Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.10.2003, Az.: 2 ME 315/03
Anforderungsprofil; Auswahl; Auswahlermessen; Beamter; Beförderung; Beurteilung; Bewerber; Eignungsvergleich; Lehrer; Leistung; Sonderschullehrer; Sonderschulrektor; Stellenausschreibung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.10.2003
- Aktenzeichen
- 2 ME 315/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48421
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 15.08.2003 - AZ: 2 B 3091/03
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
- § 7 BRRG
- § 8 Abs 1 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen in einem Auswahlverfahren um einen Dienstposten dem Gesichtspunkt ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden darf, welcher der Bewerber das Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens besser erfüllt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, den im Oktober 2002 ausgeschriebenen Dienstposten des Sonderschullehrers an der C. -Schule in D. (Besoldungsgruppe A 14 + Zulage) dem Beigeladenen zu übertragen.
Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nicht - wie es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlich ist - glaubhaft gemacht, dass ihr Anspruch auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung verletzt ist.
Die Rüge der Antragstellerin, es liege ein Verfahrensverstoß vor, weil die Regierungsschuldirektorin E. sowohl den Beigeladenen beurteilt als auch die streitige Auswahlentscheidung getroffen und sich dabei schon sehr früh für den Beigeladenen entschieden und danach die Auswahlentscheidung begründet habe, ist nicht berechtigt. Es trifft zwar zu, dass die Regierungsschuldirektorin E. die Dezernentin für die zu besetzende Stelle ist und den Beigeladenen am 23. Februar 2003 dienstlich beurteilt hat. Der Senat hat jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Auswahlentscheidung von unsachlichen Erwägungen, etwa einer Voreingenommenheit der Regierungsschuldirektorin E., beeinflusst worden ist. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht aus dem Auswahlvorschlag der Regierungsschuldirektorin E. vom 11. März 2003. In diesem Vorschlag sind die beruflichen Werdegänge der Antragstellerin und des Beigeladenen nebeneinander gestellt und miteinander verglichen worden. Der von der Regierungsschuldirektorin E. vorgenommene Vergleich lässt keinerlei Rückschlüsse auf eine Voreingenommenheit zu. Bei Berücksichtigung der knappen, aber positiven Bemerkungen über die Antragstellerin, die der Vergleich enthält, kommt in dem Auswahlvorschlag vielmehr nur das Bemühen zum Ausdruck, die Unterschiede zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen in der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Deutlichkeit heraus zu arbeiten.
Es kommt hinzu, dass es entgegen der Annahme der Antragstellerin auch nicht zutrifft, dass die Regierungsschuldirektorin E. die Auswahlentscheidung getroffen hat. Die Regierungsschuldirektorin E. hat zwar den Auswahlvorschlag vom 11. März 2003 gefertigt und auch der Auswahlkommission angehört, die sich im Anschluss daran mit dem Vorschlag befasst hat. Neben der Regierungsschuldirektorin E. haben jedoch zwei weitere Personen, die sich ebenfalls für die Besetzung der streitigen Stelle mit dem Beigeladenen ausgesprochen haben, der Auswahlkommission angehört. Auch die Auswahlkommission hat allerdings nicht abschließend über die Besetzung der Stelle entschieden, sondern ihren Vorschlag der Behördenleitung zur Entscheidung vorgelegt. Diese Entscheidung ist sodann am 3. April 2003 vom Abteilungsleiter 4 der Antragsgegnerin getroffen worden.
Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin ist auch in der Sache nicht fehlerhaft.
Auswahlentscheidungen unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder Richtlinien verstoßen hat (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 05.06.2003 - 2 ME 123/03 -, NdsVBl. 2003, 238 = NordÖR 2003, 311, m.w.N.).
Dem bei der Beförderungsauswahl zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese, der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 NBG ergibt, entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellsten dienstlichen Beurteilungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 - 2 C 16.02 -, IÖD 2003, 170 und Urt. v. 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, IÖD 2003, 147 = DokBerB 2003, 155; Nds. OVG, Beschl. v. 05.06.2003, a.a.O.). Ältere dienstliche Beurteilungen können aber daneben als zusätzliche Erkenntnismittel berücksichtigt werden. Sie stellen keine Hilfskriterien für eine zu treffende Auswahlentscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien vorrangig heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich nicht zu dessen nunmehr erreichtem Leistungsstand. Gleichwohl können sie vor allem bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt ermöglichen. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn frühere Beurteilungen positive oder negative Aussagen über Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen sowie deren voraussichtliche weitere Entwicklung enthalten. Derartige Äußerungen, insbesondere bei einer Gesamtwürdigung der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen erkennbare positive oder negative Entwicklungstendenzen, können vor allem bei gleichwertigen aktuellen Beurteilungen von Bewerbern den Ausschlag geben. Ihre zusätzliche Berücksichtigung bei der Auswahl ist deswegen mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 und 19.12.2002, a.a.O.).
