (S. 8 ihres Schriftsatzes vom 2. Juni 2020), der Beigeladene und die für die Baulasteintragung zuständige Mitarbeiterin des Antragsgegners Frau Rose hätten ihr gegenüber die Höhe der Grenzgarage mit 3,30 m angegeben. Die Mitarbeiterin des Antragsgegners hat dies mit der Einlassung bestritten, sie sehe sich parallel zum Baulastbewilligungstermin stets die Bauakte an (Bl. 66 des Verwaltungsvorgangs). Ein Grund, weshalb die Mitarbeiterin die Antragstellerin vorsätzlich hätte täuschen sollen, ist nicht ersichtlich. Da in der Bauakte die Höhe des Vorhabens richtig mit 5,00 bis 5,30 m angegeben ist, spricht daher Überwiegendes dafür, dass die Mitarbeiterin, wäre im Bewilligungstermin die Sprache auf diese Höhe gekommen, die richtigen Maße genannt hätte.
III.
Die Anschlussbeschwerde des Beigeladenen ist zulässig; § 158 Abs. 2 VwGO steht dem nicht entgegen (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 158 Rn. 3 m.w.N.). Sie ist auch begründet. Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts ist unrichtig. Es entspricht der Praxis des Senats, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aus Billigkeitsgründen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO dann dem unterliegenden Prozessgegner aufzuerlegen, wenn der Beigeladene sich entweder durch Antragstellung einem eigenen Prozessrisiko ausgesetzt oder das Verfahren sonst durch eigenständige Ausführungen zur Sache gefördert hat (Senatsbeschl. v. 20.4.2020 - 1 ME 99/19 -, NVwZ-RR 2020, 813 = DVBl. 2021, 46 = juris Rn. 23). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - der Schriftsatz nach Erlass der gerichtlichen Entscheidung, aber noch vor deren Bekanntgabe an den Beigeladenen und innerhalb einer vom Gericht gesetzten Stellungnahmefrist eingeht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat bemisst den Hauptsachestreitwert abweichend vom Verwaltungsgericht mit 15.000 EUR; maßgeblich ist der Wert der Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses. Da die Klägerin diese hier als nicht geringfügig darstellt, bestand kein Anlass, am unteren Rand des in Nr. 8 a) der für bis Mai 2021eingegangene Verfahren geltenden Streitwertannahmen des Senats angegebenen Wertrahmens von 4.000 bis 30.000 EUR zu bleiben. Der Hauptsachestreitwert ist hier gemäß Nr. 18 b) der o.g. Streitwertannahmen zu halbieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).