Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.06.2015, Az.: 17 Oa 1/14

Unwirksame Allgemeinverbindlichkeitserklärung im niedersächsischen Hotel- und Gaststättengewerbe bei Nichterreichen des erforderlichen Beschäftigtenquorums

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.06.2015
Aktenzeichen
17 Oa 1/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 33742
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2015:0603.17OA1.14.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Allgemeinverbindlicherklärung des am 17.05.2010 abgeschlossenen Entgelttarifvertrags für das Hotel und Gaststättengewerbe in Nds. ist mangels Erreichen des nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG a. F. erforderlichen Beschäftigtenquorums unwirksam.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 07. November 2011 betreffend den zwischen dem N. und der M. abgeschlossenen Entgelttarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen vom 17. Mai 2010, bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 30.11.2011, S. 4248 unwirksam ist.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Niedersachsen (künftig: MW) am 07.11.2011 mit Wirkung zum 01.12.2011 ausgesprochenen Allgemeinverbindlicherklärung (künftig: AVE) eines zwischen dem N. (künftig: N.) und der M. (künftig: M.) am 17.05.2010 abgeschlossenen Entgelttarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen (künftig: ETV). Dieser Tarifvertrag erfasst von seinem in Ziff. 1 geregelten Geltungsbereich:

"Räumlich: Das Gebiet des Landes Niedersachsen mit Ausnahme der durch Sondertarifvertrag erfassten Gebiete der Ostfriesischen Nordseeinseln und des ehemaligen Verwaltungsbezirks Oldenburg (Kreisfreie Städte: Delmenhorst, Oldenburg, Wilhelmshaven, Landkreise: Ammerland, Cloppenburg, Friesland, Oldenburg, Vechta, Wesermarsch).

Fachlich: Alle Betriebe, die gewerbsmäßig beherbergen und/oder Speisen und/oder Getränke abgeben. Hierzu gehören auch z. B. Betriebe der Handelsgastronomie, der Systemgastronomie, der Gemeinschaftsverpflegung und der Caterer. Zum fachlichen Geltungsbereich gehören ebenfalls Dienstleister, die branchentypische Aufgaben des Gastgewerbes in Institutionen oder anderen Unternehmen übernehmen. Weiter sind Reservierungs- und Verwaltungsbetriebe des Gastgewerbes oder gastgewerbliche Nebenbetriebe erfasst.

Persönlich: Alle gewerblichen Arbeitnehmer/innen und alle im Sinne des § 1 Abs. 1 des Angestellten-Versicherungsgesetzes in den vorgenannten Betrieben beschäftigten kaufmännischen und technischen Angestellten einschließlich der Auszubildenden und der aushilfsweise Beschäftigten (im folgenden Beschäftigte genannt)."

Mit Schreiben vom 27.09.2010 bzw. 25.10.2010, wegen deren genauen Inhalt auf Bl. 3ff und 18 ff. der Verwaltungsakte des MW (Anlage zum Schriftsatz der Bet. zu 4) vom 18.03.2015, (Bl. 129 d.A.), Anlagenband zur Gerichtsakte; künftig: Prüfakte) verwiesen wird, beantragte die M., ..., hiesiger Beteiligte zu 6), in Übereinstimmung mit der Tarifpartei N., hiesige Beteiligte zu 7), die Entgeltgruppen 1 und 2 dieses Tarifvertrags für allgemeinverbindlich zu erklären. Wegen der Begründung des Antrags wird auf den Inhalt der oben genannten Schreiben Bezug genommen. Der Antrag wurde im Bundesanzeiger vom 03.12.2010, S. 4051 (Prüfakte Bl. 62 f.) bekannt gemacht.

Mit Schreiben vom 23.11.2010, wegen dessen genauen Inhalt auf Bl. 30 f. der Prüfakte verwiesen wird, übertrug das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund § 5 Abs. 6 TVG dem MW, das Recht, das Verfahren über den Antrag auf AVE durchzuführen. Das MW hat nach erfolgter Anhörung der Tarifpartner sowie des Bundesverbands der Systemgastronomie e.V., des Bundesverbands Schnellgastronomie und Imbissbetriebe e.V., der Hallo P. GmbH und Zustimmungsempfehlung des Tarifausschusses in der Ausschusssitzung vom 07.11.2011 (Prüfakte Bl. 200f.) den Entgelttarifvertrag vom 17. Mai 2010 mit Einschränkungen und Wirkung vom 01.12.2011 für allgemeinverbindlich erklärt und dies im Bundesanzeiger vom 30.11.2011 (Nr. 180, S. 4248) bekannt gegeben. Die Nummern 2, 4 und 5 des Entgelttarifvertrags sowie die in Nummer 6 Entgelttabelle und Nummer 7 Entgeltsätze aufgeführten Entgeltgruppen 3 bis 8 und die Nummer 8 (Ausbildungsvergütung), Nummer 9 (Schankverlust) und die Nummern 10, 11, 12 und 13 wurden von der AVE ausgenommen. Außerdem wurde die AVE nicht auf Betriebe/Unternehmen erstreckt, die den jeweils gültigen, zwischen dem Bundesverband der Systemgastronomie e.V., M., und der M. vereinbarten Entgelttarifvertrag bzw. dem jeweils gültigen Spezialentgelttarifvertrag für Mitgliedsunternehmen der Systemgastronomie der Landesverbände im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V., ebenfalls vereinbart mit der M., unterfallen und diesen anwenden. Dies wird gem. Ziff. 3 der AVE-Bekanntmachung unwiderlegbar vermutet, wenn der Betrieb/das Unternehmen jeweils entsprechendes mittelbares oder unmittelbares Mitglied einer der vorgenannten vertragsschließenden Arbeitgeberorganisationen ist.

