Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.06.2015, Az.: 4 Sa 74/15

Berechnung des Referenzentgelts eines Oberarztes unter Berücksichtigung des für Überstunden während Rufbereitschaft gezahlten Entgelts; Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Kommunalen Krankenhäusern

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
18.06.2015
Aktenzeichen
4 Sa 74/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 26433
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2015:0618.4SA74.15.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 20.09.2016 - AZ: 9 AZR 429/15

Fundstellen

  • ZTR 2015, 653-654
  • öAT 2015, 240

Amtlicher Leitsatz

Das für Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt ist in das Referenzentgelt gem. § 22 TV Ärzte/VKA einzubeziehen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 25. November 2014 - 8 Ca 403/14 Ö - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Kommunalen Krankenhäusern.

Der Kläger trat auf der Grundlage eines schriftlichen Dienstvertrages mit Wirkung vom 1. Juni 2002 als Oberarzt in die Dienste der beklagten Stadt. Gem. § 3 des Dienstvertrages vom 11. April 2002 richtet sich das Vertragsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom 23. Februar 1961 (BAT) und den diesen ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.

Die Vorschriften des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) haben, soweit von Interesse, folgenden Wortlaut:

Abschnitt II

Arbeitszeit

§ 7

Regelmäßige Arbeitszeit

(1) 1Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich. 2Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen/dienstlichen Gründen auch auf sechs Tage verteilt werden.

(6) Ärztinnen und Ärzte sind im Rahmen begründeter betrieblicher/dienstlicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Schichtarbeit sowie - bei Teilzeitbeschäftigung aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung oder mit ihrer Zustimmung - zu Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet.

§ 9

Sonderformen der Arbeit

(5) Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von vollbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten (§ 7 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.

§ 10

Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

(1) 1Die Ärztin/Der Arzt ist verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). 2Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.

(8) 1Der Arzt hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regemäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). 2Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arzt vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel zur Gewährleistung der Erreichbarkeit ausgestattet wird. 3Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt.

§ 11

Ausgleich für Sonderformen der Arbeit

(1) 1Die Ärztin/Der Arzt erhält neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung Zeitzuschläge. 2Die Zeitzuschläge betragen - auch bei teilzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten - je Stunde

a) für Überstunden

15 v.H.,

b) für Nachtarbeit

15 v.H.,

c) ...

(3) 1Für die Rufbereitschaft wird eine tägliche Pauschale je Entgeltgruppe bezahlt. 2Sie beträgt für die Tage Montag bis Freitag das Zweifache, für Samstag, Sonntag sowie für Feiertage das Vierfache des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Tabellenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe. 3Maßgebend für die Bemessung der Pauschale nach Satz 2 ist der Tag, an dem die Rufbereitschaft beginnt. 4Hinsichtlich der Arbeitsleistung wird jede einzelne Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft mit einem Einsatz im Krankenhaus einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten auf eine volle Stunde gerundet. 5Für die Inanspruchnahme wird das Entgelt für Überstunden sowie etwaige Zeitzuschläge nach Absatz 1 gezahlt.

§ 22

Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung

1In den Fällen der Entgeltfortzahlung nach § 7 Abs. 3 Satz 1, § 23 Abs. 1, § 27, § 28 und § 30 werden das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt. 2Die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile werden als Durchschnitt auf Basis der dem maßgebenden Ereignis für die Entgeltfortzahlung vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate (Berechnungszeitraum) gezahlt. 3Ausgenommen hiervon sind das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt (mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden) sowie besondere Zahlungen nach § 24.

§ 25

Berechnung und Auszahlung des Entgelts

(1) 1Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt und die sonstigen Entgeltbestandteile ist der Kalendermonat, soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas Abweichendes geregelt ist. 2Die Zahlung erfolgt am letzten Tag des Monats (Zahltag) für den laufenden Kalendermonat auf ein von der Ärztin/dem Arzt benanntes Konto innerhalb eines Mitgliedstaats der Europäischen Union. 3Entgeltbestandteile, die nicht in Monatsbeträgen festgelegt sind, sowie der Tagesdurchschnitt nach § 22, sind am Zahltag des zweiten Kalendermonats, der auf ihre Entstehung folgt, fällig.

Abschnitt IV

Urlaub und Arbeitsbefreiung

§ 27

Erholungsurlaub

(1) 1Ärztinnen und Ärzte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 22). ...

