Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 20.09.2004, Az.: 6 B 1145/04

Rechtmäßigkeit der Erhebung von Vorausleistungen auf einen Straßenausbaubeitrag; Voraussetzungen für die Pflicht zur Entrichtung von Straßenausbaubeiträgen

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
20.09.2004
Aktenzeichen
6 B 1145/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 36780
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2004:0920.6B1145.04.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2005, 278

Verfahrensgegenstand

Vorausleistungen auf einen Straßenausbaubeitrag;
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
am 20. September 2004
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage (6 A 2484/03) der Antragstellerin vom 29.Dezember 2003 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin vom 25. November 2003 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.832,41 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

2

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Heranziehungsbescheid anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung überwiegt. Dies ist in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zum einen dann der Fall, wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, und zum anderen dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheides bestehen.

3

Nach der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2003.

4

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nds. Kommunalabgabengesetz (NKAG) können die Gemeinden und Landkreise zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche Vorteile bietet. Eine derartige Vorteilslage ist dann gegeben, wenn das Grundstück in einer engeren räumlichen Beziehung zur ausgebauten Anlage steht und sich hieraus eine qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit vom Grundstück aus ergibt, die im zulässigen Rahmen der Nutzung zu einer Verbesserung der Erschließungssituation führen kann (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. § 29 RN 13).

5

Gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 NKAG kann eine Gemeinde auf die künftige Beitragsschuld angemessene Vorausleistungen verlangen, sobald mit der Durchführung der Maßnahme begonnen worden ist. Voraussetzung für die Erhebung von Vorausleistungen ist damit, dass überhaupt eine Beitragsschuld entstehen kann. Dies setzt voraus, dass der Antragstellerin gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße "Auf dem Viertel" besondere wirtschaftliche Vorteile geboten werden.

6

Daran bestehen im vorliegenden Fall ernstliche Zweifel.

7

Die Annahme eines "besonderen wirtschaftlichen Vorteils" kann nicht losgelöst von der auf dem Grundstück ausgeübten zulässigen bzw. zugelassenen Nutzung gesehen werden. Für die Beitragspflicht eines Grundstücks kommt es nicht auf dessen gegenwärtige - oder frühere - tatsächliche Nutzung, sondern darauf an, wie das Grundstück vom Eigentümer genutzt werden kann, wenn er wirtschaftlich zumutbare Anstrengungen unternimmt (Nds. OVG, Beschluss vom 16. Oktober 2003 - 9 ME 150/03 - NST - N 2004, 66). Im Verhältnis zu Wohngrundstücken sind bei gewerblich genutzten Grundstücken gesteigerte Anforderungen an die Erreichbarkeit zu stellen (Nds. OVG, Urteil vom 13. Juni 2001 - 9 L 1587/00 - KStZ 2001, 211). Ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG - und damit eine Pflicht zur Entrichtung von Straßenausbaubeiträgen - setzt nicht voraus, dass jede Art von sinnvoller Grundstücksnutzung über die ausgebaute Straße realisierbar ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die bestimmungsgemäße Grundstücksnutzung in einer nicht nur untergeordneten Weise über die ausgebaute Straße realisiert werden kann (Nds. OVG, Urteil vom 13. Juni 2001 - 9 L 1587/00 - KStZ 2001, 211 m.w.N.).

8

Daran bestehen bei dem Grundstück der Antragstellerin bei summarischer Prüfung erhebliche Zweifel. Das mit Bescheid vom 11. Juli 2003 zur Vorauszahlung herangezogene Grundstück der Antragstellerin befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nummer 3 "Viertel" der Gemeinde D. vom 30. Januar 1966, der für das Grundstück die Festsetzung GE für Gewerbegebiet trifft. Nach § 8 Abs. 2 BauNVO sind in einem Gewerbegebiet Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe, Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke zulässig. Gemäß § 8 Abs. 3 BauNVO können ausnahmsweise 1. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind, 2. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke, 3. Vergnügungsstätten zugelassen werden. Die so skizzierte Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks der Antragstellerin setzt ein qualifiziertes "Erschlossensein" voraus, das über die Erreichbarkeit durch PKW und normale Großfahrzeuge (Rettungs-, Ver- und Entsorgungsfahrzeuge) hinausgeht. Bei einem Grundstück in einem Gewerbegebiet ist typischerweise davon auszugehen, dass insbesondere auch schwere LKW regelmäßig das Grundstück anfahren und wieder verlassen. Diesen Anforderungen genügt die Straße "Auf dem Viertel" nicht. Ausweislich der von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren vorgelegten Lichtbilder ist ein problemloser Zu- und Abgangsverkehr insbesondere für Lastkraftwagen etwa mit Anhänger über die ausgebaute Straße nicht möglich. In den mit Pflasterungen aus Granitkleinpflaster versehenen verkehrsberuhigten Bereichen beträgt die Breite lediglich 3,50 m. Auch wenn ein Lastkraftwagen üblicherweise einen Verkehrsraum von 3,50 m benötigt (OVG Koblenz, Urteil vom 13. März 2001, Az: 6 A 11445/00 - NVwZ-RR 2002, 266-267 -; bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 31. August 2001 - 9 B 38/01 - NVwZ-RR 2002, 65-66, ist eine komplikationslose Erreichbarkeit des Grundstücks der Antragstellerin durch LKW auf Grund der Ausmaße des Wendekreises ernstlich zweifelhaft. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Ausbau der Straße "Auf dem Viertel" als verkehrsberuhigte Anlegerstraße mit geringem Verkehrsaufkommen konzipiert wurde. Es steht daher bei summarischer Prüfung zu vermuten, dass der Ausbau einem regelmäßigen Zu- und Abgangsverkehr durch LKW zum Grundstück der Antragstellerin auf Dauer nicht standhalten wird.

9

Damit ist die Annahme eines besonderen wirtschaftlichen Vorteils ernstlich zweifelhaft.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.832,41 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKGK n.F., wobei die Kammer 1/4 des Streitwertes der Hauptsache (11.329,65 EUR) zu Grunde gelegt hat.

Gärtner
Wermes
Reccius