Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.10.2003, Az.: 9 ME 150/03

Heranziehung zu Straßenausbaubeitrag bei großflächigen Grundstücken; Begrenzung des beitragsrelevanten Vorteils auf Teilflächen; Bestimmung eines wirtschaftlichen Vorteils nach Art der Grundstücksnutzung; Bevorteilung von Außenbereichsflächen (Waldgrundstück) durch Straßenausbau

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.10.2003
Aktenzeichen
9 ME 150/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 20258
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2003:1016.9ME150.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
NULL

Fundstellen

  • AUR 2004, 288-289
  • NVwZ-RR 2004, 607-608 (Volltext mit amtl. LS)
  • NdsVBl 2004, 161-163
  • NordÖR 2004, 174-175 (Volltext mit amtl. LS)
  • NuR 2004, 400-401 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZKF 2005, 237-238

Amtlicher Leitsatz

Bei großflächigen, an mehrere Straßen angrenzenden Grundstücken ist der beitragsrelevante Vorteil nur in Ausnahmefällen - etwa bei unterschiedlicher Nutzung oder Ausrichtung der inneren Erschließung - auf Teilflächen begrenzt.

Ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG setzt die Realisierbarkeit nicht jeder, sondern nur der bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung voraus.

Ob Waldgrundstücke vom Straßenausbau nur bei einem Herauffahrenkönnen oder schon bei einem Betretenkönnen bevorteilt sind, beurteilt sich danach, ob sie ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung nach Erholungszwecken oder der Bewirtschaftung dienen.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für zwei insgesamt ca. 125.000 qm große Waldgrundstücke, die nicht nur an die ausgebaute F.-Straße, sondern ferner an den A.-Weg angrenzen, von dem aus sie auch bewirtschaftet werden. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hatte Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht meint, nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 08.03.1996 - 9 M 7369/95 - NdsVBl 1996, 258 = dng 1996, 240 = NSt-N 1996, 272 sowie Urt. v. 22.01.1997 - 9 L 6290/95 - NdsRpfl. 1997, 147 = NdsVBl. 1997, 180 = NSt-N 1997, 217) hätte die Antragsgegnerin berücksichtigen müssen, dass der hintere Teil des Grundstücks der Antragstellerin über den A. -Weg erschlossen werde. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Senat hat in den zitierten, zur Wirksamkeit von Tiefenbegrenzungsregelungen ergangenen Entscheidungen ausgeführt, dass Außenbereichsflächen hinter der Tiefenbegrenzungslinie bei der Beitragsberechnung unter bestimmten Voraussetzungen zwingend berücksichtigt werden müssen, nämlich dann, wenn sie vom Straßenausbau einen nicht vernachlässigbaren eigenständigen Vorteil gegenüber den Baulandflächen desselben Grundstücks haben. Diese sich in erster Linie auf die Ausgestaltung des Beitragsmaßstabs beziehende Feststellung legt den Umfang dessen, was im Einzelfall letztlich als im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG bevorteilte Grundstücksfläche anzusehen ist, in keiner Weise abschließend fest. Das Gebot, Außenbereichsflächen bei einem eigenständigen Vorteil gegenüber den Baulandflächen desselben Grundstücks in die Aufwandsverteilung einzubeziehen, besagt insbesondere nicht im Wege des Umkehrschlusses, dass Außenbereichsflächen ohne eigenständigen Vorteil gegenüber den Baulandflächen desselben Grundstücks vom Beitragsmaßstab nicht erfasst und nicht in die Beitragsberechnung einbezogen werden dürfen. Voraussetzung für eine Beitragserhebung nach § 6 Abs. 1 NKAG ist bei Außenbereichsflächen nämlich lediglich das Vorliegen eines - wie auch immer gearteten - beitragsrelevanten Vorteils, nicht aber zusätzlich dessen Eigenständigkeit gegenüber dem Vorteil von Baulandflächen. Dem trägt die deutlich überwiegende Praxis in Niedersachsen - jedenfalls inzwischen - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dadurch Rechnung, dass die meisten niedersächsischen Kommunen - und auch die Antragsgegnerin - bevorteilte Außenbereichsflächen generell, also ohne gesonderte Prüfung einer Eigenständigkeit des Vorteils gegenüber Baulandflächen auf demselben Grundstück, über die Maßstabsregelung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung in die Aufwandsverteilung einbeziehen.

