Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.06.2023, Az.: 14 KN 37/22

Betriebsschließung; Corona-Pandemie; Friseurbetrieb; Betriebsuntersagung für Friseursalons während des zweiten Lockdowns der Corona-Pandemie

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.06.2023
Aktenzeichen
14 KN 37/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 21096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0601.14KN37.22.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    § 32 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG sind verfassungskonform, insbesondere verstoßen sie nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

  2. 2.

    Die Schließung von Friseurbetriebe für Kunden und Besucher nach der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2020 in der Zeit vom 16. Dezember 2020 bis zum 28. Februar 2021 stellte sich als notwendige Schutzmaßnahme dar.

  3. 3.

    Die Maßnahme verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit die Friseurtätigkeit als solche nicht untersagt wurde und mobile Friseure daher weiterhin tätig seien konnten.

Tenor:

Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Normenkontrollverfahrens trägt die Antragstellerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Antragsgegner zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragstellerin, die in B-Stadt und F. jeweils einen Friseursalon betreibt, wendet sich gegen eine durch die Covid-19-Pandemie veranlasste Schließung der Friseurbetriebe.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, handelnd durch die damalige Ministerin, erließ am 30. Oktober 2020 die Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung, Nds. GVBl. S. 368), die am 2. November 2020 in Kraft trat. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 dieser Verordnung mussten u.a. auch Betriebe der köpernahen Dienstleistungen oder der Körperpflege geschlossen bleiben, Betriebe des Friseurhandwerks wurden von dieser Schließungsanordnung zunächst noch ausgenommen (vgl. lit. b der Vorschrift). Mit der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 15. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 488), in Kraft getreten am 16. Dezember 2020, wurde die Schließungsanordnung dann auch auf Friseurbetriebe ausgeweitet. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung erhielt folgende Fassung:

"§ 10 - Betriebsverbote sowie Betriebs- und Dienstleistungsbeschränkungen

(1) 1Für den Publikumsverkehr und Besuche sind geschlossen:

(...)

9. Betriebe der körpernahen Dienstleistungen oder der Körperpflege wie Friseurbetriebe, Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe, ausgenommen Einrichtungen für medizinisch notwendige Behandlungen wie Praxen für Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Podologie oder Fußpflege, die Betriebe des Orthopädieschuhmacher-Handwerks und des Handwerks der Orthopädietechnik sowie die Praxen der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, (...)"

Diese Fassung blieb bis zum 28. Februar 2021 unverändert. Mit Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55) wurde § 10 Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 sodann wie folgt geändert:

"In Satz 1 Nr. 9 wird das Wort "Friseurbetriebe" gestrichen und nach dem Wort "Heilpraktiker" werden die Worte "und die Betriebe, soweit sie Leistungen des Friseurhandwerks erbringen" eingefügt."

Nach Artikel 3 der Änderungsverordnung trat diese Änderung, also die Öffnung der Friseurbetriebe, zum 1. März 2021 in Kraft.

Die Antragstellerin hat am 26. Februar 2021 einen Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 12. Februar 2021, gestellt, soweit dadurch Friseurbetriebe für den Publikumsverkehr geschlossen sind. Sie macht geltend, die Ermächtigungsgrundlage in § 32 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1, § 28a des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) genüge für die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung geregelten Betriebsschließungen nicht dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt. § 28 Abs. 1 IfSG verstoße zum einen gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit die Vorschrift den Verordnungsgeber ermächtige "notwendige Schutzmaßnahmen" zu treffen. Zum anderen sei damit der Wesentlichkeitsgrundsatz verletzt, nach dem der Gesetzgeber wesentliche Fragen selbst zu entscheiden habe. Mit der Einfügung des § 28a IfSG habe sich daran nichts geändert. Auch in dieser Norm seien die Voraussetzung derart generell formuliert, dass sich die Adressaten nicht auf Schutzmaßnahmen einstellen könnten. Das inzidenzgesteuerte Vorgehen entsprechend § 28a Abs. 3 Sätze 4 ff. IfSG berücksichtige zudem nicht konkrete örtliche Gefahrenlagen. Ein Rückgriff auf Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage sei jedenfalls zwölf Monate nach Beginn der Pandemie nicht mehr zulässig. Hinzu komme, dass am 13. Februar 2021, dem Tag des Inkrafttretens der zur Zeit der Antragstellung gültigen Fassung der Niedersächsischen Corona-Verordnung, weder in Deutschland im Ganzen betrachtet, noch in Niedersachsen tatsächlich noch eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestanden habe. Die Zahl der Neuinfektionen sei seit Wochen rückläufig gewesen, daher habe in Deutschland auch zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems bestanden.

Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Schließung der Friseurbetriebe genüge zudem nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Regelung sei bereits nicht geeignet, zur Erreichung des Ziels, die weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, etwas beizutragen. Durch die angegriffene Regelung werde lediglich die Schließung von Friseurbetrieben angeordnet. Die Tätigkeit als Friseurin oder Friseur sei dagegen nicht untersagt worden. Somit sei es weiterhin möglich gewesen, dass Friseurinnen und Friseure ihre Kundinnen und Kunden zu Hause aufsuchten. Die Schließung der Friseurbetriebe sei auch nicht erforderlich. Als milderes, gleich geeignetes Mittel komme eine Öffnung unter Auflagen in Betracht. Studien belegten, dass das Ansteckungsrisiko in Friseursalons gering sei. Die Einhaltung von Hygienemaßnahmen, insbesondere das Tragen einer Maske, sei daher ausreichend, um die Übertragung des Virus zu verhindern. Zudem sei es ein milderes, gleich geeignetes Mittel, die Betriebsstättenschließung nur in solchen Gebieten anzuordnen, in denen der Inzidenzwert und das Infektionsgeschehen strengere Maßnahmen erforderlich machten. Das Überschreiten des Inzidenzwertes im Bundesgebiet oder im Bundesland rechtfertige nicht schon, dass sämtliche Friseurbetriebe im Land Niedersachsen unterschiedslos geschlossen würden. Schließlich sei die angeordnete Schließung der Friseurbetriebe auch nicht angemessen. Mit den Betriebsschließungen werde tiefgreifend in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht auf Berufsfreiheit eingegriffen. Die Antragstellerin habe dadurch erhebliche Umsatzeinbußen erlitten, die durch die Corona-Hilfen nicht ausgeglichen worden seien. Dieser Eingriff in ihre Berufsfreiheit könne jedenfalls nicht mehr mit dem Schutz von Leib und Leben gerechtfertigt werden. Bereits nach Lockerung und Wiedereröffnung der Friseurbetriebe im Frühjahr 2020 habe sich gezeigt, dass Friseurbetriebe, insbesondere auch ihre beiden, keinen negativen Beitrag zum Infektionsgeschehen geleistet hätten. Ihr Hygienekonzept habe sich bewährt, es sei kein positiver Fall von Corona im Zusammenhang mit der Öffnung ihrer Friseursalons festgestellt worden. Zudem gingen die Inzidenzwerte seit Wochen zurück. Sowohl die 7-Tage-Inzidenz in der Stadt B-Stadt als auch im Landkreis G. tendierten seit Ende Januar 2021 lediglich noch um den Schwellenwert 35. Die angeordneten Betriebsschließungen gingen über die Maßnahmen hinaus, die bei diesen Inzidenzen nach dem Infektionsschutzgesetz zulässig seien. Es sei ferner nicht ersichtlich, dass durch Virusmutationen eine unkontrollierbare Situation drohe. Darauf abzustellen, gehe zudem am Maßstab des § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG vorbei, nach dem die 7-Tages-Inzidenz maßgeblich sei. Auch dieser Maßstab sei im Übrigen problematisch, da die Schwellenwerte gegriffen seien. Auch sei die Inzidenz stark abhängig von der jeweiligen Teststrategie. Zumindest hätte in der Vorschrift die Möglichkeit vorgesehen werden müssen, Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Friseurbetriebe zu erteilen, die sich an die Hygienevorgaben hielten und keinen Corona-Fall zu verzeichnen hätten.

Schließlich liege in der ungleichen Behandlung von Friseurbetrieben gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel, Optikern und Hörgeräteakustikern, ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Auch Friseure dienten der Grundversorgung der Bevölkerung.

Die Antragstellerin hat am 3. März 2021 erklärt, dass sie auch nach dem Außerkrafttreten der streitgegenständlichen Vorschrift zum 1. März 2021 weiter an ihrem Antrag festhalte. Sie trägt ergänzend vor, sie habe weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung ihrer Ungültigkeit. So stelle die Schließungsanordnung einen tiefgreifenden Eingriff in ihre Berufsfreiheit dar. Zudem habe sie wegen der Schließung ihrer Friseurbetriebe in der Zeit vom 16. Dezember 2020 bis zum 28. Februar 2021 erhebliche Umsatzeinbußen hinzunehmen gehabt. Sie beabsichtige, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche geltend zu machen, es bestehe daher auch ein präjudizielles Interesse. Zudem sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.