Die allgemeinverbindlichen Entgeltsätze zu Beginn der AVE (01.12.2011) betrugen danach in der Entgeltgruppe 1 (die Beschäftigte mit Tätigkeiten, die geringe fachliche Kenntnisse erfordern, die durch Anleitung erworben werden, erfasst) 7,94 €/Stunde (1.342,-- € monatlich geteilt durch 169 Monatsstunden gem. dem Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe vom 28.06.2000 (AVE ab 28.12.2000)) und in der Entgeltgruppe 2 (die Beschäftigte mit Tätigkeiten, die fachliche Kenntnisse erfordern, die durch Anleitung in betrieblicher Praxis in vergleichbarer Tätigkeit erworben werden, erfasst) 8,71 € (1.472,-- € geteilt durch 169). Ab dem 01.05.2012 betrug die monatliche Vergütung der Entgeltgruppe 1 = 1.359,-- € (8,04 €/Stunde) und die der Entgeltgruppe 2 = 1.491 € (8,82 €/Stunde). Der für allgemeinverbindlich erklärte ETV vom 17.05.2010 wurde von der Gewerkschaft M. mit Schreiben vom 22.01.2013 zum 28.02.2013 gekündigt. Er ist seither außer Kraft. Für den neuen ETV vom 25.03.2013 wurde eine AVE nicht beantragt.

Der AVE hat das MW hinsichtlich der erforderlichen Beschäftigtenzahl gem. § 5 Abs. 1 Ziff. 1 TVG a.F. zugrunde gelegt, dass im Geltungsbereich des Tarifvertrags insgesamt 127.597 Arbeitnehmer und in den Mitgliedsunternehmen 65.494 beschäftigt wurden. Ausgegangen ist das Ministerium dabei von der im November 2011 veröffentlichten Statistik der B.Agentur für Arbeit (künftig: BA) zum Stichtag 31.03.2011 und den Angaben des zu 7) beteiligten Arbeitgeberverbands N. gem. dessen Schreiben vom 24.06.2011 (Bl. 98f. Prüfakte). In diesem Schreiben hatte der N. angegeben, dass er in seiner Mitgliederstatistik grundsätzlich Betriebsstätten zähle. Da in der Statistik der BA Betriebe mit mehreren Niederlassungen/Filialen in derselben Gemeinde nur einmal berücksichtigt werden, müssten Zweitmitgliedschaften herausgerechnet werden. So verblieben 6.499 Betriebe. Von diesen entfielen 1.050 (mithin 16,16 Prozent) auf die vom räumlichen Geltungsbereich des ETV ausgenommenen Tarifgebiete Weser-Ems und Ostfriesische Inseln, so dass für das zur Beurteilung stehende Tarifgebiet 5.449 Mitgliedsbetriebe zugrunde zu legen seien.

Die Statistik der BA, die alle Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst, wies zum Stichtag 31.03.2011 eine Gesamtbeschäftigtenzahl im Gastgewerbe Niedersachsen von 152.191 (Anl. 2 zum Schriftsatz der Beteiligten zu 4) vom 14.01.2015, Bl. 66 d. A.); nämlich 68.520 Sozialversicherungspflichtige und 83.671 geringfügig Beschäftigte in 12.660 Betrieben aus. Hiervon zog das MW (entsprechend dem Verhältnis der außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs liegenden Mitgliedsbetriebe des N.) 16,16 Prozent der Arbeitnehmer für die vom räumlichen Geltungsbereich des ETV ausgenommenen Tarifgebiete ab und errechnete eine "bereinigte" große Zahl von 127.597 (152.191 abzüglich 16,16 Prozent = 24.594) Arbeitnehmern im Tarifgebiet.

Da der N. angegeben hatte, nur Betriebe/Betriebsstätten in seiner Mitgliederstatistik zu führen, schätzte das MW zur Berechnung der kleinen Zahl, dass in den Mitgliedsbetrieben des N. durchschnittlich ebenso viele Arbeitnehmer wie im Gastgewerbe insgesamt, nämlich 12,02 Arbeitnehmer pro Betrieb (152.191 Beschäftigte geteilt durch 12.660 Betriebe gem. der Betriebs - und Beschäftigtenstatistik der BA) beschäftigt werden. Dementsprechend multiplizierte es die angegebenen 6.499 Mitgliedsbetriebe mit durchschnittlich 12,02 Beschäftigten. So ergaben sich 78.118 Beschäftigte in niedersächsischen Mitgliedsbetrieben insgesamt und abzüglich 16,16% (= 12.624 Beschäftigte in den ausgenommenen Tarifgebieten) 65.494 Beschäftigte in Mitgliedsbetrieben des Tarifgebiets. Damit errechnete sich ein Verhältnis von großer zu kleiner Zahl von 51,33%.

Mit beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 21.08.2014 per Fax eingegangenen Schriftsatz vom 20.08.2014 machen die Beteiligten zu 1), 1a) und 1b) geltend, die AVE vom 07.11.2011 betreffend den Entgelttarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe vom 17.05.2010 sei rechtsunwirksam. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG a.F. hätten nicht vorgelegen.

Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) und 1a), sind nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbands Sie sind Gesellschafter der G. E. GbR (Beteiligte zu 1b), die das "P-Café" in E-Stadt, ein gastronomischer Betrieb, der gewerbsmäßig Speisen und Getränke abgibt, betreibt. Die Beteiligten zu 1) und 1a) arbeiten als Gesellschafter in dem Betrieb. Die im schwankendem Umfang beschäftigten Mitarbeiter sind überwiegend Schüler und Studenten und i. S. v. § 8 SGB IV geringfügig beschäftigt. Die Beteiligte 1b) zahlte auch nach Beginn der AVE nicht den tariflichen Mindestlohn. Nach Betriebsprüfungen am 14.05.2012 und vom 28.10.2013 bis 06.11.2013 hat die L. (Beteiligte zu 5) zunächst für den Zeitraum bis 31.12.2011 und dann für den Prüfzeitraum vom 01.01.2012 bis 28.02.2013 festgestellt, dass die im Hotel- und Gaststättengewerbe geltenden tariflichen Mindestlöhne nicht gezahlt wurden. Gegen die daraufhin im Verwaltungs- und Vorverfahren ergangenen Bescheide klagt die Beteiligte zu 1b) vor dem Sozialgericht Hildesheim unter dem Az. S 41R 276/13 (Bescheid vom 22.06.2012/Widerspruchsbescheid vom 07.05.2013) und S 28R 227/14 (Bescheid vom 16.12.2013 Widerspruchsbescheid vom 05.06.2014). Das Landesarbeitsgericht hat die Akten dieser Rechtsstreite, die mit Beschluss des Sozialgerichts C-Stadt vom 13.04.2015 bzw. 04.05.2015 ausgesetzt wurden, beigezogen.

