Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.10.2003, Az.: 11 ME 286/03
aufschiebende Wirkung; Ausnahmefall; Bagatelldelikt; Begründungserfordernis; Besonderes öffentliches Interesse; Munition; Neuregelung; Regelvermutung; Schusswaffen; Sofortvollzug; Straftat; Unbrauchbarmachen; Verfehlung; Waffenbesitzkarte; Waffenrecht; Widerruf; Zuverlässigkeit; Zuverlässigkeitsmangel
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.10.2003
- Aktenzeichen
- 11 ME 286/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48247
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 14.08.2003 - AZ: 6 B 151/03
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 3 S 1 VwGO
- § 1 Abs 1 WaffG
- § 45 Abs 2 S 1 WaffG
- § 46 Abs 2 WaffG
- § 5 Abs 2 Nr 1a WaffG
- § 5 Abs 1 WaffG
- § 146 Abs 4 VwGO
- § 122 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Im Recht der Gefahrenabwehr, zu dem auch das Waffenrecht gehört, können sich die für den Erlass des Verwaltungsakts und die sofortige Vollziehung maßgebenden Gründe decken.
Zur Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG n.F.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit Sofortvollzug versehene Verfügung der Antragsgegnerin vom 2. Juli 2003 (Widerruf der Waffenbesitzkarte gemäß §§ 45 Abs. 2 Satz 1, 4 Abs. 1 Nr. 2 und 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG n.F. sowie Rückgabe der Waffenbesitzkarte, Unbrauchbarmachen oder Überlassen der fünf eingetragenen Schusswaffen und der Munition an einen Berechtigten und Androhung eines Zwangsgeldes) abgelehnt worden ist, bleibt ohne Erfolg.
Die Einwände des Antragstellers, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen nichts auf, was die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage stellen könnte. Da der Antragsteller im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft, verweist der Senat zunächst auf die Begründung des Verwaltungsgerichts (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist Folgendes anzumerken:
Entgegen der Auffassung des Antragstellers, gegen den das Amtsgericht C. mit Urteil vom 22. November 2001 – rechtskräftig seit dem 5. Dezember 2001 – eine Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen Meineids in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung verhängt hat, genügt die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung für die Anordnung des Sofortvollzuges den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Die Antragsgegnerin hat das erforderliche besondere öffentliche Interesse darin gesehen, Personen, denen – wie dem Antragsteller – die waffenrechtliche Zuverlässigkeit wegen der Begehung von Straftaten fehle, von dem Umgang mit Waffen fernzuhalten. Es könne nicht hingenommen werden, dass der Antragsteller bis zum Abschluss eines etwaigen Widerspruchs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Besitz seiner Waffenbesitzkarte und der damit verbundenen Rechte bleibe. Die von einem unzuverlässigen Waffenbesitzkarteninhaber ausgehende Gefahr müsse möglichst bald beseitigt werden, da anderenfalls eine wirksame Durchsetzung der Verfügung nicht gewährleistet sei. Der Antragsteller hält diese Begründung für formelhaft, da sie sich auf die Darlegung des allgemeinen Vollzugsinteresses beschränke, ohne Tatsachen anzugeben, die in seinem Fall eine konkrete Gefahr belegten. Für die Anordnung des Sofortvollzuges sei aber ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinaus gehe, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertige. Der Antragsteller verkennt jedoch, dass das sofortige Vollzugsinteresse durch das einschlägige materielle Recht bereichsspezifisch vorgeprägt sein kann (vgl. etwa Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 148). Gerade im Recht der Gefahrenabwehr, zu dem auch das Waffenrecht gehört (vgl. § 1 Abs. 1 WaffG), können sich die für den Erlass des Verwaltungsaktes und die sofortige Vollziehung maßgebenden Gründe decken (vgl. etwa Schoch, a.a.O., Rdnr. 149; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rdnrn. 92, 96 u. 98; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 757).
Ein derartiger Fall liegt auch hier vor. Es besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, das mit dem privaten Waffenbesitz verbundene erhebliche Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten und nur bei Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. etwa BVerwG, Urt. v . 26.3.1996, BVerwGE 101, 25, 33 [BVerwG 26.03.1996 - BVerwG 1 C 12/95]). Dementsprechend besitzen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG n.F. die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder bei denen die Verhängung von Jugendstrafe ausgesetzt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. In einem solchen Fall überwiegt grundsätzlich das öffentliche Interesse, die durch leichtfertigen oder missbräuchlichen Umgang mit Schusswaffen drohenden Gefahren mit sofort wirksamen Mitteln zu unterbinden, das private Interesse des Betroffenen, von den Wirkungen des Widerrufs bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben. Vor diesem Hintergrund hat die Antragsgegnerin nicht gegen das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verstoßen.