Die Antragstellerin beantragt nunmehr,

festzustellen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 368), zuletzt geändert durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55), unwirksam gewesen ist, soweit danach Friseurbetriebe für den Publikumsverkehr und Besuche geschlossen worden sind.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen

Er trägt vor, die Ermächtigungsgrundlage sei verfassungskonform, insbesondere seien die heranzuziehenden Normen des Infektionsschutzgesetzes hinreichend bestimmt und genügten dem Wesentlichkeitsgrundsatz. Die Verordnung sei zudem formell rechtmäßig ergangen und die angegriffene Bestimmung sei auch materiell rechtmäßig gewesen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahmen, auch der streitgegenständlichen Schließung der Friseurbetriebe, hätten bis zu ihrem Auslaufen vorgelegen. Die Entwicklung der Pandemie ab Oktober 2020 habe die Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 noch einmal übertroffen. Die Zahl der Infektionen und der Todesfälle habe sich bis weit in den Dezember hinein immer weiter deutlich erhöht. Mit den strengen Maßnahmen sei es zwar gelungen, die Dynamik zu brechen. Ein dauerhafter, deutlicher Rückgang der Infektionszahlen habe mit diesen Maßnahmen jedoch zunächst noch nicht erreicht werden können. Sie hätten daher noch weiter aufrechterhalten werden müssen. Zudem habe sich die neue "britische" Variante (B.1.1.7) des Corona-Virus zunehmend verbreitet. Die rasante pandemische Entwicklung in Deutschland habe ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen erforderlich gemacht. Jedenfalls seit Anfang Oktober 2020 habe es sich nicht mehr um einzelne lokalisierbare Ausbruchsgeschehen gehandelt, sondern um ein flächendeckendes epidemisches Geschehen. Die Gesundheitsämter hätten die Kontrolle über die Ausbreitung des Virus verloren gehabt. Eine Nachverfolgung der Ansteckungswege sei nicht mehr möglich gewesen. Lediglich lokale Maßnahmen wären daher nicht mehr ausreichend gewesen. Die Maßnahmen, auch die Schließung der Friseursalons, hätten zudem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass in erheblichem Umfang staatliche Hilfen - im maßgeblichen Zeitraum insbesondere Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfe III - zum Ausgleich der Umsatzeinbußen gewährt worden seien. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz habe nicht vorgelegen. Ein Friseurbesuch habe zwar einen positiven Effekt auf das psychische Wohlbefinden, sei aber nicht im gleichen Umfang erforderlich wie funktionierende Hörgeräte und passende Sehhilfen. Auch die anderen Betriebe, die von der Schließungsanordnung ausgenommen worden seien, seien gegenüber Friseurbetrieben entweder systemrelevanter oder das Infektionsrisiko sei deutlich geringer.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 17. Juli 2021 (Antragsgegner) und vom 30. Juli 2021 (Antragstellerin) einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag, über den der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass die auf der Grundlage der mittlerweile außer Kraft getretenen Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 angeordnete Schließung von Friseurbetrieben für den Publikumsverkehr und Besuche rechtswidrig gewesen ist. Ihren Antrag im Normenkontrollverfahren hat sie dabei nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, sondern die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020, zuletzt geändert durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021, als Gegenstand der Überprüfung bezeichnet. Die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 galt bis zum 30. Mai 2021 und ist durch zahlreiche Änderungsverordnungen immer wieder modifiziert worden.

Ausweislich der Antragsbegründung ist für Antragstellerin aber nicht der gesamte Geltungszeitraum der Verordnung vom 30. Oktober 2020 bis zum 30. Mai 2021, sondern vielmehr allein der Zeitraum vom 16. Dezember 2020 bis zum 1. März 2021 maßgeblich, denn nur in diesem Zeitraum war die Schließung der Friseurbetriebe angeordnet. Der Antrag ist daher sachdienlich dahingehend auszulegen, dass Gegenstand des Normenkontrollverfahrens die Anordnung der Schließung der Friseurbetriebe durch § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 488) bis zu dessen Änderung - Herausnahme der Friseurbetriebe aus der Schließungsanordnung - durch die Verordnung vom 12. Februar 2021 zum 1. März 2021 ist.

Der so verstandene Antrag ist zulässig (1.), aber nicht begründet (2.).

1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.

a) Der Antrag ist nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die von der Antragstellerin angegriffene Verordnungsregelung ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: NdsOVG, Beschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, juris Rn. 16 ff.).

b) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da sie als Betreiberin von zwei Friseursalons in Niedersachsen jedenfalls geltend machen kann, durch die angefochtene Vorschrift in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein.

Der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags steht nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Regelung mittlerweile außer Kraft getreten ist und für die Antragstellerin keine Rechtswirkungen mehr entfaltet. Zwar ist ein Normenkontrollantrag nur gegen eine erlassene Rechtsvorschrift zulässig (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 24.3.2021 - 13 MN 145/21 -, juris Rn. 108) und dies grundsätzlich nur solange, wie die mit ihm angegriffene Rechtsvorschrift gültig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.7.2022 - 3 BN 8.21 -, juris Rn. 6; Urt. v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 -, juris Rn. 13; Urt. v. 29.6.2001 - 6 CN 1.01 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 -, juris Rn. 8; Beschl. v. 14.7.1978 - 7 N 1.78 -, juris Rn. 11). Von diesem Grundsatz werden aber in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ausnahmen gemacht, bei denen die Aufhebung oder das Außerkrafttreten nach Ablauf der Geltungsdauer einer Rechtsvorschrift die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags nicht beeinflusst (vgl. hierzu den Überblick von Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 71 ff. m.w.N.). Ein gestellter Normenkontrollantrag kann u.a. trotz Aufhebung oder Außerkrafttretens nach Ablauf der Geltungsdauer der angegriffenen Rechtsvorschrift zulässig bleiben, wenn die Vorschrift während der Anhängigkeit eines zulässigerweise gestellten Normenkontrollantrags aufgehoben wird oder außer Kraft tritt. Die Aufhebung oder das Außerkrafttreten der Norm allein lässt den zulässig gestellten Normenkontrollantrag nicht ohne Weiteres zu einem unzulässigen Antrag werden, wenn die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fortbesteht, mithin der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Dies folgt unmittelbar aus § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Einer entsprechenden Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bedarf es nicht. Erforderlich ist in diesen Fallgestaltungen aber, dass ein berechtigtes individuelles Interesse an der begehrten Feststellung, die bereits außer Kraft getretene Rechtsvorschrift sei unwirksam gewesen, besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.7.2022 - 3 BN 8.21 -, juris Rn. 6; Urt. v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 -, juris Rn. 13; Beschl. v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 -, juris Rn. 9 ff.). Ein berechtigtes individuelles Interesse an der Fortführung des Normenkontrollverfahrens kann sich u.a. ergeben zur Rechtsklärung bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Freiheiten des Antragstellers durch die angegriffene Rechtsvorschrift, insbesondere dann, wenn die Rechtsvorschrift typischerweise auf kurze Geltung angelegt ist mit der Folge, dass sie regelmäßig außer Kraft tritt, bevor ihre Rechtmäßigkeit in einem Normenkontrollverfahren abschließend gerichtlich geklärt werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 3.6.2020 - 1 BvR 990/20 -, juris Rn. 8; BVerwG, Urt. v. 29.6.2001 - 6 CN 1.01 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 -, juris Rn. 9; vgl. hierzu auch Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 111 und 122 f.). Auch eine Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich ein solches Feststellungsinteresse begründen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 -, juris Rn. 4). Schließlich kann sich ein berechtigtes individuelles Interesse an der Fortführung des Normenkontrollverfahrens aus der präjudiziellen Wirkung einer Entscheidung im Normenkontrollverfahren für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die angegriffene Rechtsvorschrift gestützten behördlichen Verhaltens und daran anknüpfende Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche, deren Durchsetzung der Antragsteller ernsthaft beabsichtigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.2.2004 - BVerwG 7 CN 1.03 -, juris Rn. 14; Beschl. v. 2.9.1983 - BVerwG 4 N 1.83 -, BVerwGE 68, 12, 15 -, juris Rn. 11 f.; Urt. des erkennenden Senats v. 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 46 ff.), ergeben.

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung - wie schon zuvor der 13. Senat des erkennenden Gerichts (vgl. Beschl. v. 9.6.2021 -13 KN 127/20 -, juris Rn. 60 ff.) - aus eigener Überzeugung an (vgl. bereits Urt. des erkennenden Senats v. 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 46 ff.).

Auch das Bundesverfassungsgericht hat auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Ausnahmefälle verwiesen, wonach "ein Normenkontrollantrag auch gegen eine bereits aufgehobene Rechtsnorm zulässig sein kann, wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist", und lediglich klargestellt, dass eine solche Überprüfung auch bei den infektionsschutzrechtlichen Verordnungen nach § 32 IfSG während der Corona-Pandemie angesichts deren kurzer Geltungsdauer und häufig schwerwiegender Grundrechtsbeeinträchtigungen naheliege (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 3.6.2020 - 1 BvR 990/20 -, juris Rn. 8; Urt. des erkennenden Senats v. 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 46 ff.).

Daran gemessen ist die Antragstellerin trotz des zwischenzeitlichen Außerkrafttretens der angegriffenen Norm antragsbefugt. Die Niedersächsischen Corona-Verordnungen sind sämtlich auf eine höchstens mehrwöchige Geltungsdauer angelegt, weshalb ihre Rechtmäßigkeit vor ihrem Außerkrafttreten regelmäßig nicht in einem Hauptsacheverfahren abschließend gerichtlich geklärt werden kann. Der angegriffenen Regelung kam auch ein ausreichendes Gewicht der Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Freiheiten zu, um ein Interesse an der nachträglichen Klärung der Wirksamkeit der Norm zu begründen. Die Antragstellerin war aufgrund der streitgegenständlichen Vorschrift gezwungen, den Betrieb ihrer beiden Friseursalons für mehrere Wochen - nämlich von Mitte Dezember 2020 bis Ende Februar 2021 - vollständig einzustellen. Diese Auswirkungen sind in ihrer grundrechtlichen Bedeutung nicht von einem so geringen Gewicht, dass systematische Rechtsschutzlücken durch die regelhaft kurzfristige Überholung der Verordnungsregelungen zumutbar erscheinen. Ob die Antragstellerin ihr besonderes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Unwirksamkeit der Norm darüber hinaus auch mit Erfolg auf die präjudizielle Wirkung für die beabsichtigte Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs oder eine zu erwartende Wiederholungsgefahr stützen kann, kann daher offenbleiben.

c) Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 3.6.2021 (Nds. MBl. S. 1020), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 8.11.2022 (Nds. MBl. S. 1690)).

d) Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach der Normenkontrollantrag innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift zu stellen ist, ist gewahrt.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die Antragstellerin kann die begehrte Feststellung, dass die Schließung der Friseursalons durch § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020, zuletzt geändert durch die Änderungsverordnung vom 12. Februar 2021, unwirksam gewesen ist, nicht beanspruchen.

Die streitgegenständliche Regelung beruht in ihrem Geltungszeitraum auf einer tragfähigen Rechtsgrundlage (a)), sie ist formell rechtmäßig (b)), inhaltlich hinreichend bestimmt (c)) und auch im Übrigen materiell (d)) rechtmäßig.

a) Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 12. Februar 2021, geregelte Schließung der Friseurbetriebe beruhte auf § 32 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und § 28a Abs. 1 Nr. 14 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der hier maßgeblichen, zuletzt durch Art. 4a des Gesetzes über eine einmalige Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie an Besoldungs- und Wehrsoldempfänger vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3136) geänderten Fassung (im Folgenden: IfSG a.F.).

Nach § 32 Sätze 1 und 2 IfSG a.F. durften die Landesregierungen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG a.F. maßgebend waren, durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen. Die Landesregierungen konnten die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen.