Die weitere Antragstellerin und Beteiligte zu 2), vertreten durch den Geschäftsführer des Bundesverbands Schnellgastronomie und Imbissbetriebe E.V., Rechtsanwalt B., ist - neben dem Gesellschafter Günther A. - Gesellschafterin der A. GbR, Imbissbetriebe, die vor dem Sozialgericht K-Stadt gegen Nachforderungsbescheide der Beteiligten zu 5) zu den Az: S 14 R 703/14 und 6 R 1090/14 ER klagt. Die Beteiligte zu 2) klagt vor dem Sozialgericht Osnabrück zum Az.: 1 R 430/14 (ausgesetzt mit Beschluss vom 25.02.2015 bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens) und 1 R 601/14 ER gegen Nachforderungsbescheide der Beteiligten zu 5). Vor dem Amtsgericht Diepholz ist außerdem zum Az.: 6 Ds 304 Js 36780/12 (82/13) ein Strafverfahren gegen die Beteiligte zu 2) und ihren Mitgesellschafter wegen des Vorwurfs der Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung anhängig.

Die zusätzliche Antragstellerin und Beteiligte zu 3) klagt vor dem Sozialgericht Hildesheim gegen Nachforderungsbescheide der Beteiligten zu 5) in Höhe von insgesamt 37.481,57 €.

Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind der Auffassung, die Ermittlung des Beschäftigtenquorums nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. TVG a.F. weise erhebliche Mängel auf. Die Ermittlung des Quorums auf der Grundlage einer durchschnittlichen Beschäftigtenzahl pro Betrieb sei angesichts des Gesetzeszwecks keine zulässige Erkenntnismethode. Die Statistik der BA weise zudem im Vergleich zu anderen Statistiken, insbesondere der des Landesamtes für Statistik Niedersachsen (künftig: LSKN), die geringste Zahl an Unternehmen im Gastgewerbe aus. Auch habe der N. sinkende Mitgliederzahlen. Von 6.806 Mitgliedern per 31.12.2009 seien zum 31.12.2010 nur noch 6.638 Mitglieder angegeben worden. Zudem sei die Zahl von 12.660 Gastgewerbebetrieben (mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) in Niedersachsen gemäß der Statistik der B.Agentur für Arbeit um mindestens 1.000 Betriebe, die lediglich familiengeführt seien und keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer bzw. nur Geringfügige beschäftigten, zu erhöhen. Schwerpunktmäßig seien dies (kleinere) Imbissbetriebe, Raucherkneipen sowie kleine Pensionen und Hotels G.. Auch beschäftigten Betriebe der Systemgastronomie und bspw. Pizzalieferdienste i.d.R. mehr Arbeitnehmer als der Durchschnitt der Betriebe, da in solchen Betreiben in größerer Anzahl Geringfügige arbeiteten. Schließlich würden diverse Unternehmen, die dem Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfielen nicht von der Statistik der BA erfasst. Dies betreffe Reservierungs- und Verwaltungsbetriebe, wie auch V.-Unternehmen (im Tarifgebiet Niedersachsen gebe es derzeit 200 mit je etwa 10 Beschäftigten), also Unternehmen, die Verpflegungsautomaten, z.B. Getränkeautomaten aufstellten, wie auch Betriebe der Handelsgastronomie, neben der Kaufhaus- auch die Tankstellengastronomie sowie Discount Cafés wie z.B. "Back W.".

Wegen des weiteren Vorbringens der Antragsteller/innen wird ergänzend auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beteiligten zu 1) bis 3) beantragen,

festzustellen, dass die AVE des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Niedersachsen vom 07.11.2011 betreffend den Entgelttarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen vom 17.05.2011 unwirksam ist.

Das zu 4) beteiligte Ministerium sowie die Beteiligten zu 6) und 7) beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Das beteiligte Ministerium verteidigt die angegriffene AVE nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 14.01.2015, auf den die Kammer Bezug nimmt. Es ist der Auffassung, die der AVE zugrunde liegenden Zahlen seien zutreffend und auch die übrigen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 TVG erfüllt.

Das 50%-Quorum gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG a. F. sei gewahrt. Das Verhältnis kleiner Zahl zu großer Zahl liege bei 51,33 Prozent. Das öffentliche Interesse sei gegeben und die AVE im öffentlichen Interesse geboten gewesen. Wegen der hierzu ausgeführten Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des beteiligten Ministeriums vom 14.01.2015 Bezug genommen. Die Beteiligten zu 5) und 6) haben keine Stellungnahme abgegeben. Die Beteiligte zu 5) ist der Anhörung zudem ferngeblieben. Wegen des Vorbringens des Beteiligten zu 7) wird auf die Schriftsätze vom 09.12.2014 (Bl. 49 ff. d.A.) sowie vom 28.05.2015 (Bl. 189 f.) und 2.6.2015 (Bl. 207 d.A.) Bezug genommen.

Die Kammer hat die Verwaltungsakte des MW beigezogen (vorgelegt in elektronischer Form als Anlage zum SS des beteiligten MW vom 18.03.2015) sowie schriftliche Auskünfte der BA (Bl. 104 ff und 179 f. d.A.) und der BG N - Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe in M. (künftig: BG) eingeholt (Bl.197 f.).

B.

I.

Das angerufene Gericht ist zuständig.

1.

Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG gegeben. Nach dieser Vorschrift sind die Gerichte für Arbeitssachen seit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 16.08.2014 (Art. 2 Nr. 1 b) ausschließlich zuständig für die Entscheidung über die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes. In Streitigkeiten nach dieser Vorschrift findet gem. § 2 a Abs. 2 ArbGG das Beschlussverfahren statt. Das Landesarbeitsgericht ist gem. § 98 Abs. 2 ArbGG erstinstanzlich zuständig.

2.

Die örtliche Zuständigkeit ist gem. § 98 Abs. 2 ArbGG gegeben. Sie bestimmt sich nach dem Sitz der obersten Arbeitsbehörde eines Bundeslandes, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (künftig: BMAS) die Befugnis zum Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung gem. § 5 Abs. 6 TVG auf die oberste Arbeitsbehörde eines Bundeslandes übertragen hat. Dies ist im Streitfall mit Schreiben des BMAS vom 23. November 2010 geschehen.

II.

Die Anträge sind zulässig.

1.

Die Antragsteller zu 1) bis 3) sind antragsbefugt.

Nach § 98 Abs. 1 Ziff. 1 ArbGG ist antragsbefugt u.a. jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, nach der Bekanntmachung der AVE oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Diese Voraussetzungen liegen bei den Antragstellern zu 1) bis 3) vor. Sie haben hinreichend substantiiert Tatsachen dafür vorgetragen haben, dass sie durch die angegriffene AVE bzw. deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt werden. Zudem ist die Antragsbefugnis der Antragsteller - soweit sozialgerichtliche Verfahren und Strafverfahren wegen Nachforderung/Hinterziehung von Beiträgen zur Sozialversicherung ausgesetzt sind - gem. § 98 Abs. 6 ArbGG gegeben.

2.

Das für den Antrag erforderliche Rechtsschutzinteresse folgt aus der Antragsbefugnis. Diese besteht auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts noch, denn die AVE entfaltet für die Antragsteller weiterhin nachteilige Rechtswirkungen.

III.

Die Anträge der Beteiligten zu 1) bis 3) sind begründet. Die streitbefangene AVE vom 07. November 2011 ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 TVG a.F. waren nicht gegeben.

1.

Die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG a.F. geforderte Repräsentativität des Tarifvertrags ist zu bejahen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (Beschäftigtenquorum). Um dies zu beurteilen, bedarf es der Kenntnis zweier Zahlen, nämlich einmal der Zahl der insgesamt vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfassten Arbeitnehmer (sog. große Zahl) und zum anderen der Zahl der von tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer (sog. kleine Zahl).

a) Das Beschäftigtenquorum muss im maßgeblichen Zeitpunkt der AVE objektiv vorliegen bzw. vorgelegen haben. Dies bedeutet für die zuständige oberste Bundes- oder Landesbehörde, dass sie diese Voraussetzung von Amts wegen sorgfältig zu prüfen hat. Eine exakte Feststellung, wie viele Arbeitnehmer die organisierten Arbeitgeber im Zeitpunkt der AVE beschäftigen, ist ebenso wie die Ermittlung der von den nicht organisierten Arbeitgebern Beschäftigten nur schwer möglich ist (BAG vom 22. Oktober 2003 - 10 AZR 13/03, Rn. 109 mwN), ist eine möglichst genaue Auswertung des verwertbaren, hinreichend aussagekräftigen statistischen Materials ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. Wiedemann/Wanck, TVG-Kommentar, 7. Aufl. 2007, § 5 Rn. 65). Dazu kann auf Datenmaterial der Statistischen Ämter, der BA, der Berufsgenossenschaften, der Krankenkassen, der Handwerks-und Industrie- und Handelskammern, der Innungen, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zurückgegriffen werden. Sind statistische Materialien oder Auskünfte von Behörden oder Verbänden nicht zu erhalten oder führen sie zu keinem verlässlichen Ergebnis, kommt eine sorgfältige Schätzung in Betracht (BAG vom 22.10.2003 - 10 AZR 13/03 - Rn. 109 m.w.N.).

b) Das angerufene Gericht hat die Voraussetzung der erforderlichen Beschäftigtenzahl nach den gleichen Grundsätzen zu prüfen. Dies beinhaltet insbesondere auch die Prüfung, ob die Behörde das verfügbare Material vollständig herangezogen und sorgfältig ausgewertet hat (Wiedemann/Wanck, aaO., § 5 Rn. 66). Maßstab der gerichtlichen Kontrolle können dabei lediglich die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen sein. Von der Behörde kann dagegen nicht verlangt werden, im Rahmen der ihr auferlegten sorgfältigen Prüfungspflicht auch Daten zu berücksichtigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden oder verfügbar sind (so auch OVG NRW vom 16. November 2012 - 4 A 46/11 - Rn. 82 f.). Entscheidend ist, ob das Ministerium das Vorliegen des 50 Prozentquorums unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller verfügbaren und aktuellsten statistischen Zahlen ordnungsgemäß ermittelt hat.

2.

Bei der gebotenen Anwendung dieser Grundsätze wurde das erforderliche Beschäftigtenquorum des § 5 Abs.1 Nr. 1 TVG a.F. im Zeitpunkt der AVE im November 2011 nicht erreicht.

a) Dabei werden für die sogenannte große Zahl 128.469 sozialversicherungspflichtige und geringfügig Beschäftigte in 10.606 Betrieben per 31.03.2011 gem. der auf gerichtliche Anfrage erstellten Statistik der BA für das Tarifgebiet (Niedersachsen ohne die durch Sondertarifvertrag erfassten Gebiete der ostfriesischen Inseln und des ehemaligen Verwaltungsbezirks Oldenburg), sog. Kundenaggregat, zugrunde gelegt.

aa) Nicht zu beanstanden ist, dass das MW zur Ermittlung der großen Zahl von den vierteljährlich erhobenen Daten der Beschäftigten- und Betriebsstatistik der BA im Gastgewerbe, ausgegangen ist.