Ebenso wenig vermag der Antragsteller mit seinem Einwand durchzudringen, dass die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG n.F. in seinem Fall widerlegt oder zumindest erschüttert sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. dazu im Einzelnen Meyer, GewArch 1998, 89, 91 f.) bildet bei strafrechtlich relevantem Verhalten die der Verurteilung zugrunde liegende Straftat den Grund der Regelvermutung; demgemäß ist sie im Wesentlichen Gegenstand der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt. Es kommt daher vor allem darauf an, ob die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung in einem derart milden Licht erscheinen lassen, dass die regelmäßig begründete Annahme eines Zuverlässigkeitsmangels nicht gerechtfertigt ist. Die Prüfung erfordert eine – unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmende – Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung, z.B. dahin, ob sie lediglich Bagatellcharakter hat, sowie eine Beurteilung der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt. Die Regelvermutung ist nur entkräftet, wenn aufgrund besonderer Tatsachen im Einzelfall die – nach dem strengen gesetzlichen Maßstab regelmäßig gegebene – Befürchtung, der Betroffene könnte mit Waffen bzw. Munition nicht ordnungsgemäß umgehen, ausnahmsweise nicht gerechtfertigt ist (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 13.12.1994, BVerwGE 97, 245). Diese Rechtsprechung ist auch auf das seit dem 1. April 2003 geltende neue Waffenrecht (Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11.10.2002, BGBl. I S. 3970, ber. S. 4592) anzuwenden.
Zwar wird im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung des § 5 WaffG n.F. bei strafrechtlich relevantem Verhalten die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit im Wesentlichen nunmehr an das Strafmaß statt an bestimmte Delikte geknüpft, doch ist die Schwere des Fehlverhaltens weiterhin entscheidend für die waffenrechtlichen Konsequenzen (vgl. Soschinka/Heller, NJW 2002, 2690, 2691). Es liegt auf der Hand, dass das Strafmaß regelmäßig die Schwere der strafrechtlichen Verfehlung widerspiegelt. Dass der Antragsteller zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (auf Bewährung) verurteilt worden ist, macht deshalb deutlich, dass es sich aus Sicht des Strafgerichts um eine schwerwiegende Verfehlung und nicht um einen Bagatelldelikt gehandelt hat. Das Argument des Antragstellers, das Strafgericht habe lediglich einen minderschweren Fall des Meineides festgestellt und zu einem Unrechtsurteil sei es aufgrund seiner Falschaussage auch nicht gekommen, ist ebenfalls nicht geeignet, die Regelvermutung zu entkräften. Der Grund dafür, dass es nicht zu einem Unrechtsurteil gekommen ist, lag – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht im Verhalten des Antragstellers, sondern ist auf eine andere Person zurückzuführen, die die Ermittlungsbehörden über die manipulierte Zeugenaussage in Kenntnis gesetzt hatte. Einen minderschweren Fall hatte das Strafgericht– wie aus der Urteilsbegründung (S. 5) hervorgeht – im Rahmen der Strafzumessung (vgl. § 30 StGB) nur deshalb zugrunde gelegt, weil der Antragsteller in der Hauptverhandlung ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Die Behauptung des Antragstellers, er habe sich in einer besonderen Ausnahmesituation befunden, rechtfertigt es ebenso wenig, einen Ausnahmefall anzunehmen. Denn hierbei handelt es sich um eine bloße Behauptung, die nicht näher begründet bzw. belegt worden ist. Dass sich der Antragsteller seit seiner Verurteilung straffrei geführt hat, ist rechtlich unerheblich, da die Fünf-Jahres-Frist des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG n.F. bei weitem noch nicht abgelaufen ist.
Schließlich kann der Antragsteller auch nicht damit gehört werden, dass die mit dem Sofortvollzug der Widerrufsverfügung verbundenen Kosten ihn übermäßig belasteten. Die Antragsgegnerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller seine fünf Schusswaffen nicht unbrauchbar machen muss, sondern nach § 46 Abs. 2 WaffG n.F. die Möglichkeit hat, sie einem anderen Berechtigten oder einem Waffenhaus zur Verwahrung zu übergeben, bis das Hauptsacheverfahren abgeschlossen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass dadurch die Waffen einem massiven Wertverlust ausgesetzt sein könnten oder die Aufbewahrung unverhältnismäßig teuer wäre. Im Übrigen ist der (vorübergehende) Entzug der Waffen die Konsequenz der Entscheidung des Gesetzgebers, Personen, die nicht die erforderliche Zuverlässigkeit haben, den Besitz und Gebrauch von Schusswaffen angesichts der erheblichen Missbrauchsgefahren im Interesse der Allgemeinheit möglichst umgehend und effektiv zu untersagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V.m. Nr. 49.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605, 610).