§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. bestimmte zu diesen Voraussetzungen: Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

Gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. konnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 IfSG a.F. zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG u.a. die hier streitbefangene Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel sein.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlichen Grundlagen bestehen entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine durchgreifenden Bedenken. Die Verordnungsermächtigung verstößt weder gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG noch gegen den Parlamentsvorbehalt.

aa) Der bis zum 31. Dezember 2021 für das Infektionsschutzrecht zuständige 13. Senat hat sich u.a. in seinem Urteil vom 25. November 2021 (- 13 KN 389/20 -, juris Rn. 31 ff.) ausführlich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 32 Sätze 1 und 2, 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG a.F. befasst (vgl. in diesem Sinne auch die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Urteilen vom 16. Mai 2023 - 3 CN 5.22 sowie 3 CN 4.22 -; die Gründe sind bislang noch nicht veröffentlicht). Der Senat schließt sich dieser Einschätzung des 13. Senats für die hier einschlägigen Fassungen der Regelungen auf der Grundlage einer eigenen Überprüfung und in eigener Überzeugung an.

bb) Mit der Schaffung des § 28a Abs. 1 IfSG a.F. haben sich zudem mögliche Bedenken in Hinblick auf die Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 IfSG und die Wahrung des Parlamentsvorbehalts nach Ablauf einer Übergangsfrist (vgl. BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 61; LVerfG LSA, Urt. v. 26.3.2021 - LVG 25/20 -, juris Rn. 65; SaarlOVG, Beschl. v. 10.11.2020 - 2 B 308/20 -, juris Rn. 12; BayVGH, Beschl. v. 29.10.2020 - 20 NE 20.2360 -, juris Rn. 35) erledigt. In § 28a Abs. 1 IfSG a.F. stellte der Gesetzgeber einen Katalog möglicher notwendiger Schutzmaßnahmen in Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG a.F. zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auf und traf in § 28a Abs. 3, 5 und 6 IfSG a.F. weitere Vorgaben für den Erlass von Schutzmaßnahmen. Damit waren Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung hinreichend bestimmt sowie die wesentlichen Entscheidungen getroffen und nicht der Exekutive überlassen (vgl. BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 61 m.w.N.; VerfGH Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26.3.2021 - 4/21 -, juris Rn. 92 ff.; ThürVerfGH, Beschl. v. 14.12.2021 - 117/20 -, juris Rn. 212 ff.).

Auch die von der Antragstellerin geäußerten Bedenken hinsichtlich des vom parlamentarischen Gesetzgeber im Einzelnen nicht hinreichend geregelten Inhalts, Zwecks und Ausmaßes der Schließung von Betrieben in § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. greifen nicht durch. Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es zwar, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden (vgl. ThürOVG, Urt. v. 14.12.2022 - 3 N 233/21 -, juris Rn. 66). Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur den Umstand, dass ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt wird, sondern auch, dass alle wesentlichen Fragen vom Gesetzgeber selbst entschieden und nicht anderen Normgebern überlassen werden. Inwieweit der Gesetzgeber die für den jeweils geschützten Lebensbereich wesentlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, hängt dabei jedoch vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des Regelungsgegenstandes ab (vgl. ThürOVG, Urt. v. 14.12.2022 - 3 N 233/21 -, juris Rn. 66 m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12 -, juris Rn. 182; Urt. v. 24.9.2003 - 2 BvR 1436/02 -, juris Rn. 67 f.). Insbesondere in neuartigen und komplexen Entscheidungssituationen, wie es bei der Corona-Pandemie der Fall ist, kann der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum übertragen und ihn zu tiefgreifenden Grundrechtseingriffen ermächtigen (vgl. ThürOVG, Urt. v. 14.12.2022 - 3 N 233/21 -, juris Rn. 66 m.w.N.). Ebenso ist es mit Blick auf die gesetzlichen Anforderungen an die Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt von einer detaillierten Regelung abgesehen und die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber überlassen hat, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermochte als der Gesetzgeber (ThürOVG, Urt. v. 14.12.2022 - 3 N 233/21 -, juris Rn. 66 m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 11.3.2020 - 2 BvL -, juris Rn. 103).

Ausgehend von diesen Grundsätzen war die in § 28a IfSG a.F. geregelte Schließung von Betrieben nicht zu beanstanden. Mit der Aufnahme in Nr. 14 des Katalogs möglicher notwendiger Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG a.F. zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und der Bestimmung weiterer Vorgaben für den Erlass von Schutzmaßnahmen in § 28a Abs. 3, 5 und 6 IfSG a.F. hat der Bundestag alle wesentlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Schließung von Betrieben hinreichend bestimmt getroffen und es im Übrigen in zulässiger Weise dem Verordnungsgeber überlassen, einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von Schutzmaßnahmen auszunehmen (ThürOVG, Urt. v. 14.12.2022 - 3 N 233/21 -, juris Rn. 67 m.w.N.).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass sich die Maßnahmen i.S.d. § 28a Abs. 1 IfSG a.F. gemäß § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG a.F. insbesondere an der Anzahl der regionalen Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen orientierten (sog. 7-Tage-Inzidenz) und bei Überschreitung einer 7-Tage-Inzidenz von 50 umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen waren, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten ließen (BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 63 ff.; BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a., juris Rn. 198 ff.; im Eilverfahren ebenso SächsOVG, Beschl. v. 20.05.2021 - 3 B 141/21 -, juris Rn. 31 ff.; BayVGH, Beschl. v. 21.4.2021 - 20 NE 21.1068, juris Rn. 33) .

Das Bundesverfassungsgericht führte unter Bezugnahme auf Stellungnahmen sachkundiger Dritter in seiner Entscheidung "Bundesnotbremse I" zur Geeignetheit der 7-Tage-Inzidenz aus, dass nahezu sämtliche sachkundige Dritte diesen Maßstab als sensibles Frühwarnzeichen bewertet hätten, das zu einem frühen Zeitpunkt Reaktionen ermögliche. Dabei würden sowohl der Wert an sich als auch seine Steigerungsrate wertvolle Schlüsse über das zu erwartende Infektionsgeschehen gestatten (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 199; BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 64). Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG a.F. Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen lediglich "insbesondere" die 7-Tage-Inzidenz war. Der Verordnungsgeber war damit grundsätzlich nicht gehindert, auch weitere Indikatoren heranzuziehen oder auch umfangreiche, aber zu lokalisierende und klar eingrenzbare Infektionsvorkommen bei seiner Entscheidung über Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen (BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 64).

Die Festsetzung des Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen mit der Begründung, unterhalb dieses Schwellenwertes sei eine individuelle Kontaktverfolgung regelmäßig noch leistbar (BT-Drs. 19/23944, S. 34), deckte sich mit der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) - vgl. Intensitäts-Stufenkonzept des RKI, ControlCOVID, Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021, Stand: 18.2.2021, dort Bl. 7) -, zu dessen Aufgaben es nach § 4 Abs. 1 IfSG gehört, die Erkenntnisse zu solchen Krankheiten durch Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren und für die Bundesregierung und die Öffentlichkeit aufzubereiten (vgl. BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 65; BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 178). Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Kontaktnachverfolgung als solche geeignet sei, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems durch eine Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus beizutragen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch sie stand im Einklang mit der Einschätzung des RKI (Epidemiologisches Bulletin 12/2020 vom 18.03.2020, abrufbar unter: https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6764/12_20.pdf?; Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan - COVID-19, Stand 4.3.2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf?__blob=publicationFile; Die Pandemie in Deutschland in den nächsten Monaten, Strategie-Ergänzung, Stand 23.10.2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Strategie_Ergaenzung_Covid.html?nn=2386228). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Bundesnotbremse die grundsätzliche Eignung eines Inzidenzwertes, der an Erwägungen zur Kontaktnachverfolgung anknüpft, ebenfalls bestätigt (vgl. vgl. BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 65; BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 200).

b) Die streitgegenständliche Verordnungsregelung war formell rechtmäßig.

aa) Anstelle der nach § 32 Satz 1 IfSG a.F. ermächtigten Landesregierung war aufgrund der nach § 32 Satz 2 IfSG a.F. gestatteten und durch § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen aufgrund bundesgesetzlicher Vorschriften (Subdelegationsverordnung) vom 9. Dezember 2011 (Nds. GVBl. S. 487) in der hier maßgeblichen, zuletzt durch Verordnung vom 2. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 32) geänderten Fassung betätigten Subdelegation das Niedersächsische Ministerium für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung für den Erlass der Verordnung zuständig.

bb) Gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 2 NV sind die Niedersächsische Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Nds. GVBl. S. 368) und die Änderungsverordnungen vom 15. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 488) sowie vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55) von der das Ministerium vertretenden Ministerin ausgefertigt und im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden.

cc)§ 20 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung bestimmte, wie von Art. 45 Abs. 3 Satz 1 NV gefordert, den Tag des Inkrafttretens.

c)§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung genügte auch dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerten verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Rechtsverordnungen müssen sich - ebenso wie Gesetze - so bestimmt ausdrücken, dass ihr Inhalt und ihre Tragweite klar erkennbar sind und aus ihnen zu ersehen ist, welche Handlungen geboten oder verboten sind. Der Rechtsunterworfene muss die Möglichkeit haben, ohne größere Schwierigkeiten und demgemäß aus der Veröffentlichung selbst oder aus ihr in Verbindung mit anderen Veröffentlichungen zu erkennen, welche Vorschriften gelten sollen, damit er sein Verhalten entsprechend einrichten kann (vgl. BayVGH, Urt. v. 13.2.2019 - 19 N 15.420 -, juris Rn. 125 m.w.N.). Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Angesichts der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge gelingt es nicht immer, einen Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Es ist dann Sache der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichte, die verbleibenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln zu beantworten. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn die Auslegung mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130-155, juris Rn. 45; BVerwG, Urt. v. 12.7.2006 - 10 C 9/05 -, BVerwGE 126, 222-233, juris Rn. 29; Urt. des erkennenden Senats v. 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 65).

