Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.07.2021, Az.: 4 LB 93/19

Ausbildungsförderung; Ermessen; Erstattung; Forderung; Freibetrag; Härte, unbillige; Rückforderung; Rücknahme; Schulden; Stundung; Vermögen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.07.2021
Aktenzeichen
4 LB 93/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.08.2017 - AZ: 4 A 6/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Vom Vermögen des Auszubildenden sind als Schulden im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG nur Forderungen abzuziehen, die im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung bereits wirksam entstanden sind.

2. Eine unbillige Härte im Sinne von § 29 Abs. 3 BAföG kann auch dann bestehen, wenn das Vermögen des Auszubildenden aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nach seinem Antrag auf Ausbildungsförderung geschmälert wird und ihm daher im Bewilligungszeitraum nicht mehr für die Bedarfsdeckung zur Verfügung steht.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Berichterstatter der 4. Kammer - vom 29. August 2017 geändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. März 2017 Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 524,- EUR zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2016 bis März 2017. Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Vermögen auf den Bedarf.

Die 1992 geborene Klägerin studierte an der Universität Vechta vom Wintersemester 2013/14 bis einschließlich zum Sommersemester 2016 in dem Zwei-Fächer-Bachelorstudiengang „Germanistik/Deutsch und Sachunterricht“ und ab dem Wintersemester 2016/17 im Masterstudiengang „Master auf Education“.

Für die drei Studienjahre des Bachelorstudiums beantragte die Klägerin Ausbildungsförderung, wobei sie in den drei Antragsformularen jeweils angab, über Vermögen in Höhe von 5.000,- EUR zu verfügen.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin Ausbildungsförderung für die drei Bewilligungszeiträume von Oktober 2013 bis September 2014, von Oktober 2014 bis September 2015 sowie von Oktober 2015 bis September 2016 in unterschiedlicher Höhe.

Im Januar 2016 erfuhr die Beklagte im Wege des Datenabgleichs gemäß § 45 d Abs. 2 EStG, dass die Klägerin der C. für die Kalenderjahre ab 2014 einen Auftrag für die steuerliche Freistellung von Kapitalerträgen in Höhe von 138,- EUR erteilt hatte. In ihren Anträgen auf Ausbildungsförderung hatte die Klägerin nicht angegeben, über Geldanlagen bei dieser Bank zu verfügen.

Mit Schreiben vom 10. März 2016 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über das Ergebnis des Datenabgleichs und forderte sie auf, die Höhe ihres gesamten Vermögens zum Zeitpunkt ihrer drei Anträge auf Ausbildungsförderung darzulegen und durch Bankbelege nachzuweisen.

Mit einem am 24. März 2016 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben teilte die Klägerin daraufhin mit, dass ihr 2014 verstorbener Vater Geld auf ihren Namen bei der C. angelegt habe. Über dieses Vermögen sei ihr bisher nichts bekannt gewesen. Aus Kontoauszügen, die dem Schreiben der Klägerin beigefügt waren, ergab sich, dass ein auf ihren Namen geführtes Union-Depot am 31. Dezember 2013 einen Wert von 9.967,92 EUR, am 31. Dezember 2014 einen Wert von 10.507,34 EUR sowie am 31. Dezember 2015 einen Wert von 11.079,88 EUR hatte.

Ebenfalls am 24. März 2016 stellte die Klägerin für die Zeit ab Oktober 2016 einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung, wobei sie angab, dass sie aufgrund des Union-Depots über Vermögen in Höhe von 11.080,- EUR, über weiteres Sparvermögen in Höhe von 4.233,- EUR sowie über Barvermögen in Höhe von 15,- EUR verfüge.

Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 6. April 2016 auf, weitere Angaben u. a. dazu zu machen, seit wann ihr das Union-Depot bekannt gewesen sei, und übersandte ihr zu diesem Zweck ein von der Bank auszufüllendes Formblatt. Außerdem wies die Beklagte darauf hin, dass bei den von der Klägerin vorgelegten Kontoauszügen jeweils die Seite 1 fehle, und bat sie darum, diese Seite jeweils nachzureichen, damit nachvollzogen werden könne, an wen die Kontoauszüge adressiert gewesen seien.

Am 20. April 2016 reichte die Klägerin bei der Beklagten eine Reihe von an sie selbst adressierten Schreiben der Union Investment mit Mitteilungen zum aktuellen Depotwert ein, die aus der Zeit zwischen dem 17. Mai 2013 und dem 31. Dezember 2015 stammten. Die Klägerin versicherte hierzu in ihrem Anschreiben nochmals, von dem Depot nichts gewusst zu haben, auch wenn die Schreiben jeweils an Sie adressiert gewesen seien. Die Briefe der Bank seien jeweils von ihrem Vater und nach dessen Tod von ihrer Mutter geöffnet und abgeheftet worden. Diese Sachverhaltsschilderung wurde von der Mutter der Klägerin gegenüber der Beklagten mit einem Schreiben vom 29. Mai 2016 sinngemäß bestätigt.