(1) Da jeweils die zum Zeitpunkt der AVE aktuellen Zahlen zugrunde zu legen sind, konnte das Ministerium auf die im Zeitpunkt der AVE veröffentlichten Daten des Erhebungsstichtags 31. März 2011 zurückgreifen und musste keine Durchschnittsberechnung bezogen auf die Vorjahreszahlen oder eine zukunftsbezogene Schätzung anzustellen. Die vierteljährlichen Auswertungen der BA zur Ermittlung des Beschäftigtenbestandes werden jeweils erst sechs Monate nach dem jeweiligen Berichtsstichtag durchgeführt. Die Betriebs- und Beschäftigtenzahlen im niedersächsischen Gastgewerbe für den Stichtag 30. Juni 2011 waren daher im November 2011 noch nicht veröffentlicht; sie wurden erst zum 15.01.2012 freigegeben. (Auskunft der B.Agentur für Arbeit, 24.02.2015, Bl. 104 ff., 105 d.A.).

(2) Die Daten der BA, die alle sozialversicherungspflichtig- und geringfügig Beschäftigten zu den jeweiligen Stichtagen erfasst, bieten ein aktuelleres und verlässlicheres Bild der im Gastgewerbe beschäftigten Arbeitnehmer, als etwa die Strukturdaten des LSKN Niedersachsen und sind deshalb vorzugswürdig (so auch OVG NRW, aaO., Rn. 94).

(a) Die Statistik der BA beruht hinsichtlich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf dem integrierten Meldeverfahren zur Sozialversicherung und zur Arbeitslosenversicherung der BA. Sie zählt außerdem die (versicherungspflichtigen) geringfügig Beschäftigten, nicht hingegen die Selbständigen und unbezahlt mithelfenden Familienangehörigen (vgl. Kryzanowski, Beschäftigtenstatistik - Nutzung der Online-Datenbank der B.Agentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 11/2007, S. 1057 ff.).

Die Statistik des LSKN beinhaltet hingegen auch rein Inhaber- oder familiengeführte Betriebe. Hieraus erklärt sich zum Teil - neben Abweichungen, die ihre Ursache in der Plausibilisierung des Liefermaterials im Statistischen Bundesamt oder heterogene Begriffsabgrenzungen oder unterschiedlichen Technologien haben (vgl. Kryzanowski, aaO., S. 1060) - die Differenz zwischen den Beschäftigungs- und Betriebsangaben des LSKN und denen der Bundesagentur für Arbeit. Da lediglich Inhaber- und familiengeführte Betriebe aber nicht dem persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages, der nur Arbeitnehmer erfasst, unterfallen, sind die Zahlen des LSKN zur Ermittlung der großen Zahl gegenüber denen der BA keinesfalls vorzuziehen. Eine Vermischung verschiedener statistischer Berechnungsmethoden verbietet sich ohnehin.

(b) Für die größere Genauigkeit der Statistik der BA gegenüber anderen statistischen Erhebungen spricht schließlich, dass die wirtschaftsfachliche Zuordnung der Betriebe nach der Statistik der BA dem wirtschaftlichen Schwerpunkt des Betriebs folgt und sich nach dem Betriebszweck oder der wirtschaftlichen Tätigkeit des überwiegenden Teils der Beschäftigten richtet. Die Bestimmung der Wirtschaftsgruppen entspricht damit im Wesentlichen der Zuordnung zum fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. Zudem erhält ein Betrieb mit Sitz in einer Gemeinde und mit Tätigkeit in verschiedenen Bereichen, aber ausschließlich einer Niederlassung, lediglich eine Betriebsnummer und wird auch wirtschaftsfachlich nur einem Schwerpunkt zugeordnet wird (siehe: B.Agentur für Arbeit, Methodische Hinweise zur Beschäftigungsstatistik, Bl. 115 d. A.). Damit sind Doppelzählungen ausgeschlossen.

b) Als kleine Zahl ist auf 57.668 Beschäftigte abzustellen.

aa) Für die Ermittlung der kleinen Zahl gelten die Ausführungen zur großen Zahl entsprechend. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass insoweit auf die Angaben der entsprechenden Arbeitgeberverbände zurückgegriffen werden muss (ebenso Hessisches LAG vom 04. Juni 2007 - 16 Sa 1444/05 - Rn. 52). Das Ministerium durfte deshalb von der Mitteilung des beteiligten Arbeitgeberverbandes hinsichtlich der Mitgliedsbetriebe im Tarifgebiet ausgehen.

(1) Da der beteiligte Arbeitgeberverband N. nur Mitglieder bzw. Mitgliedsbetriebe erfasst konnte das MW zum Zeitpunkt der AVE davon ausgehen, dass mindestens 50% der vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind, wenn mehr als 50% der betroffenen Betriebe eine Mitgliedschaft beim dem Beteiligten zu 7) besitzt (so auch OVG NRW vom 16.11.2012 - 4 A 46/11 - Rn. 97). Zur Berechnung des 50 Prozent Quorums durfte auf das Verhältnis der Gastgewerbe-Betriebe im Tarifgebiet zu den tarifgebundenen Betrieben abgestellt werden. Eigene Ermittlungen hinsichtlich der Beschäftigtenzahl in den Mitgliedsbetrieben des N. mussten nicht angestellt werden. Vielmehr konnte das MW auf Basis der vorhandenen statistischen Daten der BA auf Durchschnittswerte zurückgreifen. Alles andere hätte (mangels Vergleichbarkeit) zu Verzerrungen geführt. Der vom beteiligten Ministerium gewählte Berechnungsvorgang, der darauf beruht, aus der Beschäftigungsstatistik der B.Agentur und der von dieser angegebenen Zahl der Betriebe im Gastgewerbe eine Durchschnittsbeschäftigtenzahl pro Betrieb zu ermitteln und dies auf die tarifgebundenen Betriebe zu übertragen, lag im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Behörde. Der Vorteil dieser Berechnung besteht u.a. darin, dass damit Unschärfen bei der Ermittlung der kleinen Zahl durch saisonale Schwankungen oder Schätzungen vermieden werden.