Die angegriffene Regelung hat hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Friseurbetriebe für den Publikumsverkehr und Besuche geschlossen bleiben mussten. Die Tätigkeit der Friseurinnen und Friseure war hingegen - anders als noch in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte anlässlich der Corona-Pandemie vom 27. März 2020 (Nds. GVBl. S. 48) - nicht untersagt. Als aufsuchendes Gewerbe war die Friseurtätigkeit mithin weiterhin erlaubt (vgl. bereits NdsOVG, Beschl. v. 15.2.2021 - 13 MN 44/21 -, juris Rn. 31).

d) Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2020 angeordnete Schließung für Friseurbetriebe war auch im Übrigen materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Satz 1 IfSG a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. waren bei Erlass und im Geltungszeitraum der hier zur beurteilenden Verordnungsregelung erfüllt (aa)). Die Infektionsschutzmaßnahme stellt sich vor dem Hintergrund der damaligen Lage im Hinblick auf das Coronavirus überdies als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. dar (bb)).

aa) Nach § 32 Satz 1 IfSG a.F. durften unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend waren, auch durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. für den Erlass infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen waren während des Erlasses und der Geltung der hier zu beurteilenden Verordnungsregelung erfüllt (vgl. bereits Urteil des erkennenden Senats vom 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 85 ff.).

(1) Im ganzen Bundesgebiet, auch in Niedersachsen, wurden im streitgegenständlichen Zeitraum fortwährend Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. festgestellt und stellte sich COVID-19 als eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG dar.

Der 13. Senat des erkennenden Gerichts hat sich in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2020 (13 MN 552/20 -, juris Rn. 36 ff.) mit der Pandemielage im Erlasszeitpunkt der maßgeblichen Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2020 ausführlich befasst und hierzu ausgeführt:

"Weltweit sind derzeit mehr [als] 71.000.000 Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert und mehr als 1.600.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. WHO, Coronavirus disease (COVID-19) Pandemic, veröffentlicht unter: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand: 14.12.2020). Bisher haben sich im Bundesgebiet mehr als 1.350.000 Menschen infiziert und mehr als 22.400 Menschen sind im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben. In Niedersachsen haben sich bislang mehr als 86.700 Menschen infiziert und sind mehr als 1.400 Menschen infolge der Erkrankung verstorben (vgl. Robert Koch-Institut (RKI), COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 15.12.2020). Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit nimmt die Anzahl der Fälle weiter zu. Der im Oktober sehr steile Anstieg der Fallzahlen in Deutschland konnte durch den Teil-Lockdown ab dem 1. November 2020 zunächst in ein Plateau überführt werden. Die Anzahl neuer Fälle blieb aber auf sehr hohem Niveau und steigt seit Anfang Dezember inzwischen wieder stark an. Darüber hinaus ist die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Personen und die Anzahl der Todesfälle stark angestiegen. Das Infektionsgeschehen ist zurzeit diffus, in vielen Fällen kann das Infektionsumfeld nicht mehr ermittelt werden. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen private Haushalte, das berufliche Umfeld sowie insbesondere auch Alten- und Pflegeheime. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. (vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand: 11.12.2020). Diese Gefährdungseinschätzung des RKI als nationaler Behörde nach § 4 Abs. 1 IfSG wird nach dem Dafürhalten des Senats durch vereinzelt geäußerte Zweifel an der Zuverlässigkeit der zum Nachweis von SARS-CoV-2 verwendeten sog. PCR-Tests nicht erschüttert (vgl. hierzu Bayerischer VGH, Beschl. v. 8.9.2020 - 20 NE 20.2001 -, juris Rn. 28).

COVID-19 ist eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege, aber auch anderer Organsysteme mit den Symptomen Husten, Fieber, Schnupfen sowie Geruchs- und Geschmacksverlust. Der Krankheitsverlauf variiert in Symptomatik und Schwere. Es wird angenommen, dass etwa 81% der diagnostizierten Personen einen milden, etwa 14% einen schwereren und etwa 5% einen kritischen Krankheitsverlauf zeigen. Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung auftreten und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden, haben ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahren), Männer, Raucher (bei schwacher Evidenz), stark adipöse Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck) und der Lunge (z.B. COPD) sowie Patienten mit chronischen Nieren- und Lebererkrankungen, mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), mit einer Krebserkrankung oder mit geschwächtem Immunsystem (z.B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht oder durch Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr schwächen, wie z.B. Cortison) ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Die Erkrankung ist sehr infektiös, und zwar nach Schätzungen beginnend etwa ein bis zwei Tage vor Symptombeginn und endend - bei mild-moderaten Erkrankungen - jedenfalls zehn Tage nach Symptombeginn. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich durch die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel (größere Tröpfchen und kleinere Aerosole), die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Auch eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen kann nicht ausgeschlossen werden. Es ist zwar offen, wie viele Menschen sich insgesamt in Deutschland mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren werden. Schätzungen gehen aber von bis zu 70% der Bevölkerung aus, es ist lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen wird. Grundlage dieser Schätzungen ist die so genannte Basisreproduktionszahl von COVID-19. Sie beträgt ohne die Ergreifung von Maßnahmen 3,3 bis 3,8. Dieser Wert kann so interpretiert werden, dass bei einer Basisreproduktionszahl von etwa 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem bis zu 14 Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkrankt (Manifestationsindex), beträgt bis zu 85%. Laut der Daten aus dem deutschen Meldesystem werden etwa 14% der in Deutschland dem RKI übermittelten Fälle hospitalisiert. Unter hospitalisierten COVID-19-Patienten mit einer schweren akuten Atemwegserkrankung mussten 37% intensivmedizinisch behandelt und 17% beatmet werden. Die mediane Hospitalisierungsdauer von COVID-19-Patienten mit einer akuten respiratorischen Erkrankung beträgt 10 Tage und von COVID-19-Patienten mit einer Intensivbehandlung 16 Tage. Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz (> 30/min), dabei steht eine Hypoxämie im Vordergrund. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines akuten Lungenversagens (Acute Respiratory Distress Syndrome - ARDS) sowie, bisher eher seltener, eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen sind zudem Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens (vgl. zum Krankheitsbild im Einzelnen mit weiteren Nachweisen: Kluge/Janssens/Welte/Weber-Carstens/Marx/Karagiannidis, Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19, in: Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin v. 12.3.2020, veröffentlicht unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00063-020-00674-3.pdf, Stand: 30.3.2020). Eine Impfung ist in Deutschland immer noch nicht verfügbar. Verschiedene spezifische Therapieansätze (direkt antiviral wirksam, immunmodulatorisch wirksam) wurden und werden im Verlauf der Pandemie in Studien untersucht. Zwei Arzneimittel erwiesen sich jeweils in einer bestimmten Gruppe von Patienten mit COVID-19 als wirksam. Als direkt antiviral wirksames Arzneimittel erhielt Remdesivir am 3. Juli 2020 eine bedingte Zulassung zur Anwendung bei schwer erkrankten Patienten durch die Europäische Kommission. Als immunmodulatorisch wirksames Arzneimittel erhielt Dexamethason eine positive Bewertung durch die Europäische Kommission für die Anwendung bei bestimmten Patientengruppen mit einer Infektion durch SARS-CoV-2. Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbildes lassen sich keine zuverlässigen Aussagen zu Langzeitauswirkungen und (irreversiblen) Folgeschäden durch die Erkrankung bzw. ihre Behandlung (z.B. in Folge einer Langzeitbeatmung) treffen. Allerdings deuten Studiendaten darauf hin, dass an COVID-19 Erkrankte auch Wochen bzw. Monate nach der akuten Erkrankung noch Symptome aufweisen können.

Während der Fall-Verstorbenen-Anteil bei Erkrankten bis etwa 50 Jahren unter 0,1% liegt, steigt er ab 50 zunehmend an und liegt bei Personen über 80 Jahren häufig über 10% (vgl. zu Vorstehendem im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html?nn=13490888, Stand: 11.12.2020; Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 11.12.2020).

Auch wenn nach diesen Erkenntnissen nur ein kleiner Teil der Erkrankungen schwer verläuft, kann das individuelle Risiko anhand der epidemiologischen und statistischen Daten nicht abgeleitet werden. So kann es auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, sind derzeit noch nicht abschätzbar. Die Belastung des Gesundheitssystems hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen ab. Sie kann örtlich sehr schnell zunehmen und dann insbesondere das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch die Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung stark belasten. Deshalb bleiben intensive gesamtgesellschaftliche Gegenmaßnahmen nötig, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren. Diese Maßnahmen verfolgen weiterhin das Ziel, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Hierdurch soll die Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten und von Impfstoffen und für die Durchführung von Impfungen gewonnen werden. Auch sollen Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden (vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand: 11.12.2020)."

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. lagen auch während der gesamten Geltungsdauer der streitgegenständlichen Schließungsanordnung vor. So lag die 7-Tage-Inzidenz am 12. Februar 2021, dem Tag, an dem die Schließung der Friseurbetriebe noch einmal für ca. zwei Wochen fortgeschrieben wurde, bundesweit bei 62 und in Niedersachsen noch bei 60 (vgl. RKI, Situationsbericht vom 12.2.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-12-de.pdf?__blob=publicationFile) und am 28. Februar 2021, als die Schließung der Friseurbetriebe auslief, bundesweit bei 64 und in Niedersachsen bei 63 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-28-de.pdf?__blob=publicationFile).

Insgesamt stellte sich die aktuelle Lage im Hinblick auf das Coronavirus im Februar 2021 - mithin zu dem Zeitpunkt, zu dem die hier streitbefangene Änderung der Verordnung beschlossen wurde - wie folgt dar (im Folgenden auszugsweise zitiert aus dem Lagebericht des Robert Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 12. Februar 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-12-de.pdf?__blob=publicationFile):

"Nach wie vor ist eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Gestern wurden 9.860 neue Fälle und 556 neue Todesfälle übermittelt. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit bei 62 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). In Brandenburg, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegt sie deutlich über der Gesamtinzidenz. Aktuell weisen 269/412 Kreise eine hohe 7-Tage-Inzidenz von >50 auf. Die 7-Tage-Inzidenz liegt in 44 Kreisen bei >100 Fällen/100.000 EW, davon in 1 Kreis bei >250-500 Fällen/100.000 EW. Die 7-Tage-Inzidenz bei Personen 60-79 Jahre liegt aktuell bei 48 und bei Personen ? 80 Jahre bei 100 Fällen/100.000 EW. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und in Alten- und Pflegeheimen verursacht.

Am 12.02.2021 (12:15) befanden sich 3.552 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung (-123 zum Vortag). Seit dem Vortag erfolgten +291 Neuaufnahmen von COVID-19-Fällen auf eine Intensivstation. +414 haben ihre Behandlung abgeschlossen, davon sind 31% verstorben.

Seit dem 26.12.20 wurden insgesamt 2.556.697 Personen mindestens einmal (Impfquote 3,1%) und 1.253.306 zwei Mal (Impfquote 1,5%) gegen COVID-19 geimpft. [...]