Die Antragstellerin und der Beigeladene haben in ihren jeweils zuletzt erteilten dienstlichen Beurteilungen vom 24. Juli 2002 und 23. Februar 2003 für ihr derzeitiges Amt und für das angestrebte Amt jeweils die Note "sehr gut" erhalten. Aus den die Gesamtbeurteilung tragenden Passagen der dienstlichen Beurteilungen ergeben sich im Hinblick auf die Eignung, Befähigung und die fachliche Leistung der Antragstellerin und des Beigeladenen keine Unterschiede. Die Antragsgegnerin hatte mithin unter den beiden aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine "Stichentscheidung" zu treffen. Hierzu wären nach den bereits dargelegten Grundsätzen vorrangig die die Leistungsentwicklung der beiden Bewerber wiedergebenden älteren dienstlichen Beurteilungen heranzuziehen gewesen. Das war der Antragsgegnerin allerdings im Falle der Antragstellerin nicht möglich, weil diese - abgesehen von der aktuellen dienstlichen Beurteilung vom 24. Juli 2002 - anders als der Beigeladene nach ihrer Ernennung zur Sonderschullehrerin im März 1979 keine dienstliche Beurteilung erhalten hat.
Da es der Antragsgegnerin nicht möglich war, die Leistungsentwicklung der Bewerber anhand älterer dienstlicher Beurteilungen miteinander zu vergleichen, stand es ihr frei, weitere, den Leistungsgrundsatz wahrende Kriterien oder Auswahlmethoden heranzuziehen. Als solche sind in der Rechtsprechung anerkannt geringe Eignungsunterschiede, die auf Grund der besonderen Anforderungen des zu besetzenden Dienstpostens feststellbar sind (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.01.2002 - 2 MA 3800/01 -; Beschl. v. 11.08.1995 - 5 M 7720/94 -, DVBl. 1995, 1254 f.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin dem Gesichtspunkt ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, welcher der Bewerber das Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens besser erfüllt. Der demgegenüber erhobene Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe einen unzutreffenden und teilweise lückenhaften Sachverhalt zu Grunde gelegt und gegen allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe verstoßen, greift nicht durch.
Die mit dem hier umstrittenen Dienstposten verbundenen Anforderungen bestimmt die Antragsgegnerin als Anstellungsbehörde im Rahmen der ihr eingeräumten organisatorischen Gestaltungsfreiheit, der gegenüber der einzelne Bewerber Einfluss nur nehmen kann, wenn sich die im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit getroffenen Maßnahmen als Manipulationen zum Nachteil des Bewerbers erweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.1991 - 2 C 7.89 -, DÖV 1992, 495, 496; Nds. OVG, Beschl. v. 16.02.2000 - 5 M 4654/99 -; Beschl. v. 05.06.2001 - 2 MA 1589/01 -). Das gleiche gilt für die Gewichtung der einzelnen das Anforderungsprofil prägenden Anforderungen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.02.2000 und 05.06.2001, a.a.O.). Die Anstellungsbehörde würde sich dem Einwand widersprüchlichen Verhaltens aussetzen, wenn sie bei der Auswahl Gesichtspunkte gelten lässt, die von dem durch die Stellenausschreibung gekennzeichneten Anforderungsprofil nicht mit umfasst werden, während sie den darin vorkommenden Kriterien kein ausschlaggebendes Gewicht beimisst (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.11.1997 - 2 M 4846/97 -). Die umstrittene Auswahlentscheidung begegnet insoweit jedoch entgegen der Auffassung der Antragstellerin keinen rechtlichen Bedenken.
Das in der Stellenausschreibung beschriebene Anforderungsprofil für den streitigen Dienstposten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es bestehen insbesondere keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das von der Antragsgegnerin formulierte Anforderungsprofil eine Manipulation zum Nachteil der Antragstellerin darstellt.
Der Senat kann auch nicht erkennen, dass die Antragsgegnerin das Anforderungsprofil des ausgeschriebenen Dienstpostens verkannt oder dessen Bedeutung beim Eignungsvergleich der Bewerber fehlerhaft gewichtet hat. Die Antragsgegnerin hat rechtsfehlerfrei sowohl der Antragstellerin als auch dem Beigeladenen eine Eignung im Sinne des Anforderungsprofils zuerkannt. Dies hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen ausgeführt. Der Senat macht sich diese Begründung des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Durfte die Antragsgegnerin hiernach davon ausgehen, dass sowohl die Antragstellerin als auch der Beigeladene dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle entsprechen, lag es - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - im Rahmen ihres Auswahlermessens, für welchen der beiden Bewerber sie sich entschied. Dabei hat sie sich im Einklang mit dem von ihr zu beachtenden Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 NBG) zu Gunsten des Beigeladenen entschieden, weil dieser das Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens besser erfüllt. Die zum Anforderungsprofil im Auswahlvermerk der Antragsgegnerin vom 11. März 2003 und ihrem im Widerspruchsverfahren gefertigten Schreiben vom 15. Juli 2003, in dem der Antragstellerin die Auswahlentscheidung erläutert worden ist, enthaltenen Erwägungen orientieren sich eng an den Aufgaben der streitigen Stelle und begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 a GKG.
Dieser Beschluss ist gemäß §§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.