(2) Das MW musste nicht annehmen, dass die Durchschnittsarbeitnehmerzahl im Bereich der Mitgliedsunternehmen des N. kleiner ist als im Durchschnitt aller Hotel- und Gaststättenbetriebe im Tarifgebiet. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass typischerweise bei größeren und personalintensiven Unternehmen eine höhere Tarifbindung besteht und deshalb die Multiplikation der tarifgebundenen Betriebe mit der Durchschnittsbeschäftigtenzahl in den Betrieben des Gastgewerbes im räumlichen Geltungsbereich des ETV gemäß den Angaben der Bundesagentur keine Überhöhungstendenz aufweist. Dass in Betrieben der Systemgastronomie bzw. bei Pizzalieferdiensten etc. durchschnittlich mehr Arbeitnehmer als im Durchschnitt des Gastgewerbes insgesamt, weil mehr Geringfügige beschäftigt wurden, ist nicht anzunehmen. Der Bundesverband der Systemgastronomie e.V. hat gegenüber dem N. mit Schreiben vom 21. September 2010 erklärt, dass er bundesweit, incl. aller Geringverdiener und Aushilfen 120.000 Beschäftigte incl. aller Geringfügigen und Aushilfen in 11.696 Betrieben habe. Für Niedersachsen würden 10% des Bundesdurchschnitts angesetzt, woraufhin von 12.000 Beschäftigte bei BdS Mitgliedsbetrieben ausgegangen werden könne (Anlagen 3 und 4 zum Antrag der NGG vom 27. September 2010 (Prüfakte Bl. 13 ff.). Damit errechnet sich bei angenommenen 1.170 Betrieben (10% des Bundesdurchschnitts) eine Durchschnittsbeschäftigtenzahl von 10,26 Pro Betrieb in den Mitgliedsbetrieben der Systemgastronomie Niedersachsens. Auch wenn es sich hierbei um eine Schätzung handelt und die mitgeteilten Zahlen nicht an die Zählweise der B.Agentur angepasst sind, erlaubt dies nicht den Rückschluss, die Beschäftigtenzahlen in der Systemgastronomie würden über dem Durchschnitt liegen, der unter Berücksichtigung auch der kurzfristig Beschäftigten nach der Statistik der B.Agentur 12,14 Beschäftigte pro Betrieb (per 31.03.2011 = 153.727 Beschäftigte in Niedersachsen in insgesamt : 12.660 Betrieben) beträgt. Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die nicht tarifgebundenen Betriebe der Systemgastronomie über diesem Durchschnitt liegen. Mangels konkreter Daten zu der - wohl auch saisonal schwankenden - Anzahl der von den verschiedenen Wirtschaftsgruppen im Gastgewerbe Beschäftigten bietet gerade die Durchschnittsberechnung, in die kleine und größere Betriebe gleichermaßen einfließen, die größere Richtigkeitsgewähr.

(3) Gegen das Abstellen auf die von der BA ermittelte Anzahl der Betriebe im Gastgewerbe spricht nicht, dass die Betriebsstatistik der B.Agentur für Arbeit nur Betriebe erfasst, die mindestens eine/n sozialversicherungspflichtig Beschäftigte/n beschäftigen. Zwar mögen auch Betriebe existieren, in denen neben dem Inhaber bzw. seinen mithelfenden Familienangehörigen ausschließlich Geringfügige tätig sind. Das kann jedoch allenfalls vermutet werden. Valide Zahlen oder auch nur Angaben, die eine verlässliche Grundlage für eine mögliche Schätzung bieten würden, liegen nicht vor.

Die von den Antragstellern angenommene Zahl von 1.000 Betrieben, die familiengeführt sind oder lediglich geringfügige Arbeitnehmer beschäftigen, ist - abgesehen davon, dass rein familiengeführte Betriebe ohnehin nicht dem ETV unterfallen - nicht nachvollziehbar. Auf Daten des Landes Nordrhein-Westfalen kann deshalb nicht abgestellt werden, weil nicht ersichtlich ist, dass dort vergleichbare Strukturen wie im hier streitbefangenen (eingeschränkten) Tarifgebiet gegeben sind.

Weder die Statistik der B.Agentur für Arbeit noch die des LSKN und der Berufsgenossenschaft oder der Minijobzentrale weist gesondert Arbeitgeber aus, die ausschließlich Geringfügige beschäftigen. Die Daten der Berufsgenossenschaft, Nahrungsmittel- und Gastgewerbe in M. sind im Übrigen gänzlich unzuverlässig. Ausweislich der mit E-Mail vom 29. Mai 2015 erteilten Auskunft errechnet die Berufsgenossenschaft die Zahl der Beschäftigten aus der ihr gemeldeten Anzahl an geleisteten Arbeitsstunden. Die Minijobzentrale der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft - Bahn - See veröffentlicht zwar Daten über geringfügig entlohnte Beschäftigte im Rahmen eines vierteljährlichen Geschäftsberichts. Diese Daten stellen jedoch keine amtliche Statistik dar und sind nicht geeignet, statistische Aussagen über die Entwicklung der Beschäftigungssituation zu treffen. Ebenso wenig sind sie eine verlässliche Grundlage für Erwerbstätigenrechnungen. Sie liefern vielmehr Informationen über die Geschäftsprozesse der Minijobzentrale. Es handelt sich somit um Geschäftsdaten. Diese sind nicht mit den statistischen Daten der B.Agentur, welche die amtliche Statistik über geringfügig entlohnte Beschäftigte führt, vergleichbar (vgl. B.Agentur für Arbeit methodische Hinweise zur Beschäftigungsstatistik, Bl. 116 d. A.). Da nicht einmal verlässliche Schätzungsgrundlagen ersichtlich sind, scheidet eine Schätzung gem. § 287 Abs. 2 ZPO aus.

bb) Allerdings begründete der von den Antragstellern im vorliegenden Verfahren gehaltene Vortrag zu gesunkenen Mitgliederzahlen des N. im Zeitpunkt der AVE Zweifel an der Vergleichbarkeit in zeitlicher Hinsicht. Die Mitteilung des N. vom 24. Juni 2011 basierte ersichtlich auf den Mitgliederzahlen des Jahres 2009. Dies gab Anlass, den Beteiligten zu 7) von Amts wegen um Auskunft zu den - der Zählweise der BA entsprechenden - Mitgliederzahlen im Tarifgebiet der Jahre 2010 und 2011 zu ersuchen.