Nach einem starken Anstieg der Fallzahlen Anfang Dezember, einem Rückgang während der Feiertage und einem erneuten Anstieg in der ersten Januarwoche sinken die Fallzahlen seit Mitte Januar. Der 7-Tage-R-Wert liegt seit der zweiten Januarwoche konstant unter 1. Trotz aktuell sinkender Fallzahlen besteht durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten (s.u.) ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen. Bundesweit gibt es in verschiedenen Kreisen Ausbrüche, die nach den an das RKI übermittelten Daten aktuell vor allem in Zusammenhang mit Alten- und Pflegeheimen, privaten Haushalten und dem beruflichen Umfeld stehen. Zusätzlich findet in zahlreichen Kreisen eine diffuse Ausbreitung von SARS CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung statt, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Das genaue Infektionsumfeld lässt sich häufig nicht ermitteln. Ältere Personen sind nach wie vor sehr häufig von COVID-19 betroffen. Da sie auch häufiger schwere Erkrankungsverläufe erleiden, bewegt sich die Anzahl schwerer Fälle und Todesfälle weiterhin auf hohem Niveau. [...]

Weltweit wurden verschiedene Virusvarianten nachgewiesen. Seit Mitte Dezember wird aus dem Vereinigten Königreich über die zunehmende Verbreitung der Virusvariante (B.1.1.7) berichtet, für die es klinisch-diagnostische und epidemiologische Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit und schwerere Krankheitsverläufe gibt. Ebenfalls wurde vom vermehrten Auftreten einer SARS-CoV-2 Variante in Südafrika (B.1.351) berichtet, die andere Varianten verdrängt hat, sodass eine erhöhte Übertragbarkeit denkbar ist. Erste Laboruntersuchungen deuten darauf hin, dass die Wirksamkeit der zugelassenen mRNA-Impfstoffe durch die Varianten B.1.1.7 und B.1.351 offenbar nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Weiterhin zirkuliert im brasilianischen Staat Amazonas eine SARS-CoV-2 Variante, die von der Linie B.1.1.28 abstammt. Nicht notwendige Reisen sollten weiterhin, insbesondere aufgrund der zunehmenden Verbreitung der neuen Virusmutationen, vermieden werden. Alle drei Varianten wurden bereits in Deutschland nachgewiesen. Mit verstärkter Probensequenzierung und Datenerfassung im Deutschen elektronischen Sequenzdaten-Hub [...] wird das Infektionsgeschehen im Rahmen der Integrierten Molekularen Surveillance (IMS) intensiv beobachtet. [...]

Mit Stand 12.02.2021 (12:15 Uhr) beteiligen sich 1.282 Klinikstandorte an der Datenerhebung. Insgesamt wurden 26.980 Intensivbetten registriert, wovon 22.353 (83%) belegt sind; 4.627 (17%) Betten sind aktuell frei. [...]

Das Robert Koch-Institut schätzt aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung (Community Transmission) mit zahlreichen Ausbrüchen vor allem in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern aber auch in privaten Haushalten, dem beruflichen Umfeld und anderen Lebensbereichen erfordert die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten. Dies ist vor dem Hintergrund des vermehrten Auftretens leichter übertragbarer besorgniserregender Varianten (VOC) von entscheidender Bedeutung, um die Zahl der neu Infizierten deutlich zu senken, damit auch Risikogruppen zuverlässig geschützt werden können [...]."

(2) Auch die speziellen Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 IfSG a.F. lagen vor. Gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. konnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Sätze 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG insbesondere die Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung hatte der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 festgestellt (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw09-de--824818?msc-kid=476ed096c73811ecb5d6904f17c56604), so dass der Anwendungsbereich des Maßnahmenkatalogs des § 28 Abs. 1 IfSG a.F. eröffnet war (vgl. Urt. des erkennenden Senats v. 16.2.2023 - 14 KN 30/22 -, juris Rn. 95).

Gemäß § 28a Abs. 3 IfSG a.F. sollten sich Schutzmaßnahmen nach § 28a Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG a.F. und den §§ 29 bis 31 IfSG a. F. insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems ausrichten. Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen war insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen waren bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen waren landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben.

Gegen die angefochtene Regelung bestehen auch unter diesen Gesichtspunkten keine Bedenken. Die 7-Tage-Inzidenz lag sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen über dem Schwellenwert von 50 Neuinfektionen. Sie lag für die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik am 15. Dezember 2020 bei 174 und in Niedersachsen bei 91 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-15-de.pdf?__blob=publicationFile). Diese Werte verringerten sich im Geltungszeitraum der angegriffenen Verordnungsregelung zwar, lagen aber am 28. Februar immer noch bei 64 (Bundesrepublik) bzw. 63 (Niedersachsen) (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-28-de.pdf?__blob=publicationFile).

(3) Das Vorliegen der Voraussetzungen der § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. hatte zur Folge, dass die zuständigen Stellen - sei es die zuständige Behörde im Wege des Erlasses von Verwaltungsakten oder die Landesregierung oder die von ihr ermächtigte Stelle im Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung - zum Handeln verpflichtet waren, soweit und solange es zur Verhinderung der Krankheitsübertragung erforderlich war. Dies ergibt sich bereits aus den grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.5.2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 8).

bb) Die angegriffene Infektionsschutzmaßnahme stellt sich vor dem Hintergrund der damaligen Lage im Hinblick auf das Coronavirus überdies als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG a.F. dar.

(1) Der Verordnungsgeber verfolgte mit der streitgegenständlichen Schließung der Friseurstudios im Zusammenwirken mit den anderen in der Verordnung normierten Maßnahmen und Vorgaben die legitimen Ziele, im Interesse des Schutzes von Leben und Gesundheit eines und einer jeden die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern und eine Überlastung des Gesundheitssystems infolge eines ungebremsten Anstiegs der Zahl von Ansteckungen, Krankheits- und Todesfällen zu vermeiden (vgl. auch § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG a.F.). Zur Vorbeugung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage sollten die Kontakte in der Bevölkerung drastisch reduziert werden, um das Infektionsgeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Zahl der Neuinfektionen wieder in durch den öffentlichen Gesundheitsdienst nachverfolgbare Größenordnungen zu senken (vgl. hierzu NdsOVG, Beschl. v. 15.2.2021 - 13 MN 44/21 -, juris Rn. 19 sowie die Angaben in der Begründung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und ihrer Änderungsverordnungen, Nds. GVBl. 2020, 411 ff., 457, 491 f. und 2021, 6 ff., 28 f. und 58). Diese Zielrichtung wahrt die besonderen Anforderungen des § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG a.F. (NdsOVG, Beschl. v. 15.2.2021 - 13 MN 44/21 -, juris Rn. 19 m.w.N.).

(2) Die Schließung der Friseurbetriebe war - eingebettet in das in der Verordnung geregelte Gesamtkonzept aus Betriebsschließungen und Kontaktbeschränkungen - zur Erreichung der Ziele geeignet. Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelungen den verfolgten Zweck fördern können. Erst dann, wenn eine Regelung die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt, ist sie nicht mehr geeignet (BVerfG, Urt. v. 30.7.2008 - 1 BvR 3262/07 -, juris Rn. 114 m.w.N.; Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 26499/21 -, juris Rn. 166 m.w.N.; Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 185 m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 1/21 -, juris Rn. 59 m.w.N.).

Dem Antragsgegner stand bei der Beurteilung der Eignung der in Betracht kommenden Maßnahmen ein Spielraum zu, der sich auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die erforderliche Prognose und auf die Wahl der Mittel zur Erreichung der Ziele bezog (vgl. dazu bereits Senatsurt. v. 30.3.2023 - 14 LC 32/22 -, juris Rn. 47 m.w.N.).

Der Beurteilung von Prognoseentscheidungen durch den Gesetzgeber legt das Bundesverfassungsgericht je nach Zusammenhang differenzierte Maßstäbe zugrunde, die von einer bloßen Evidenz- über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Im Einzelnen maßgebend sind Faktoren wie die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen dürfen tatsächliche Unsicherheiten grundsätzlich nicht ohne Weiteres zulasten der Grundrechtsträger gehen. Erfolgt der Eingriff jedoch zum Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der Eignungsprognose beschränkt (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a., juris Rn. 185).

Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, kann die Eignung nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, ob seine Prognose also sachgerecht und vertretbar war. Die Eignung setzt folglich nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirksamkeit der Maßnahmen gibt (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 186). Allerdings kann eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 186).

Diese Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zunächst mit Blick auf den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum aufgestellt hat, werden in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung auch auf die Exekutive angewandt (BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 1/21 -, juris Rn. 59; OVG NRW, Urt. v. 22.9.2022 - 13 D 38.20.NE -, juris Rn. 185 ff.; BremOVG, Urt. v. 19.4.2022 - 1 D 126/21 -, juris Rn. 94 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 2.3.2022 - 13 B 195/22.NE -, juris Rn. 42; SächsOVG, Urt. v. 16.12.2021 - 3 C 20/20 - juris Rn. 26 m.w.N.; ThürOVG, Beschl. v. 13.01.2022 - 3 EN 764/21 -, juris Rn. 67; vgl. auch zum Erlass von Allgemeinverfügungen: Schneider, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: 3. EL August 2022, § 24 Rn. 173). Ein exekutives Handeln auf infektionsschutzrechtlicher Grundlage in einer akuten Krisensituation bedeutet zwangsläufig oftmals ein Handeln im Ungewissen, das auf gewisse Spielräume für unterschiedliche Handlungsoptionen und Gewichtungen im Einzelfall angewiesen ist (Senatsurt. v. 30.3.2023 - 14 LC 32/22 -, juris Rn. 70; Greve, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, Einführung B Rn. 48). Denn nur so kann die Exekutive die auch ihr vom Gesetzgeber zugewiesene Aufgabe, Gefahren für hoch- und höchstrangige Rechtsgüter durch den Ausbruch einer übertragbaren Krankheit abzuwenden oder jedenfalls einzudämmen, nachkommen (Senatsurt. v. 30.3.2023 - 14 LC 32/22 -, juris Rn. 70). Wenn eine neuartige übertragbare Krankheit auftritt, ist typisch, dass Entscheidungen jedenfalls zunächst häufig auf einer unsicheren Erkenntnislage getroffen werden müssen und es an empirischen Nachweisen für die Wirksamkeit von Infektionsschutzmaßnahmen fehlen kann. Wenn die Exekutive nicht allein deswegen verpflichtet sein soll, das Infektionsgeschehen mit den damit einhergehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung unreguliert "laufen zu lassen", ist sie darauf angewiesen, Entscheidungen über Infektionsschutzmaßnahmen auf Prognosen zu stützen. Korrespondierend mit der zunehmenden Aufklärung der Gefahrenlage durch gewonnene Erkenntnisse und wissenschaftliche Gewissheiten verengen sich dann auch die Einschätzungsspielräume (vgl. Greve, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, Einführung B Rn. 50 m.w.N.; Senatsurt. v. 30.3.2023 - 14 LC 32/22 -, juris Rn. 70). Von einer solchen Verengung der Entscheidungsspielräume geht der Senat hier allerdings nicht aus, weil jedenfalls auch im Februar 2021 die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Virus, seinen Übertragungswegen und seinen Auswirkungen noch weitgehend am Anfang standen (vgl. im Einzelnen Senatsurt. v. 1.6.2023 - 14 KN 36/22 -, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen).