Ferner ging am 4. Mai 2016 bei der Beklagten das von der E. ausgefüllte Formblatt ein, mit dem diese u. a. mitteilte, dass mit der Klägerin direkter Schriftverkehr zu dem Depot stattgefunden habe.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 29. Juli 2016 ihre Leistungsbescheide für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis September 2014 gänzlich und für die beiden darauffolgenden Bewilligungszeiträume teilweise auf, wobei sie das bei der C. geführte Depot jeweils als Vermögen auf den Bedarf der Klägerin anrechnete. Außerdem setzte sie gegenüber der Klägerin eine Gesamtrückforderung in Höhe von 9.628,- EUR fest. Diesen Bescheid ließ die Klägerin bestandskräftig werden.

Mit einem weiteren Bescheid vom 30. September 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Oktober 2016 bis März 2017 ab, wobei sie den beschiedenen Bewilligungszeitraum wegen der zunächst nur vorläufig erfolgten Zulassung der Klägerin zum Masterstudium auf sechs Monate, also auf das erste Semester des Masterstudiums, verkürzte. Auch hierbei berücksichtigte die Beklagte das Depot als auf den Bedarf anzurechnendes Vermögen. Einen Abzug vom Vermögen in Höhe der mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzten Rückforderung nahm sie nicht vor.

Die von der Klägerin daraufhin am 28. Oktober 2016 erhobene, auf die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Oktober 2016 bis März 2017 in Höhe von monatlich 524,- EUR gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. August 2017 als unbegründet abgewiesen. Unter Anrechnung des Depot-Vermögens auf den Bedarf ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung. Der für die vorangegangenen Bewilligungszeiträume festgesetzte Rückforderungsbetrag in Höhe von 9.628,- EUR sei nicht vom Vermögen abzusetzen. Für die Vermögensberechnung und den Abzug von Schulden vom Vermögen gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG sei der Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung – hier der 24. März 2016 – maßgeblich. Die Rückforderung sei aber erst danach mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzt worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe die Klägerin auch noch nicht ernstlich mit der Festsetzung der Rückforderung rechnen müssen. Denn der für die Rücknahme und Erstattung von Leistungen für die Vergangenheit relevante Sachverhalt sei seinerzeit noch nicht aufgeklärt gewesen. Die Anrechnung des Vermögens in voller Höhe führe auch nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage der Klägerin und begründe deshalb nicht eine unbillige Härte im Sinne von § 29 Abs. 3 BAföG.

Die Klägerin trägt zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 15. April 2019 (4 LA 365/17) zugelassenen Berufung vor: Der festgesetzte Rückforderungsbetrag sei gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG vom Vermögen abzusetzen, denn entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts habe sie – die Klägerin – bereits im Zeitpunkt ihres Antrags auf Ausbildungsförderung ernsthaft mit der Festsetzung der Rückforderung rechnen müssen. Ihr sei das maßgebliche Depot-Vermögen aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 10. März 2016 schon vor dem erneuten Antrag auf Ausbildungsförderung bekannt geworden, und bereits zu dieser Zeit habe sie sicher mit einer Rückforderung gerechnet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Berichterstatter der 4. Kammer - vom 29. August 2017 zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, ihr für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 524 EUR zu gewähren, und den Bescheid der Beklagten vom 30. September 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Sie hält an ihrem Rechtsstandpunkt fest, dass die mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzte Erstattungsforderung nicht von dem auf den Bedarf anzurechnenden Vermögen der Klägerin abzusetzen sei und sich deshalb für den hier in Rede stehenden Bewilligungszeitraum kein Anspruch auf Ausbildungsförderung ergebe. Maßgebend für die Vermögensanrechnung seien die Verhältnisse im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung. Deshalb sei die erst nach diesem Zeitpunkt festgesetzte Erstattungsforderung nicht als Schuldverpflichtung gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG und darüber hinaus auch nicht aufgrund der Härtefallregelung in § 29 Abs. 3 BAföG vom Vermögen der Klägerin abzuziehen. Eine Anwendung des eng auszulegenden § 29 Abs. 3 BAföG auf den vorliegenden Fall würde zu einer nicht zu rechtfertigenden Besserstellung der Klägerin gegenüber Auszubildenden führen, die nach Antragstellung Vermögen durch eine freiwillig eingegangene riskante Geldanlage verloren hätten. Eine unbillige Härte sei auch deshalb nicht gegeben, da es der Klägerin ohne weiteres möglich gewesen wäre, einen Stundungsantrag hinsichtlich der Rückforderung zu stellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

II.

Die Berufung der Klägerin ist begründet.

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten haben sich außerdem beide mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat für den Bewilligungszeitraum Oktober 2016 bis März 2017 einen Anspruch auf Ausbildungsförderung in der in ihrem Klageantrag genannten Höhe. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30. September 2016 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat für das von ihr im Wintersemester 2016/17 aufgenommene Masterstudium unzweifelhaft dem Grunde nach einen Anspruch auf Ausbildungsförderung. Streitig und zugleich streitentscheidend ist allein, ob das zum gemäß § 28 Abs. 2 BAföG maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung vorhandene Vermögen der Klägerin (abgesehen vom Abzug des allgemeinen Vermögensfreibetrags gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG) ungekürzt auf ihren Bedarf anzurechnen ist, womit sich kein Anspruch auf Ausbildungsförderung ergeben würde, oder ob von dem auf den Bedarf anzurechnenden Vermögen ein (weiterer) Abzug in Höhe der mit dem Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzten Rückforderung vorzunehmen ist. Letzteres ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu bejahen. Dies ergibt sich nicht aus § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG, aber aus § 29 Abs. 3 BAföG und führt dazu, dass kein Vermögen auf den Bedarf anzurechnen ist. Damit ergibt sich ein Anspruch auf Ausbildungsförderung in der von der Klägerin begehrten Höhe.