(1) Daraufhin teilte der Beteiligte zu 7) mit, dass die Landesverbände im N. Bundesverband ihren Mitgliederbestand jeweils auf den 01.07 des Jahres ermitteln und als Maßstab für die Beitragszahlung im folgenden Geschäftsjahr dem Bundesverband offen legen. Der dem Bundesverband mitgeteilte Mitgliederstand des N. habe per 01.07.2010 insgesamt 6.806 Mitglieder, von denen 605 sog. passive Mitglieder (die ihren ehemaligen Betrieb aufgegeben haben) und 87 fördernde Mitglieder (die kein Gastgewerbe betreiben oder betrieben haben) gewesen seien, betragen. Daneben habe der N. weitere 161 Mitglieder mit Zweit- und weiteren Betrieben, also Mitglieder, die neben ihrem Hauptbetrieb einen oder mehrere weitere Betriebe unterhielten, geführt. Auf das Tarifgebiet (d.h. Niedersachsen ohne die durch Sondertarifvertrag erfassten Gebiete der ostfriesischen Inseln und des ehemaligen Verwaltungsbezirks Oldenburg) seien zum 01.07.2010 4.760 aktive Mitglieder, d.h. Betriebe mit Tarifbindung und 114 Zweitbetriebe (ohne Differenzierung dahingehend, ob diese in derselben Gemeinde wie der Hauptbetrieb liegen oder in verschiedenen Gemeinden) entfallen.

Per 01.07.2011 habe der Mitgliederstand des N. insg. 6.638 betragen, von denen 590 sog. passive und 137 fördernde Mitglieder gewesen seien. Daneben habe der N. weitere 169 Mitglieder mit Zweit- und weiteren Betrieben geführt. Auf das Tarifgebiet seien zum 01.07.2011 4.645 aktive Mitglieder, d.h. Betriebe mit Tarifbindung und 117 Zweitbetriebe (ebenfalls ohne Differenzierung dahingehend, ob diese in derselben Gemeinde wie der Hauptbetrieb liegen oder in verschiedenen Gemeinden) entfallen.

(2) Angaben zu der Zahl der im selben Gemeindegebiet liegenden Zweitbetriebe im Tarifgebiet konnte der Beteiligte zu 7) zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nicht machen; per 02.06.2015 seien im Tarifgebiet 171 Zweitbetriebe gelistet, von denen 127 in verschiedenen Gemeinden angesiedelt seien.

c) Bei Berücksichtigung dieser Angaben zu den tarifgebundenen Mitgliedsbetrieben im Tarifgebiet und den von diesen durchschnittlich Beschäftigten wird das maßgebliche Quorum von 50 Prozent für das Jahr 2011 selbst dann nicht erreicht, wenn in die kleine Zahl alle Zweitbetriebe und weiteren Mitgliedsbetriebe des N. für die Quotenbildung einbezogen werden.

aa) Auszugehen ist von durchschnittlich 12,11 Beschäftigten pro Betrieb im Tarifgebiet (128.469 Beschäftigten in 10.606 Betrieben gemäß Statistik für das Kundenaggregat).

bb) Bei maximal 4.762 Mitgliedsbetrieben im Tarifgebiet im Jahr 2011 multipliziert mit durchschnittlich 12,11 Beschäftigten errechnen sich 57.668 Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben. Das Quorum beträgt mithin 44, 89 Prozent (57.668 x 100 : 128.469) und liegt unter 50 Prozent.

d) Das beteiligte Ministerium konnte im Zeitpunkt der AVE auch nicht davon ausgehen, dass sich die Mitgliederzahlen des N. seit 2009 nicht verändert hatten. Der Vertreter der Beteiligten zu 2) hatte mit Schreiben vom 27. Oktober 2011, beim Ministerium am 28. Oktober 2011 eingegangen (Bl. 155 ff. (156) Prüfakte MW, Anlagenband zur Gerichtsakte) auf gesunkene Mitgliedszahlen des N. hingewiesen und angeführt, dass für das Beitragsjahr 2011 der Meldung an den Bundesverband lediglich noch 6.806 Betriebe gegenüber den für das Beitragsjahr 2010 gemeldeten 7.034 Betrieben zugrunde gelegt wurden. Es hätten daher die aktuellen Zahlen des beteiligten Arbeitgeberverbandes für die Ermittlung der kleinen Zahl angefordert werden können und müssen.

3.

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das MW zur Ermittlung der großen Zahl die Arbeitnehmer mitberücksichtigt hat, für die die Rechtsnormen des ETV nach der AVE-Einschränkung in Ziff. 3 der AVE nicht zur Anwendung kommen, ändert sich nichts daran, dass das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde.

Der ETV vom 17. Mai 2010 beansprucht Geltung für alle Arbeitsverhältnisse in seinem fachlichen Geltungsbereich. Er erfasst von seinem fachlich persönlichen Geltungsbereich daher auch die Betriebe der Systemgastronomie. Die streitbefangene AVE nimmt allerdings gem. Ziff. 3. die anderweitig tarifgebundenen Mitgliedsbetriebe der Systemgastronomie aus, bei denen eine Tarifkonkurrenz vermutet wird.