Hieran gemessen ist die Prognoseentscheidung des Verordnungsgebers nicht zu beanstanden. Ausgehend von den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Übertragbarkeit des Virus von Mensch zu Mensch über Tröpfchen sowie durch Aerosole, die längere Zeit in der Umgebungsluft schweben und sich z. B. in Innenräumen anreichern und größere Distanzen überwinden können, sowie durch Schmierinfektionen (siehe zu den Übertragungswegen die Informationen des Robert-Koch-Instituts unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html), durfte er die Schließung von Dienstleistungsbetrieben einschließlich Friseurbetrieben für ein geeignetes Mittel zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus halten. Durch die Minimierung von Kontakten zwischen Menschen wird die Ausbreitung des Virus eingedämmt. Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege - wie Friseursalons - bieten Kontaktmöglichkeiten mit wechselnden Kunden und Gästen, die sich in den Betrieben einfinden, die ohne diesen Anlass nicht zustande kämen. Dabei kann gerade eine Leistung des Friseurhandwerks eine längere Zeitdauer und damit Verweildauer im Betrieb in Anspruch nehmen. Zudem wurden durch die angegriffene Regelung die Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg zu den Betrieben und die Attraktivität des öffentlichen Raums bei geschlossenen Betrieben reduziert. Mit der Schließung von Friseurbetrieben wurde damit auch ein Beitrag zu der vom Verordnungsgeber bezweckten befristeten erheblichen Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt geleistet. Dass Kontaktreduzierungen grundsätzlich geeignet sind, einem Anstieg der Zahl der Neuinfektionen entgegenzuwirken und diese somit wieder auf die vom Verordnungsgeber - ebenso wie vom (Bundes-)Gesetzgeber - als nachverfolgbar angesehene Größenordnung von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche zu senken, liegt in Anbetracht der Wege, auf denen das Coronavirus SARS-CoV-2 übertragen wird, auf der Hand. Es steht außer Zweifel, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen mit einer Anzahl regelmäßig ansonsten nicht zusammentreffender Personen und längerer Verweildauer ein signifikant erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 18.3.2021 - 3 R 13/21 -, juris Rn. 40 m.w.N.; BremOVG, Beschl. v. 19.2.2021 - 1 B 53/21 -, juris Rn. 33).

Die Eignung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung lediglich die Schließung der Friseurbetriebe für den Publikumsverkehr und Besuche anordnete, während die Friseurtätigkeit als aufzusuchendes Gewerbe weiter erlaubt war (zweifelnd noch NdsOVG, Beschl. v. 15.2.2021 - 13 MN 44/21 -, juris Rn. 31). Der Verordnungsgeber durfte im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative davon ausgehen, dass das Erbringen von Friseurdienstleistungen beim Kunden zu Hause lediglich einen zu vernachlässigenden Anteil der Friseurdienstleistungen ausmacht und die Schließung der Friseurbetriebe auch nicht zu einer solch drastischen Steigerung der Hausbesuche im Friseurbereich führen würde, dass die Schließung der Friseurbetriebe keinen Beitrag zur Eindämmung des Coronavirus mehr leisten oder sich sogar gegenläufig auswirken könnte. Es ist schon nicht erkennbar, dass ein nennenswerter Teil der Friseurinnen und Friseure für einen kurzen Zeitraum wirtschaftlich auf Hausbesuche umstellen konnte. Dies wird von der Antragstellerin bereits nicht geltend gemacht und ist auch offensichtlich tatsächlich nicht geschehen. Auch die Antragstellerin selbst hat von der Möglichkeit ersichtlich keinen Gebrauch gemacht. Die Gefahr für die Verbreitung des Coronavirus ist bei pauschalierender Betrachtung bei einer überschaubaren Anzahl von Hausbesuchen zudem in jedem Fall erheblich geringer, als wenn sich in den Friseursalons eine Vielzahl von Personen (mehrere Kunden und mehrere Angestellte) über einen längeren Zeitraum in einem Raum aufhalten. Die vom Verordnungsgeber zusätzlich erstrebte Reduzierung der Attraktivität des öffentlichen Raums und die damit im Zusammenhang stehende Kontaktreduzierung wurde durch die Möglichkeit der Hausbesuche zudem schon im Ansatz nicht berührt.

Auch der Vortrag der Antragstellerin, dass Friseurbetriebe keine "Treiber der Pandemie" waren und in Friseursalons keine wesentlichen Infektionsherde festgestellt worden seien, stellt die Eignung der Schließung von Friseurbetrieben nicht durchgreifend in Frage. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass nach Angaben des RKI eine diffuse Ausbreitung der Infektionen in der Bevölkerung stattgefunden hatte, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar gewesen waren. Das genaue Infektionsumfeld hatte sich häufig nicht ermitteln lassen (vgl. z.B. RKI, Täglicher Lagebericht vom 15.12.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-15-de.pdf?__blob=publicationFile). Insofern war es aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht des Verordnungsgebers nicht auszugeschließen, dass sich auch in Friseursalons Personen angesteckt haben und es ohne die Schließung auch weiterhin getan hätten. Im Übrigen diente die Schließung der Friseurbetriebe - wie dargelegt - auch im Rahmen des Gesamtkonzeptes einer Reduzierung der Mobilität der Bevölkerung.

(3) Die Schließung von Friseurbetrieben war zur Erreichung der oben definierten legitimen Ziele auch erforderlich. Für die Annahme der Erforderlichkeit einer Maßnahme darf kein gleich wirksames Mittel zur Erreichung des Ziels zur Verfügung stehen, das den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet, wobei die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme in jeder Hinsicht eindeutig feststehen muss (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 203 ff.; BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 2/21 -, juris Rn. 15).

Dem Normgeber steht grundsätzlich auch für die Beurteilung der Erforderlichkeit ein Einschätzungsspielraum zu. Der Spielraum bezieht sich unter anderem darauf, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen auch im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Er kann sich wegen des betroffenen Grundrechts und der Intensität des Eingriffs verengen. Umgekehrt reicht er umso weiter, je höher die Komplexität der zu regelnden Materie ist. Dient der Eingriff dem Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Normgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsrechtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der Prognoseentscheidung des Normgebers beschränkt (für den Gesetzgeber BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 202 ff.; für den Verordnungsgeber BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 2/21 -, juris Rn. 15; BremOVG, 1 D 126/21 -, juris Rn- 99; OVG NRW, Beschl. v. 2.3.2022 - 13 B 195/22.NE -, juris Rn. 96; ThürOVG, Beschl. v. 13.01.2022 - 3 EN 764/21 -, juris Rn. 71).

Nach Auffassung des Senats indiziert § 28a IfSG a.F. bereits die Erforderlichkeit der hier in Rede stehenden Maßnahmen in der damaligen Lage. Nach Absatz 1 Nr. 14 kann die Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben und Einzel- oder Großhandel eine notwendige Schutzmaßnahme darstellen. Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist nach § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG a.F. insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100?000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - wie hier (vgl. bereits zuvor - sind bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben, § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG a.F. Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben, Satz 10.

Es ist auch nicht festzustellen, dass es gegenüber der landesweiten Schließungsanordnung alternative Maßnahmen zur Zweckerreichung gegeben hätte, deren sachliche Gleichwertigkeit bei Erlass und während der Geltungsdauer der angegriffenen Regelung eindeutig festgestanden hätten. Insbesondere wäre eine Fortführung der Friseurbetriebe unter Einhaltung eines Hygienekonzepts nicht gleich wirksam gewesen. Denn auch Hygienekonzepte hätten das mit dem Betrieb der Einrichtungen einhergehende Infektionsrisiko lediglich reduzieren, aber nicht ausschließen können. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin die Einführung einer generellen FFP-2-Maskenpflicht in Friseursalons als milderes Mittel benennt. Das korrekte Tragen von FFP-2-Masken hätte zwar neben den übrigen Schutz- und Hygienemaßnahmen zu einer weiteren Verringerung des Infektionsrisikos geführt, da die Aerosolbelastung erheblich reduziert worden wäre. Das Tragen einer FFP-2-Maske schloss bei einem mehr als 30-minütigen Kontakt mit einer infizierten Person, der bei der Erbringung von Friseurleistungen häufig gegeben sein dürfte, eine Infektion aber schon nicht aus. Hiervon ging auch die Einschätzung des RKI aus, wonach die die "Kontaktperson 1" betreffende Quarantäneanordnung nur für Fälle zu verneinen war, in denen der Kontakt nicht mehr als 30 min angedauert hatte (vgl. zum Vorstehenden: OVG LSA, Beschl. v. 18.2.2021 - 3 R 13/21 -, juris Rn. 43 unter Bezugnahme auf die damaligen Stellungnahmen und Risikobewertungen des RKI).

Dies gilt auch, obwohl der Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers nach Auffassung des Senats in der hier vorliegenden Konstellation dadurch verengt wird, dass die Schließung der Betriebe, die durch die angegriffene Änderungsverordnung verlängert worden ist, bereits seit dem 16. Dezember 2020 andauerte (die Reichweite des Spielraumes des Verordnungsgebers noch teilweise offenlassend BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 2.21 -, juris Rn. 18 a.E.). In der damaligen Situation waren die Grenzen dieses verengten Spielraumes jedoch unter anderem wegen der besonderen Wertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit, der Bedeutung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sowie der Komplexität der zu regelnden Materie vor dem Hintergrund des damaligen Forschungsstandes sowie der besonderen Dynamik der Sachlage nicht überschritten. Bei der Beurteilung der Entscheidung des Verordnungsgebers ist überdies zu berücksichtigen, dass dieser die hier in Rede stehende weitreichende Entscheidung aus einer ex-ante-Perspektive treffen musste.

