Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.07.2021, Az.: 13 ME 30/21
Duldung; Duldung mit ungeklärter Identität; Flugbuchung; Flugticket; Mitwirkungspflicht, aufenthaltsrechtlich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.07.2021
- Aktenzeichen
- 13 ME 30/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71023
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 13.01.2021 - AZ: 7 B 54/20
Rechtsgrundlagen
- § 60b AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es ist offen und bedarf im Rahmen eines Einstellungsbeschlusses keiner Entscheidung, ob die Mitwirkungspflichten des Ausländers zur Erlangung von Reisedokumenten auch die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise in Form einer verbindlichen Flugbuchung einschließen.
Tenor:
I. Das Verfahren wird eingestellt.
Der die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 7. Kammer - vom 13. Januar 2021 wird mit Ausnahme der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für unwirksam erklärt.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller zu ¼ und die Antragsgegnerin zu ¾.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
II. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus A-Stadt bewilligt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I. Nachdem die Beteiligten den Eilrechtsstreit mit Schriftsätzen vom 18. Juni 2021 und vom 8. Juli 2021 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das gesamte Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, ist der die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 13. Januar 2021 einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog für unwirksam zu erklären und ist über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des gesamten Eilrechtsstreits dem Antragsteller zu ¼ und der Antragsgegnerin zu ¾ aufzuerlegen (Rechtsgedanke des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der erstinstanzlich gestellte und vom Verwaltungsgericht entschiedene Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 6. Dezember 2020 gegen die für den Zeitraum vom 1. Dezember 2020 bis zum 1. März 2021 erteilte Duldung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität" nach § 60b Abs. 1 AufenthG ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts statthaft gewesen (vgl. zur Begründung im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 9.6.2021 - 13 ME 587/20 -, juris Rn. 10 ff.). Darüber hinaus ist offen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllt waren. Nach § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung im Sinne des § 60a (Abs. 2 Satz 1) AufenthG (nur dann) mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt (1. Alt.) oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht vornimmt (2. Alt.).
Eine Rechtswidrigkeit des Zusatzes nach § 60b Abs. 1 AufenthG ergibt sich nicht aus der Annahme des Härtefallantrags und einer aus diesem Grund fehlenden Kausalität für das Abschiebungshindernis (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 23.6.2021 - 123 PA 96/21 -, juris Rn. 6 ff.). Denn vorliegend wurde der Härtefallantrag des Antragstellers erst mit Schreiben vom 24. März 2021 und damit nach dem Eintritt des erledigenden Ereignisses - dem Ablauf der Duldungsfrist am 1. März 2021 - von der Härtefallkommission zur Beratung angenommen.
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60b Abs. 1 AufenthG sind aber aus anderem Grund als offen anzusehen. Wie sich aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Schreiben des Generalkonsulats der Islamischen Republik Iran in Hamburg vom 24. Juli 2017 (Bl. 23 d. GA) ergibt, ist Voraussetzung für die Erteilung eines Passersatzpapiers u.a. eine Flugbestätigung über einen direkten Flug des Ausreisepflichtigen nach Iran. Es ist als offen anzusehen und bedarf deshalb im vorliegenden Beschluss keiner Entscheidung, ob die Mitwirkungspflichten des Ausländers zur Erlangung von Reisedokumenten auch die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise in Form einer verbindlichen Flugbuchung einschließen (dagegen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7.11.2019 - OVG 3 S 111.19 -, juris Rn. 6 f.). Andere Möglichkeiten des Antragstellers zur Erlangung eines Reisepasses oder Passersatzpapiers sind weder von der Antragsgegnerin vorgetragen noch ersichtlich.
Da die Erfolgsaussichten insoweit offen sind, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens hinsichtlich des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung den Beteiligten zu gleichen Teilen aufzuerlegen.
2. Das darüber hinaus mit der Beschwerde weiterverfolgte Begehren, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig erneut die Ausübung einer Beschäftigung in seiner früheren Tätigkeit zu erlauben, hätte voraussichtlich in der Sache keinen Erfolg, da es - unabhängig davon, ob der Antrag in diesem konkreten Verfahren zulässig ist - jedenfalls an einem Anordnungsgrund fehlt.
Die über die letzte nach § 60a AufenthG erteilte Duldung ausgestellte Duldungsbescheinigung vom 2. September 2020 enthielt den Vermerk „Beschäftigung uneingeschränkt gestattet“. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um eine unbefristete Beschäftigungserlaubnis handelte, die nicht mit dem Auslaufen der aktuellen Duldung endete. Eine solche „überwirkende“ Beschäftigungserlaubnis hätte zur Folge, dass diese allein durch den Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG in den Folgeduldungen nicht erloschen wäre (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2021 - 13 ME 587/20 -, juris Rn. 29, 33 ff.). Da die Beschäftigungserlaubnis mithin fortgestünde, hätte der Antragsteller keinen Grund, die vorläufige Erteilung derselben im Wege einer einstweiligen Anordnung zu fordern.
Dennoch sind die Kosten insoweit nach billigem Ermessen unter Anwendung des Rechtsgedankens aus § 155 Abs. 4 VwGO der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Durch das Bestreiten einer Arbeitserlaubnis im behördlichen und gerichtlichen Verfahren hat sie Anlass zur Stellung des vorliegenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben, so dass die dadurch verursachten Kosten ihr zur Last fallen.
Insgesamt ist es daher sachgerecht, die Kosten des gesamten Verfahrens zu ¼ dem Antragsteller und zu ¾ der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
3. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG und Nr. 8.3 sowie Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 23.6.2021 - 13 ME 95/21 -, juris Rn. 11 f.).
Insgesamt ergibt sich für das Beschwerdeverfahren hieraus ein Streitwert in Höhe von 5.000 EUR. Für das zweite Begehren - die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - erschiene es angemessen, im Hauptsacheverfahren einen Streitwert in Höhe des Auffangwertes nach § 52 Abs. 2 GKG und somit von 5.000 EUR anzusetzen. Dieser Wert ist für das Eilbeschwerdeverfahren wegen der darin begehrten Vorwegnahme der Hauptsache gemäß Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs nicht zu halbieren. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Bekämpfung des Zusatzes nach § 60b Abs. 1 AufenthG zur Duldung mittels Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 7 A 130/20 nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO (erstes Begehren) im vorliegenden Fall lediglich den Versagungsgrund aus § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG im Wege der Suspendierung des Zusatzes hat vorläufig beseitigen und damit das Hindernis für die mit dem zweiten Begehren erstrebte Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hat ausräumen sollen, wirkt sich das erste Begehren nicht streitwerterhöhend aus (vgl. zu diesem Ergebnis bereits Senatsbeschl. v. 9.6.2021, a.a.O., juris Rn. 81).
II. Dem kostenarmen Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der Beschwerde kam nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362, juris Rn. 11) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz1 ZPO zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Wie unter I.1. ausgeführt, sind die Erfolgsaussichten des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO offen. Im Hinblick auf den Antrag auf vorläufige Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hätte es einer gerichtlichen Klarstellung über die Geltungsdauer der bereits zuvor erteilten Beschäftigungserlaubnis bedurft (vgl. oben unter I.2.). Vor diesem Hintergrund sind die Anträge auch nicht mutwillig gestellt worden.
Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 1 ZPO.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Ansatz von Gerichtsgebühren für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren ist im Gerichtskostengesetz nicht vorgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 92 Abs. 3 Satz 1, 152 Abs. 1, 158 Abs. 2 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).