a) Das Quorum nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG a.F. sollte die Repräsentativität des Tarifvertrags sichern und nicht tarifgebundene Arbeitgeber davor schützen, durch Arbeitgeber majorisiert zu werden, die nur eine Minderheit der Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines Tarifvertrags beschäftigen. (Däubler-Lakies, TVG 3. Aufl. 2012, § 5 Rn. 88; Schaub-Treber, AR-Handbuch, 15. Aufl. 2015, § 205 Rn. 64; Löwisch/Rieble, TVG, 3. Aufl. 2012, § 5 Rn. 120, 121 ff.). Es sollte sichergestellt werden, dass nur solche Tarifverträge für AVE erklärt werden konnten, die über eine gewisse Repräsentativität verfügen (ErfK-Franzen, 14. Aufl. 2014, Rn.11 zu § 5 TVG a.F.). In der Repräsentativität des Tarifvertrags soll zugleich auch dessen größere Akzeptanz im Vergleich zu anderen Tarifverträgen innerhalb desselben oder teilweise gleichen Geltungsbereich zum Ausdruck kommen (Kempen/Zachert-Seifert, TVG, 5. Aufl. 2014, Rn. 46 zu § 5). Für die große Zahl wird daraus gefolgert, dass sie alle Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich eines Tarifvertrags einschließen müsse, auch anderweitig tarifgebundener Arbeitnehmer (Löwisch/Rieble, aaO., Rn. 128; VG Düsseldorf Urteil vom 16.11.2010 - 3 K 8653/08 - Rn. 40). Nach anderer Auffassung sind Arbeitnehmer, die bei Arbeitgebern beschäftigt sind, für die speziellere Tarifverträge gelten nicht in die große Zahl einzubeziehen und müssen daher Tarifkonkurrenzen außer Betracht bleiben (HWK/Henssler, 6. Aufl. 2014, Rn. 11 zu § 5 TVG m.w.N. und LAG Hessen Urteil vom 02.07.2014 - 18 Sa 619/13 Rn. 73, 78 ff.). Dem ist zu folgen. Das erforderliche Beschäftigtenquorum von 50 Prozent wird aber selbst dann nicht erreicht, wenn diese Arbeitnehmer bei der großen Zahl nicht berücksichtigt werden.

b) Auszugehen ist von den Angaben des Bundesverbands der Systemgastronomie e.V. nach denen für Niedersachsen von 10 % des Bundesdurchschnitts = 12.000 Beschäftigten bei Mitgliedsbetrieben angenommen werden. Da der N. nur Betriebe in seiner Mitgliederstatistik zählt sind diese Beschäftigtenzahlen zur Ermittlung der von der AVE ausgenommen anderweit tarifgebundenen Beschäftigten in Betrieben der Systemgastronomie zunächst an die Zählweise der Bundesagentur für Arbeit anzupassen. Hierzu sind die 12.000 Beschäftigten in niedersächsischen Mitgliedsbetrieben der Systemgastronomie durch die durchschnittliche Beschäftigtenzahl pro Betrieb im niedersächsischen Gastgewerbe insgesamt (incl. der kurzfristig Beschäftigten, die bei den Angaben des Bundesverbands der Systemgastronomie ebenfalls enthalten sind) zu dividieren. Es errechnen sich dann per 31.03.2011 - wie bereits unter Punkt 3. c) bb) ausgeführt - 12,14 Beschäftigte pro Betrieb und mithin (12.000 : 12,14) 988 Mitgliedsbetriebe der Systemgastronomie. Sodann sind - zur Ermittlung der im Tarifgebiet liegenden Mitgliedsbetriebe der Systemgastronomie - von dieser Zahl für die ausgenommenen Tarifgebiete analog den statistischen Angaben der Bundesagentur (10.606 Betriebe im Tarifgebiet und12.660 Betriebe in Niedersächsischen Gastgewerbe insgesamt) 16,22 Prozent = 160 Betriebe in Abzug zu bringen. Die sich so ergebenden 828 Mitgliedsbetriebe der Systemgastronomie sind von den Betrieben im Tarifgebiet (10.606) in Abzug zu bringen. Für die große Zahl verbleiben dann 9.778 Betriebe, die zur Anzahl der im N. tarifgebundenen Betriebe ins Verhältnis zu setzen sind. Bei maximal (incl. aller Zweitbetriebe) 4.762 Mitgliedsbetrieben im DEHOGA 2011 ergibt sich damit ein (Betriebs-) Quorum von 48,70, das bei der an sich gebotenen Herausrechnung der im selben Gemeindegebiet liegenden Zweitbetriebe des N. noch geringer ausfallen würde. Da hinsichtlich der Beschäftigtenzahlen für die große und die kleine Zahl jeweils auf den Durchschnitt abzustellen ist, gilt dies für das Beschäftigtenquorum entsprechend.

c) Legt man alternativ eine geschätzte Betriebszahl von 10 Prozent der Bundesangaben des Bundesverbands der Systemgastronomie e.V. für ganz Niedersachsen (1.170) zugrunde, ergibt sich für den maßgeblichen Zeitpunkt der AVE ebenfalls nicht, dass die im N. tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der von der AVE erfassten Betriebe und (durchschnittlich) entsprechend viele Arbeitnehmer beschäftigten. Zunächst ist auch hier - mangels konkreter Angaben - die Zahl der anderweit tarifgebundenen Arbeitgeber für das Tarifgebiet um 16,22 Prozent (gem. dem Kundenaggregat der Bundesagentur), mithin um 190 Betriebe zu reduzieren. Die verbleibenden 980 Betriebe sind sodann von der Betriebszahl im Tarifgebiet 10.606 in Abzug zu bringen, womit sich für die große Zahl 9.626 Betriebe im Tarifgebiet errechnen, denen im maßgebenden Jahr 2011 maximal 4.762 Mitgliedsbetriebe des N., mithin weniger als 50 Prozent (49, 47 Prozent) gegenüberstanden.

4.

Da das erforderliche Beschäftigtenquorum nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 TVG a.F. im Streitfall nicht erreicht ist und Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die AVE zur Behebung eines sozialen Notstands gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG a.F. erforderlich war, erübrigen sich Ausführungen dazu, ob die Ausnahmen von der AVE zulässig und § 5 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 TVG a.F. im Zeitpunkt der AVE erfüllt war und diese im öffentlichen Interesse geboten erscheinen musste.

C.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen diese Entscheidung ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 92 a ArbGG wird hingewiesen.