Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.10.2015, Az.: 16 Sa 281/15
Unwirksame betriebsbedingte Kündigung einer Verkäuferin in Elternzeit bei möglicher Beschäftigung nach Ablauf der Elternzeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 14.10.2015
- Aktenzeichen
- 16 Sa 281/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 32716
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2015:1014.16SA281.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 04.02.2015 - AZ: 1 Ca 312/14
Rechtsgrundlagen
- KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
- § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 KSchG
- § 18 Abs. 1 BEEG
Fundstellen
- AA 2016, 36
- AE 2016, 89
- ArbR 2016, 19
- EzA-SD 5/2016, 9
Amtlicher Leitsatz
Trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit zum Kündigungszeitpunkt kann eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber einer sich in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin im Rahmen der Interessenabwägung sozial ungerechtfertigt sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich bis zum Ende der Elternzeit eine neue Beschäftigungsmöglichkeit ergeben kann.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 04.02.2015 - 1 Ca 312/14 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 07.04.2014 beendet worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die die Beklagte mit Schreiben vom 07.04.2014 am 16.07.2014 zum 31.12.2014 erklärt hat.
Die am 00.00.1986 geborene Klägerin, die sich bis zum 16.07.2016 in Elternzeit befindet, wurde seit dem 01.08.2004 von der Beklagten zur Verkäuferin ausgebildet und war anschließend als solche im Kaufhaus der Beklagten in A-Stadt beschäftigt, zuletzt mit einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 158 Stunden gegen ein Entgelt von 1.325,00 € brutto. Nach § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 12.10.2010 (Bl. 66 ff. d.A.) war die Beklagte berechtigt, die Klägerin auch in anderen Betrieben und an anderen Orten zu beschäftigen.
Die Beklagte betreibt weitere Verkaufsstellen beziehungsweise Kaufhäuser in P-Stadt, W-Stadt, T-Stadt, E-Stadt und F-Stadt. In der Verkaufsstelle P-Stadt waren zur Zeit der Kündigung der Klägerin die Vollzeitkraft C. und die Teilzeitkraft B. beschäftigt, deren Stundendeputate die Öffnungszeiten der Verkaufsstelle abdeckten. Die am 00.00.1974 geborene C. war seit dem 01.10.2008 beschäftigt und erhielt als Verkaufsstellenleiterin eine Funktionszulage in Höhe von 250,00 € pro Monat. Die am 00.00.1955 geborene B. stand seit dem 01.12.2010 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Der Filialleiter des Kaufhauses in A-Stadt war zugleich für die Verkaufsstelle P-Stadt zuständig. Wegen den Beschäftigten und deren Sozialdaten in den Filialen/Verkaufsstellen in W-Stadt, T-Stadt, E-Stadt und F-Stadt wird auf Bl. 114 bis 116 d.A. verwiesen.
Nach Mietauseinandersetzungen verpflichtete sich die Beklagte durch gerichtlichen Vergleich vom 13.02.2014 das Betriebsgrundstück spätestens zum 31.12.2014 zu räumen. Dieser Verpflichtung kam die Beklagte nach und schloss das Kaufhaus in A-Stadt, in dem regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt waren, zum 31.12.2014 und kündigte allen dort Beschäftigten zu diesem Termin, auch der Klägerin, nachdem das Gewerbeaufsichtsamt mit nichtbestandskräftigem Bescheid vom 01.07.2014 (Bl. 42 ff. d.A.) die Kündigung für zulässig erklärt hatte.
