Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.10.2003, Az.: 12 ME 401/03

Anfechtungsgrund; Bestandskraft; Dringlichkeit; Drogenscreening; Eilbedürftigkeit; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Marihuana; Neuerteilung; Psylopilz; vorläufige Fahrerlaubnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.10.2003
Aktenzeichen
12 ME 401/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48199
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 26.08.2003 - AZ: 7 B 2994/03

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seinen Antrag abgelehnt hat, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm eine vorläufige Fahrerlaubnis mit der Auflage zu erteilen, sich über einen Zeitraum von drei Monaten drei überraschend angeordneten Drogenscreenings zu unterziehen, hat keinen Erfolg.

2

Der Erfolg der Beschwerde setzt gemäß § 146 Abs. 4 VwGO i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) voraus, dass innerhalb der Begründungsfrist bei dem Oberverwaltungsgericht ein bestimmter Antrag gestellt wird und die Gründe dargelegt werden, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. An die Darlegung sind nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Senat, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1987, 282 und st. Rspr.). Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt fallbezogene und aus sich heraus verständliche und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen, wie es § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 ausdrücklich verlangt, wobei das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2001). Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Anfechtungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder gar eine - ergänzende - Bezugnahme hierauf. Insgesamt ist aber bei dem Darlegungserfordernis zu beachten, dass es nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet wird, welche die Beschreitung des Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, DVBl. 2000, 407).

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Nach diesen Maßstäben erfüllt der Antragsteller mit seiner Rechtsmittelbegründung im Hinblick auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund bereits die an eine hinreichende Darlegung der Beschwerdegründe zu stellenden Anforderungen nicht.

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Nach der von dem Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des erkennenden Senats (Beschl. v. 13.1.2003 – 12 PA 820/02 -, S. 2 BA) unterliegt die Annahme eines Anordnungsgrundes für die Erteilung einer vorläufigen Fahrerlaubnis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren strengen Anforderungen, weil hierdurch die Hauptsache - teilweise - vorweggenommen wird. Erforderlich ist deshalb eine besondere Dringlichkeit dergestalt, dass es dem Antragsteller angesichts schwerer, anders nicht abwendbarer Nachteile schlechthin unzumutbar sein muss, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Das Verwaltungsgericht hat eine Eilbedürftigkeit der Sache und damit einen Anordnungsgrund mit der Erwägung verneint (S. 2 BA), der von dem Antragsteller zur Begründung der Eilbedürftigkeit allein angebrachte Vortrag, er müsse im Hinblick auf § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV bei einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach dem 5. April 2004 (Ablauf einer Frist von zwei Jahren bezogen auf die am 5.4.2002 erfolgte Zustellung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 3.4.2002) eine erneute Fahrerlaubnisprüfung ablegen, reiche bereits im Ansatz nicht aus. Hinzu komme, dass bis zu diesem Termin noch Monate verstreichen müssten und damit zu rechnen sei, dass die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis in dieser Zeit bescheiden werde und gegebenenfalls auch ein Widerspruchsverfahren abgeschlossen sei. Zwingende berufliche Gründe für die Erteilung einer vorläufigen Fahrerlaubnis seien weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, vielmehr ergebe sich aus den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller trotz fehlender Fahrerlaubnis bei einem Bauunternehmen beschäftigt sei.

5

Der Antragsteller missversteht das Verwaltungsgericht, wenn er meint, dieses habe in Frage gestellt, dass er nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV eine erneute Fahrerlaubnisprüfung ablegen müsse. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht – wie ausgeführt – den von dem Antragsteller geltend gemachten Nachteil einer erforderlichen erneuten Fahrerlaubnisprüfung nicht als hinreichend schwer erachtet, um eine vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis rechtfertigen zu können. In diesem Zusammenhang diente der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Zeitspanne bis Anfang April 2004 ersichtlich nur der Hervorhebung, dass der Eintritt des von dem Antragsteller befürchteten Nachteils auch nicht unmittelbar bevorsteht. Der von dem Antragsteller in diesem Zusammenhang angebrachte Beschwerdevortrag über eine Unmöglichkeit, innerhalb des genannten Zeitraumes ein Wiedererteilungsverfahren durchzuführen, ist überdies in sich widersprüchlich, wenn er einerseits rügt, sein Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (vom 30. Mai 2003) sei von der Antragsgegnerin bis heute nicht beschieden worden, andererseits geltend macht, ein solcher Antrag müsse spätestens Anfang Februar 2004 gestellt werden. Schließlich äußert sich der Antragsteller in keiner Weise zu der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass in seinem Falle zwingende berufliche Gründe, die Anlass geben könnten, das Vorliegen eines schweren Nachteils zu prüfen, nicht ersichtlich seien.

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Auch im Hinblick auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, mit dem es – seine Entscheidung selbstständig tragend – einen Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Erteilung einer vorläufigen Fahrerlaubnis verneint hat, genügt die Begründung der Beschwerde dem in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Darlegungserfordernis nicht. Jedenfalls unterliegt die verwaltungsgerichtliche Entscheidung insoweit aus den von dem Antragsteller vorgebrachten Gründen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, in der Sache keinen Bedenken.