Die in dem Beschluss des hiesigen Gerichts vom 15. Februar 2021 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren (- 13 MN 44/21 -, juris Rn. 36) aufgeworfenen Bedenken im Hinblick auf alternative Maßnahmen und Konzepte teilt der erkennende Senat nicht. Das gilt vor allem, was "ein noch aktiveres Handeln staatlicher Stellen bei der Pandemiebekämpfung (...), insbesondere die Intensivierung der Erforschung von Infektionsumfeldern und die Effektivierung der Kontaktnachverfolgung, sowohl durch die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes als auch durch Verbesserung technischer Instrumente" anbelangt. Wie bereits hervorgehoben, standen im Februar 2021 die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Virus, seinen Übertragungswegen und seinen Auswirkungen noch weitgehend am Anfang. Von einer hinreichenden Aufklärung der Gefahrenlage konnte zu jenem Zeitpunkt noch keine Rede sein. Versäumnisse des Antragsgegners sieht der Senat allerdings insoweit nicht. Nachdem bei Auftreten der Pandemie zunächst die rein reaktive Bekämpfung der akuten Infektionen und deren Folgen im Vordergrund gestanden hatte, lag in der darauffolgenden Zeit ein Schwerpunkt auf der näheren Erforschung des Virus einerseits und der Entwicklung eines Impfstoffs sowie Impfkonzepts andererseits. Zugleich wurden nach und nach strategische Konzepte für die Bekämpfung des Corona-Virus in anzunehmenden weiteren Wellen entwickelt. Der Antragsgegner hat u.a. fortlaufend den öffentlichen Gesundheitsdienst - etwa durch die Abordnung von Landesbediensteten und die Erhöhung der finanziellen Mittel - gestärkt. Bereits am 29. September 2020 haben der Bund und die Länder überdies den sog. Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst geschlossen. Kernpunkt dieser Vereinbarung ist eine Förderung des öffentlichen Gesundheitsdienstes durch den Bund mit einem Betrag von vier Milliarden Euro bis 2026. Mit diesem Betrag sollen bei den Ländern insgesamt bis zu 5.000 neue Stellen geschaffen, die Digitalisierung in den Gesundheitsämtern vorangetrieben und die Attraktivität des öffentlichen Gesundheitsdienstes für die Berufswahl gesteigert werden (vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/o/oeffentlicher-gesundheitsheitsdienst-pakt.html, letztmalig abgerufen am 1.6.2023; vgl. auch Nds. GVBl. 2021, S. 194).

Das Bundesverfassungsgericht hat angesichts dessen in den Entscheidungen zur "Bundesnotbremse I und II" - mithin Regelungen betreffend, die sogar noch zeitlich nach der hier streitgegenständlichen in Kraft getreten sind - zu Recht erklärt, dass die Tragfähigkeit der Einschätzung des Gesetz- und damit auch des Verordnungsgebers nicht deshalb in Frage gestellt werde, weil er es versäumt habe, für eine Verbesserung der Erkenntnislage zu sorgen Mit der Aufgabenzuweisung an das Robert Koch-Institut nach § 4 Abs. 1 IfSG sei vielmehr im Grundsatz institutionell dafür Sorge getragen worden, dass die zur Beurteilung von Maßnahmen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten benötigten Informationen erhoben und evaluiert würden. Anhaltspunkte für eine insoweit unzureichende Aufgabenerfüllung, die Anlass für eine Begrenzung des Beurteilungs- und Einschätzungsspielraums sein könnten, seien schon angesichts des dynamischen Pandemieverlaufs mit dem Auftreten mehrerer Virusvarianten nicht ersichtlich (vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 971/21 u.a. -, Rn. 180 ff. sowie - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 189 ff.).

Es mag zwar zutreffend sein, dass nach wissenschaftlichen Studien das Friseurhandwerk nicht zu den Treibern der Pandemie zählte. Allerdings waren seinerzeit nach den Statistiken des RKI die Ansteckungsumstände in der überwiegenden Zahl der Fälle unklar bzw. konnte oft kein Infektionsumfeld ermittelt werden (vgl. oben). Damit war es aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht des Verordnungsgebers schon nicht ausgeschlossen, dass es auch bei der Erbringung von Friseurdienstleistungen zu Virusübertragungen gekommen ist und kommen würde (vgl. ausführlich bereits NdsOVG, Beschl. v. 15.2.2021 - 13 MN 44/21 -, juris Rn. 34).

Hinzu kommt, dass die Schließung von Friseurbetrieben nicht vordringlich darauf abzielte, Infektionen gerade in den betroffenen Betrieben zu unterbinden. Vielmehr diente die Maßnahme in Zusammenschau mit den weiteren Betriebsschließungen und Vorgaben dem Zweck, das Infektionsgeschehen durch Verminderung der persönlichen Kontakte effektiv zu begrenzen. Ziel war es, durch Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche zu senken. Dies erforderte nach nachvollziehbarer Einschätzung des Verordnungsgebers großflächige - Friseurbetriebe einschließende - Maßnahmen, da ohne weitere Einschränkungen zu erwarten war, dass sich das SARS-CoV-2-Virus bzw. seine Mutationen stärker ausbreitete. Die Unterbindung des Betriebs von Friseursalons sollte auf die Bewegungsströme der Kunden einwirken. Die Maßnahme sorgte dafür, dass die mit dem Besuch eines Friseursalons in Zusammenhang stehenden Sozialkontakte (Zuwegung, Aufenthalt) reduziert wurden und diente damit auch der Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten.

Auch das Ergreifen lediglich lokaler Maßnahmen in besonders betroffenen Regionen oder die Herausnahme von einzelnen Gegenden mit geringer Inzidenz stellt nicht offensichtlich ein gleich geeignetes Mittel dar. Im maßgeblichen Zeitraum war nach dem RKI eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in ganz Deutschland zu beobachten. Ein Rückgriff auf lediglich lokale Maßnahmen war bei einer solchen Situation nicht geboten. Im Situationsbericht vom 15. Dezember 2020 führte das RKI aus, dass es nach einer vorübergehenden Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau Ende August und Anfang September im Oktober in allen Bundesländern zu einem steilen Anstieg der Fallzahlen gekommen sei. Durch die Maßnahmen seit Anfang November sei zwar die Zunahme der Fallzahlen sistiert, ohne dass jedoch ein nennenswerter Rückgang habe erreicht werden können. Seit dem 4. Dezember 2020 sei ein erneuter starker Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. Aktuell wiesen nahezu alle der 412 Kreise eine hohe 7-Tage-Inzidenz auf. Die hohen bundesweiten Zahlen würden durch ein diffuses Geschehen verursacht (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-15-de.pdf?__blob=publicationFile). Auch Mitte Februar 2021 hatte sich die Lage nach der Einschätzung des RKI nicht entspannt. So hieß es im Situationsbericht vom 12. Februar 2021, dass nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten sei und das RKI die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch einschätze. Aktuell wiesen nach wie vor 269 von 412 Kreisen eine 7-Tage-Inzidenz von über 50 und 44 Kreise von über 100 aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-12-de.pdf?__blob=publicationFile). Von lediglich lokalen Ausbrüchen konnte daher auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede sein. Davon abgesehen hätte angesichts der hohen Mobilität der Bevölkerung bei lediglich lokalen Maßnahmen stets die Möglichkeit des "Freizeittourismus" mit dem Risiko bestanden, dass Personen aus besonders betroffenen Regionen die Regionen aufsuchen, in denen keine Betriebsschließungen angeordnet waren; sie hätten damit das Virus wieder verstärkt verbreitet.

Schließlich war der Verordnungsgeber auch nicht gehalten, Ausnahmegenehmigungen für Friseurbetriebe vorzusehen, die sich an Hygienevorschriften hielten bzw. bei denen noch keine Ansteckung nachgewiesen war. Wie bereits ausgeführt, sind Hygienemaßnahmen nicht gleich geeignet und waren die Infektionsketten im maßgeblichen Zeitraum durch die Gesundheitsämter nicht mehr nachvollziehbar.

(4) Die streitgegenständlichen Regelungen waren auch angemessen.

Die Angemessenheit erfordert, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 216; BremOVG, Urt. v. 23.3.2022 - 1 D 349/20 -, juris Rn. 85; BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 2.21 -, BeckRS 2022, 32403 Rn. 26 ff.). Es ist Aufgabe des Normgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Ziele andererseits gegenüberzustellen. Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssen hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. Umgekehrt wird gesetzgeberisches Handeln umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die bei gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können. Auch bei der Prüfung der Angemessenheit besteht grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Normgebers. Die verfassungsrechtliche Prüfung bezieht sich dann darauf, ob dieser seinen Einschätzungsspielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat. Bei der Kontrolle prognostischer Entscheidungen setzt dies wiederum voraus, dass die Prognose des Verordnungsgebers auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruht.

Hieran gemessen erweist sich die angegriffene Schließung der Friseurbetriebe in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht als unangemessen. Zwar griffen die Regelungen mit erheblichem Gewicht in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG der Betreiberinnen und Betreiber sowie Mitarbeitenden der jeweiligen Friseursalons ein und machten diesen die Berufsausübung jedenfalls in den Betriebsräumen vorübergehend unmöglich. Dem gegenüber stand jedoch der Schutz überragend wichtiger Gemeinwohlbelange. Die angegriffene Schließungsanordnung diente dem Schutz der Gesundheit und des Lebens jedes Einzelnen wie auch dem Erhalt eines funktionsfähigen Gesundheitswesens sowie insgesamt der Bevölkerungsgesundheit und damit Individual- und Gemeinschaftsgütern von höchstem verfassungsrechtlichem Rang. Die Gefahr für diese überragend wichtigen Rechtsgüter und Gemeinwohlbelange wurde vom RKI im Geltungszeitraum der hier streitgegenständlichen Schließungsanordnung durchweg als sehr hoch eingeschätzt. Eine Durchimpfung der Bevölkerung hatte noch nicht stattgefunden. Es waren zudem aufgrund der Virusvariante B.1.1.7 ("Alpha-Variante") eine schnellere Verbreitung des Virus sowie schwerere Krankheitsverläufe konkret zu befürchten. Auch eine zeitnahe Überforderung des Gesundheitssystems war damit realistisch. Hierfür hat der Verordnungsgeber ein Gesamtpaket an weitreichenden Schutzmaßnahmen erlassen, um Kontakte zwischen Menschen in ihrer Freizeit möglichst zu unterbinden und damit eine effektive Eindämmung der Verbreitung des Virus zu erreichen. Bei der Beurteilung und Abwägung dieser Umstände mussten die mit den Betriebsschließungen beeinträchtigten Interessen wirtschaftlicher Art daher zurücktreten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber selbst für die Milderung der Eingriffsintensität sorgte, indem er die streitgegenständlichen Regelungen bis zum 28. Februar 2021 befristete. Ab dem 1. März 2021 durften die Friseurbetriebe unter Einhaltung von Hygienevorschriften wieder öffnen. Zudem blieb den Friseurinnen und Friseuren während des streitgegenständlichen Zeitraums die Möglichkeit, (nach entsprechender Anmeldung) ihre Kundinnen und Kunden zu Hause aufzusuchen.