Die mit dem Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzte öffentlich-rechtliche Erstattungsforderung ist nicht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG von dem auf den Bedarf anzurechnenden Vermögen der Klägerin abzusetzen.

Nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG sind die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten von dem nach den Absätzen 1 und 2 ermittelten Vermögensbetrag abzuziehen. Zu den vom Vermögen abzuziehenden Schulden zählen private Verbindlichkeiten, wenn sie nach zivilrechtlichen Maßstäben wirksam zustande gekommen sind (BVerwG, Urt. v. 4.9.2008 - 5 C 30.07 -, juris Rn. 18 u. - 5 C 12.08 -, juris Rn. 17). Für öffentlich-rechtliche Forderungen kann nichts Anderes gelten. Auch sie müssen somit rechtlich wirksam entstanden sein, um eine abzugsfähige Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG darzustellen.

Dabei muss die Forderung bereits im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung rechtlich wirksam geworden sein, damit es sich um eine vom Vermögen abzuziehende Schuld des Auszubildenden handelt (Senatsbeschl. v. 23.8.2018 - 4 LC 395/15 -). Das zeigt schon der Wortlaut von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG, der von den „im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten“ spricht. Er wiederholt damit für den Abzug von Schulden und Lasten noch einmal die Vorgabe des § 28 Abs. 2 BAföG, wonach für die Vermögensanrechnung der Wert im Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist. Zusätzlich stellt § 28 Abs. 4 BAföG ausdrücklich klar, dass Veränderungen zwischen Antragstellung und Ende des Bewilligungszeitraums unberücksichtigt bleiben.

Bestätigt wird das Ergebnis, dass nur die im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung bereits rechtlich wirksam entstandene Forderungen als Schulden vom Vermögen des Auszubildenden abzuziehen sind, durch den Zweck der Norm. Bei den Bestimmungen in § 28 Abs. 2 bis 4 BAföG über den für die Ermittlung des Vermögens und den Abzug von Schulden und Lasten maßgeblichen Stichtag – das Datum des Antrags auf Ausbildungsförderung – handelt es sich um eine gesetzliche Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das zum Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung bestehende Vermögen typischerweise während des gesamten sich daran anschließenden Bewilligungszeitraums weiter vorhanden ist und dem Auszubildenden während dieser Zeitspanne somit zur Bedarfsdeckung tatsächlich zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 14). Die Ausbildungsförderungsämter werden damit der Last enthoben, im Blick zu behalten, ob sich die Vermögensverhältnisse in der Zeit zwischen der Antragstellung und dem Ende des Bewilligungszeitraums zugunsten oder zulasten des Auszubildenden verändert haben. Sie müssen nachträgliche Änderungen der Vermögensverhältnisse nicht zum Anlass nehmen, den neuen Sachverhalt aufzuklären und den Anspruch des Auszubildenden auf Ausbildungsförderung neu zu bescheiden. Diesem Zweck der Verwaltungsvereinfachung würde es ersichtlich zuwiderlaufen, wenn die Ausbildungsförderungsämter bei der Vermögensanrechnung nicht nur die Schulden zu berücksichtigen hätten, die bereits wirksam entstanden sind, sondern darüber hinaus auch im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung noch nicht bestehende Schuldverpflichtungen, mit deren rechtlicher Entstehung aber in naher Zukunft zu rechnen ist.

Der Senat teilt aus den genannten Gründen nicht die im Urteil des Verwaltungsgerichts angesprochene Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, wonach auch eine zum Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung rechtlich noch nicht entstandene Forderung eine abzugsfähige Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG darstellt, wenn der Auszubildende zum Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung bereits ernstlich mit deren Geltendmachung rechnen muss (vgl. OVG NRW, Urteil v. 12.3.1984 - 16 A 434/83 -, FamRZ 1985, 222 = BeckRS 2009, 40511). Gegen diese Auffassung spricht außer den oben genannten Erwägungen auch, dass die zitierte Entscheidung aus dem Jahr 1984 zu einer früheren Fassung von § 28 BAföG ergangen ist; in seiner heutigen Fassung enthält § 28 Abs. 1 BAföG nicht mehr die Verweise auf das Bewertungsgesetz, auf die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen seine Argumentation maßgeblich gestützt hat.