Niederschriftserklärungen:

4. Zu § 22:

1Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaftsentgelte, einschließlich der Entgelte für Arbeit in der Rufbereitschaft, fallen unter die Regelung des § 22 Satz 2. 2Arbeitsvertraglich hierfür vereinbarte Pauschalen werden von Satz 1 erfasst.

Die Tarifvertragsparteien haben die Niederschriftserklärungen nicht unterzeichnet. Sie lagen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Tarifvertrags in vollem Wortlaut vor.

Der Kläger war zuletzt in die Entgeltgruppe III Stufe 3 TV-Ärzte/VKA eingruppiert. Seine regelmäßige Arbeitszeit verteilt sich wie folgt: Montag - Donnerstag: 08:00 Uhr - 16:45 Uhr; Freitag: 08:00 Uhr - 15:30 Uhr. Die Fahrzeit von seiner Wohnung zum Krankenhaus beträgt - je nach Verkehrslage - zwischen 10 und 15 Minuten. Als Oberarzt leistet der Kläger regelmäßig Rufbereitschaftsdienste. Die Einteilung erfolgt über einen Dienstplan, der jeweils einen Zeitraum von sechs Wochen abdeckt. Im ersten Quartal des Jahres 2014 wurde der Kläger zu mehreren Einsätzen im Krankenhaus gerufen. Die Beklagte vergütete die Einsatzzeit in dem Krankenhaus sowie die anlässlich dieser Einsätze zurückgelegten Wegezeiten als Überstunden.

Für die Zeit vom 5. April bis zum 27. April 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Erholungsurlaub. Die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der im Referenzzeitraum geleisteten Rufbereitschaft berücksichtigte sie bei der Berechnung des Urlaubsentgelts nicht.

Nach erfolgloser Geltendmachung begehrt der Kläger mit der vorliegenden Klage Zahlung eines weiteren Urlaubsentgelts in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.777,49 €.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.777,49 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2014 zu zahlen. Gegen das ihr am 19. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Januar 2014 Berufung eingelegt und sie am 17. Februar 2014 begründet.

Die Beklagte vertritt unter Bezugnahme auf die von ihr angezogene Entscheidung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 10. April 2013 (5 AZR 97/12) die Auffassung, das Entgelt für die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft fließe nicht in die Bemessungsgrundlage der Entgeltfortzahlung ein. Ziff. 4 der Niederschriftserklärung zu § 22 TV-Ärzte/VKA sei nicht Bestandteil des Tarifvertrages. Niederschriftserklärungen könnten allenfalls dann als Auslegungshilfe dienen, wenn sie im Wortlaut des Tarifvertrages einen Niederschlag gefunden hätten, was vorliegend nicht der Fall sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 25. November 2014 - 8 Ca 403/14 Ö - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 23. April 2015.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat nach § 27 TV-Ärzte/VKA gegen die Beklagte Anspruch auf Entgeltfortzahlung während der Freistellung von der Arbeit zu Erholungszwecken in der Zeit vom 5. bis zum 27. April 2014 in Höhe weiterer 1.777,49 €.

1. Der TV-Ärzte/VKA findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Bezugnahmeklausel in § 3 des Dienstvertrages vom 11. April 2002 Anwendung. Gem. § 2 des Tarifvertrags zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an Kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des Übergangrechts vom 17. August 2006 (TVÜ-Ärzte/VKA) hat der TV-Ärzte/VKA den BAT vom 23. Februar 1961 und die ihn ergänzenden Tarifverträge der VKA mit Wirkung vom 1. August 2006 ersetzt.

2. Gem. § 22 TV-Ärzte/VKA werden im Fall des erteilten Erholungsurlaubs das Tabellenentgelt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile weitergezahlt. Die Zahlung dieser Vergütungsbestandteile ist vorliegend nicht Streitgegenstand, sondern die Berücksichtigung der nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile nach § 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA. Diese werden als Durchschnitt auf Basis der dem maßgebenden Ereignis für die Entgeltfortzahlung vorhergehenden letzten drei vollen Kalendermonate (Berechnungszeitraum) gezahlt. Hiervon nimmt § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA das zusätzlich gezahlte Entgelt für Überstunden aus, soweit es sich nicht um im Dienstplan vorgesehene Überstunden handelt.