3

Der Umstand, dass der veranlagte Grundbesitz der Antragstellerin nicht nur an die ausgebaute F. -Straße, sondern (vor allem im - von dieser Straße aus gesehen - hinteren Teil) auch an den A.-Weg angrenzt, rechtfertigt nicht die Annahme, die Grundstücke der Antragstellerin seien durch den Ausbau der F. -Straße überhaupt nicht oder nur eingeschränkt bevorteilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats werden grundsätzlich auch großflächige Grundstücke, die an mehrere Straßen angrenzen, durch den Ausbau jeder dieser Straßen hinsichtlich ihrer gesamten Fläche bevorteilt. Eine Begrenzung des beitragsrelevanten Vorteils auf eine bestimmte Teilfläche des Grundstücks, etwa in Form einer Tiefenbegrenzungsregelung oder rechnerischen Aufteilung der Fläche, findet also in der Regel nicht statt (vgl. z.B. Urteil des Senats v. 07.06.1994 - 9 L 4155/92 - für ein 550.000 qm großes Buchgrundstück). Abweichendes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn besondere Umstände - wie die einseitige Ausrichtung der inneren Erschließung von Teilflächen - zu bestimmten Straßen hin bzw. die unterschiedliche, jeweils verschiedenen Straßen zuzuordnende Nutzung von Teilflächen) es nahe legen, bei realistischer Betrachtungsweise davon auszugehen, die ausgebaute Straße werde aller Wahrscheinlichkeit nach nur von bestimmten Teilflächen des Grundstücks in Anspruch genommen (vgl. Urteil des Senats v. 12.07.1994 - 9 L 295/92 -, wo für ein ca. 360.000 qm großes fortwirtschaftlich genutztes Grundstück angenommen wird, der Nutzer werde sich aller Voraussicht nach zur nächstgelegenen Anlage orientieren). Ein solcher Ausnahmefall ist - wie der vom Berichterstatter durchgeführte Termin vor Ort gezeigt hat - vorliegend nicht gegeben. Das an die F. -Straße angrenzende, sich aus den Flurstücken B., C. und D. zusammensetzende und 104.986 qm große Grundstück der Antragstellerin weist - ebenso wie das dahinter liegende, 21.690 qm große Buchgrundstück E.- in keiner Weise eine innere Erschließung auf, sodass eine ausschließliche verkehrsmäßige Zuordnung von Teilflächen zu einer bestimmten Straße gerade nicht stattfindet. Beide Grundstücke werden vielmehr völlig gleichmäßig und einheitlich als Wald genutzt.

4

Unter beitragsrechtlichen Gesichtspunkten unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Bewirtschaftung der beiden großflächigen Waldgrundstücke zurzeit über den A.-Weg vollzieht. Denn für die Beitragspflicht eines Grundstücks kommt es nicht auf dessen gegenwärtige - oder frühere - tatsächliche Nutzung, sondern darauf an, wie das Grundstück vom Eigentümer genutzt werden kann, wenn er wirtschaftlich zumutbare Anstrengungen unternimmt. Insoweit steht außer Zweifel, dass die Nutzung der beiden Waldgrundstücke der Antragstellerin auch über die ausgebaute F. -Straße möglich ist. Einer solchen Betrachtungsweise steht nicht entgegen, dass die Grundstücke der Antragstellerin nach den Bekundungen des Forstamtmanns A. im Termin vor Ort von der F. -Straße aus nicht mit schweren Fahrzeugen befahren werden können, weil diese den Gehweg beschädigen würden. Ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG - und damit eine Pflicht zur Entrichtung von Straßenausbaubeiträgen - setzt nämlich nicht voraus, dass jede Art von sinnvoller Grundstücksnutzung über die ausgebaute Straße realisierbar ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die bestimmungsgemäße Grundstücksnutzung in einer nicht nur untergeordneten Weise über die ausgebaute Straße realisiert werden kann (vgl. Urteil des Senats v. 13.06.2001 - 9 L 1587/00 - KStZ 2001, 211 = NSt-N 2001, 291 für eine Kurklinik; siehe ferner Beschluss des Senats v. 11.09.2003 - 9 ME 117/03 -, wonach bei Wohngrundstücken - anders als bei industriell, gewerblich oder landwirtschaftlich genutzten Grundstücken - eine fußläufige Erreichbarkeit zur Bevorteilung ausreicht).