Die öffentlich-rechtliche Forderung der Beklagten gegen die Klägerin auf Erstattung von Ausbildungsförderung für vorangegangene Bewilligungszeiträume war zum maßgeblichen Zeitpunkt des am 24. März 2016 gestellten Antrags auf Ausbildungsförderung noch nicht wirksam entstanden und deshalb nicht nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG vom Vermögen der Klägerin abzuziehen.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Erstattungsforderung gegen die Klägerin war § 50 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB X. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, wobei die zu erstattende Leistung nach Abs. 3 Satz 1 der Regelung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen ist. Aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergibt sich, dass der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erst dann entsteht, wenn der Verwaltungsakt, der der Leistung zugrunde liegt, aufgehoben worden und damit der Rechtsgrund der Leistung beseitigt worden ist (zur Parallelvorschrift in § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG: BVerwG, Urt. v. 26.2.2015 - 3 C 8.14 -, juris Rn. 15; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 49a Rn. 9 m. w. N.). Die Erstattungsforderung wird somit rechtlich nicht bereits dadurch begründet, dass der Sozialverwaltung die Gründe, die sie zu einer Aufhebung des Leistungsbescheides ermächtigen, bekannt werden.

Die Beklagte hat ihre Leistungsbescheide für drei vorangegangene Bewilligungszeiträume durch den Verwaltungsakt vom 29. Juli 2016 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Der Erstattungsanspruch ist somit erst mit der Bekanntgabe dieses Bescheides und damit erst nach dem am 24. März 2016 von der Klägerin gestellten Antrag auf Ausbildungsförderung entstanden. Ob und in welchem Maße die Beklagte zur Zeit des Antrags auf Ausbildungsförderung bereits Kenntnis über die Umstände hatte, die sie schließlich zum Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 29. Juli 2016 bewogen haben, spielt für den Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs keine Rolle.

Die von der Beklagten mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzte Erstattungsforderung in Höhe von 9.628,- EUR ist jedoch auf der Grundlage der Härtefallregelung in § 29 Abs. 3 BAföG von dem auf den Bedarf anzurechnenden Vermögen der Klägerin abzuziehen.

Nach § 29 Abs. 3 BAföG kann - zusätzlich zu den Freibeträgen nach § 29 Abs. 1 BAföG - ein weiterer Teil des Vermögens des Auszubildenden zur Vermeidung einer unbilligen Härte anrechnungsfrei bleiben. Die Norm verfolgt den Zweck, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können, und den Auszubildenden nicht der unzumutbaren Situation auszusetzen, auf Vermögen verwiesen zu werden, das für die Deckung des Ausbildungsbedarfs gar nicht verfügbar ist (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7; Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 14). Dabei ist der Anwendungsbereich der Norm durch deren systematische Stellung und ihren Sinn und Zweck eng begrenzt. Denn § 29 BAföG konkretisiert den in § 1 Halbs. 2 BAföG verankerten Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung. Ihm ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass es einem Auszubildenden in der Regel zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen für seine Ausbildung im Grundsatz - bis auf den in § 29 Abs. 1 BAföG vorgesehenen Freibetrag - voll einzusetzen. Der Nachranggrundsatz widerstreitet einem weiten Verständnis des § 29 Abs. 3 BAföG (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 8; Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 18 f.).

Danach ist eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 3 BAföG zum einen gegeben, wenn die Verwertung des vorhandenen Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7). Dies ist insbesondere der Fall, wenn durch eine Vermögensverwertung die Veräußerung oder aber zumindest eine wesentliche Belastung des selbst bewohnten Eigenheims oder der selbst bewohnten Eigentumswohnung zu besorgen ist und damit ein tatsächlicher oder doch zumindest wirtschaftlicher Verlust als Wohnstatt droht (BVerwG, Urt. v. 12.6.1986 - 5 C 65.84 -, juris Rn 20 f.; Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 21 f.; ferner Senatsbeschl. v. 14.8.2013 - 4 LC 293/11 -, juris Rn. 22 ff.). Dies gründet auf die im Gesetzgebungsverfahren zu der Vorgängervorschrift des § 31 Abs. 4 BAföG a.F. (vgl. BT-Drucksache VI/1975, S. 35) zum Ausdruck gekommene sozialpolitische Erwägung, den Auszubildenden davor zu schützen, durch die Verwertung eines selbstbewohnten Eigenheims oder einer selbst bewohnten Eigentumswohnung eine wesentliche Beeinträchtigung seiner Lebensgrundlage hinnehmen zu müssen (BVerwG, Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 22).

Zum anderen ist eine Unbilligkeit der Vermögensanrechnung – in einem anderen Ableitungszusammenhang – anzunehmen, wenn sie den Auszubildenden auf Vermögen verweist, welches einem Verwertungszugriff tatsächlich bzw. wirtschaftlich nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7; Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 18 ff.). Dies gründet auf folgender Erwägung: Zu den Typisierungen bei der Vermögensanrechnung gehört die vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgesehene Annahme, dass das nach den §§ 26 bis 29 Abs. 1 BAföG anrechenbare Vermögen für den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist. Trifft dies ausnahmsweise nicht zu, so könnte der Ausbildungsbedarf aus dem gleichwohl angerechneten Vermögen nicht gedeckt werden. Die Vermögensanrechnung wäre dann eine unbillige Härte, weil sie den Auszubildenden auf Vermögen verweist, das einem Verwertungszugriff gar nicht zugänglich ist. § 29 Abs. 3 BAföG dient damit unter anderem auch der Abwehr von Gefahren für die Durchführung der Ausbildung, die daraus entstehen, dass der Auszubildende trotz vorhandener, die Freibeträge übersteigender Vermögenswerte seinen Ausbildungsbedarf aus dem angerechneten Vermögen nicht decken kann (BVerwG, Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 14; Urt. v. 17.1.1991 - 5 C 71.86 -, juris Rn. 10; Urt. v. 11.10.1984 - 5 C 44.81 -, juris Rn. 25 zu § 32 Abs. 4 BAföG a.F.).