Hinsichtlich dieser nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile gilt nach § 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA zwar auch das in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG normierte Referenzprinzip, allerdings wird der Referenzzeitraum abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG auf die letzten drei vollen Kalendermonate vor dem Urlaubsbeginn festgelegt. Diese Abweichung von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zulässig. Die Tarifvertragsparteien können den Referenzzeitraum verlängern oder verkürzen und auch auf abgerechnete Monate zurückgreifen (BAG 15. Dezember 2009 - 9 AZR 887/08; 3. Dezember 2002 - 9 AZR 553/01).

3. Die während des Referenzzeitraums innerhalb der Rufbereitschaft erfolgte Inanspruchnahme erfüllt nicht die im Klammerzusatz des § 22 Abs. 1 Satz 3 TV-Ärzte/VKA geregelte Rückausnahme. Es handelt sich nicht um "im Dienstplan" vorgesehene "Überstunden".

a) Nach § 9 Abs. 5 TV-Ärzte sind Überstunden nur die Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von vollbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten (§ 7 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden. Für sie ist kennzeichnend, dass sich der Inhalt der vom Arzt in dieser Zeit geschuldeten Arbeitsleistung nicht ändert. Der Arbeitnehmer arbeitet lediglich "länger als üblich" und insoweit "außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit".

b) Die Rufbereitschaft kann nach § 10 Abs. 8 TV-Ärzte/VKA ebenfalls nur außerhalb der Arbeitszeit angeordnet werden. Sie soll es dem Arbeitgeber - ebenso wie der Bereitschaftsdienst gem. § 10 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA - ermöglichen, den Arzt auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit bei Bedarf zur Arbeitsleistung zu verpflichten (BAG 29. Juni 2000 - 6 AZR 900/98). Die Rufbereitschaft beginnt in dem Zeitpunkt, von dem an der Arzt verpflichtet ist, auf Abruf die Arbeit aufzunehmen und endet zu dem vom Arbeitgeber im Voraus bestimmten Zeitpunkt. Erst eine solche Anordnung verpflichtet den Arzt dazu, sich außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten und auf gesonderten Abruf hin eine Arbeit aufzunehmen. Sie allein ist Rechtsgrund für die Erbringung einer Arbeitsleistung außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit. Die tatsächliche Aufnahme der Arbeit auf einen entsprechenden Abruf des Arbeitgebers hin während der angeordneten Rufbereitschaft unterbricht nicht die festgelegte Zeit der Rufbereitschaft, die als rechtliche Grundlage der Arbeitsleistung fortbesteht (BAG 9. Oktober 2003 - 6 AZR 447/02). Der Arzt erbringt während der Rufbereitschaft nicht die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete, sondern eine andere, zusätzliche Leistung (BAG 24. Oktober 2000 - 9 AZR 634/99). Eine Heranziehung des Arztes außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit stellt einen Eingriff in die Freizeitgestaltung dar, die die Tarifvertragsparteien als nicht mehr vom Tarifgehalt abgedeckt und daher gesondert vergütungspflichtig ansehen (BAG 29. Juni 2000 - 6 AZR 900/98). Wird der Arzt abgerufen, leistet er zwar Arbeit. Trotzdem sind die geleisteten Arbeitsstunden nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien keine Überstunden im vergütungsrechtlichen Sinn (BAG 24. Oktober 2000 - 9 AZR 634/99).

4. Bei der Vergütung für die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft gem. § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärzte/VKA handelt es sich nicht um "zusätzlich für Überstunden" gezahltes Entgelt iSd. § 22 Abs. 1 Satz 3 TV-Ärzte/VKA. Unter "zusätzlich für Überstunden" gezahltes Entgelt im Sinne der Tarifvorschrift ist nur das Entgelt zu verstehen, dass für (tatsächlich geleistete) Überstunden iSd. § 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA gezahlt wird.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 10. Februar 2015 - 3 AZR 904/13).

b) Der Wortlaut der tariflichen Regelung ist nicht eindeutig. Er lässt sowohl die Auslegung zu, § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA nehme nur das zusätzlich gezahlte Entgelt für Überstunden iSd. § 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA aus. Die Formulierung "Ausgenommen hiervon sind das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt" kann vom Wortsinn her aber auch so verstanden werden, dass von ihr alle Arbeitsstunden erfasst werden, für die ein Überstundenentgelt gezahlt wird, unabhängig davon, ob es sich bei den geleisteten Stunden um Überstunden iSd. § 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA handelt.

c) Auch die Tarifsystematik führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis.