5

Für Waldgrundstücke lässt sich der Inhalt einer bestimmungsgemäßen Nutzung nicht verallgemeinernd festlegen. Vor allem bei großflächigem oder kultiviertem Waldbestand ist dessen Bewirtschaftung von wesentlicher Bedeutung, sodass ein voller Vorteil vom Straßenausbau regelmäßig nur angenommen werden kann, wenn die Möglichkeit besteht, mit Nutzfahrzeugen auf das Waldgrundstück heraufzufahren. Wälder der vorgenannten Art können zusätzlich, also neben ihrer Bewirtschaftung, auch dazu dienen, von Menschen zur Erholung, zum Aufenthalt und zum Spazieren gehen aufgesucht zu werden. Im Fall der Ausübung dieser Aktivitäten hat das Waldgrundstück vom Straßenausbau bereits dann einen Vorteil, wenn es von der ausgebauten Straße aus betreten werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 07.06.1994 - 9 L 4155/92 -; siehe ferner zur Nutzung einer Grünfläche für Freizeit- und Erholungszwecke Beschluss des Senats vom 01.11.2002 - 9 LA 4116/01 -). Erholungs- und Aufenthaltszwecke sind vor allem bei sich selbst überlassenem (weil beispielsweise unter Naturschutz stehendem), aber auch bei kleinerem Waldbestand meistens der alleinige Inhalt einer bestimmungsgemäßen Nutzung, sodass ein Herauffahrenkönnen bei solchen Waldgrundstücken regelmäßig nicht notwendig ist. Von einer Grundstücksnutzung, die ein Bewirtschaften des Waldes umfasst, wird die ausgebaute Straße regelmäßig wesentlich stärker in Anspruch genommen als von einer Erholungszwecken dienenden und daher lediglich ein Betretenkönnen voraussetzenden Nutzung. Diesem Unterschied können die gemeindlichen Straßenausbaubeitragssatzungen dadurch Rechnung tragen, dass sie für bewirtschaftete Waldgrundstücke deutlich höhere Nutzungsfaktoren ansetzen als für Grundstücke, bei denen die bestimmungsgemäß Nutzung des Waldes nicht ein Bewirtschaften zum Gegenstand hat.

6

Die Straßenausbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin vom 28. August 2001 sieht in § 6 IV (1) Ziffer 2 a a.A. für Waldbestand den niedrigsten Nutzungsfaktor, nämlich von 0,0167 und damit nur von 1/60 des für Grundstücke mit Wohnbebauung geltendem Faktor vor. Für als Grünland, Ackerland oder Gartenland genutzte, also bewirtschaftete Außenbereichsflächen gilt demgegenüber nach Ziffer 2 a bb ein doppelt so hoher Nutzungsfaktor von 0,0333. Diese Differenzierung bringt zum Ausdruck, dass sich der bei Waldgrundstücken abzugeltende Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG nicht auf ein Bewirtschaften beziehen und damit ein Herauffahrenkönnen mit Nutzfahrzeugen nicht umfassen soll. Beim Grundstück der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin mit dem Nutzungsfaktor von 0,0167 somit nur den Vorteil abgegolten, den die Antragstellerin davon hat, dass ihr Grundbesitz von der F. -Straße aus betreten und - ggf. nach Maßnahmen einer inneren Erschließung durch die Antragstellerin - fußläufig genutzt werden kann. Diese Sichtweise ist im Blick auf den Vorteilsbegriff des § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 NKAG nicht zu beanstanden.