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" ermöglicht es mithin, Fallgestaltungen, in denen der Auszubildende zur Deckung seines Bedarfs auf Vermögen verwiesen wird, das entgegen der der Vermögensanrechnung zugrunde liegenden Pauschalierungen und Typisierungen für den Ausbildungsbedarf (wirtschaftlich) nicht einsetzbar ist, oder in denen die Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde, angemessen Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7 – Hervorhebung durch den Senat; vgl. ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.4.2014 - 12 A 1157/13 -, juris Rn. 4; Bay. VGH, Beschl. v. 12.1.2012 - 12 C 11.1343 -, juris Rn. 25; OVG Bremen, Urt. v. 24.8.2011 - 2 A 140/07 -, juris Rn. 33). Im Sinne der erstgenannten Fallgestaltung kommt nach der Rechtsprechung des Senats die Freistellung eines weiteren Teils des Vermögens des Auszubildenden nach § 29 Abs. 3 BAföG daher dann in Betracht, wenn der Auszubildende notwendige ausbildungsbedingte oder andere unausweichliche Mehrkosten, die durch den ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarfssatz nicht gedeckt sind, zu tragen hat, wenn der Auszubildende ferner ohne die Freistellung eines weiteren Teils seines Vermögens sein nach § 29 Abs. 1 BAföG anrechnungsfreies Vermögen zur Deckung dieser Kosten vollständig oder teilweise verwerten müsste und wenn diese Verwertung des anrechnungsfreien Vermögens zugleich zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde (Senatsbeschl. v. 23.8.2018 - 4 LC 395/15 - n. v. und v. 24.1.2013 - 4 LA 290/11 -, juris Rn. 4). In diesem Zusammenhang ist für die von dem Senat geforderte „wesentliche Beeinträchtigung der Lebensgrundlage“ ausreichend, dass der Auszubildende trotz vorhandener, die Freibeträge übersteigender Vermögenswerte seinen Ausbildungsbedarf aus dem angerechneten Vermögen nicht decken kann und daher zur Deckung des Ausbildungsbedarfs ein vollständiger und teilweiser Rückgriff auf das anrechnungsfreie Vermögen erforderlich ist. Muss der Auszubildende einen nicht unerheblichen Teil seines anrechnungsfreien Vermögens für seinen Ausbildungsbedarf aufwenden (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 24.1.2013 - 4 LA 290/11 -, juris Rn. 9), ist die durch die Freistellung von Teilen des Vermögens in dem Umfang der Freibeträge des § 29 Abs. 1 BAföG bezweckte zusätzliche Sicherung des Lebensunterhalts des Auszubildenden und der Schaffung eines finanziellen Rückhalts für unvorhersehbare notwendige Auslagen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.1984 - 5 C 44.81 -, juris Rn. 25 zu § 32 BAföG a.F.) nicht mehr gewährleistet. Auf eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden in dem Sinn, dass durch die Verwertung eines selbstbewohnten Eigenheims oder einer selbst bewohnten Eigentumswohnung ein tatsächlicher oder doch zumindest wirtschaftlicher Verlust als Wohnstatt zu besorgen ist, kommt es insoweit nicht an.

Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist hier eine unbillige Härte gegeben. Bei der von der Beklagten mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzten und bestandskräftig gewordenen Erstattungsforderung handelt es sich um für die Klägerin unausweichliche Mehrkosten, die aufgrund der Höhe des Forderungsbetrags von 9.628,- EUR ersichtlich nicht durch den ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarfssatz (monatlich 649,- EUR gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 BAföG in der hier maßgeblichen, seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung) gedeckt waren. Ohne die Freistellung eines weiteren Teils ihres Vermögens müsste die Klägerin von ihrem aufgrund des allgemeinen Freibetrags gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG (ebenfalls in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung) anrechnungsfreien Vermögen in Höhe von 7.500,- EUR einen Betrag in Höhe von 1.800,47 EUR zur Deckung dieser Kosten verwenden. Denn die Klägerin verfügte im Zeitpunkt ihres Antrags auf Ausbildungsförderung über Vermögen in Höhe von 15.327,53 EUR. Nach Abzug des allgemeinen Freibetrags gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG und ohne Gewährung eines zusätzlichen Härtefallfreibetrags gemäß § 29 Abs. 3 BAföG wäre damit ein Vermögen der Klägerin in Höhe von 7.827,53 EUR auf den Bedarf anzurechnen; so hat auch die Beklagte in ihrem Ablehnungsbescheid vom 30. September 2016 gerechnet. Dieses anzurechnende Vermögen war jedoch im Zeitpunkt der Bescheidung des Antrags auf Ausbildungsförderung aufgrund der bestandskräftigen Rückforderung in Höhe von 9.628,- EUR wirtschaftlich bereits vollständig aufgezehrt. Die Klägerin würde ohne Einräumung eines Härtefallfreibetrags darauf verwiesen, von dem Schonvermögen in Höhe von 7.500,- EUR, das nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG anrechnungsfrei zu bleiben hat, 1.800,47 EUR und damit einen nicht unerheblichen Teil ihres anrechnungsfreien Vermögens für die Begleichung der Rückforderung aufzuwenden.