Für die Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärzte/VKA jede angefangene Stunde auf eine volle Stunde gerundet und mit dem "Entgelt für Überstunden" bezahlt, § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärzte/VKA. Es kommt daher insbesondere nicht darauf an, dass durch die während der Rufbereitschaft geleistete Arbeit die regelmäßige Arbeitszeit Vollbeschäftigter überschritten wird (BAG 20. August 2014 - 10 AZR 937/13). Lediglich für die weiteren in § 11 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA geregelten Zeitzuschläge müssen die dort aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Dies folgt aus dem Verweis in § 11 Abs. 3 Satz 4 TVöD-Ärzte/VKA auf "etwaige Zeitzuschläge nach Absatz 1". Die anderen in § 11 Abs. 1 TVöD-Ärzte/VKA aufgeführten Zeitzuschläge (für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit) sind nur "etwaig", dh. wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind, zu bezahlen.

Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärzte/VKA macht zwar deutlich, dass nicht nur der innerhalb der Rufbereitschaft erfolgende Einsatz im Krankenhaus, sondern auch die erforderlichen Wegezeiten "Arbeitsleistung" im Sinne dieser Tarifnorm sind. Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 T TV-Ärzte/VKA findet "hinsichtlich der Arbeitsleistung" eine Addition der Einsatzzeit im Krankenhaus und der erforderlichen Wegezeiten statt. Daraus folgt, dass die Summe aus Einsatzzeit und erforderlichen Wegezeiten "Arbeitsleistung" ist, die der Entgeltberechnung als "Überstunde" zugrunde liegt. Einen Hinweis darauf, dass die Zeiten der Inanspruchnahme bei der Bemessungsgrundlage des § 22 TV-Ärzte/VKA zu berücksichtigen sind, gibt § 11 TV-Ärzte/VKA nicht.

d) Sinn und Zweck der tariflichen Regelung sprechen dafür, nur das für tatsächlich geleistete Überstunden im Sinne des § 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA gezahlte Entgelt nicht in die Bemessungsgrundlage der Entgeltfortzahlung einfließen zu lassen. Der Wortlaut des § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA lehnt sich an die gesetzliche Regelung im Bundesurlaubsgesetz an. Nach § 11 BurlG bemisst sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des "zusätzlich für Überstunden" gezahlten Arbeitsverdienstes. Der gesetzliche Ausnahmetatbestand ist durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 in § 11 BurlG eingefügt worden, um zu verhindern, dass ein Arbeitnehmer durch gezielte Leistung von Überstunden im Bezugszeitraum ein höheres Urlaubsentgelt erlangen kann. Eine solche Missbrauchsmöglichkeit besteht bei der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft nicht. Denn der tatsächliche Einsatz während der Rufbereitschaft erfolgt ausschließlich auf einen entsprechenden Abruf des Arbeitgebers und ist nicht planbar.

e) Für das enge Verständnis des Überstundenbegriff in § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA spricht ferner, dass die tarifliche Regelung als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist. Zu der entsprechenden Vorschrift des § 11 BurlG hat der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 2000 (9 AZR 634/99) klargestellt, dass Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft keine Überstunden im Sinne des § 11 Abs. 1 BurlG sind.

f) Das Ergebnis der Auslegung wird durch die Niederschriftserklärung Nr. 4 zu § 22 TV-Ärzte/VKA gestützt. Danach fallen Rufbereitschaftsentgelt, einschließlich der Entgelte für Arbeit in der Rufbereitschaft, unter die Regelung des § 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA.

Niederschriftserklärungen sind übereinstimmende Erklärungen der Tarifvertragsparteien, die im Rahmen des Abschlusses eines Tarifvertrages außerhalb desselben in der Verhandlungsniederschrift zusammengefasst werden. Sie sind zwar - anders als Protokollerklärungen - nicht Teil der Tarifnorm, geben aber Hinweise auf das Verständnis, von dem die Tarifvertragsparteien zum Inhalt der Tarifnorm ausgegangen sind. Sie können als Auslegungshilfen herangezogen werden, soweit sie nicht im offensichtlichen Widerspruch zum Wortlaut stehen (BAG 8. Juli 2009 - 10 AZR 523/08). Die Berücksichtigung der Niederschriftserklärung führt vorliegend nicht zu einem der Tarifnorm des § 22 TV-Ärzte/VKA widerstreitenden Ergebnis.

III. Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.