7

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt (S. 2 f. BA) die Antragsgegnerin habe auf den Antrag des Antragstellers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis hin auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV zu Recht die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangt und dürfe im Falle der Weigerung des Antragstellers, ein solches Gutachten vorzulegen, gemäß §§ 20 Abs. 1, 11 Abs. 8 FeV auf dessen fehlende Fahreignung schließen. Dem Antragsteller sei mit unanfechtbarem Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. April 2002 die Fahrerlaubnis entzogen worden, weil er zuvor ein aufgrund des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV angeordnetes Drogenscreening abgebrochen habe. Der Anordnung des Drogenscreenings habe zu Grunde gelegen, dass die Polizei am 7. Juli 2000 in einem von dem Antragsteller geführten Fahrzeug 12 g Marihuana und 1 g sog. Psylopilze gefunden habe. Im Neuerteilungsverfahren komme es bei der Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV nicht darauf an, ob die vorhergehende Fahrerlaubnisentziehung rechtmäßig gewesen sei. Es könne deshalb dahinstehen, ob die seinerzeit unter dem 9. Januar 2001 verfügte Anordnung eines Drogenscreenings mit den in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (1 BvR 2262/96, NJW 2002, 2378 ff. [BVerfG 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96]) aufgestellten Grundsätzen vereinbar gewesen sei.

8

Diese wesentlich auf die Bestandskraft der durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 25. September 2002 abstellenden Erwägungen vermag der Antragsteller durch seinen Beschwerdevortrag nicht zu erschüttern. Dies liegt auf der Hand, soweit er – unter weitgehender Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages – geltend macht, er habe die restlichen drei der seinerzeit von der Antragsgegnerin angeordneten Drogenscreenings infolge mehrfachen Umzugs und berufsbedingten Aufenthaltes in Süddeutschland nicht absolvieren können; insbesondere habe es ihm die Antragsgegnerin versagt, sich den Drogenscreenings bei einem süddeutschen Gesundheitsamt unterziehen zu dürfen. Mit diesem Vortrag hätte sich der Antragsteller nur mit einer gegen die im Jahr 2002 erfolgte Fahrerlaubnisentziehung gerichteten Anfechtungsklage Gehör verschaffen können. Nachdem er die Entziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. April 2002 hat bestandskräftig werden lassen, ist er hieran gehindert. Fehl geht weiterhin sein Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sich seit Eintritt der Bestandskraft der seinerzeitigen Fahrerlaubnisentziehungsverfügung die Rechtslage infolge der o. g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geändert habe. Denn zum einen stellt eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung – auch derjenigen des Bundesverfassungsgerichts – nach der weit überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Lehre (vgl. nur die Nachweise bei: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 51, Rn. 106 ff. n. w. N.), der sich der erkennende Senat anschließt, keine Änderung der Rechtslage dar. Zum anderen hatte die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen verweigerten Drogenscreenings und Haschischbesitzes entgegen der Einlassung des Antragstellers bereits in das bestandskräftig abgeschlossene Fahrerlaubnisentziehungsverfahren Eingang gefunden. Der damalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers selbst hatte hierauf mit Schreiben vom 18. Juli 2002 verwiesen. Weiterhin heißt es im Zusammenhang hiermit in der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002, die – seinerzeitigen – Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers ergäben sich nicht lediglich aufgrund seines Besitzes von Betäubungsmitteln. Hinzu komme, dass der Antragsteller in Jahren 1997 und 1998 bereits zweimal durch Fahrten unter Alkoholeinfluss auffällig geworden sei. Obwohl die hieraus resultierenden Eignungszweifel zunächst aufgrund der Teilnahme des Antragstellers an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung für alkoholauffällige Kraftfahrer hätten ausgeräumt werden können, seien sie geeignet, die nunmehr wiederum bestehenden Zweifel an seiner Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu verstärken. Weiterhin wird in der Begründung des Widerspruchsbescheides darauf hingewiesen, bereits der einmalige Konsum von Psylopilzen, die seinerzeit neben Marihuana bei dem Antragsteller aufgefunden worden waren, schließe eine Kraftfahreignung generell aus.

9

In der hier gegebenen Fallgestaltung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der bestandskräftig gewordenen Fahrerlaubnisentziehungsverfügung die Anordnung eines Drogenscreenings nicht nur wegen des Besitzes von Marihuana, sondern auch wegen des Mitführens von Psylopilzen – der Wirkstoff Psilocybin ist in der Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz enthalten – zugrunde lag und der Betroffene zudem in der Vergangenheit durch Alkoholfahrten in Erscheinung getreten war, teilt der erkennende Senat auch in der Sache die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass in einem Neuerteilungsverfahren im Zusammenhang mit einer Anordnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV die Rechtmäßigkeit einer bestandskräftigen Entziehungsverfügung nicht zu überprüfen ist.