Für die Anwendung von § 29 Abs. 3 BAföG ist unschädlich, dass die unbillige Härte erst durch die Bekanntgabe des Rücknahme- und Erstattungsbescheides der Beklagten vom 29. Juli 2016 und somit erst nach dem gemäß § 28 Abs. 2 bis 4 BAföG für die Vermögensermittlung einschließlich des Abzugs von Schulden und Lasten maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung eingetreten ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar – ebenso wie für die Vermögensanrechnung im Allgemeinen sowie den Abzug von Schulden und Lasten vom Vermögen – auch für die Gewährung eines (zusätzlichen) Freibetrages nach § 29 Abs. 3 BAföG auf die Umstände im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (BVerwG, Urt. v. 12.6.1986 - 5 C 65.84 -, juris Rn. 23). Die Frage, ob von diesem Grundsatz, der im Hinblick auf § 28 Abs. 2 bis 4 BAföG im Allgemeinen wertungsgerecht ist, dann eine Ausnahme geboten ist, wenn das Vermögen des Auszubildenden aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nach seinem Antrag auf Ausbildungsförderung geschmälert wird und ihm daher im Bewilligungszeitraum nicht mehr für die Bedarfsdeckung zur Verfügung steht, stellte sich in dem Fall, über den das Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil vom 12. Juni 1986 zu entscheiden hatte, allerdings nicht.

Diese Frage ist zu bejahen (Bay. VGH, Beschl. v. 15.1.2019 - 12 C 17.2421 -, juris Rn. 19; Hartmann in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: 46. EL 2019, § 29 Rn. 9 u. 17.4; Knoop in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 28 Rn. 23 u. § 29 Rn. 17). Wie bereits erwähnt, verfolgt § 29 Abs. 3 BAföG den Zweck, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können, und den Auszubildenden nicht der unzumutbaren Situation auszusetzen, auf Vermögen verwiesen zu werden, das für die Deckung des Ausbildungsbedarfs gar nicht verfügbar ist (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7; Urt. v. 13.6.1991 - 5 C 33.87 -, juris Rn. 15). Zu diesen Typisierungen zählt – wie oben bereits näher ausgeführt – auch die gesetzgeberische Entscheidung, für die Vermögensanrechnung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung ausschließlich auf den Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung abzustellen. Die darin zum Ausdruck kommende Erwartung des Gesetzgebers, dass das zu diesem Stichtag vorhandene Vermögen dem Auszubildenden auch während des Bewilligungszeitraums weiter zur Verfügung steht, kann jedoch von der Realität widerlegt werden, wenn der Wert des Vermögens sich nachträglich ohne Zutun des Auszubildenden erheblich reduziert. Daher entspricht es dem Zweck von § 29 Abs. 3 BAföG, die Regelung auch zur Vermeidung von Härten anzuwenden, die sich daraus ergeben, dass der Auszubildende auf Vermögen verwiesen wird, das ihm aufgrund einer nicht in seinen Händen liegenden Änderung der Verhältnisse nicht mehr zur Verfügung steht.

Insoweit führt auch das Argument der Beklagten, die Klägerin dürfe aus Gleichheitsgründen nicht bessergestellt werden als ein Auszubildender, dessen im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung noch vorhandenes Vermögen später aufgrund des Wertverlusts einer freiwillig eingegangenen riskanten Geldanlage geschmälert worden ist, nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Der hier vorliegende Sachverhalt ist mit einer von dem Auszubildenden freiwillig eingegangenen riskanten Geldanlage nämlich nicht vergleichbar.