In wirtschaftlicher Hinsicht wurde der bereits seit mehreren Monaten andauernde Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit außerdem dadurch gemildert, dass von Seiten der Bundesregierung in verschiedener Form Hilfsleistungen für von den Schutzmaßnahmen betroffene Unternehmen gewährt wurden. So wurden die seit November 2020 geltenden Betriebsbeeinträchtigungen durch die nichtrückzahlbaren Überbrückungshilfe II, Novemberhilfe, Dezemberhilfe und Überbrückungshilfe III gemildert. Im Rahmen dieser Hilfen wurden auch für den hier maßgeblichen Zeitraum Zuschüsse zu den monatlichen betrieblichen Fixkosten geleistet, wobei hierzu insbesondere Pachten, Grundsteuern, Versicherungen, Abonnements und andere feste Ausgaben sowie Mietkosten für Fahrzeuge und Maschinen, Zinsaufwendungen, Abschreibungen auf Wirtschaftsgüter bis zu einer Höhe von 50 Prozent, der Finanzierungskostenanteil von Leasingraten, Ausgaben für Elektrizität, Wasser, Heizung etc. zählten. Personalaufwendungen, die nicht von Kurzarbeitergeld erfasst waren, wurden pauschal mit 20 Prozent der Fixkosten gefördert. Schließlich konnten bauliche Maßnahmen zur Umsetzung von Hygienekonzepten gefördert werden sowie Marketing- und Werbekosten (vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/Content/Artikel/Ueberbrueckungshilfe-III/uebh-iii-ueberblick.html). Weitere Hilfen wurden etwa durch KfW-Kreditprogramme, durch den Wirtschaftsstabilisierungsfond, durch mittelständische Beteiligungsgesellschaften, Erleichterungen im steuerlichen Bereich, die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gewährt (vgl. BMF- Monatsbericht, Hilfen für Unternehmen und Beschäftigte in der Corona-Pandemie, Februar 2021, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2021/02/Inhalte/Kapitel-2b-Schlaglicht/2b-corona-hilfen-fuer-unternehmen- und-beschaeftigte-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3; Die Bundesregierung, Corona-Wirtschaftshilfen der Bundesregierung, Stand: 4.1.2022, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1995230/3838ef36ea352e9af06 a13b4454416ed/2022-01-07-mpk-corona-wirtschafthilfen-data.pdf?download=1; BMF-Monatsbericht, Corona-Unternehmenshilfen - eine vorläufige Bilanz, November 2021, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2021/11/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-1-bilanz-corona-unternehmenshilfen-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=7).

Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, dass die Antragstellerin nicht von den Hilfen profitiert hätte.

(6) Die an sich verhältnismäßige Regelung verstieß auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Dass der Antragsgegner sich entschieden hatte, Optiker und Hörgeräteakustiker sowie Geschäfte des Lebensmitteleinzelhandels nicht zu schließen, ist auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtlich nicht zu beanstanden.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet Legislative und Exekutive, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40; Beschl. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Regelung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, juris Rn. 30; Beschl. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 65; Beschl. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. -, juris Rn. 79; NdsOVG, Beschl. v. 14.5.2020 - 13 MN 162/20 -, juris Rn. 38).

Bei Regelung eines dynamischen Infektionsgeschehens und der Notwendigkeit, schnelle, effektive Entscheidungen in einer sich ständig verändernden Lage zur Gefahrenabwehr zu treffen, sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde grundsätzlich weniger streng (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 14.05.2020 - 13 MN 156/20 -, juris Rn. 35; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit grundsätzlich nicht eingefordert werden (vgl. NdsOVG, Beschl. v. Beschl. v. 14.05.2020 - 13 MN 156/20 -, juris Rn. 37; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.2020 - 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13). Dem Einschätzungsspielraum hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen wohnen notwendigerweise Pauschalierungen, Typisierungen und Generalisierungen inne. In diesem Zusammenhang sind auch Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen, die sich im Zusammenhang mit Differenzierungen zwangsläufig ergeben, hinzunehmen, solange sich für das insgesamt gefundene Regelungsergebnis ein plausibler, sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (vgl. Greve, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, Einführung B Rn. 52). Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (NdsOVG, Beschl. v. 14.5.2020 - 13 MN 162/20 -, juris Rn. 39 und Beschl. v. 14.4.2020 - 13 MN 63/20 -, juris Rn. 62).

Der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gestaltungsspielraum ist für die Exekutive enger als für die Legislative. Für diese besteht ein solcher von vornherein nur in dem von der gesetzlichen Ermächtigungsnorm (hier: § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F.) abgesteckten Rahmen. Die Exekutive darf keine Differenzierungen vornehmen, die über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden. In diesem Rahmen muss er nach dem Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten (BVerfG, Beschl. v. 26.2.1985 - 2 BvL 17/83 -, juris Rn. 39 m.w.N.). Er muss daher den Zweckerwägungen folgen, die im ermächtigenden Gesetz angelegt sind. Gesetzlich vorgegebene Ziele darf er weder ignorieren noch korrigieren (VGH BW, Urt. v. 2.6.2022 - 1 S 1079/20 -, juris Rn. 270 m.w.N.).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Verordnungsgeber Differenzierungen bei infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen allein anhand infektiologischer Erwägungen vorzunehmen hat. Jedenfalls mit § 28a Abs. 6 IfSG a.F. legte der Gesetzgeber eindeutig fest, dass bei der Entscheidung über Maßnahmen durch die Exekutive soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen sind.

Bei der Überprüfung der angegriffenen Regelung anhand des Gleichheitsgrundsatzes verkennt der Senat nach alledem nicht, dass die Regelung einen - wenn auch gerechtfertigten - erheblichen Eingriff in ein Freiheitsrecht darstellt und die Antragstellerin ihre Betriebe seit dem 16. Dezember 2020 erneut - nach einer ersten Schließung zu Beginn der Corona-Pandemie - über mehrere Monate schließen musste (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 23.3.2022 - 1 BvR 1295/21 - juris Rn. 24 ff.; vgl. zu aneinander anknüpfenden Eingriffen BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 223 sowie BVerwG, Urt. v. 22.11.2022 - 3 CN 1.21 -, juris Rn. 79; zur Frage des Prüfungsmaßstabes vgl. auch BayVGH, Urt. v. 6.10.2022 - 20 N 20.794 -, juris Rn. 78). Diese drei Faktoren - gewichtiger, wiederholter und länger andauernder Eingriff in die Rechte der Antragstellerin - erhöhen die Anforderung an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, auch wenn diese nicht an solchen Anforderungen zu messen ist, die dann anzuwenden sind, wenn sich das Kriterium zur Differenzierung den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG annähert (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 124, 199 [220]; BVerfG, Beschl. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 78).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erscheint die von der Antragstellerin beanstandete Ungleichbehandlung von Friseurbetrieben einerseits und den weiterhin geöffneten Optikern und Hörgeräteakustikern andererseits zumindest als sachlich gerechtfertigt. Bei den von Optikern und Hörgeräteakustikern angebotenen Leistungen handelt es sich anders als bei Friseuren schwerpunktmäßig um medizinische Dienstleistungen. Zudem ist der Besuch eines Optikers oder Hörgeräteakustikers jedenfalls typischerweise nicht gleichermaßen mit einem längeren körpernahen Kontakt in geschlossenen Räumen verbunden, wie dies bei der Inanspruchnahme von Leistungen des Friseurhandwerks der Fall ist.

Auch die von der Antragstellerin kritisierte Ungleichbehandlungen zwischen Friseurbetrieben und Geschäften des Lebensmitteleinzelhandels ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Der Antragsgegner durfte davon ausgehen, dass der Lebensmitteleinzelhandel für die Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung einen wichtigeren Beitrag leistet als das Friseurhandwerk. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist von essentieller Bedeutung. Dagegen ist es möglich, einige Zeit auf den Besuch in einem Friseursalon zu verzichten.

Auch, dass lediglich die Schließung der Friseurbetriebe für den Publikumsverkehr und Besuche angeordnet wurde, während die Friseurtätigkeit als aufzusuchendes Gewerbe weiter erlaubt blieb, verstieß nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Hierbei handelt es sich schon unter Berücksichtigung des Infektionsrisikos um unterschiedlich zu würdigende Sachverhalte. Von "Hausbesuchen" durch Friseurinnen und Friseure ging grundsätzlich eine niedrigere Infektionsgefahr aus, als von der Nutzung derselben Räumlichkeit von einer Vielzahl wechselnder Kundinnen und Kunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie bereits ausgeführt, ist zudem weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dieser Bereich einen nennenswerten Anteil am Friseurgewerbe ausmacht und von einem breiten Kundenspektrum - insbesondere seinerzeit - hinreichend nachgefragt wurde, so dass es eines Verbots überhaupt bedurfte (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 17.11.2020, 3 R 225/20 -, juris Rn. 77; BremOVG, Beschl. v. 10.11.2020 - 1 B 354/20 -, juris Rn. 54). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Aufrechterhaltung der Möglichkeit von Hausbesuchen insbesondere alten und gebrechlichen Menschen zu Gute kam, die grundsätzlich auf solche häuslichen Termine in einem möglichst risikoarmen Umfeld angewiesen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO (in analoger Anwendung, vgl. Senatsurt. v. 14 KN 41/22 -, juris Rn. 135 m.w.N.), § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.