Mit ihrer am 28.07.2014 eingereichten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 18 Abs. 1 BEEG geltend gemacht und deren Sozialwidrigkeit gerügt. Die Kündigung zum 31.12.2014 sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, da sich bis zum Ablauf ihrer Elternzeit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergeben könne. Die Sozialauswahl sei zudem nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil es sich bei allen Filialen und Verkaufsstellen um einen Betrieb handele, der durch den kaufmännischen Leiter von A-Stadt aus in personellen und sozialen Angelegenheiten geführt werde. Konkret hat sie die soziale Auswahl in Bezug auf die Arbeitnehmerinnen der Verkaufsstelle in P-Stadt gerügt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.04.2014, der Klägerin zugegangen am 16.07.2014, nicht beendet wird,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt gewesen, weil die Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin zum 31.12.2014 wegen der Schließung des Kaufhauses in A-Stadt und mangels anderweitiger freier Arbeitsplätze in ihren Filialen entfallen sei. Eine Sozialauswahl sei wegen der Kündigung aller Arbeitnehmer des Kaufhauses in A-Stadt nicht vorzunehmen gewesen. Eine Einbeziehung der Arbeitnehmerinnen der anderen Filialen und Verkaufsstellen sei nicht erforderlich gewesen, weil es sich jeweils um selbstständige Betriebe handele, da diese durch die jeweiligen Filialleiter/innen selbstständig geführt würden, die insbesondere die Befugnis zur selbstständigen Einstellung und Kündigung und zur Dienstplan- und Urlaubsplanung hätten. Das gelte auch für die Verkaufsstelle in P-Stadt, obwohl diese durch den Filialleiter des Kaufhauses in A-Stadt mit betreut worden sei. Hier habe Frau C. Leitungsfunktion gehabt, so dass sie mit der Klägerin nicht vergleichbar sei. Auch sei die Verkäuferin B. wegen ihres Alters schutzbedürftiger als die Klägerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils vom 04.02.2015 Bezug genommen, mit dem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat. Es hat ausgeführt, die nach der Zulässigkeitserklärung (§ 18 Abs. 1 Satz 4, 5 BEEG) ausgesprochene Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, weil bei Ausspruch der Kündigung die Prognose gerechtfertigt gewesen sei, dass für die Klägerin zum Ende der Kündigungsfrist keine Beschäftigungsmöglichkeit bestehen werde. Auch sei die soziale Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG nicht zu beanstanden, in die nur die Arbeitnehmerin B. der Verkaufsstelle P-Stadt einzubeziehen gewesen sei, die gegenüber der Klägerin jedoch schutzbedürftiger sei.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen, das der Klägerin am 27.02.2015 zugestellt worden ist und gegen das sie am 18.03.2015 Berufung eingelegt hat, die sie am 27.05.2015 begründet hat, nachdem auf ihren Antrag die Berufungsbegründungsfrist mit Beschluss vom 20.04.2015 bis zum 01.06.2015 verlängert worden war.
Die Klägerin rügt wegen der Fortdauer ihrer Elternzeit bis zum 16.07.2016 ein dringendes betriebliches Erfordernis der Kündigung zum 31.12.2014. Zumindest sei im Rahmen der immer gebotenen Interessenabwägung die Kündigung unverhältnismäßig gewesen. Schließlich rügt sie weiter die Sozialauswahl in Bezug auf die Arbeitnehmerin B., die zwar wesentlich älter als sie sei, aber nur eine kurze Beschäftigungszeit aufweise, während sie selbst seit 10 Jahren beschäftigt gewesen und zwei Kindern unterhaltspflichtig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 22.05.2015 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.04.2014 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf ihre Berufungserwiderung vom 11.06.2015 wird gleichfalls Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung (§ 64 Abs. 2 c ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).
Die mithin zulässige Berufung ist begründet.
Die Kündigung ist unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG).
Entgegen dem Arbeitsgericht ist die Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.
Eine Kündigung ist grundsätzlich durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt ist, dass zum Kündigungszeitpunkt für den zu kündigenden Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gegeben sein werde. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (20.01.2015 - 2 AZR 500/03, Rn. 20, 21) auch für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren Elternzeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist endet.
Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Arbeitsgerichts war im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die Prognose gerechtfertigt, dass wegen der Schließung des Kaufhauses in A-Stadt und mangels anderweitiger freier Arbeitsplätze in den anderen Kaufhäusern und Verkaufsstellen die Prognose gerechtfertigt gewesen, dass für die Klägerin nach dem 31.12.2014 keine Beschäftigungsmöglichkeit bestehen werde.
Die Berufung macht jedoch zu Recht geltend, dass die immer gebotene Interessenabwägung vorliegend dazu führt, dass die Kündigung gleichwohl unverhältnismäßig und deshalb sozial ungerechtfertigt gewesen ist.
Die Klägerin ist auf Grund der Versetzungsklausel in § 2 Abs. 2 ihres Arbeitsvertrags in allen Kaufhäusern und Verkaufsstellen der Beklagten als Verkäuferin einsetzbar.
Abzuwägen ist deshalb das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung ihres Arbeitsverhältnisses im Hinblick darauf, dass sich bis zum Ende ihrer Elternzeit innerhalb von 1 1/2 Jahren auf Grund allgemeiner Personalfluktuation in einem der anderen Häuser sich für sie eine Beschäftigungsmöglichkeit ergeben könnte, gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2014. Nach Auffassung der Berufungskammer überwiegt das Bestandsschutzinteresse der Klägerin das Interesse des Arbeitgebers an der alsbaldigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da ein weiteres Festhalten an dem Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Elternzeit der Klägerin die Beklagte wirtschaftlich nicht wesentlich belastet.
Der von der Beklagten geltend gemachten Gefahr, dass sie bei einem Festhalten an dem Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Elternzeit bei weiterhin fehlendem Beschäftigungsbedarf gezwungen wäre, die Klägerin nach einer dann auszusprechenden Kündigung ohne Beschäftigungsmöglichkeit zu entlohnen, kann sie gegebenenfalls durch den rechtzeitigen Ausspruch einer Kündigung zum Ende der Elternzeit begegnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Revisionszulassung auf § 72 Abs. 2 ArbGG.