Hier ergeben sich Besonderheiten aus dem sehr engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem am 24. März 2016 von der Klägerin gestellten Antrag auf Ausbildungsförderung und der Bescheidung dieses Antrags einerseits sowie der Rückforderung von Leistungen für vorangegangene Bewilligungszeiträume andererseits. Einen ersten tatsächlichen Anhaltspunkt für das Vorhandensein von in früheren Anträgen der Klägerin auf Ausbildungsförderung nicht angegebenem Vermögen hatte die Beklagte aufgrund des Datenabgleich gemäß § 45 d Abs. 2 EStG bereits im Januar 2016, also schon vor dem weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung. Die Sachverhaltsaufklärung zur Anrechnung des bisher nicht bekannten Vermögens und zur Rücknahme früherer Leistungsbescheide war spätestens mit dem Eingang des von der Mutter der Klägerin am 29. Mai 2016 verfassten Schreibens bei der Beklagten am 2. Juni 2016 abgeschlossen, also nur etwas mehr als zwei Monate nach dem von der Klägerin gestellten Antrag auf Ausbildungsförderung. Entsprechend erging bereits am 29. Juli 2016 der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten – etwa zwei Monate, bevor die Beklagte am 30. September 2016 den Antrag auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Oktober 2016 bis März 2017 ablehnend beschieden hat. Hätte die Klägerin in dieser Fallkonstellation ihren weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung erst nach der Bekanntgabe des Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 29. Juli 2016 gestellt, so wäre die darin festgesetzte Rückforderung ohne weiteres gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG von dem anzurechnenden Vermögen abzusetzen gewesen. Daran zeigt sich, dass im vorliegenden Fall die Vermögensanrechnung ohne Einräumung eines zusätzlichen Härtefallfreibetrags nach § 29 Abs. 3 BAföG geradezu von den Zufälligkeiten des zeitlichen Ablaufs geprägt wäre. Dies hinzunehmen kann der Klägerin auch bei Berücksichtigung des Umstandes, dass typisierenden Stichtagsregelungen wie in § 28 Abs. 2 bis 4 BAföG stets mit gewissen Unschärfen verbunden sind, nicht zugemutet werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Klägerin auch nicht darauf verwiesen werden, dass es ihr zur Abmilderung der Härte möglich und zumutbar gewesen wäre, einen Antrag auf Stundung der mit Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzten Rückforderung zu stellen, und dass im Fall der Gewährung der Stundung das über das Schonvermögen hinausgehende Vermögen im Bewilligungszeitraum für den Ausbildungsbedarf zur Verfügung gestanden hätte. Insoweit geht die Beklagte zwar zutreffend davon aus, dass auf die sich aus § 50 SGB X ergebende Erstattungsforderung die haushaltsrechtlichen Regelungen über Stundung, Niederschlagung und Erlass Anwendung finden (vgl. BT-Drs. 8/2034, S. 36 zu § 48 SGB X-Entwurf; Steinwedel in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: 112. EL 2020, § 50 SGB X Rn. 11; zur Parallelvorschrift in § 49a VwVfG: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 49a Rn. 11; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 49a Rn. 37; Kastner in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 49a VwVfG Rn. 8). § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 105 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Landeshaushaltsordnung (LHO) bestimmt hierzu, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts, die – wie die Beklagte – der Aufsicht des Landes unterstehen, Ansprüche nur stunden dürfen, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Anspruchsgegnerin oder den Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Der Zweck der haushaltsrechtlichen Vorschrift des § 59 LHO besteht allerdings darin, in besonderen Ausnahmefällen die Bindung an den Haushaltsplan zu lockern. Es handelt sich daher um reines „Innenrecht“ der Verwaltung (zu § 59 BHO: BVerwG, Beschl. v. Beschl. v. 22.8.1986 - 3 B 47.85 -, juris Rn. 6). Im Außenverhältnis kann sich unmittelbar aus § 59 LHO daher kein Anspruch des Schuldners auf Stundung, Niederschlagung oder Erlass einer Forderung der öffentlichen Hand ergeben (zu § 59 BHO: OVG NRW, Urt. v. 21.11.2018 - 4 A 2426/15 -, juris Rn. 52 ff.; Urt. v. 6.6.2019 - 4 A 69/16 -, juris Rn. 49 f., bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 24.6.2020 - 8 B 71.19 -). Entfaltet § 59 LHO keine Außenwirkung in dem Verhältnis zwischen dem Auszubildenden und dem Ausbildungsförderungsamt, so ist für den Bereich der Vermögensanrechnung im Ausbildungsförderungsrecht die hierzu getroffene Vorschrift in § 29 Abs. 3 BAföG vorrangig anzuwenden. Auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 29 Abs. 3 BAföG ist der Auszubildende daher nicht darauf zu verweisen, sich bei einer gegen ihn festgesetzten öffentlich-rechtlichen Erstattungsforderung vorrangig um eine Stundung der Forderung zu bemühen. Im Hinblick darauf, dass gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LHO Ansprüche nur gestundet werden dürfen, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird, ist es auch zweifelhaft, dass die Beklagte der Klägerin, die über Vermögen in Höhe von 15.327,53 EUR verfügt hat, das die Erstattungsforderung von 9.628,- EUR somit um 5.699,53 EUR überstiegen hat, eine Stundung gewährt hätte. Die Beklagte hat das Bestehen einer ständigen Verwaltungspraxis, wonach sie in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen eine Stundung gewährt hat, auch nicht behauptet.

Im Übrigen wird die Ansicht des Senats, dass eine unbillige Härte im Sinne von § 29 Abs. 3 BAföG vorliegt, auch durch verfassungsrechtliche Erwägungen bestätigt.

Typisierende Regelungen im Sozialleistungsrecht, die der Verwaltungsvereinfachung dienen, sind an den vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Voraussetzungen einer zulässigen Typisierung zu messen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, dass die mit der Typisierung verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfG, Urt. v. 4.4.2001 - 2 BvL 7/98 -, juris Rn. 42 u. v. 28.4.1999 - 1 BvL 11/94, 1 BvL 33/95, 1 BvR 1560/97 -, juris Rn. 130).

Im vorliegenden Fall führt die typisierende Vermögensanrechnung ohne Ausgleich über die Härtefallregelung des § 29 Abs. 3 BAföG zu einem intensiven Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Die Klägerin verfügte im Zeitpunkt ihres Antrags auf Ausbildungsförderung über Vermögen in Höhe von 15.327,53 EUR. Im Vergleichsfall eines Auszubildenden mit Vermögen in gleicher Höhe, bei dem die Erstattungsforderung in gleicher Höhe (9.628 EUR) bereits im Zeitpunkt des Antrags auf Ausbildungsförderung durch Bescheid festgesetzt worden ist, wäre diese Erstattungsforderung gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG vom Vermögen abzuziehen gewesen. Nach der zusätzlichen Absetzung des allgemeinen Vermögensfreibetrags in Höhe von 7.500,- EUR gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG (in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung) hätte sich kein auf den Bedarf anzurechnendes Vermögen ergeben. Demgegenüber ist bei der Klägerin – wie bereits ausgeführt – nach Abzug des allgemeinen Freibetrags und ohne Gewährung eines zusätzlichen Härtefallfreibetrags ein Vermögen in Höhe von 7.827,53 EUR auf den Bedarf anzurechnen. Dieses anzurechnende Vermögen war jedoch im Zeitpunkt der Bescheidung des Antrags auf Ausbildungsförderung aufgrund der bestandskräftigen Rückforderung in Höhe von 9.628,- EUR wirtschaftlich bereits vollständig aufgezehrt, und die Klägerin wäre ohne Einräumung eines Härtefallfreibetrags darauf verwiesen, von dem Schonvermögen in Höhe von 7.500,- EUR 1.800,47 EUR für die Begleichung der Rückforderung aufzuwenden. Dies stellt eine intensive Ungleichbehandlung gegenüber dem Auszubildenden im Vergleichsfall dar, zumal dies im Ergebnis darauf hinausläuft, dass die Klägerin Vermögen in Höhe von 9.628,- EUR zweimal einzusetzen hat: einmal für die Begleichung der Rückforderung und noch einmal für die Deckung ihres Bedarfs in dem hier in Rede stehenden Bewilligungszeitraum.

Die mit der Typisierung verbundenen Härten im Fall der Klägerin wären darüber hinaus auch nicht nur unter Schwierigkeiten vermeidbar gewesen. Da die Beklagte selbst Inhaberin der mit dem Bescheid vom 29. Juli 2016 festgesetzten Rückforderung ist, hätte sich für sie durch die Berücksichtigung dieser Forderung bei der Vermögensanrechnung kein zusätzlicher Ermittlungsaufwand ergeben. Die Beklagte hätte den Leistungsanspruch der Klägerin für den hier in Rede stehenden Bewilligungszeitraum aufgrund der nachträglichen Berücksichtigung der Erstattungsforderung bei der Vermögensanrechnung auch nicht mehrfach bescheiden müssen, sodass sich auch in dieser Hinsicht kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand ergeben hätte. Denn im Zeitpunkt der Bescheidung des Antrags der Klägerin auf Ausbildungsförderung am 30. September 2016 war die Rückforderung nicht nur bereits wirksam durch Verwaltungsakt festgesetzt, sondern sogar schon bestandskräftig geworden und hätte daher bei der erstmaligen Berechnung des Leistungsanspruchs ohne weiteres berücksichtigt werden können.

Das von § 29 Abs. 3 BAföG eröffnete Ermessen (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 4.9.2012 - 5 B 8.12 -, juris Rn. 7 m. w. N.) ist zugunsten der Klägerin auf null reduziert, da sich ohne Einräumung des zusätzlichen Härtefreibetrags, wie soeben ausgeführt, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergeben würde.

Somit ergibt sich für den in Streit stehenden Bewilligungszeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 folgende Berechnung des Anspruchs der Klägerin auf Ausbildungsförderung:

Der monatliche Bedarf beträgt gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 BAföG (in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung) 649,- EUR. Hierauf sind nach den Ermittlungen der Beklagten, für deren Fehlerhaftigkeit die Klägerin nichts vorgetragen hat und für den Senat auch sonst nichts spricht, Einkommen der Klägerin in Höhe von monatlich 107,07 EUR sowie Einkommen ihrer Mutter in Höhe von monatlich 17,83 EUR anzurechnen. Damit ergibt sich unter Anwendung der Rundungsvorschrift in § 51 Abs. 3 BAföG ein ungedeckter Bedarf in Höhe von monatlich 524,- EUR, was dem im Klageantrag genannten Betrag entspricht. Von dem im Zeitpunkt der Antragstellung vorhandenen Vermögen der Klägerin in Höhe von 15.327,53 EUR verbleibt nach dem Abzug des allgemeinen Vermögensfreibetrags in Höhe von 7.500,- EUR sowie nach dem weiteren Abzug des Härtefallfreibetrags in Höhe von 9.628,- EUR kein auf den Bedarf anzurechnender Vermögensanteil.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat sieht es im fallübergreifenden Interesse zur Klärung der Rechtslage als geboten an, dem Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit zu eröffnen, sich grundlegend zu der Frage zu äußern, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine unbillige Härte gemäß § 29 Abs. 3 BAföG vorliegt, wenn das Amt für Ausbildungsförderung gegen den Auszubildenden erst nach dem Antrag auf Ausbildungsförderung eine Forderung auf Erstattung von Ausbildungsförderung für frühere Bewilligungszeiträume festsetzt.